Der Harlemmer Koster. Teil 1

„Es war einmal ein Küster zu Harlem, hieß Lorenz Koster, der ging einmal im Harlemmer Holz spatzieren und schnitt zufällig Buchenäste ab und schnitzte Buchstaben daraus und mit solchen hölzernen Buchstaben setzte er bei seiner Zuhausekunft A b c büchlein für seine kleinen Enkel.

Es war aber der Küster ein erfindungsreicher Kopf und führte diese ersten rohen Versuche der Druckerkunst mit der Zeit immer weiter, nahm Blei, dann Zinn statt Holz, erfand mit Hülfe seines Schwiegersohns die Buchdruckerschwärze und druckte größere Sachen. Nahm auch Druckergesellen in sein Haus und unter andern einen gewissen Faustus aus Deutschland. Dieser schlechte Mensch aber stahl seinem Herrn in der Christnacht Presse, Preßbengel, sämmtliche Lettern, kurz alles Druckergeräth, und flüchtete sich über Amsterdam nach Mainz, wo er auf seinen Namen fortdruckte. Den Koster, als er sah, daß ihm Ehre und Verdienst geraubt, ergriff tiefe Schwermuth, so daß er kurz darauf Todes verblich.“


So berichtet im Wesentlichen Junius in seiner Batavia illustrata, die im Jahr 1588 herauskam; aber ich habe die Stelle abgekürzt, sein Bericht ist viel länger, viel ergötzlicher und gegen das Ende weit kläglicher, als der meinige. Dieser Junius oder de Jonghe, war ein holländischer Alterthümler, ohne Kritik und Schärfe, voll kindischer Faseleien und aufgedunsener lateinischer Phrasen. Er hatte, wie er versichert, obiges Mährchen gehört von seinem alten Lehrer, dessen eisernes Gedächtniß er zu rühmen nicht vergißt; dieser hatte es gehört als Kind, von einem eben so alten Diener des Koster, der Stein und Bein darauf schwor, und regelmäßig bei Erwähnung des Diebstahls in einen Strom von Thränen und Verwünschungen ausbrach.

Daß aber Junius, der seine Batavia bereits gegen das Jahr 1575 bearbeitete, nicht rein aus der Luft gefaselt hat, sieht man aus einer Stelle in Ludovico Guiccardini’s descrizione di tutti i Paesi-Bassi, in welcher ebenfalls, unter Harlem, eines solchen Gerüchtes Erwähnung geschieht, selbst von übergebliebenen Denkmälern der Kunst gesprochen wird. Guicciardini’s Reisebericht erschien aber bereits im Jahr 1567 zu Antwerpen. – Noch älter ist die Stelle aus der Vorrede einer 1561 zu Harlem edirten Uebersetzung der offic. Ciceron. Koornhart, ihr Verfasser und in selber Person zugleich notorisch erster Drucker zu Harlem, besagt darin, daß die Kunst zu Harlem erfunden, obgleich seine Mitbürger nicht daran glaubten und Harlem seit dem Tode des Erfinders keine Presse gehabt.

Vorhanden war also das Mährchen schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts Frühere Spuren finden sich nicht. Alle jene Gelehrte der Niederlande, die zu Anfang und gegen die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts blühten, Erasmus Roterodamus an der Spitze, wissen nichts davon, die Chronik von Holland, die im Jahr 1517 zu Leiden erschien, erzählt ganz einfach: im ersten Jahr, daß Friedrich III. Kaiser ward (1440) ist die Kunst zu drucken erfunden, und zu Alost in Ostflandern, auf dem Leichenstein des Buchdruckers Theodor Martini, der 1472 in die Niederlande kam, steht noch heutigen Tages zu lesen: hier liet begraven Dirk Martens, die de Letterkunst uit Duitsland en Vranckrijk in deze Nederlande heft gebracht.

Allein selbst zur Zeit, als Junius seine Batavia schrieb, muß das Mährchen wenig bekannt und noch weniger geglaubt worden sein. Gleich wie Koornhart beklagt sich auch Junius über den Unglauben seiner Landsleute, die der Stadt Mainz ruhig die Ehre überließen und er könne nicht hoffen, selbst mit der Beredtsamkeit eines Cicero, das gleichsam wie mit Keilen in ihr Herz getriebene Vorurtheil auszureißen.

Allein hierin irrte sich der alte Junius. Ganz Holland lebt gegenwärtig seiner Meinung. Dem Koster sind Bildsäulen errichtet, goldene Inschriften über der Thür (vor dessen angeblicher Wohnung und Drucke rei) gesetzt und im Jahr 1823 hat zu Harlem die gesammte Elite des Landes unter Pauken und Trompeten, Reden und Cantaten, Mahlzeiten und Feuerwerken „das vierte Jubeljahr der durch Lorenz Jansohn Koster zu Harlem erfundenen Buchdruckerkunst gefeiert.

Doch höre man zunächst, wie das kam und in welche gelehrte Hände die Altemännersage fiel. Der berühmte Scriverius legte nach Junius die erste Lanze ein für Koster, dann stand der gelehrte Seizius auf, dann warf auch der gelehrte Schrevelius den Mainzern den Fehdehandschuh hin und zuletzt erschien selbst der große Boxhornius in den Schranken. Doch allen Rittern that es Meermannus zuvor. Dieser gelehrte und reiche Patricier von Rotterdam durchreisete halb Europa, stand mit halb Europa in Briefwechsel, verwandte sein halbes Vermögen und sein ganzes Leben, um seinem erdichteten Küster zur Würde einer geschichtlichen Person zu verhelfen und der Harlemmer Sage in den Augen des gelehrten Europa’s Grund zu verschaffen. Als die Frucht seines Eifers und seiner Studien gab er im Jahr 1765, in zwei Quartbänden, die origines typographicas heraus, welche Schrift noch gegenwärtig, trotz der neuern und neuesten Abhandlungen von dem Holländer als das neueste Hauptwerk für Koster betrachtet wird. Geschrieben in vortrefflichem Latein mit besonders glücklicher Wahl neuer lateinischer Ausdrücke für die Werkzeuge und Handgriffe einer den Alten völlig unbekannten Kunst, gibt dieses Werk sowohl über die Person des Erfinders, dessen Stand, Herkunft und Familie, als über die Zeit, Art und Geschichte der Erfindung, über die ersten gedruckten Bücher, deren vermuthliche Jahreszahl und welche von Koster selbst und welche von den Kosterschen Erben gedruckt worden, die genaueste und ausführlichste Nachricht; man sieht sein blaues Wunder an den herabgefallenen Genealogien, Zahlen, Citaten und Angaben aller Art, und am Ende muß man eingestehn, daß nie eine Sage, ein Geschwätz, das ungereimt und kümmerlich mehrere Menschenalter hindurch, unter einigen alten Leuten der Stadt sich fortpflanzte, niemals geschickter aus ihrem Nichts herausgegriffen und zu einem nationalen Etwas gemacht worden sei, als das Geschwätz von Koster in Meermann’s originibus typographicis. Dennoch muß die spätere Zeit gefühlt haben, daß auch durch diese Schrift das mährchenhafte Dunkel, das auf der Person und Erfindung des harlemmer Küsters ruht, nicht völlig zerstreut worden und da man überdies seit jener Zeit noch manchen schönen Fund gethan, alte namenlose Holzschnitte, alte namenlose Bücher aufgegriffen hatte, so setzte der harlemmer Senat einen Preis aus, und es erschien im Jahr 1819 Herrn Jakob Konings gekrönte Preisschrift über Koster. Da aber Koning, wie es scheint, die Erwartung der holländischen Gelehrten nicht befriedigt und auch in der That bei noch größeren Ansprüchen, die er dem Erfinder hinsichtlich der völligen Vollendung und Ausbildung der Druckerkunst vorbehält, indem er ihn selbst mit Metall gegossenen Typen drucken läßt, was Meermann durch eine wunderliche Bescheidenheit damals noch ablehnte, dennoch sich keiner andern und stärkern Beweisgründe und Beweismittel bedient, als sein Vorgänger (ausgenommen, daß er weit mehr Gewicht legt auf den Ochsenkopf, womit das Papier gestempelt), so sah man mit großer Spannung der neuesten Arbeit eines holländischen Gelehrten entgegen, die, wie ich höre, gegenwärtig auch erschienen ist.

Man kann sich nun leicht vorstellen, daß auf der andern Seite die Mainzer und Straßburger, die sich herkömmlich in Guttenbergs Besitz getheilt, auch sogar um denselben in Streit gerathen waren, bei dem Lärm, den die Holländer von Koster machten, nicht ganz ruhig blieben. Aehnliche, obgleich stärkere und gegründetere Besorgnisse fühlten wohl jene Wirthe zu Harlem, deren Nachbarin durch ein neues Wirthshausschild und zwei aus Leibeskräften blasende Trompeter, ihr älteres aber verfallenes Wirthshaus wieder in Flor zu bringen gedachte. Stießen doch auch Seiz und Meermann und wie sie hießen, so laut in die Trompete der Fama, daß es selbst über den Canal er scholl und manche alte Anhänger von Mainz harlemitisch gesinnt wurden. Begnüge ich mich aber, nur zwei deutsche Streiter aus dem großen Haufen namhaft zu machen; die Literatur über diesen Gegenstand, in lateinischer, deutscher, holländischer, französischer und englischer Sprache, ist bereits schon so mächtig angeschwollen, daß sie keine unansehnliche Bibliothek bildet; gesichtet freilich, bleibt auch hier nur ein kleiner Rest, der in Betracht kommt. Ich erwähne also nur Schöpflin und v. Heineken, – die allerneueste Mainzer Schrift ist mir so unbekannt, wie die allerneueste Harlemmer. Schöpflin in seinen vindiciis typographicis. Straßburg, 1760, 4. verbreitete über die Person des deutschen Erfinders, dessen Schicksale, Freunde, Feinde, Bestrebungen, Leistungen das erste vollständige Licht; ein ehrlicher deutscher Advocat, der bei seiner guten Sache sich aller Ränke und Kniffe enthielt und das Eigenthumsrecht seines Clienten auf streng gerichtlichem Wege darthut. Von Heineken in den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen (Leipz. 1769) gab eine Kritik der Meermannschen Schrift, die nebst Bemerkungen über den angeblichen Lorenz Jansohn Koster und die Ungereimtheit der Diebstahlsgeschichte eine auch sonst lesenswerthe Abhandlung über die Erfindung, Figuren in Holz zu schneiden und über die ersten in Holz geschnittenen und gedruckten Bücher enthält. Man muß nämlich wissen, daß die Kosterianer ihrem Lorenz Jansohn nicht nur die Erfindung der Druckerkunst, sondern der noch weit ältern Holzschneidekunst zuschrieben und ihm daher alle ältesten Holzschnitte, die sich ohne Angabe des Künstlers und der Jahreszahl in Europa vorfanden, eben so andächtig und gläubig unterlegten, wie sie jenes mährchenhafte Werk beweglicher Letterkunst, jenes Buch, das Rabbi Joseph Hakkohen mit der Jahreszahl 1428 zu Venedig gesehn haben wollte, für unbezweifelt Kosterianisch ausgaben. Was die Holzschneidekunst betrifft, so hat schon Heineken ihnen so gute Aufklärungen zufließen lassen, daß es in der That nicht seine Schuld ist, wenn die Holländer noch immer bei ihrer Meinung verharren. Und auch hinsichtlich jenes venetianischen Buches gab er ihnen, abgesehen von dem Einfall, ihrem Koster schlankhin ein Buch anzueignen, das sich zu Venedig fand, wenigstens einen sehr glücklichen Wink an die Hand. Hat der Rabbi, sagt er, das Buch wirklich gesehen und war dasselbe wirklich ein mit beweglichen Lettern gedrucktes Buch, so wird es ein französisches gewesen sein, auf dessen Titel er die Jahreszahl 1488 mit lateinischen Zahlen, IIIIXXVIII. nach französischer Art vermerkt fand und irrthümlich 1428 statt quatre vingt huit herausstudirte.

Doch es war vergebliche Mühe, die Holländer in einem so schmeichelhaften Glauben zu stören. Gegenwärtig, das wird der Leser aus dem Angeführten ersehen haben, können sie sogar mit Ehren nicht mehr zurück. Daß der Koster gelebt, die Buchdruckerkunst erfunden und durch Faust oder Gutenberg bestohlen worden, das fragt sich nicht mehr, wie ehemals, das ist seit dem Nationalfest im Jahr 1823 über alle Frage hinaus, und in seiner Gewißheit als patriotischer Glaubensartikel durch nichts zu erschüttern.

Mir kommt bei dieser Gelegenheit der Schweizer Tell ins Gedächtniß. Tell, in der Republik der Berge, ist eine eben so mythische Person wie Koster in der Republik der Sümpfe, Beide gleichen sich auch darin, daß sie allem Anschein nach Quiproquo’s und Copien wirklicher historischer Personen sind und unterscheiden sich vielleicht nur durch den kleinen Umstand, daß ganz Europa den Schweizerhirten, seiner sonstigen poetischen Verdienste wegen, von Herzen gern als wahr und wirklich anerkennt. Welche Macht in der Welt könnte aber auch den Schweizern ihren Tell entreißen, nun, da er einmal als Erfinder des Apfelschusses und Geßlers Mörder in den Volksglauben und die Volkslieder eingedrungen ist. Was gewänne man, den Schweizern vorzurücken, Tell’s Person und That sei so unerweislich als unerwiesen, sei weder durch gleichzeitige Schriftsteller, Geschicht- und Chronikenschreiber erwähnt, noch durch irgend einen Schein von historischem Zeugniß beglaubigt, vielmehr, es stehe diese Person und That mit den kleinsten Nebenumständen leibhaftig vorgebildet und beschrieben im Saxo Grammatikus, der hundert Jahr früher im Rothschilder Kloster auf Seeland eine dänische Geschichte verfaßt, und es sei der ganze Schweizer Tell eben kein andrer, als der fühnische Bogenschütze Palnatoke, und dieser der wahre Erfinder des Apfelschusses, wie später, in große Begebenheiten verwickelt, einer der vornehmsten Aufrührer und Tyrannenmörder aus Rache und persönlichem Haß 1). Werden die Schweizer darum ihren Tell fahren lassen, werden sie jemals eingestehen, die Sage von ihrem Helden sei nur, wie die Sage von Koster, aus einem andern Lande durch das Geschwätz alter Männer in ihre Berge verpflanzt und durch einen Junius der Schweiz später in die Landeschroniken eingeschwärzt? Mit nichten. Sie führen den Zweifler vor Tell’s Capelle, zeigen ihm seine Armbrust, sein Wohnhaus, andere heilige Reliquien und gegen solche demonstratio ad oculos muß jeder Zweifel verstummen.

Eben so handgreiflich beweisen die Harlemmer für Koster. Hier, sagen sie, hier auf dem Markt, neben der großen Kirche hat Koster gewohnt und gedruckt, hier auf dem Stadthause siehst du seine ersten Drucke, hier die silberne Kiste mit den ersten Buchstaben aus Holz, hier das älteste Buch, „der Spiegel unsrer Seligkeit,“ das mit jenen hölzernen Buchstaben gedruckt worden, und, zweifelst du noch, so begib dich nach der Wohnung des Herrn Enschede zu Harlem, dort hängt Kosters altes Bild an der Wand, das sind die Züge des großen Mannes.

Dagegen läßt sich wenig sagen und erwiedern, besonders wenn man an der Wirthstafel zu Harlem sitzt. Mit holländischen Gelehrten läßt sich über gewisse Gegenstände überall nicht gut disputiren, weil es ihnen schon vermöge des Innungswesens, in dessen Fesseln die Gelehrsamkeit hier zu Lande noch eingezwängt ist, an geistiger Freiheit und Unbefangenheit mangelt. Noch weniger konnte es mir beifallen, mit irgend einem Holländer über Koster und Gutenberg in gelehrten Streit mich einzulassen; und schon deswegen nicht, weil ich fürchten müßte, meine eigene Unbefangenheit dabei zuzusetzen. Gutenberg ist in ihren Augen ein gemeiner Dieb – er, der Wohlthäter der Menschheit, der Stolz unsers Landes, der Märtyrer eines genievollen Gedankens, im Leben verläumdet, verfeindet, verarmt, um die Früchte seiner Arbeiten und Mühen gebracht, als Greis das Gnadenbrod eines gutmüthigen Fürsten essend, vergessen und im herznagenden Kummer, gleich dem Entdecker Amerika’s, in die Grube gefahren, nach seinem Tode, im Angesicht Europa’s, das sein Angedenken, wie er’s verdien te, in schuldiger Ehrfurcht hielt, entehrt und beschmutzt mit dem Kothe eines Mährchens, das seinen Ursprung aus Morästen nicht verläugnet! Gutenberg, ein Dieb, ein gemeiner Abenteurer und Ehrenräuber – schon der bloße Gedanke jagt mir in der Seele der Mijnheers Schamröthe auf die Wangen; was würde und was könnte ich ihnen sagen, äußerten sie denselben in meiner Gegenwart. Schämt euch, müßte ich sagen, schämt euch! Ihr bringt eine abgeschmackte, völlig aus dem Wind gegriffene kindisch faselnde, mit groben Widersprüchen und Ungereimtheiten überladene, durch nichts bisher erwiesene, durch nichts künftighin zu beweisende plattholländische Diebsbeschuldigung gegen einen Mann vor, dessen Genius weit über eure Begriffe und Erfahrungen hinausliegt und dessen Erfindung ihr unter euren einheimischen nur die Erfindung der eingepökelten Heringe durch Willem Beukelsohn, und der gläsernen Treib-, und Schwitzkasten durch einen Bürger von Harlem an die Seite zu stellen habt. – –

Gutenberg nämlich und nicht Faust, ist, seit und nach Meerman’s Schrift, in den Augen der Kosterianer der wahre Dieb. Begreiflich. Man hatte erst später in Erfahrung gebracht, daß nicht Faust, sondern Gutenberg der wahre Erfinder sei, bekanntlich hatte Ersterer eine lange Zeit den Namen dafür. Meermann benutzte die neuentdeckte Wahrheit, um eine neue Lüge darauf zu pfropfen, er machte aus dem einen historischen Gutenberg deren zwei, der eine stiehlt und entdeckt dem Andern das Geheimniß der Kunst, um welches dieser vergebens sich abgemüht.

Wie, wird der Leser rufen, so aufs Geradewohl, so ohne weitere Beglaubigung, ohne thatsächliche Beweismittel? Versteht sich, mein lieber Leser, ohne dies und das; es war Meermann nur um irgend einen Dieb zu thun, der mit Vornamen Johannes hieß und für – den Erfinder der Buchdruckerkunst galt. Doch über diese kleine Fiction wird man sich nicht sehr verwundern, wenn man das Gewebe der Fictionen und Lügen kennen lernt, mit dem die holländischen Gelehrten Koster’s Lorbeerkranz übersponnen haben. Feine Lügen und grobe Lügen, Falsa aller Art, Wortverdrehungen, kleine Kniffe u.s.w. sind im Verlauf des Kosterschen Processes nach und nach so planmäßig zum Vorschein gekommen; daß ich behaupten möchte, die Geschichte desselben sei leider national merkwürdig, und schon in dieser Hinsicht eines genauern Studiums werth. Mir wenigstens ist daraus klar geworden, daß der Handelsgeist der Holländer selbst auf dem Gebiete der Wissenschaft sich nicht verläugnet, daß er jenen trüben Egoismus auch dorthin mit sich führt, wo ihm der Eintritt durch einen edleren Geist, der allein das Recht besitzt, dort zu walten, strenge untersagt sein sollte. Auch hier stoße ich wieder auf den alten faulen Fleck, auch hier auf jene ehrbare gewissensruhige Gewissenlosigkeit, sobald und so oft nur ihr Interesse mit dem Interesse anderer Personen und Nationen in Berührung kommt. Ich sehe auch hier, wie sie um jeden Preis das Monopol an sich zu reißen streben. Ich denke an die Holländer, die in Ostindien die alten Besitzer, die Portugiesen beschwärzten, um des Alleinhandels mit Pfeffer und Kaffeebohnen sich zu bemächtigen, es sind dieselben, die Gutenberg beschwärzen, um Monopolisten einer Erfindung zu sein, die doch, nach ihrem eigenen Geständniß, nur eine todtgeborne Frucht für Harlem und Holland war. Und wie sie per fas und nefas jeden neuentdeckten Handelszweig in Flor zu bringen, jede frisch angestochene Quelle der Reichthümer höchst ergiebig zu machen verstanden, so wundere ich mich auch hier nicht über den Wucher, den sie mit dem Mährchen von Koster getrieben, über die fünftausend Procent, die sie daraus gezogen, über den Reichthum an Kosterschen Documenten, Büchern, Holzschnitten, silbernen Kästchen, Gemälden, Bildsäulen, Stammtafeln, Inschriften, goldnen, silbernen, zinnenen und hölzernen Lügen; obgleich ich keinem ehrlichen Mann verdenke, wenn er beim Anblick aller dieser erstaunenswerthen Sachen gläubig oder ungläubig die Hände über den Kopf zusammenschlägt.

Ich sage, ich wundere mich so wenig darüber, als ich daran glaube. Ich finde es aber sehr begreiflich, daß selbst kluge und vorurtheils freie Leute durch den ersten Schein und die Dreistigkeit des Betruges sich bestechen lassen, etwas dahinter zu sehn, was ich und Andere nicht dahinter sehn. Insbesondere aber sind englische Gelehrte, eines seltsamen Umstandes wegen, den ich in der Folge berühren werde, geneigt, dem Harlemmer Küster, wenn auch nicht die gänzliche Vollendung der Kunst und den Druck mit metallgegossenen Typen, doch die Erfindung der hölzeren, also die ersten Anfänge der Kunst zuzuschreiben. Allein, die dieser Meinung sind, verwechseln offenbar theils den Abdruck von ganzen holzschnittlichen Tafeln mit dem Druck einzelner beweglicher Lettern aus Holz, theils lassen sis sich durch das Vorgeben der Kosterianer verführen, gewisse alte holzschriftliche Bücher für mit beweglichen Lettern gedruckte oder wirklich gedruckte für weit frühern Ursprungs zu halten. Der alte Donatus hat hauptsächlich viel Lärm verursacht, obgleich, wie man hören wird, ganz unschuldiger Weise. Derselbe war eine im Mittelalter stark gebrauchte Mönchsgrammatik, ein kurzer Katechismus der lateinischen Sprache in Frage und Antworten, dem der ältere Donatus zu Grunde lag; Gutenberg, Faust und Schöffer haben ihn mehrmals abgedruckt. Nun bemerkte schon Accursius handschriftlich zu der Mainzer Ausgabe des Donat von 1450, daß dieses Buch schon früher von holzschnittlichen Tafeln in Holland abgedruckt, die Druckerkunst selbst aber zu Mainz erfunden worden. Dasselbe sagt die Chronik von Kölln vom Jahr 1499 mit den Worten eines gewissen Ulrich Zell, Item, lautet die Stelle, wiewol die Kunst zu Mainz erfunden, auf die Weise, wie sie nun gemeiniglich im Gebrauch ist, so ist doch die erste Verbildung (prima imago) erfunden in Holland aus den Donaten, welche daselbst vor der Zeit gedruckt sind. Einen solchen Donat kannte auch Josef Scaliger in confutat. fabulae Burdonum; er nennt ihn fixis tabellis impressum. – Daß Ulrich Zell vom Alter deutscher Holzschnitte und holzschnittlicher Werke wenig Kenntniß hatte, beweist er dadurch, daß er einmal den Donat als das älteste Werk dieser Art ansieht, und zweitens, denselben unbedingt den Holländern zuschreibt. Was das Erstere betrifft, so ist z.B. die ars memorandi notabilis per figuras Evangelistarum (vom Anfang so genannt) die außer grotesken Figuren von Engel, Ochse, Löwe und Adler einen abgesonderten Text enthält, ohne Frage bei weitem älter, als der holzschnittliche Donatus. Was das Zweite betrifft, so ist den Kennern hinlänglich bekannt, daß fast kein alter Holzschnitt, wie später kein gedrucktes Buch in Deutschland herauskam, das nicht in Holland und Belgien nachgeschnitten und nachgedruckt wurde. Solcher Holzschnitte und Drucke, un termischt mit deutschen Originalen bemächtigte sich der Harlemmer Senat, wo er sie fand, und legte sie, wie Guckuckseier, der Kosterschen Officin unter, in seiner Einfalt ganz unbesorgt wegen der Verschiedenheit der Manieren, die sich auf den ersten Blick Kennern und Nichtkennern verräth. Da sieht man ein Exemplar der biblia pauperum, jenes uralten deutschen Kunstwerkes, das die Sage dem Ansgarius von Bremen zuschreibt, und das, merkwürdig genug, in mehrern Bildern, die Idee und selbst die Worte der Bildhauerarbeiten im alten Dom zu Bremen darstellt. Auch die Franzosen haben diese Bibel der Armen nachgeschnitten, allein trotz dem Stempel der französischen Lilien auf dem Papier gründen sie keine unrechtmäßigen Ansprüche auf dieselbe, wie sie überhaupt nicht in Abrede stehen, daß in Deutschland die Wiege der Holzschneidekunst und der von ihr ausgehenden, der Erfindung nach genialeren, der Ausübung nach aber weit weniger künstlichen Druckerkunst zu suchen 2). Diese Nachschnitte sind gemeiniglich aus viel späterer Zeit, deren Spuren sie dann auch an sich tragen. So findet sich ebenfalls zu Harlem die altdeutsche providentia Virginis Mariae aus dem Hohenliede, mit Sinnbildern und Zetteln in lateinischer Schrift – lange dürre Figuren, gleich den Bildhauerarbeiten in mehrern altdeutschen Kirchen; dieses Werk führt auf dem ersten Blatt einen Titel, deutlicher Be weis, daß es nicht der alten Holzschneidekunst angehört. Ein anderes, die ars moriendi, zu Wolfenbüttel mit vier und zwanzig Blättern, zu Harlem mit funfzehn, weicht so augenfällig in der Manier von den übrigen ab, daß Meermann selbst es nicht läugnen kann. Er hilft sich aber damit, daß er sagt, dasselbe rühre allerdings von einem andern Formenschneider her, sei aber von Koster mit Lettern versehn. Am Ende des letzten Blattes fand Heineken ein großes lateinisches K (Koster) abgedruckt. Einfältiger Betrug! Aus Versehn des Binders ist zufällig das letzte Blatt das erste und das erste das letzte. Von einem andern zum Theil ganz, zum Theil nur zur Hälfte älterer holzschnittlichen Werke wird gleich die Rede sein, es heißt speculum salvationis, ist in viele Sprachen übersetzt und so gewiß ursprünglich die Arbeit eines deutschen Holzschneiders, als der Text einen deutschen Mönch von Augsburg zum Verfasser hat.



1) Vielleicht gehört aber selbst der dänische Palnatoke einer viel ältern Sage an, deren sich der in den alten Classikern sehr belesene Saxo Grammatikus zur poetischen Ausschmückung seines Werkes bediente.

2) Die auf Holz geschnittenen Spielkarten, die allerfrühesten Holzschnitte in Europa, trifft man in Deutschland bereits vom Jahr 1299; in Frankreich weit später, nach historischen Zeugnissen waren sie dort im Jahr 1341 im Gebrauch. S. Jansen l’origine sur la gravure en bois. Einen der ältesten freien Holzschnitte, einen alten bärtigen Mann vorstellend, entdeckte Oberlin auf der Lyoner Bibliothek, mit der Umschrift: Schloting von Nürnberg 1384.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Erster Theil