Gliederung der deutschen Auswanderung - Industrie (Gewerbewesen und Handwerk)

Aus: Die deutsche überseeische Auswanderung seit 1871 . . .
Autor: Josephy, Fritz Dr. (?-?), Erscheinungsjahr: 1912
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderung, Auswanderer, Deutschland, Amerika, USA, Vereinigte Staaten, Auswanderungsschiffe, Auswanderungshäfen, Auswanderungsländer, Auswanderungsgründe, Auswanderungsagenten
Ebenso wie die landwirtschaftliche Auswanderung lässt sich auch diejenige aus der Industrie (Gewerbewesen) erst seit dem Jahre 1899 statistisch verfolgen. Sie ist neben der landwirtschaftlichen numerisch die stärkste gewesen. Ein wesentlicher Mangel der Statistik ist der, dass die Auswanderung aus dem Handwerkerstande hieraus nicht ersichtlich ist.

Die Auswanderung aus der Industrie (inkl. dem Bauwesen) schwankte seit 1899 zwischen 4.196 und 10.172. Wie überhaupt in allen Berufszweigen, so machte sich auch bei der industriellen Auswanderung in den letzten Jahren eine Aufwärtsbewegung bemerkbar. Am meisten neigen die Gehilfen und Arbeiter, weniger die selbständigen Geschäftsinhaber zur Auswanderung. Die Anteilnahme der nichterwerbstätigen Angehörigen ist bei der industriellen Auswanderung geringer als bei der landwirtschaftlichen; diejenige selbständiger weiblicher Geschäftsinhaber jedoch größer als bei der Landwirtschaft, geringer dagegen bei den Gehilfen, Arbeitern und nichterwerbstätigen Angehörigen 47). Die Gründe, welche industrielle Bevölkerungsteile zur Auswanderung veranlasst haben, liegen, wie schon bemerkt, nicht so klar zutage als bei der landwirtschaftlichen. Hauptgrund ist wohl die geschäftliche Konkurrenz der Unternehmer, welche tüchtige Elemente in ihrer Unternehmerlust beschränkt und untüchtige eliminiert, ein Überangebot an Arbeitskräften, das besonders in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und Geschäftsstockungen fühlbar wird, Streiks, Aussperrungen u. a. m. Die Statistik gestattet keinen tieferen Einblick in das Wesen der industriellen Auswanderung. Jedoch bieten die Jahres- und Geschäftsberichte der Zentralauskunftsstelle für Auswanderer in Berlin Anhaltspunkte dafür, dass die Zu- und Abnahme der Auswanderung mit den Erwerbsverhältnissen in der Industrie in Zusammenhang zu bringen ist. Mangel an Erwerbs- und Arbeitsgelegenheit in einzelnen Branchen und an verschiedenen Orten werden als der Anlass anzusehen sein. Deshalb tritt in Zeiten flauen Geschäftsgangs immer eine größere Neigung zur Auswanderung hervor, vorausgesetzt, dass nicht auch aus den Einwanderungsländern die Berichte der Landsleute ungünstig lauten. Die Statistiken der Zentralauskunftsstelle für Auswanderer in Berlin über die an sie gestellten Anfragen lassen den Schluss zu, dass immer noch die Auswanderung bei den Handwerkern und den gelernten Industriearbeitern viel reger ist als bei den ungelernten. Schon der Natur der Sache nach dürfte die Auswanderung bei letzteren verhältnismäßig geringer sein. Sie besitzen nicht die genügende Elastizität,, sich in der Fremde fortzubringen. Schon v. Eheberg 48) hat darauf hingewiesen, dass gerade die Klasse der Fabrikarbeiter am wenigsten sich an der Auswanderung beteiligen wird. Die geringe und noch dazu technisch einseitige Ausbildung und der dadurch hervorgerufene Mangel an physischen Kräften erschwert ihnen das Fortkommen, im Auslande. „Aus ihnen hat die Maschinenproduktion und die Arbeitsteilung lediglich Instrumente gemacht, die nur nach einer Seite zu arbeiten verstehen. Der Fabrikarbeiter wird deshalb, wenn er nicht in der neuen Heimat an dieselbe Maschine, die er in der Heimat bediente, zu gelangen Hoffnung hat, die Auswanderung zu unterlassen haben."

Die eigentlichen Industriegebiete Deutschlands, wie die Rheinlande, Westfalen, Schlesien, das Königreich Sachsen, waren seit den 80er Jahren bis zur Gegenwart nicht sonderlich stark an der Auswanderung beteiligt. Es werden immer nur einzelne unzufriedene Elemente oder solche Personen gewesen sein, die einem Rufe von Landsleuten folgten. Der Fabrikarbeiter besitzt ja nicht selbst das zur Auswanderung notwendige Kapital. Vielfach sind die Auswanderer aus den Industriegegenden auch gar nicht als industrielle anzusehen, sondern als landwirtschaftliche, die sich wegen Erwerbsmangel auf dem Lande der Industrie zuwandten und erst von hier aus zur Auswanderung schritten, weil sie die industrielle Beschäftigung nicht befriedigte. Die Auswanderung selbständiger industrieller Unternehmer dürfte überhaupt selten sein. Bankerott oder auch Delikte sind meist die Ursache der Auswanderung derselben.

Das Hauptinteresse beansprucht die Auswanderung aus dem Handwerkerstande. Er wurde in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch die industrielle Entwicklung in seiner Stellung vollständig erschüttert und war gezwungen, ins Ausland zu gehen, soweit er nicht die Eingliederung in die Neuorganisation der Volkswirtschaft fand. Ganze Handwerksbranchen sind infolgedessen verschwunden, andere wenigstens ihrer Zahl nach bedeutend zurückgegangen. Die Klagen des Handwerks über Erwerbsmangel hatten schon seit den 48er Jahren begonnen und sind seitdem nie mehr verstummt. Jede neue technische Entwicklung schaltet fortwährend einzelne Handwerksbranchen aus.

47) Vgl. Tabelle VI b im Anhang.
48) A. a. O. S. 14.


Das Handwerk wurde nicht allein durch die Industrie bedroht, sondern auch durch die eigene Konkurrenz. Je mehr sich die Gewerbefreiheit durchsetzte, die sodann 1868 für ganz Deutschland gesetzlich statuiert wurde, umso mehr Personen wandten sich dem Handwerk zu, wodurch dem einzelnen Handwerker das Arbeitsgebiet verringert wurde. Schon damals trat notwendig eine Auslese unter den Handwerkern ein. Nur die Geschickten und Kapitalkräftigen behaupteten noch einige Zeit die Oberhand. Die Industrie nun hat nicht nur alle Produktionsgebiete des Handwerks erobert und es in Abhängigkeit zu sich gebracht, sondern es auch in allen seinen Teilen gefährdet und zersetzt. Bis zum Ende der 60er Jahre war bereits das Umfangsgebiet der Wollweberei dem Handwerk entzogen. Seitdem hat der industrielle Kapitalismus auf allen Gebieten des Handwerks die Fähigkeit besessen, &n seine Stelle zu treten.

Für die Auswanderung besonders wichtig ist der Kampf, gerade in den kleineren und mittleren Städten, also in den Landstädten, den das Handwerk gegen die Industrie in der Zeit nach 1880, freilich vergeblich, zu führen hatte. Auch auf dem Lande wurde es bedroht, vielfach sogar beseitigt. Deshalb ist die ländliche Auswanderung zum großen Teil auch als eine Handwerkerauswanderung anzusehen.

Viele Handwerke sind in Deutschland fast völlig verschwunden, z. B. die Nagelschmiede, Messerschmiede, Färber, Weber, Spinner, Mützenmacher 49). In all’ diesen Gebieten hat der Fabrikbetrieb das Handwerk völlig ersetzt und brotlos gemacht. Auch die Schuster, Tischler, Kupferschmiede und Schlosser haben allenthalben immer noch einen harten Standpunkt. Wenn auch andere Gewerbe, wie die kleinen Bauhandwerker, Dachdecker, Maler, Schornsteinfeger usw., oder die Bäcker, Fleischer, Tapezierer, sich erhalten oder gar noch erheblich zugenommen haben, oder wenn auch dem Handwerk teilweise neue Gebiete erschlossen wurden, wie in der Installation der Gas- und Wasserleitungen, dem photographischen Gewerbe, so bedeutet die Erschließung neuer Gebiete für das Handwerk doch keinen Gewinn für den verdrängten Handwerkerstand, weil dem gelernten Handwerker der Übergang zu einem neuen Berufe geradezu unmöglich ist. Der Verdrängungsprozess des Handwerkers wird aus einigen Zahlen anschaulich. Es betrug die Zahl 50) der

1882: 44.594 Gerber, 51.732 Böttcher, 404.278 Schuhmacher
1885: 43.969 Gerber, 43.005 Böttcher, 388.443 Schuhmacher

49) Cathrein, Der Sozialismus, 9. Aufl.. Freiburg i. B. 1906, S. 201; vgl auch „die Untersuchungen über die Lage des Handwerks seitens des Vereins für Sozialpolitik", Leipzig 1895 ff.
50) Sombart, a. a. O. Anlage 33, S. 549.


Das Handwerk bildete neben den mittleren und kleinen Landleuten die breite Schicht des Mittelstandes, der durch die Umwälzungen in Deutschland verdrängt wurde. Die Verdrängung des Handwerks war nicht in allen Gegenden Deutschlands gleichmäßig und vollzog sich auch nicht im gleichen Tempo. Teilweise dauert sie bis zur Gegenwart fort. Nach Schilderungen Dr. Hechts haben die Bauerndörfer auf der Hardt gründlicher mit dem Handwerk aufgeräumt als die Gegenden der geschlossenen Schwarzwaldgüter. In dem Marschland war das Tempo der Entwicklung langsamer. Diese Unterschiede des Zeitmaßes der Verdrängung sind für die zeitliche Dauer der Auswanderung bedeutungsvoll. Bis in die 90er Jahre war die Tendenz der Auswanderung des Handwerks zweifellos viel stärker als im letzten Jahrzehnt.

Unter den Anfragenden bei der Zentralauskunftsstelle der Auswanderer in Berlin befinden sich zahlreiche Bäcker und Konditoren, Barbiere und Friseure, Böttcher, Brauer, Buchbinder, Buch- und Steindrucker, Dachdecker, Drechsler, Glaser, Goldschmiede, Maler, Maurer, Monteure, Müller, Sattler und Tapezierer, Schlächter, Schlosser, Schmiede, Schneider, Schuhmacher, Tischler, Zimmerleute usw.

Auswanderer, Schiffsuntergang

Auswanderer, Schiffsuntergang

Auf dem Promenadendeck

Auf dem Promenadendeck

Auf der Brücke

Auf der Brücke

Beladen eines Bananenfrachters

Beladen eines Bananenfrachters

Beladen eines Öltankers

Beladen eines Öltankers

Dampfschiff, Saloon

Dampfschiff, Saloon

Erste Klasse Deck, Freizeitbeschäftigung

Erste Klasse Deck, Freizeitbeschäftigung

Deck Steward

Deck Steward