Moralischer Lebenslauf einer neugeborenen und großerzogenen Tochter

Moralischer Lebenslauf einer neugeborenen und großgezogenen Tochter

(Beliebige Bänkelmelodie.)


Der Vater, welcher Jobst genannt,
War in Berlin ein Schlächter,
Mit seiner Gattin an der Hand
Erzog er zween Töchter.

Die Eine, welche häuslich war
Und brav zu allen Stunden,
Die hatte schon mit siebzehn Jahr
'nen treuen Mann gefunden.

Die And're schien aus and'rem Holz
Indeß, wie's schien, geschnitten,
War gegen das Gesinde stolz
Und nicht ganz fromm von Sitten.

Die Eltern starben alle Beid',
Das war nicht sehr ergötzlich,
Das that ihr ungeheuer leid,
Auch weinte sie entsetzlich.

Aurelie — so ward sie genannt —
Die erst umherstolziret,
Hat aus dem Hause sich gewandt,
Denn das ward subhastiret.

Sie ging die Straßen ab und auf,
'ne Stelle sich zu suchen,
Sie dachte, Stellen gab's zu Haus'
Gewiß für sie — ja Kuchen!

Die einz'ge Stelle, die sie fand,
Und die sie haben mußte,
War für 'nen Thaler acht Groschen Courant
'ne Schlafstelle bei Fran Kruste.

Sie war so schön, sie war so jung,
Doch fand sich für sie kein Recke,
Da sprang sie voller Verzweifelung
Bis an die Zimmerdecke.

Doch als sie diesen Sprung gethan,
Ging endlich ihr ein Licht auf.
„Ja, ja, so ist's, so geht es an —
Nun frißt die Noth mich nicht auf!"

Schnell stürzt sie nach dem Circus da;
Ein Mann im tiefsten Basse
Empfing sie. Es war Godefroy,
Renz, Carré oder Loisset.

Und war es Keiner von diesen Herr'n,
So war's gewiß ein And'rer:
„Kunstreiter möcht' ich werden gern,
Darum komm' ich gerannt her!"

Und richtig, im Circus sie verblieb;
Zwar war es nicht ganz heiter,
Indeß nach manchem Peitschenhieb
War endlich sie — Kunstreiter.

Und allerdings! Im Männercostüm
Verstand sie's, die Frau'n zu berücken,
Und alle möchten gerne ihm
Mit ihrer Liebe beglücken.

Ein junges Mädchen, weiß wie Schnee,
Legt endlich den Kahn an's Land an.
Und bietet mit tausend Achherrje
Dem Jüngling ihre Hand an.

Es war zur Zeit, als in Gretna-Green
Dem Schmied noch genomm'n sie nicht hatten
Die Concession, was sich wandte an ihn,
Zu machen zu Gattin und Gatten.

In England machten sie deshalb Halt
Und ließen vom Schmied sich trauen,
Und das wonnige Hochzeitsbette bald
Bestiegen — die beiden Frauen.

Wiewohl er seiner Liebe Eid
Mit tausend Küssen mengte,
Hat sie sehr wenig das erfreut —
Es fehlte die Pointe.

In dieser kritischen Lage war
Zwar die Verlegenheit groß,
Sie schalt ihn wacker immerdar,
Doch dauert's kurze Zeit blos.

„Geholfen uns Beiden werden muß!"
So dachte der weibliche Gatte,
Und baldigst einen kühnen Entschluß
Er ausgetüftelt hatte.

„Du willst zusammen bleiben mit mir,
Mein liebes Kind, das weiß ich, —
Sofort darum vereint mit Dir
Hin nach Amerika reis ich."'

„Eine schöne Gegend weiß ich da,
Wo edle Menschen wohnen!" —
Sie schifften sich ein nach Amerika
Und gingen — zu den Mormonen.

Die nehmen's mit den Frau'n nicht genau,
Ob Einer zehn oder drei hat,
Und gleich hat der Häuptling den Mann und die Frau
Auf einemmale geheirath't.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburger Leierkasten