Höflichkeitsbezeichnungen in aller Welt

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Pröbes, Michael, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sitten, Bräuche, Völker, Erdteile, Kontinente, Afrika, Europa, Amerika, Hausfriede, Ehrerbietung, Höflichkeit, Frieden, Unterwerfung, Grußform
Es ist ein altes Wort:
„Mit dem Hut in der Hand kommt man durchs ganze Land.“
Das heißt:
Ein höflicher Mensch wird überall gut empfangen.
Und so weit ist es, dem Sinne nach genommen, auch wahr, denn irgendwelche Höflichkeitsbezeigungen sind auf der ganzen Erde und bei den verschiedensten Rassen herkömmlich. Nur gelten bei anderen Völkern andere Formen der Höflichkeit. Ungewohnte Sitten und Bräuche wirken leicht lächerlich, und so kann es kommen, dass den Europäer fremde Grußformen komisch erscheinen; aber auch umgekehrt wird dies der Fall sein. Wir sind gewohnt, andere durch Abnehmen des Hutes zu begrüßen; der Mohammedaner entblößt sein Haupt nicht, er kreuzt die Arme auf der Brust, und die Eingeborenen vieler Stämme Schwarzer Erdenbürger klatschen in die Hände oder reiben sich den — Bauch. Welches Erstaunen würde es Hervorrufen, wenn bei uns jemand Teile seines Körpers entblößen oder die Stiefel ausziehen wollte, nur damit seine Achtung höflich zu bezeigen? Und doch gilt dies anderwärts als feinste Sitte. Wer denkt daran, wie alt die Herkunft und der ursprüngliche Sinn der Grußform „Ihr Ergebenster“ oder „Gehorsamster Diener“ ist, oder „Friede sei mit dir!“?

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Wenn auch für die Herkunft aller Grußarten geschichtliche Zeugnisse nicht im vollen Umfang zu erbringen sind, so enthalten doch die eben erwähnten Formeln einen Kern für ihre Deutung. In gewissem Sinne kann man fast alle Grußweisen als Friedensbezeigungen auffassen, auch solche, die nicht ohne weiteres auf diese Herkunft schließen lassen. Wenn sich jemand vor dem andern zu Boden, vor die Füße des zu Begrüßenden wirft, so ist diese stärkste Form der Ergebenheitsbezeigung doch zugleich auch als ein Ausdruck der unbedingten Friedfertigkeit zu verstehen. Das Liegen an der Erde ist das Zeichen hilfloser „Ergebenheit“. Es soll nichts für die Entstehung menschlicher Höflichkeitsbezeigungen damit gesagt sein, wenn hier ein Vergleich aus der Tierwelt herangezogen wird. Wer hat nicht schon beobachtet, wie sich bei Begegnungen kleine Hunde vor größeren, besonders aber junge Tiere dieser Gattung vor älteren benehmen? Sie ducken sich, werfen sich zu Boden, legen sich auf den Rücken und bieten die leichtest-verletzbare Bauchseite dem Gebiss des kraftüberlegenen Tieres dar. Auch beim Spielen gleichaltriger Hunde kommt es abwechselnd zu dieser unmissverständlichen „Ergebenheitsstellung“. Die völlige Unterwerfung wird am zweifelfreiesten durch Liegen zu Füßen des Überwinders ausgedrückt.

Bei König David heißt es von den Feinden:
„Ich will sie umbringen und zerschmeißen, sie müssen unter meine Füße fallen.“
In Jesaias steht geschrieben:
„Gehe hin und ziehe ab das Kleid von deinen Lenden und die Schuhe von deinen Füßen. Und er ging nackend und barfuß.“
Das war ein Zeichen, dass auch die Feinde in Ägypten überwunden werden sollten und „Jung und Alt, zu seiner Schande nackend und barfuß“ gehen sollte. Auf Wandgemälden und Reliefdarstellungen der Ägypter und Assyrer sind die überwältigten Gegner nackt dargestellt. Zum „Schemel der Füße“ des Herrschers sind sie geworden, der ihnen den Fuß auf den Nacken setzt zum Zeichen der Unterwerfung. Der Fußkuss, als Bezeigung tiefster Ergebenheit, war nicht nur im Orient geübt, auch im Parzival küsst eine Frau dem zu Pferde sitzenden Helden Gàwàn die Füße und den Steigbügel. Im Nibelungenliede heißt es: „so will ich mich legen vor eure Füße, nieder in das Gras“. Sich jemand zu Füßen legen, heißt: ihm untertan sein. Der Psalmist sagt: „Du wirst ihn zum Herrn machen, alles hast du unter seine Füße getan!“ An einer anderen Stelle ist zu lesen:
„Er wird die Völker unter uns zwingen und die Leute unter unsere Füße!“
Wir kennen noch die Redensart: einer geliebten Person die Hände unter die Füße breiten — ihr bereitwillig, aufopfernd ergeben sein. Jemand auf den Fuß treten, galt einst als Zeichen der Besitzergreifung; deshalb versucht die Braut am Schlusse der Trauung dem jungen Mann auf den Fuß Zu treten; sie hofft damit, „Herr im Hause“ zu werden.

Der Orientale wünscht seine Feinde „im Staube liegend“ vor sich zu sehen, die Stirne am Boden und die Erde küssend. Jetzt versteht man den Sinn einer Gefangenenhuldigung vor einem Häuptling im Innern Afrikas, die Wißmann beschrieben hat: „Ein Schwarzer, der sich verschiedener Vergehen schuldig gemacht, bestrich zuerst seine Stirn mit Erde, dann beugte er sich mit Stirn und Mund zum Boden nieder, legte sich auf den Rücken und begann sich im Staub zu wälzen, wobei er gleichzeitig seinen Kopf mit Erde bedeckte.“ Da dem Häuptling dies Bild der Unterwürfigkeit noch nicht demutsvoll genug erschien, warf er noch mehrere Hände voll Erde auf den Körper des Schwarzen. Es gibt herkömmliche nicht entehrende allgemeine Grußformen der wilden Völker, die dieser Prozedur nicht unähnlich sehen und ihre eigentliche Herkunft offenbaren. Tritt ein Schwarzer in einen Kreis von seinesgleichen, so kauert er nieder, berührt zuerst den Boden, dann seine Brust mit den Handflächen und schlägt diese klatschend gegeneinander. Ist ein Höherer anwesend, so küsst der Ankommende vor allem die Erde; hat er aber einen mächtigen Häuptling zu begrüßen, so beugt er sich vor ihm nieder, bringt dann durch Drehung die rechte Schulter mit dem Boden in Berührung, küsst die Erde und legt seine Handflächen auf die Brust. Die Kioque nehmen außerdem eine Handvoll Erde auf, die sie je nach dem Rang des Begrüßten niederfallen lassen oder auf der Brust verreiben; die Hallo berühren, nachdem sie die Erde geküsst haben, dieselbe noch mit der Stirn. Die Zusammenhänge dieser höchst zeremoniell vollzogenen Höflichkeitsbezeigungen mit denen der Unterwerfung eines Besiegten sind offenkundig. Weniger leicht verständlich sind andere afrikanische Grußformen. Nach Cruickshank begrüßen sich die Eingeborenen der Goldküste, „indem sie mit der rechten Hand ihr Kleid ein wenig von der linken Schulter herabziehen und sich zu gleicher Zeit zierlich verbeugen. Wenn sie sich sehr ehrfurchtsvoll zu bezeigen wünschen, so entblößen sie die Schultern völlig und halten das Gewand erst unterhalb der Arme, so dass der Körper von der Brust an aufwärts unbekleidet bleibt.“ Entblößung der Schulter oder des ganzen Oberkörpers ist auch in Dahome und Jorubaland der herkömmliche Gruß. In Abessinien entkleiden Untergebene in Gegenwart Höherer den Körper bis auf den Gürtel; im gleichen Rang Stehende lüften nur den Zipfel ihrer Kleidung. Auch die Tahitier und Polynesier entkleiden sich in Gegenwart ihres Oberhauptes bis zu den Lenden; die gleiche Höflichkeitsbezeigung ist nach Forster aus den Gesellschaftsinseln üblich. Auch das Entblößen der Füße gilt da und dort, so in Amerika, Indien und Asien, als Ehrfurchtsbezeigung. Was kann dies bedeuten? — Oben ist erwähnt worden, dass nach des Psalmisten Worten die Gefangenen nackend und barfuß Zur „Schande Ägyptens“ erscheinen sollten. Die Grußart der geringeren oder größeren Entblößung der Schulter, der Brust, des Oberleibes oder auch der Füße ist nach Herbert Spencer der sinnbildliche Rest der einst völligen Entkleidung, wodurch der Gefangene in früheren Zeiten die Hingabe alles dessen, was er besaß, zum Ausdruck brachte.

Lächerlich erscheint die vornehmste Grußform der Tibeter. Dort zieht man mit der Rechten höflich den Hut, biegt dann das linke Ohr nach vorn und streckt mit freundlichster Miene die — Zunge heraus. Wer dächte dabei, dass auch dieser Gruß ursprünglich mit Kampf, Totschlag und Körperverstümmelung Zusammenhängen könnte? Naturvölker und Angehörige alter Kulturkreise schnitten nach beendigtem Kampfe den Unterlegenen Hände, Ohren, Nase und Zunge ab. Der höfliche Tibeter bietet beim Gruße sinnbildlich Ohr und Zunge zum — Abschneiden dar. Ob man nun so weit gehen darf, das Händegeben beim Gruße mit solch barbarischen Bräuchen in Verbindung zu bringen, erscheint aber doch fraglich. Das weitverbreitete Niederknien und Kopfneigen als Höflichkeitszeichen, der Kotau — wörtlich Kopfneigen — der Chinesen und unsere leichte Verbeugung sind die Reste des Sich-völlig-in-den-Staub-Werfens.

Man sieht, mit dem Hut in der Hand ist nicht allenthalben durchzukommen, die Bräuche der Welt sind eben doch zu verschieden. Wie überrascht würden wir sein, wenn die Dschagga am Kilimandscharo zum Zeichen der Ehrerbietung kräftig — ausspuckten oder die Eingeborenen Kameruns und Nigeriens uns mit drohend erhobener, geschüttelter Faust, aber freundlich lächelnd, bewillkommneten. In China ist eine vornehme Grußform üblich, die gleichfalls im schroffen Widerspruch zu europäischen Sitten steht. Dort hebt man die beiden geballten Hände bis zur Höhe der Stirn, versetzt die Fäuste in kreisende Bewegung und blickt dabei dem Begrüßten, der die gleiche Prozedur macht, fest in die Augen. Wären dabei nicht ungewöhnliche Würde und Grazie zu gewahren, man könnte glauben, es sei statt freundlichster Begrüßung der Beginn einer Balgerei im Gange.

Bei uns spielt auch der Kuss bei Begrüßungen zwischen Verwandten, Freunden und Liebenden eine Rolle. Vielen Völkern ist diese körperliche Berührung fremd. Die Feuerländer, Tahitier, Papuas, Neuseeländer, Somalis, Eskimos, Lappländer und Japaner küssen sich nicht. Dagegen findet man als intimere Grußformen da und dort Reiben oder Klopfen der Hände und Arme, der Brust, des Bauches; ja man streichelt das eigene Gesicht mit Händen oder Füßen des andern. Neuseeländer und Lappen reiben gegenseitig zärtlich die — Nasen aneinander.

Dem seltsam anmutenden Brauch des „Nasenreibens“ und „Anhauchens“ liegt ein liebenswürdiger Gedanke zugrunde. Die Worte „Hauch“ und „Seele“ sind in vielen Sprachen gleichbedeutend. Die Seele ist das „Leben“ des Menschen. Ist der letzte Atemzug verhaucht, so erlischt das Leben. Deshalb verstopft man bei manchen Völkern dem Verstorbenen die Nase; dann kann seine Seele den Leib nicht verlassen und der „Geist“ die Überlebenden als Dämon nicht heimsuchen. Haucht man sich nun bei Begrüßungen an oder reibt die Nasen aneinander, so will das bedeuten: jeder möchte dem andern einen Teil seiner eigenen Lebenskraft geben. Gewiss ein schönes Bild zärtlicher Opferwilligkeit; der Sinn dieses Brauches könnte in die Worte gefasst werden: „Wohl ergehe Dir‘s, mögest du lange leben!“

In einigen Gegenden Adamauas verbeugen sich Frauen vor einer Standesperson in einer für unsere Anschauungen von guter Sitte ganz unfassbaren Weise, die auf uns höchst verletzend wirken müsste. Oskar Lenz sah bei den Fan eine gleichfalls absonderlich anmutende Begrüßung eines Heimgekehrten. Der Ankömmling setzte sich der Reihe nach jedem seiner Stammesgenossen auf den Schoß und wurde von jedem von hinten aus umarmt.

Bei den Kaffern Ostafrikas ist Vielweiberei üblich, und so kommt es, dass einer mit mehreren Schwiegermüttern beglückt wird. Wie wahrt man nun dort den Frieden? Dem verheirateten Kaffer ist streng verboten, ein familiäres Wort mit seiner Schwiegermutter zu wechseln; ja er darf sie nicht einmal ansehen. Will ein Eingeborener nun doch einmal mit ihr reden, so dürfen sie nur aus großer Entfernung einander zurufen. Soll der ganze Kral diese Auseinandersetzungen nicht hören, dann muss das Gespräch hinter einem hohen Zaun geführt werden, denn beide dürfen sich nicht sehen. Begegnet ein Ehemann seiner Schwiegermutter, dann gebietet ebenfalls die Sitte, dass beide einander „nicht sehen“. Man nennt diesen Brauch die „Scham vor der Schwiegermutter“; bei seiner Befolgung bleibt der Hausfriede möglichst gewahrt.

Der Gruß vor dem Dorfältesten.
Nasengruß der Maori.
Ein höflicher Tibeter.
Begrüßung bei den Barotse.
Japanerinnen bei der Begrüßung.
Grußform der Toda vor einem älteren Verwandten.
Der Kaffer und seine Schwiegermutter.

Sitten, Der Gruß vor dem Dorfältesten

Sitten, Der Gruß vor dem Dorfältesten

Sitten, Nasengruß der Maori

Sitten, Nasengruß der Maori

Sitten, Ein höflicher Tibeter

Sitten, Ein höflicher Tibeter

Sitten, Begrüßung bei den Barotse

Sitten, Begrüßung bei den Barotse

Sitten, Japanerinnen bei der Begrüßung

Sitten, Japanerinnen bei der Begrüßung

Sitten, Grußform der Toda vor einem älteren Verwandten

Sitten, Grußform der Toda vor einem älteren Verwandten

Sitten, Der Kaffer und seine Schwiegermutter

Sitten, Der Kaffer und seine Schwiegermutter