Abschnitt 2

Der Rhein und Vondel


Dieser Leopold war freilich nicht der Mann großer Blicke und Thaten, der kaiserliche Speer dieses schwachen Habsburgers wußte nicht einmal die deutsche Reichsgrenze zu schirmen, er ist derselbe Leopold, unter dem Straßburg, die Perle vom Elsaß, an die Franzosen kam. Allein Vondel sah in ihm einen aufgehenden Stern, gegen den er fern und einsam aus seinem sumpfigen Winkel die Hände ausbreitete. Ihn fesselte das große Gesicht des heiligen römischen Reichs, der Kaiser in seiner Pracht, der Papst auf seinem Felsen, alle kolossalen Erinnerungen einer romantischen Vorzeit, welche ihren letzten Schatten in das siebzehnte Jahrhundert warf. Er fing sogar noch im hohen Alter ein Epos an, worin er die Vermählung der christlichen Kirche mit dem römischen Weltreich unter Constantin zu feiern gedachte; er hinterließ aber nur den Anfang desselben, der indessen hinlänglich darthut, daß es dem Geiste noch nicht an Kraft und Feuer gebrach, um die Lieblingsidee seines Lebens, die Vereinigung aller menschlichen und göttlichen Gewalten im römischen Kaiserreich würdig durchzuführen. Eine große Idee und ein großer Irrthum. Selbst Vondel mußte schon an sich selbst fühlen, daß sein Jahrhundert nicht mehr aus einem Zeug gewirkt war. Getauft und erzogen in der neuen Lehre, ging er über zur alten, erlitt mehrere Schwankungen, veränderte mehr als einmal sein kirchliches Bekenntniß und ward nur durch den Ekel, den ihm das protestantische Dogmengezänk machte, wie durch den Abscheu vor dem heuchlerischen Spiel, welches die Fürsten und Mächtigen der Zeit hinter dem Riß der Kirche trieben, immer wieder der alten Mutter in die Arme zurückgeworfen. Er sehnte sich nach dem imposanten Anblicke der einheitlichen Kraft aller germanischen Stämme, nach Frieden und Einheit im Herzen Europa’s, er glaubte, daß nur auf dem Felde des Streits selber, also auf dem Felde der Religion die Möglichkeit läge, den ewigen Frieden abzuschließen. Ein frommer Wahn zu einer Zeit, die vom Feldgeschrei der Religion wieder hallte, ein starker Glaube, der glaubte, daß die Süden und Norden einträchtig und versöhnt ihre Hände falten würden um denselben Kelch, der noch von ihrem Blute rauchte, ein Wahn, den die Zeit völlig zerstört hat, zerstört, ohne uns eben eine andere Hoffnung an seiner Stelle zurückzulassen. Nur so viel kann man dem Schatten Vondels zurufen, will es Gott, Vondel, daß sich wiederfindet, was sich geschieden hat, so wird es nicht unter den Palmen Palästina’s, so wird es unter Herrmanns Eichen sein.


Im Leben ging es dem Dichter nicht allzuwohl. Er hatte eine freie Zunge, und da er mit Leib und Seele immer in der Gegenwart wirkte, an Allem, was sich ereignete, lebhaften Antheil nahm, seinen Glauben nicht verbarg, sein Gefühl nicht verläugnete, die Wahrheit nicht bog und keinen Mächtigen scheute, so hat er viel Unangenehmes in der Welt erleben müssen, ja es ging ihm selbst schlecht und am schlechtesten in seinen alten Tagen. Mehr als einmal schnappten nach ihm die Arme der Gerichte, der Prinz Moritz haßte ihn, denn er allein hatte in Holland Muth gehabt, Oldenbarneveldts Andenken zu vertheidigen und seinen Mörder der Tyrannei zu beschuldigen, obwohl er wußte, daß dasselbe Schwert auch über seinem eigenen Kopf hing. Unglück mit seinem Sohn kam hinzu. Um diesen von öffentlicher Schande zu retten, gab er Alles hin, was er noch an Geld und Gü tern besaß, und sah in seinem siebzigsten Jahre sich genöthigt, sich an die Schreiber- Galeerenbank des Lombards zu schmieden, eine Stelle, die ihm eine Dame verschafft, die sich seinetwegen bei einem Bürgermeister oder Schöppen von Amsterdam eindringlich verwendet. Die Natur hatte ihn so unverwüstlich gemacht, daß er noch zwanzig Jahre darnach lebte und starb in seinem neunzigsten, weniger glücklich, aber so unvergeßlich, wie Goethe. Der Senat ließ ihn begraben, wie einen Bürgermeister und errichtete ihm in der Kirche ein marmornes Denkmal, worauf die Worte:

„Hier liegt der zweite große Deutsche, der, nach dem Rhein, in Holland elend versiegte.“

nicht zu lesen sind.

Vondel hat aus der holländischen Sprache gemacht, was nur daraus zu machen war. Er hat in ihr einen Schatz von Gedanken, Bildern und Wendungen niedergelegt, der größer sein mag, als alles Uebrige, was holländische Verse seit der Zeit enthalten. Denn er war ein reicher Mann und hatte Ueberfluß an Allem, woran die Andern Mangel leiden, namentlich an Gedanken.

Man kann mit demselben Recht sagen, Vondel hat aus seinem Genie gemacht, was er in seiner Zeit und an seinem Ort daraus machen konnte. In London am Hofe Elisabeths, in romantischer Luft, Erbe der engli schen Geschichte, im Genuß italienischer Novellen, Nachfolger und Zeitgenosse witziger humoristischer Dichter in London, sage ich, wäre Vondel allem Anschein nach geworden, was Shakspeare in Amsterdam in der Kammer der holländischen Rederyker „door yfer in liefde bloeyende.“

Vondel hat sehr viel hinterlassen, Trauerspiele, Lieder, Festgedichte, Epigramme, Aufsätze in Prosa.

Seine Trauerspiele sind ihrem Inhalt nach biblisch mit Ausnahme etlicher, wie sein Gysbrecht van Amstel, ein Stück, das man noch alljährlich einmal auf die Amsterdammer Bühne bringt. Sie sind mit Chören durchflochten wie die griechischen, Vondel kannte den Euripides in Uebersetzung, er hatte sogar im Alter Latein gelernt, um Seneca zu lesen. Die Personen, welche in Gysbrecht van Amstel und andern ihm eigenthümlichen Stücken auftreten, sind fest und derb gezeichnet, die Chöre oft mit Rembrandts Pinsel zu einander in Licht und Schatten gesetzt, wie denn eine Mutter, die auf der Brandstätte Jerusalems in Raserei ausbricht, mir oft vor Augen schwebt.

In der starken Sammlung seiner Gedichte nehmen die sogenannten Gelegenheitsgedichte viel Raum ein, wie leicht zu erwarten von einem so lebhaften Mann, der die Augen überall hatte und mit den bedeutendsten Köpfen seiner Zeit in Verbindung stand. Gelehrte, Künstler, Staatsleute, Seehelden, Jeder fühlte sich geschmeichelt, wenn Vondel seiner Person und seinen Verdiensten einige Verse schenkte. Da er nun nicht der Mann war, blinde Worte zu machen und selten verfehlte, in diesen kleinen Sachen irgend einen bedeutenden Zug anzubringen, so liefern seine Epigramme einen sehr schätzbaren Beitrag zur Kunde jener für Hollands Ruhm so fruchtbaren Zeit.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Zweiter Theil