Allgemeiner Teil.

Ja wohltätig ist des Wassers Macht, so lange sie der Mensch bezähmt, bewacht.

Seine Beziehung zur Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt weiset ihm eine wichtige Rolle in der Werkstätte der Natur an. Wie sehr die Quellen die Lebensgeister auffrischen und die ermüdeten Glieder stärken zu neuer Arbeit, sagen uns die Tausende von Kuristen, die Jahr für Jahr zum Hochaltar der Zentralalpen pilgern, von wo die Ströme nach allen Weltgegenden ziehen.


Die Gewässer, welche sich in Vertiefungen der Erdoberfläche sammeln, beherbergen Millionen kleinerer und größerer Tiere, welche ganzen Klassen von Menschen Beschäftigung und Nahrung geben. Aber das Wasser spendet auch Freuden. In des Baches sanften Wellen plätschert entzückt das Kind.

Wo die Wasser in Masse über steile Wände stürzen oder tief unten den nackten Fels durchbohren oder endlich hoch oben im Gebirge zu ewigem Eis erstarren, anderwärts im Luftmeere die bekannten Wunderfarben bilden, da setzt sich der Wanderer hin. Erstaunt trinkt er die Wunder der Natur.

Wen hat nicht schon der gemütliche See entzückt, in dem sich buntes Gebüsch, weidende Herden und lustwandelnde Menschen in stiller Mondnacht spiegeln.

Und der düstere Denker, der so gerne schwelgt in Bildern der Vergänglichkeit, weilt er nicht mit Vorliebe dort am Rain, wo der Talfluss wie in Andacht versunken sein Abendgebet murmelt.

Die Quellen, die zum Bache und Strome werden und unaufhaltsam dahineilen, bis sie im Weltmeere die ersehnte Ruhe finden, erinnern sie uns nicht an die Stunden, Tage und Jahre, die nach vollendetem Laufe von der Ewigkeit aufgenommen werden. In den Wellen, die mit- und nebeneinander erscheinen und verschwinden, spiegeln sich Generationen, die gleichzeitig ihr Lebensziel beginnen, verfolgen und abschließen. Zwischen der Wiege und dem Grabe der Flüsse waltet eine wunderbare Wechselwirkung. Wir erblicken darin das Bild des Kreislaufes im tierischen Organismus.

Das Wasser verdunstet. Die Dünste sammeln sich im Luftraum an und ballen sich zu Nebel und Wolken. In den Dünsten liegen hinwieder die Quellen der mannigfachen Niederschläge, vom Staubregen bis hinauf zu den Hagelkörnern.

Tiefer in den Kreislauf des Erdblutes einzugehen, liegt außer dem Ziele dieser Blätter. Es genügt an dieser Stelle die Gletscher als die Geburtsstätten der meisten Flüsse zu bezeichnen. Es ist interessant zu beobachten, wie auch die Bewohner der Seen, vielleicht auch der Meere, zu den Wiegenplätzen der Flüsse sich hingezogen fühlen. Sobald im Herbst die Flüsse ruhig und sicher geworden, zieht es den Fisch und zumal den Lachs heimwärts. In der Nachbarschaft der Berge vertraut das Weibchen seine Brut gewählten Sandbänken an. Im darauffolgenden März wandert sodann Alt und Jung wieder talwärts in den zahlreichen Familienkreis.

Es ist zu bedauern, dass die Menschen zuweilen diesen von der Natur diktierten Wanderungen Schwierigkeiten in den Weg legen. Darin liegt nicht weniger eine Tierquälerei als in jenen Mordjagden, welche jenseits der Alpen auf Vögel ausgeführt werden. Es lässt sich kaum eine prägnantere Versündigung gegen die Natur denken, als wo dem Prinzip der Erhaltung der Gattung entgegengetreten wird.

Eines merkwürdigen Mittelpunktes zwischen der Wiege und dem Grabe der Flüsse soll hier noch Erwähnung geschehen.

Verfolgen wir die Flüsse von ihrem Ursprungspunkte abwärts, so sehen wir sie fast, ohne Ausnahme in ein mehr oder weniger naheliegendes Wasserbecken fließen, so der Rhein in den Bodensee, der Tessin in den Langensee, die Rhone in den Genfersee und die Reuss in den Vierwaldstättersee.

Die Rolle dieser Seen in der Ökonomie des Wassersystems zu ergründen, überlasse ich billig den Männern der Wissenschaft. Tatsache ist, dass die Flüsse, nachdem sie ihre Glieder im Seebad abgekühlt, viel ruhiger und sanfter ihre Reise fortsetzen.

Wer ungestört die Natur in ihrer Majestät betrachten und die Hieroglyphen bewundern will, womit der Weltgeist seine Gedanken ausgedrückt hat, den möchte ich einladen seine Schritte an einem heitern Sommertage bergwärts zu lenken bis hinauf zur Sennhütte, welche die Kultur in ihrem freundlichen Kampfe mit der Natur als äußersten Vorposten hingestellt hat. Wer möchte da nicht weilen im Kreise der freundlichen Bilder, welche in trauter Gemeinschaft den rauchenden Herd umstehen. Senn und Sennerin, Kühe und Ziegen, der wachsame Hund und die lauernde Katze, sie alle zusammen freuen sich des Daseins am Busen der mütterlichen Natur. Die Alpenrosen und Gentianen entwickeln eine Pracht als gälte es einen Hochaltar zu zieren.

In die feierliche Stille tönen in seltsamer Harmonie die Lieder der Hirten, die Glocken der Herden, das Rauschen des Wildbaches, die Pfiffe des Murmeltiers. Um die heimelige Scene ziehen gespensterartig die Schatten himmelanstrebender Berge.

Gehoben von diesen Bildern und angeweht vom Odem des nahen Gletschers weitet sich dem Wanderer das Herz und es gemahnt ihn Freundschaft zu schließen mit Senn und Sennerin, mit Tier und Pflanze, mit Firn und Gletscher.

Aber die Heimat des Friedens und der Einfalt, die sogar im Eispanzer des Winters die Sprache des Feierlichen beibehält, wie bald verwandelt sie sich in den Schauplatz des Aufruhrs und der Zerstörung!

Der kaum entbrannte Kampf der Elemente wälzt sich von Klippe zu Klippe mit lautem Tosen und Schäumen abwärts in die Täler und Ebenen, wo die Menschen ihre Wohnsitze in Dörfern und Städten aufgeschlagen haben.

Die furchtbaren Zerstörungen darzustellen, die die Flüsse, sonst so freundliche Gefährten, in den Monaten September und Oktober 1868 anrichteten und dadurch einen großen Teil der Schweiz mit Schrecken und Trauer erfüllten, ist die nächste Aufgabe dieser Arbeit.

Nach meinen Beobachtungen war der Stand der Binnengewässer während der Sommermonate höher als gewöhnlich, was weder mit dem sparsam gefallenen Schnee des Winters, noch auch mit den seltenen Niederschlägen des Sommers im Einklang stand. Die erste Hälfte des Monats September zeichnete sich durch schöne Witterung aus. Von da weg bis zum Schneefall des 5. Oktobers regnete es mit wenigen Unterbrechungen fast täglich, so dass der Landmann Mühe hatte, das Emd zu sammeln.

Der 27. September hatte schon in den Morgenstunden eine eigentümliche Physiognomie angenommen. Die Sonne bewegte sich im Sternbilde der Fische und der Mond war im Wachsen begriffen, beides Momente, welche nach Dafürhalten des Volkes einem Gewitterregen mit Bangen entgegensehen lassen. Um Mittag sah man den Horizont in südwestlicher Richtung in schwarzem Gewande. In den höheren Regionen trieben düstere Wolken von Süden nach Norden. Tiefer zogen lichte Nebelbilder in entgegengesetzter Richtung. Was sollte die tolle Jagd zwischen Süd- und Nordwind bedeuten?

Bald war es drückend schwül, bald kündete sich die Biese. Auch in lichten Augenblicken zeigte sich die Sonne verschleiert. Es ist nicht hell und nicht dunkel, nicht warm und nicht kalt. Man sucht Zerstreuung ohne sie zu finden. Sogar die Tiere verraten eine gewisse Unruhe. Dass es unter solchen Umständen zu einer Krise, zu einem heftigen Aufeinanderplatzen der zwei sich verfolgenden Winde kommen müsse, war, wenn nicht vorauszusehen, so doch vorauszuzahlen. An meinem Standort, Peiden-Bad, im Glennertal, Kanton Graubünden, 2400 ' ü. M.' bewegte sich das Thermometer zwischen 12 — 14° Reaumur. Wie es sich später zeigte ist der Kampf im Umkreise des Gotthards und des Adula und ihrer Ausläufer ausgekämpft worden. Der Saharische Sprössling hat von seinem Sieg den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Davon geben Zeugnis die entsprechenden Abdachungen und Flussgebiete.

Haben auch die Flussgebiete Chorus gemacht, welche zu diesen Gebirgsstöcken in entfernterer Beziehung stehen, so sind doch die Folgen in weit geringerem Maße zu Tage getreten. Der Punkt, wo sich die Berner und Walliser Alpen mit den Rhätischen Alpen berühren, ist leider schon oft der Herd großartiger Katastrophen gewesen, so in den Jahren 1627, 1697, 1725, 1745, 1762, 1817, 1834. Gebe Gott, dass mit dem Jahre 1868 die Reihe der schwarzen Loose geschlossen sei.

In den Abendstunden wurde der Regen schärfer und anhaltender. Im Osten hingen die Wolken weit herab und schwarz wie die Nacht. Um 5 Uhr schüttete es wie wenn der Himmel auf einmal seinen ganzen Vorrat ausleeren wollte. Der Glenner stieg von Minute zu Minute. Schon vor Zunachten erreichte er die Krone unserer Wuhren.

Unter der Duiner Felswand zunächst dem Bade hatte am 29. Juli 1865 der Duiner Bach in Folge eines Wolkenbruches im hinterliegenden Gebirge eine 2 bis 3 Meter hohe und 60 Meter lange Gesteinsbank aufgeschichtet. Die Ingenieure, welche im Frühling 1868 den Auftrag hatten, die Straße Ilanz-Peidenbad-Villa zu beurteilen, hatten diese Steinbank zur Aufnahme der Straße geeignet gefunden. Diese ganze Partie, in der eine Masse schwerer Steinblöcke Stack, hatte der Glenner in wenigen Stunden unsichtbar gemacht.

Ich notiere an dieser Stelle diese Erscheinung, um dem Leser einen Begriff zu geben von der Mächtigkeit, die der Glenner bereits im Vorspiele der 8tägigen Tragik zur Schau getragen.

Wir schließen hier die einleitenden Betrachtungen und gehen zu den Spezialitäten über.