Der Harlemmer Koster. Teil 2

Gesetzt aber auch, es wäre der erwähnte holländische Donat ausnahmsweise kein ursprünglich deutsches Werk, so ist es damit noch kein mit beweglichen Lettern gedrucktes, sondern bleibt ein von ganzen Holztafeln abgedruckter Donat, wie sowohl die angeführten Zeugnisse des Accursius, des Ulrich Zell und Scaliger, als die zu Harlem aufgezeigten Donate darthun. Allein, was folgerte Meermann aus den einfachen Worten des Ulrich Zell? Man höre und staune. Ulrich Zell hat offen eingestanden, daß der Mainzer Donat von 1450 mit den der Kosterschen Officin gestohlenen Lettern gedruckt worden, indem er bekennt, die erste Verbildung der Kunst stamme aus den Donaten, die in Holland vor der Zeit gedruckt worden; ex Donatis, nämlich aus den Typen, deren Koster sich zum Drucke des Harlemmer Donat bediente. Aus dieser Erklärung des Mijnheern sieht man deutlich, wie der Heißhunger nach Beweisen, nach Nahrung für eine Chimäre so groß war, daß er mit dem lustigsten Unsinn, mit der verdrehtesten und windschiefesten Interpretation vorlieb nahm. Heutzutage noch gilt die Stelle der Köllner Chronik den Kosterianern für einen der äußern Hauptbeweise ihrer Sache, der Harlemmer Donat als Kosters ältestes Druckwerk.

Nur das gedruckte speculum salvationis nostrae streitet sich in ihren Augen mit demselben um den Ruhm des Alters. Von diesem Werk zeigt man zu Harlem mehrere Ausgaben, in lateinischer und holländischer Sprache. Manier und Inhalt des speculi oder Spiegels unsers Heils stimmen mit der biblia pauperum überein, nur daß die Armenbibel aus ganzen Figuren besteht und der Spiegel oben Vignetten und unten den Text in zwei Spalten enthält. Die eine lateinische und die eine holländische Ausgabe zu Harlem sind nach dem Urtheil der Kenner ganz mit bewegli chen Lettern gedruckt, eine zweite lateinische zeigt dagegen 43 Blätter auf diese Art, und 20 Blätter von hölzernen Tafeln abgedruckt. Vignetten und Text bieten bei dieser Ausgabe eine auffallende Verschiedenheit dar, denn die Vignetten sehn grau und blaß, die Buchstaben schwarz aus. Da nun auf allen angeblich Kosterschen Büchern Jahreszahl eben so wenig als Drucker und Druckort angegeben, so läßt sich nur aus Gründen der Wahrscheinlichkeit die Frage abthun, ob diese seltsame Ausgabe des speculi oder die andere lateinische die ältere sei. Was ist aber wahrscheinlicher, als daß ein Buch, dessen erste Folioseiten von ganzen Holztafeln abgedruckt sind, wenigstens diesem Theil nach, einer frühern Zeit angehört, als ein anderes desselben Inhalts, das völlig mit beweglichen Lettern gedruckt ist? Dennoch halten die Kosterianer das ganze Werk für jünger, finden sogar in jenem seltsamen Umstande den klarsten Beweis dafür, daß Lorenz vom Johannes bestohlen worden, indem sie die Entstehung des Werkes in jene Zeit setzen, als die Kostersche Presse über die Grenze gewandert und die Druckerei verödet war. Nach Koning ist dasselbe Kosters letztes Werk, nach Meermann aber hatte Koster sich schon zu Tode gegrämt und rührt dasselbe von den Erben her; nach Beiden war Ungeduld die Ursache, die Koster oder die Erben antrieb, ganze Folioseiten mit unsäglicher Mühe in Holz zu schneiden, statt, als Inhaber und sogar erste Entdecker des Geheimnisses, mit geringer Mühe eine kleine Anzahl Typen einzeln wieder auszuschneiden. Welche Narrheit sie da dem Küster und dessen Familie aufbürden! Sie hätten eben so gut behaupten können, der Koster habe gleich, nachdem er die Buchdruckerkunst erfunden, auf frischer That zwanzig Folioseiten Buchstaben in starre hölzerne Tafeln eingeschnitten, vor Ungeduld nämlich und um sich den Druck eines Werkes mit beweglichen Lettern zu erleichtern. Wollte Koster, wollte die Familie, nach dem Diebstahl, der ihnen Ehre und Verdienst zu rauben drohte, der Welt durch den Abdruck von Holztafeln in aller Eile den Beweis liefern, daß die Kunst der Buchdruckerei keine Mainzer, sondern eine Harlemmer Erfindung sei, und daß man die Sache zu Harlem eben so gut und noch besser verstehe, als zu Mainz? Und das war der erste Gedanke, auf den der vom harten Schlage betäubte Kopf des Erfinders verfiel, Buchstaben in Holztafeln zu schneiden, sich wieder in die Wiege der Kunst zu legen, während er wußte, daß seine geflügelten Lettern in alle Welt ausgehen würden. Hatte er auch keinen Freund, der ihm zurief, Koster, du bist ein Thor, geh und schneide Buchstaben, so eilig als möglich, und laß die Bretter liegen, so hätten wenigstens dessen spätere Anhänger und Bewunderer, wie Koning, ihn auf seine alten Tage vor der Narrheit schützen und, treu der Altenmännersage, der auch Meermann folgte, ihn durch einen schnellen Tod hinwegraffen sollen.


Freilich, eine Ungereimtheit mehr oder weniger im Leben Koster’s, darauf kommt es nicht an bei der Menge, die allein das Mährchen von der Diebstahlsgeschichte enthält. Der Dieb, der nur ganz einfach das Geheimniß in die Tasche zu stecken brauchte, beladet sich mit Centnerlasten von Typen und andern Gegenständen, woran zwei Pferde hinlänglich zu schleppen gehabt, macht sich heimlich, unbemerkt, wie mit einer Federspule, aus dem Hause, aus der Stadt, aus dem Lande. Koster läßt ihm nicht nachsetzen, nicht einholen und ergreifen, er läßt ihn in Mainz ankommen, drucken, drucken mit gestohlenen Typen, die Erfindung der Kunst sich zuschreiben, sich und Andern den Verdienst, die Ehre zuwenden, und sitzt daheim zu Harlem, verzehrt sich in Gram, verwünscht den Elenden und denkt nicht daran, daß die freie Reichsstadt Mainz, die blühendste, kunstreichste, geachtetste der deutschen Handelsstädte am Rhein, christliche Gesetze und Obrigkeiten hat, die geraubtes Gut nicht straflos im Besitz frecher Räuber lassen, sondern von Kaisers- und Rechtswegen über dem suum cuique zu wachen, seit Alters festgestellt sind. In allem diesem ist kein Verstand. Der Harlemmer Küster beträgt sich wie ein junges Mädchen, dem ein nächtlicher Dieb Ehre und Unschuld geraubt; des Abends legt er sich als Erfinder zu Bett, des Morgens ist ihm die Erfindung gestohlen, und nun denkt er, hin ist hin, verloren ist verloren, und benetzt mit bittern Thränen die zerrißnen Blätter seines Lorbeerkranzes und es fehlt nur noch, daß er sich fürchtet, die Stadt würde mit Fingern auf ihn weisen. Und die Stadt, seine Freunde, der Senat, nichts rührt und rüppelt sich in Harlem, kein Schrei, keine Klage erhebt sich, Keinem liegt der Ruhm und die Ehre eines geachteten Bürgers, der Stadt selbst, und des ganzen Landes nur so viel am Herzen, um den kleinsten Schritt zu thun, gerichtliche Verfolgung einzuleiten, den Erfinder, dessen Familie – war das noch nöthig – zu beschwören, zum Ruhm und Besten der Stadt, zu eigenem Ruhm und Besten, die Früchte einer so glänzenden und einträglichen Erfindung nicht muthlos aufzugeben, und nur zunächst mit den ersten neuen Lettern vor ganz Europa dem Dieb ins Angesicht drucken zu lassen, daß er ein Dieb und Betrüger sei. Nichts von alledem. Die Kosterianer lassen, wie gesagt, bald Koster selbst, bald die Familie noch einige Zeit nach dem Diebstahl mit neuen Lettern fortdrucken, zeigen auch mehrere Bücher auf, die dieser Zeit angehören sollen; allein es ist keins darunter, das in der Vorrede oder sonst irgendwo nur mit einer Sylbe der fatalen Katastrophe im Drama der Erfindung gedenkt. Nicht spur loser hätte eine Perrücke aus dem Kleiderschrank eines Harlemmer Bürgermeisters verschwinden können. Ein alter Diener faselt davon, ein alter Schulmeister erinnert sich dessen aus der Kindheit und nach anderthalb Jahrhunderten übersetzt ein holländischer Alterthümler die lamentable Geschichte ins Latein. Hätten die Erfinder des Mährchens nur so viel Schlauheit gehabt, daß sie den Koster und dessen Erfindung ins Dunkel des Geheimnisses gehüllt, und denselben als einen zurückgezogenen Schwarzkünstler abgemalt hätten. Nein, er ist ein bekannter Mann, ein achtbarer Bürger, ein Beamter der Stadt, hat ein Haus, eine große Druckerei am Markt, besoldet mehrere Druckergesellen, druckt einen Haufen Bücher, verdient Geld, macht Aufsehn, viel Aufsehn, so daß selbst der König von England von ihm hört und einen Spion nach Harlem schickt, u.s.w., und in einer einzigen Nacht wird eines solchen Mannes Ehre und Ruhm auf dem breiten Rücken eines Diebes aus dem Harlemmer Thor getragen und der Dieb wandert wohlgemuth nach Mainz und lacht ins Fäustchen, wie der Teufel, als er Peter Schlemihls Schatten in die Tasche gesteckt hatte. Nicht einmal nach dem Rathhaus geht der Mann und läßt die Geschichte ad acta nehmen, thut es sich, seiner Familie, seinen Nachkommen nicht zu lieb, ein gerichtliches Instrument bei den Vätern der Stadt zu deponiren, worin die glorreiche und zugleich tragische Geschichte der durch ihn zu Harlem erfundenen Buchdruckerkunst, beglaubigt durch eine Anzahl erster Drucke, bescheinigt und erhärtet durch eidliche Aussagen seines Schwiegersohns, seiner Gesellen und Freunde, wie durch eigene, für die Nachwelt zu lesen gestanden. Alles das thut der Mann nicht, sondern legt sich hin und stirbt post Christum natum, man weiß nicht mehr das datum. Man weiß auch nicht das Jahr, in dem er gestorben; eben so wenig das Jahr, in dem er geboren, eben so wenig wie irgend ein Jahr aus dessen Leben, in dem er Dies oder Jenes gethan oder erlitten, die Erfindung vervollkommt, ein Buch gedruckt, ein Kind bekommen, Gevatter gestanden, Küster oder Rathsherr geworden, einen Proceß geführt 3) und dergleichen mehr.

Wohl verstanden, man weiß es nicht; allein dessenungeachtet fehlt es den Kosterianern nicht an Jahreszahlen zur geschichtlichen Ausstaffirung ihres Mährchens; im Gegentheil, sie haben durchgängig mehr Zahlen, als sie brauchen, übercomplete Jahrszahlen, die man sonst auch wohl widersprechende nennt, und in der historischen Kritik als verdächtig betrachtet. Im vorigen Jahrhundert feierte z.B. die Stadt Harlem Kosters drittes Jubiläum im Jahr 1740, in diesem Jahrhundert 1823. Im vorigen Jahrhundert hatte Koster demnach die Buchdruckerkunst im Jahr 1440 erfunden, in diesem erfindet er dieselbe bereits 1423. Warum gerade 23, das soll ich schweigen; auf der alten Tafel über Kosters Hausthüre las man 1429, früher 1440; denn Scriverius überredete den Harlemmer Senat zur Annahme der ersteren Jahreszahl, weil Rabbi Hackohen, wie schon gesagt, ein gedrucktes Buch von 1429 zu Venedig gesehen. Die Väter der Stadt waren schlimm genug daran, sie wußten von nichts, und sollten dennoch auctoritate Senatus Harlemensis das wahre Jahr der Erfindung sanctioniren. Die Buchdrucker von Harlem, die Koster ein Standbild aus ihrer Tasche errichteten, setzten das Jahr 1430 darunter, das Harlemmer Collegium medicum bescheidete sich dagegen, geheimnißvoll den Finger auf den Mund zu legen, sie setzten dem Erfinder ebenfalls ein Monument, schrieben aber keine Zahl darauf 4).

So sieht es aus mit den Jahrszahlen, deren sich die Kosterianer bedienen, um ihr Mährchen auf dem Boden der Geschichte festzunieten. Aehnliche und noch ärgere Varianten liefern die Nachrichten über die Person des Erfinders selbst. Zunächst kommt es einem sehr ergötzlich vor, wie mit dem wachsenden Mährchen auch diese Person an Ehren und Aemtern wächst und zunimmt. In der ursprünglichen Sage und bei Junius ist er nur ein Küster, allein schon Seiz nimmt den Küster in den Senat auf, und Meermann gibt zu verstehen, daß er wohl gar Bürgermeister gewesen; das nicht genug, er leitet dessen Geschlecht von den Brederode’s ab, indem er den Vater oder Großvater zum Bastard macht. Küster bleibt er dessenungeachtet, ja er heißt nur deswegen Koster, weil das Küsteramt in seiner Familie erblich war. Ob es aber in Holland und jedem andern christlichen Lande ein erhörter Fall, daß ein Rathsherr oder Bürgermeister zugleich das geistliche Küsteramt bekleidet, darüber geben diese Herren keine weitere Auskunft. Sie begnügen sich damit, zu sagen, das Küsteramt zu Harlem sei ehemals sehr ehrenvoll gewesen und gar nicht zu verwechseln mit dem Küsteramt von heute. Allein damit wird der Stein des Anstoßes nicht aus dem Wege gehoben, und ich muß es den Gelehrten, die von der Gemeindeverfassung des Mittelalters genauere Kenntnisse haben als ich, überlassen, ob sich ähnliche Beispiele vorfinden. Aus Harlemmer Kirchen- und Stadtbüchern ist von der Person eines Küsters oder Rathsherrn, oder gar Küsters und Rathsherrn, der Koster hieß, keine Nachweisung erfolgt. Sie findet sich also nicht darin. Allein auch in diesem Falle, welche Kluft zwischen einem Harlemmer Küster und dem Erfinder der Buchdruckerkunst. Kein Zeitgenosse weiß etwas von ihm, und der Harlemmer Küster unterscheidet sich durch nichts von jedem an dern dunkeln Küster und Rathsherrn der Harlemmer Vorzeit, als daß man dessen Namen und Stand benutzte, um ein albernes Mährchen daran zu knüpfen. Zwischen dem Helden dieses Mährchens und dem Harlemmer Küster ist durchaus kein geschichtliches Band sichtbar; ein solches existirt nur in der Phantasie der Kosterianer.

Wie thätig aber diese sich erweist, sieht man eben aus den verschiedenen Recensionen des Mährchens, wie dasselbe von Junius erzählt wird. Jeder spätere Kosterianer nahm sich die Freiheit, daran zuzusetzen und wegzulassen, was ihm gut dünkte. Und wie naiv sie unter einander von ihren Einfällen sprechen. Junius und Scriver lassen, wie oben erwähnt, den Koster nach dem Diebstahl so muthlos werden, daß er die Druckerei völlig aufgibt und sich todt ärgert. Nollem, sagte darauf Meermann, nollem Scriverio nostro, nollem aliis hoc excidisset; ich wollte, es wäre unserm Scriverio und Andern dieses nicht entfahren. Es hatten sich nämlich zu Meermann’s Zeit die auf Kosters Namen zusammengerafften Bücher bereits so stark vermehrt, daß es räthlich schien, zur Erklärung der verschiedenartigen Drucke und jenes halb gedruckten, halb geschnittenen Werkes verschiedene Epochen der Druckerkunst anzunehmen. Deren machte Meerman drei, worin ihm die heutigen Kosterianer nachfolgen. Die erste von Erfindung der Kunst bis auf den Diebstahl, die zweite vom Diebstahl bis auf Kosters Tod, die dritte von Kosters Tode bis zum Stillstande der Druckerei unter Kosters Erben. Sie unterscheiden also Bücher, die von Koster selbst vor und nach dem Diebstahl gedruckt, und Bücher, die nach dem Tode des Erfinders von den Erben gedruckt worden. Die fortdruckenden Erben sind also erst spätere Erfindung, Junius, Scriver, selbst Koornhert, der erste Drucker von Harlem, kennen dieselben nicht. Wann und warum die Erben, die erst im Jahre 1724 ausgestorben sein sollen, den Druck aufgegeben, warum Martini und alle übrigen Drucker, die in holländischen Städten in der Folge sich niederließen, aus Deutschland oder Frankreich kamen, und keiner sich rühmte, die Kunst zu Harlem erlernt zu haben, darüber, wie über Hundert andere Fragen, bleiben Meermann und Koning die Antwort schuldig.

Eine andere Art von Varianten und Phantasiestücken der Kosterianer sind die Gemälde und steinernen Bildnisse, „die den großen Mann vorstellen.“ Diese Art hat mich am meisten unterhalten. Man erinnere sich des Scriverius, auf dessen Anstiften der Harlemmer Senat die Jahrszahl über Kosters Hausthür verändern ließ. Derselbe bewog die Väter der Stadt, Kosters Bildniß über die Thür zu setzen, damit Jeder männiglich an solchem Anblick sich erbauen möge. Das Bild ward in der That ausgearbeitet, und zwar nach dem Kupferstich, der Scriver’s Quartanten, Lorbeerkranz betitelt, auf der Vorderseite verziert, die Zeichnung des Blattes ist von van Kampen, der Stich von Jan van de Velde und – die Erfindung von „unserm Scriverio“ selber. Ex ingenio, sagt Meermann, hat Skriverius dies Bild entwerfen lassen. Muß man nicht lächeln über die Geniestreiche der alten Perrücken in us und ius, die ex ingenio die Züge des Erfinders der Buchdruckerkunst erfinden, in Kupfer stechen und durch den Senat der Stadt Harlem in Stein hauen lassen?

Umsonst aber ist Meermann nicht so offenherzig. Das Bild vor „dem Lorbeerkranze“ sieht dem Bilde vor „den origines“ ungefähr so ähnlich, wie ein Lorbeerblatt einem Kohlblatt; mit andern Worten, das Portrait, das Meermann in Kupfer stechen ließ und seinem eigenen Werke vorhängte, sieht dem Portrait von Scrivers Erfindung in keinem Zuge ähnlich. Das Portrait, das Meermann als das echte empfiehlt, ist allerdings nicht ex ingenio, sondern abgezeichnet nach einem Oelgemälde im Besitze der Familie Enschede zu Harlem. Der Himmel weiß, welchen alten Mijnheer dies Gemälde vorstellt; die Familie Enschede glaubt, daß es Koster, den Erfinder der Buchdrucker kunst, vorstellt. Der Käufer will es erstanden haben aus der Nachlassenschaft der Kosterschen Familie und hielt es für eine Arbeit von Albert de Oudewater, oder Gerhard von Harlem, Malern aus der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts, also Zeitgenossen des fraglichen Koster. Allein wie sehr der gute Mann in dieser Hinsicht sich irrte, ist für Jeden, der das Gemälde gesehen und sich etwas auf die verschiedenen Epochen der Malerei versteht, außer Zweifel. Dies Gemälde ist so augenscheinlich aus späterer Zeit, daß auch Meermann, der ein geschmackvoller Kunstkenner war, dies nicht abläugnen konnte; und er versetzt dasselbe in die Zeiten von Hans Holbein und Lukas Kranach. Da nun Niemand die Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit eines Bildes mit einer unbekannten Person weder bejahen, noch verneinen kann, so fragt es sich, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Bild, funfzig Jahr nach dem Tode einer solchen Person gemalt, die, nebenher gesagt, höchst wahrscheinlich nicht gelebt hat, dieser Person als dessen Original beigelegt wird. Die Kostersche Familie hätte auf jeden Fall nur die Copie einer Copie besessen und eine an sich unsichere Familientradition, hier noch bedenklicher, da sie, im Fall des wirklichen Vorhandenseins, ihren Ursprung, wie es zu gehen pflegt, aus der Sage genommen haben mochte, wäre noch unsicherer geworden, da sich die doppelte Geschichte vom Bilde eines Bil des hineinmengte.

Allein, wer sagt, daß dieses Gemälde wirklich im Besitz der Familie Koster war? Der Käufer, Herr Enschede, hat es freilich gesagt und Meermann hat es wiederholt. Könnte man den Leuten nur über den Weg trauen. Derselbe Meermann hat auch gesagt und behauptet, eine gewisse Bücherkiste, die im sechzehnten Jahrhundert im Haag in öffentlicher Versteigerung ausgeboten, und durch den Harlemmer Senat für die Summe von dreihundert Gulden angekauft worden, aus der Nachlassenschaft der Kosterschen Erben stamme 5). Letzteres wäre in der That ein nicht unwichtiger Umstand, wäre es nicht eine Unwahrheit. Denn, mehr Glauben als Meermann verdient der Kaufschein, der sich noch heutigen Tages im Archiv des Harlemmer Stadthauses befindet.“ In diesem ist nicht von der Nachlassenschaft der Kosterschen Erben, sondern von der einer ganz andern Familie die Rede.

Wahrlich, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich glaube nicht an das Vorgeben der Kosterianer, nicht an Koster, nicht einmal an den Küster geschweige an den Erfinder der Buchdruckerkunst 6), ich glaube eben so wenig an dessen Person, wie an dessen Bildniß vor Scrivers und Meermanns Schriften und wie an das la teinische K, von welchem oben die Rede war. Ich glaube nicht an die silberne Kiste, zu welcher allein der Harlemmer Senat den Schlüssel besitzt; nicht als wollte ich ihr Vorhandensein läugnen, sie steht wirklich da, aber man versteht mich und ich glaube nicht daran.

Am wenigsten glaube ich an das verläumderische Mährchen vom Diebstahl. Die Holländer, die dasselbe ausgesprengt, mögen es mit ihrem Gewissen, die Ausländer, die dasselbe nachsprechen, mögen es mit ihrem Verstande ausmachen; sind aber Deutsche darunter, so wünsche ich ihnen nichts angelegentlicher, als durch Straßburger oder Mainzer Druckergesellen mit Hülfe eines echten alten Gutenbergischen Preßbengels eines Bessern belehrt zu werden.

Das ist mein kurzes Glaubensbekenntniß in der Sache zwischen Koster und Gutenberg, zwischen einem Gespenst der Sage, das auf dem dunkeln Chor der Harlemmer Kirche umwandelt, und dem lichtverklärten deutschen Genius, dessen Name im Tempel des Ruhms zugleich mit dem Namen aller großen Männer der Vergangenheit wiedertönt.

Ich könnte hier diesen Aufsatz schließen, das Capitel ist ohnehin schon länger gerathen, als es anfäng lich meine Absicht war. Allein ich vermuthe, manchem aufmerksamen Leser hat bisher eine Frage auf den Lippen geschwebt, die er gegen mich äußern würde, im Fall wir persönlich zusammenträfen. Ich meine, sie ist diese: wie in aller Welt hat sich nur das Gerücht von Koster und dem Diebstahle zu Harlem gebildet, kann man demselben nicht auf die Spur kommen, dessen erste Quelle nicht entdecken?

Ich glaube ja, und, irre ich nicht, so ist die Quelle eben so schmutzig, wie der Ausfluß.

Man höre. Es ist bekannt, daß ein gewisser Johann Schott, eines bekannten Straßburger Buchdruckers, mit Namen Mentel, Tochterenkel, nach dem Tode Gutenberg’s, das falsche Gerücht versprengte, als sei Mentel zu Straßburg der Erfinder der Buchdruckerkunst und Lehrmeister des Johann Gutenberg gewesen; Letzterer habe Mentel bestohlen, sich nach Mainz geflüchtet und mit den gestohlenen Typen sein erstes Werk gedruckt. Dies Gerücht erregte Anfangs Aufsehen, schlief aber eben so bald wieder ein. Mentel selbst, obgleich er ein aufgeblasener Mensch war, sich famosissimus nannte und vom Kaiser sich in den Adelstand erheben ließ, hat dergleichen niemals behauptet. Nun gab es vielleicht zur Zeit des Johann Schott einen Harlemmer, der das Geheimniß der Druckerkunst, das allmählig durch die vielen Arbeiter, die aus Mainz und Straßburg in verschiedene Städte Deutschlands, Frankreichs und Italiens auswanderten, aufhörte, ein Geheimniß im strengen Sinne des Wortes zu sein, sei es nun an der Quelle selbst, oder zu Harlem an den aus Deutschland dahin verschlagenen Büchern 7), theoretisch oder praktisch in Erfahrung gebracht und, mit kleinen und wenig kostspieligen Versuchen sich begnügend, selbst geschnittene hölzerne Buchstaben zu mancherlei Kleinigkeiten abdruckte. Großes Aufsehen macht der Mann nicht, aber es kennt ihn dieser und jener, und nach dessen Hinscheiden fällt einem Gevatter ein, ihm die Ehre der Erfindung zuzuschreiben und das Straßburger Geschwätz von Mentel und Gutenberg zu einem Harlemmer Geschwätz von – (der Name Koster tauchte erst später auf), und Faust zu machen. Da hat man den Ursprung des Mährchen, wie er möglich war. Dazu bedenke man noch, daß Junius des Erfinders Schwiegersohn als Gehülfen und Vervollkommnerer der Buchdruckerkunst angiebt, Faust aber bekanntlich den Peter Schöffer zum Schwiegersohne nahm, weil dieser ihm in derselben Eiegenschaft nützlich ward 8); und ich hoffe, man wird meine Vermuthung wenigstens nicht ungereimt finden.

Was werden aber die Kosterianer dazu sagen, wenn ich jene über den Canal aus England schwimmende Sage, die Meermann als Hauptbeweis für Koster und Harlem so begierig auffischte, nur als Bestätigung dessen betrachte, was ich so eben meine Vermuthung nannte? Und doch scheint mir nichts klarer zu sein. Man urtheile. Der Engländer Atkyns erzählt in seinem Buche, growth of printing. Lond., 1664, von einer Handschrift auf der Lambethischen Bibliothek zu Oxford, worin es heiße: der König Heinrich der sechste habe von der Erfindung der Buchdruckerkunst zu Harlem durch John Cutenberg gehört und in Folge dessen einen verschmitzten Kerl dorthin gesandt, damit derselbe in den Besitz des Geheimnisses sich setzen und damit nach England zur Ueberpflanzung der Kunst zurückkehren möge; dieser habe einen Arbeiter des John Cutenberg bestochen und durch solchen, der Corsellis geheißen, sei die Kunst wirklich nach England und zwar zunächst nach Oxford entführt. Die ganze Stelle ist noch weitläufiger und trägt eben so viele Spuren des Fabelhaften an sich, wie die Stelle im Junius, allein es schwirrt doch durch den Wirwarr ein Ton der Wahrheit, ein Name hindurch, Johann Gutenbergs, des Erfinders der Buchdruckerkunst. Sonst ersieht man daraus, daß die Harlemmer Sage vom Diebstahl selbst ein Echo der Straßburger, schon früh als zweites Echo von Oxford widerhallte; obgleich nicht rein, sondern von der Gewinnsucht der Oxforder Buchhändler aufgefangen und verändert. Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß die Oxforder Buchhändler mit den übrigen Buchhändlern von England über vermeintliche Privilegien einen Proceß führten. Daher muß der Dieb nach Oxford entfliehen, und König Heinrich, persönlich der Anstifter des Diebstahls, muß ihm Privilegien zum Geschenk machen. Die Wahrheit ist, daß England seine ersten Drucker aus den Niederlanden erhielt. Dies geschah einige Zeit später, als die Niederlande selbst ihre ersten Drucker aus Deutschland und Frankreich bezogen, und es sind eben die Gesellen und Lehrlinge dieser Leute, die sich nach England begaben.

Da hast du, lieber Leser, die Historie des Mährchens, wovon ich am Schlusse des vorigen Capitels äußerte, dasselbe sei noch unglaublicher, als das Mährchen von Sprengung eiserner Ketten durch Harlemmer Sägeschiffe. Wahrlich, wer die Buchdruckerkunst erfunden, hat stärkere Ketten gesprengt, als die Hafenkette von Damietta, des Aberglaubens und der Feudalherrschaft diamantene Kette, die der kühnen Seglerin Europa den Zugang zum Hafen des Lichts und der Vernunft versperrte.

Ende des ersten Theils.



3) Wie viel würden die Mijnheers Kosterianer nicht um den Besitz solcher Proceßakte geben, wie sie der Straßburger Senat von Gutenberg aufbewahrt. Darin bezeugt Hans Dünne, der Goldschmied, daß er von Gutenberg schon im Jahr 1436 hundert Goldgülden verdient, allein für Verfertigung und Lieferung dessen, was zum Druck gehört.
4) Es ist überhaupt lächerlich, ein bestimmtes Jahr und nun gar einen bestimmten Tag als Geburtsjahr und Geburtstag einer Kunst zu betrachten, die erst in Jah ren langsam und mühevoll sich ausbildete, wie wir an Gutenbergs Versuchen in Straßburg sehen. Die Deutschen, die nach dem Vorgange des alten Hans Luft den Johannistag und das Jahr 1440 dazu gewählt, begehen diese Lächerlichkeit nicht; das Jahr ist ihnen eine runde Zahl (jedenfalls keine zu frühe), und ihr Gutenberg hieß – Johannes.
5) In dieser Kiste befanden sich unter Anderm das Speculum salvationis, die Figurae apocalypseos, die Chronik von Kölln vom Jahre 1499, die Officia Ciceronis, ed. Faust. 1466.
6) Bereits von Heineken machte darauf aufmerksam, daß der alte ausführliche Karl von Mander im weltberühmten Schilderboek keinen Koster unter Harlems Künstlern des funfzehnten Jahrhunderts kennt und nennt. Dies ist in der That ein stärkeres Argument gegen die Wirklichkeit eines so benannten Künstlers und Holzschneiders zu Harlem, als je ein Kosterianer eins für dieselbe geliefert hat. Sonst ist nicht zu läugnen, daß Karl von Mander Lücken gelassen; so erwähnt er der berühmten Brüder Crabeth, Glasmaler zu Gouda, nicht.
7) Man denke nur an die Officia Ciceron., ed. Faust, in der Bücherkiste jener Harlemmer Familie.
8) Peter Schöffer erfand die metallgegossenen Typen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Erster Theil