Abschnitt 1

Jan Stehen


Der Maler Jan Steen ist noch immer eine lebendige Person, so lange er auch todt ist. Er wandert mit seinem ewig lachenden Gesicht über den Markt, besucht die Wirthshäuser und kommt selbst in die Kinderstuben, wo alle Kinder ihren Jan Steen persönlich kennen und wissen, was für ein Vogel er gewesen. So sah ich in einer kleinen Gasse im Haag unter andern Bilderbogen für Kinder, welche vor dem Fenster einer Hökerfrau hingen, auch einen Bilderbogen mit Jan Steens lustigem Lebenslauf, wie man dergleichen in Niedersachsen von Till Eulenspiegel dem Rübezahl der Lüneburger Haide, verkauft. Wirklich spielt auch Jan Steen einigermaßen die Rolle des Eulenspiegels für das holländische Volk, das sonst keine ustige Person besitzt. Man hat den Eulenspiegel nach Holland verpflanzen wollen, allein er ist in schlechte Hände gefallen und machte daher kein Glück. Er ist auch für die reinlicheren Holländer zu schmutzig. Nachdem ich Arnold Haubrakens Schilderbuch gelesen, bekanntlich eine Fortsetzung des Schilderbuchs von Karl van Mander, bin ich an die Quelle der saubern Geschichten gestoßen, die von Jan Steen in Umlauf sind. Ich bin kein Maler und weiß nicht, mit welchem Grad von Lockerheit das ausübende Künstlertalent verträglich ist. Was ich aber von Adrian Brauer lese, der selten nüchtern war, und der nach einem landstreicherischen Leben im Spital von Antwerpen verkam, macht mich glauben, daß ein Holländer ziemlich weit gehen darf. Mir scheint nun namentlich weder die Menge noch die Art der Jan Steenschen Stücke unverträglich zu sein mit dem Lebenswandel, welchen Jan Steen bei Haubraken führt. Die Menge nicht, denn man weiß, daß er malte, um zu leben; die Art nicht, denn man weiß, daß einerseits sehr viele Stücke von ihm nur leicht und locker, obwohl meisterhaft gemalt sind, andrerseits fast alle Stücke humoristischer, ja kreuzfideler Natur sind. Bäcker malte er lieber als Schütter, Quacksalber lieber als Bürgermeister, sein eignes Hausleben lieber als vornehme Gesellschaften. Man sieht es auch seinem Gesicht auf den ersten Blick an, selbst wenn er sich im ehrbaren Putz und Staat vorstellt, wie er auf dem Amsterdammer Museum hängt, daß er ein derber, fröhlicher Gast war und in seinem Leben manchen Schluck über den Durst getrunken haben mag. Geschichtliche Bilder, vornehme Personen, Helden, Könige, Heilige, u.s.w. waren nicht sein Pferd. Wurde etwas dergleichen bei ihm bestellt, oder überkam ihn einmal selber ein Gelüste darnach, so brachte er lächerliche Parodien zur Welt. Lächeln und lachen muß man, was er auch beginnt. So hängt in der Kopenhagener Gallerie, einer der schönsten und reichsten in der Welt, Davids Triumph, unterzeichnet Jan Steen 1671. Außen vor der Pforte sieht man einen Altar aufgerichtet, mit einer Inschrift in holländischen Reimsprüchen. Auf dem Altar brennt ein Candelaber, rund herum stehen spielende und singende Personen, darunter seine zweite Frau oder Geliebte, Marietje Herkulens und er selbst mit einer Brille und einem Fuchsschwanz im Nacken. Am Fuße des Altars liegt Goliaths Haupt, über welchem ein kleines Mädchen, vermuthlich sein eigenes, die Trommel schlägt. Sauls Tochter, in weißen Atlas gekleidet, reicht ihre Hand dem kleinen lorbeergekrönten David, der Goliaths Riesenschwert mit allen Kräften nach sich schleppt u.s.w. Kurz, ich glaube, man kann annehmen, daß seine etwas eulenspiegelische Natur ihm eben so gut durch den Pelz geschlagen ist, wie sie ihm durch die Leinewand schlug, und ich mache mir daher kein Gewissen daraus, einen der besagten Holzschnitte aus dem Schilderbuch – gleichsam mit dem Stock in der Hand – vor dem deutschen Publikum zu erläutern. Der Bogen, der vor mir liegt, kostet mich fünf Zentjes uncolorirt, der Schnitt ist artig, unter jedem Bilde steht ein Reimspruch. Folgender findet sich unter dem ersten:


Hier erft Jan Steen een Brouwerij
Hij trouwt sijn Lief, sijn beide blij.

Jan Steen sitzt in zärtlicher Stellung mit seinem Liebchen auf der Bank vor der Hausthür, drüben sieht man ein Gebäude mit der Ueberschrift Brouwerij. Das Mädchen stellt offenbar Grietje van Goysen vor, seine erste Frau, die Tochter eines Malers im Haag, bei dem Jan Steen in die Lehre ging. Der Vater sah sich genöthigt, sie so schnell als möglich seinem Lehrlinge in die Ehe zu geben, und da dieser sich noch nicht getraute, sie mit dem Pinsel zu ernähren, warf er sich in ein Braugegeschäft zu Delft, dazumal das Merseburg von Holland.

Hier wint Jan Steen als man de kost
Ist ijvrig in zijn Brouwers post.

Alles geht wohl, Bierfässer liegen am Boden, ein Knecht rührt den großen Braukessel und ein andrer pumpt, und Jan Steen selbst eilt geschäftig nach der Thür, wovor ein Bierwagen hält.

Hier jaagt Jan Steen het door de kel
Denkt schier niet meer sijn Juveel.

Unter dem Juwel verstehe die Kunst. Er taumelt aus einem Weinhaus, der Wirth oder ein guter Freund begleiten ihn, die Wirthin sieht ihm nach, es ist spät in der Nacht, die Gassenlaterne brennt an der Ecke.

Hier raakt Jan Steen weer in de gunst
Begeeft sich ijvrig aan de kunst.

Jan Steen steht vor dem Schilderesel, Pinsel und Palette in der Hand, er ist fetter geworden und sieht sehr behaglich aus.

Hier maalt Jan Steen zijn levens rol
Zijn brein schijnt hier van schildren vol.

Er kommt in die Thür seiner Wohnstube und hält hoch in der Hand einen Beutel voll Geld, seine Frau sitzt lustig im Großvaterstuhl, seine Rangen werfen sich zu Boden, der Hund schlappt aus dem Kessel, die Katze läuft mit der Wurst davon, und als Krone der ganzen saubern Wirthschaft sitzt ein langschwänziger Affe auf dem Schrank und schneidet possierliche Gesichter; ähnliche Züge hat Jan Steen öfters in den Gemälden angebracht, in welchen er sein Hausleben schilderte.

Hier raakt de kunst weer in de nijp
Jan Steen de drinkt en rookt sijn pijp.

Die Mütze auf einem Ohr sitzt er im Wirthshaus, ihm gegenüber ein Zechbruder, der aufmerksam zuhört, was er sagt.

Hier zegt sijn vrouw met veel geschrei
Maakt dat de Brouwrij levend zij.

Hände und Beine übereinandergeschlagen, wie einer, der sich gegen eine Strafpredigt verhärtet, sitzt er am Fenster, seine Frau halt schluchzend die Schürze vors Gesicht und beklagt sich, daß die Brauerei todt ist.

Jan Steen vindt hier ferstond een list
Koopt Eenden dat zijn vrouw niet wist.

Er kauft einen Korb lebendiger Enten von einer Hökerfrau auf dem Markt.

En laat se in de Brouwerij
Rondvliegen, ze is niet doot zegt hij.

Man sieht hier, wie er die Enten in seiner Brauerei herumjagt, und dadurch gegen seine lachende Frau den Beweis führt, daß die Brauerei nicht todt ist. –

Nun verändert sich die Scene, statt in Delft sieht man ihn von jetzt an in Leiden, wo er geboren ward, die längste Zeit lebte und starb. Reisen außer Holland hat er nie gemacht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Zweiter Theil