Abschnitt 1

Die fürstliche Residenz zu Wismar hat so viele merkwürdige Schicksale 1) erlebt, wie wohl kaum ein anderes Gebäude in Meklenburg. Nachdem die Stadt Wismar sich, nach ihrer Gründung im Anfange des 13. Jahrhunderts, zu einiger Bedeutung erhoben hatte und die fürstliche Burg Meklenburg abgebrochen war, erbauete der Fürst Johann I. von Meklenburg, der Theologe genannt, im J. 1256 eine feste Burg 2) in der Stadt Wismar und erhob sie zur Residenz 3) der Fürsten von Meklenburg 4). Diese Burg stand innerhalb der alten, noch nicht ummauerten Stadt auf dem Weberkampe 5), vor der jetzigen Stadt rechts am Ausgange vor dem altwismarschen Thore. Als die Wismaraner in den Fehden um die vormundschaftliche Landesregierung während der Pilgerfahrt des Fürsten Heinrichs des Pilgers, auf vorher ausgesprochene Empfehlung desselben, ihre Stadt im J. 1276 mit einer Mauer umzogen 6), waren sie schon so übermüthig, durch diese die Burg von der Stadt abzuschneiden 7), so daß die Burg vor die Stadt zu liegen kam 8); jedoch stand nach Aufführung der Mauer der fürstliche Marstall noch innerhalb der Stadt.

Diese Burg brannte im J. 1283 ab 9), muß aber nach den zunächst folgenden Nachrichten an derselben Stelle wieder aufgebauet sein. Im J. 1300 sah sich der alternde Fürst Heinrich der Pilger nach vielen Zwistigkeiten veranlaßt, mit der widerspenstigen Stadt, als diese zur Züchtigung mit dem Banne belegt war, zur Wegräumung fernerer Hindernisse eines guten Einverständnisses, einen Vertrag 10) einzugehen, nach welchem die alte Burg alsbald abgebrochen werden sollte und den Fürsten, weil sie eine Wohnung in Wismar nicht entbehren konnten, ein Platz zur Erbauung eines Hofes ohne Befestigung innerhalb der Stadt angewiesen ward 11).


Ja der greise Pilger und sein Sohn, der Löwe, mußten sich am 28. März 1300 gegen die Stadt verpflichten, wenn der Abbruch der vor der Stadt gelegenen und an die Stadt verkauften Burg am 1. Mai nicht begonnen sei, mit ihren Räthen und Vasallen auf Einlager nach Wismar zu gehen, und wenn die Burg am 8. Sept. nicht völlig zerstört worden sei, diese mit allen noch stehenden Gebäuden der Stadt zu überlassen ; dabei mußten sie sich ebenfalls unter Verwillkührung des Ein lagers verpflichten, dafür zu sorgen, daß binnen vierzehn Tagen der Bann von der Stadt genommen und der Gottesdienst wieder hergestellt werde.




1) In neuern Zeiten sind hierüber kurze Untersuchungen angestellt von: Schröder Kurze Beschreibung der Stadt und Herrschaft Wismar, 1743, S.281 u. 657; Rudloff mekl. Gesch. II, S.98 flgd. u. 208; Schröter Rostockische Chronik, 1826, Not. 5, 33, 36 u. 37 und S. 2, 11 u. 12; v. Lützow mekl. Gesch. II, S. 49, 93 u. 172. - Zu bemerken ist jedoch, daß die Verwirrung in allen diesen Angaben, namentlich bei Schröder, unendlich ist. Zu der nächstfolgenden Darstellung sind allein urkundliche und chronistische Angaben zu Hülfe genommen.
2) Vgl. Kirchberg Chron. in Westph. Mon. p. 773, cap. CXXX:
Daz selbe jar, du man schreib da
czwelfhundirt ses und funfzig ja,
gebrochin wart Mekilnborg nider;
der daz tet, balt her buwete wider
eyn andir veste burg aldar
in dy stad zur Wysmar:
daz ted von Mekilnburg Johan
der furste sundir widerstan.
Daz was dy erste burg alda.
Diese Nachricht stimmt auch mit urkundlichen Angaben überein, indem der Fürst Johann im J. 1253 seine Urkunden zu Meklenburg, in den Jahren 1255 und 1256 im Franziskanerkloster zu Wismar und vom J. 1257 an im Schlosse (aula, caminata, castro) zu Wismar ausstellt; vgl. Rudloff II, S. 117. So heißt es in einer Doberaner Urkunde vom 25. März 1257: Actum in castro Wismariae.
3) Daher nennt der Fürst Heinrich der Pilger seinen Vater auch "Johann von Wismar", als er im Kloster Doberan im J. 1267 eine Memorie stiftete: "proremedio animarum parentum nostrorum, patris nostri videlicet domini Johannis de Wismaria et matris nostre domine Luthgardis."
4) Außer den ältern Residenzen Meklenburg und Jlow, welche im 13. Jahrhundert eingingen, war fortan neben Wismar noch Gadebusch uralte Residenz der Herren von Meklenburg.
5) Nach Chemnitz Genealogia (vgl. Schröders Wism. Erstlinge S. 185) und Schröders Beschr. v. Wismar S.281 und Pap. Mekl. I, S.1072. - Der Weberkamp lag nach der Sage vor dem altwismarschen Thore rechts von der Straße nach Rostock bis gegen den Mühlenteich und das altwismarsche Mühlenwasser (aqua Wisimara); daher nennt die Urkunde vom 14. April 1266 bei Senkenberg I, p. 562: "munitionem civi "tatis propter aquam seu stagnum Wismariae in superiore "parte molendini situm." - Daher kam es, daß die neuere Burg des 14. Jahrhunderts, welche in der meklenburger Straße neben dem Dominikaner-Kloster nicht weit von der Stadtmauer stand, eine Pforte nach dem Weberkamp hatte; man vgl. weiter unten.
6) Vgl. wismarsche Chronik von 1275-1278 in Jahrb. für mekl. Gesch. III, S.42;
"Tunc temporis (1275-1276) marchio Otto de Brandenborg intravit Zwerin cum comite Holtsatie et intraverunt terram Magnopolensem et potenter devastaverunt et combusserunt dominium Magnopolense; et propter illum timorem firmata fuit civitas Wismariensis secundum commissum domini Henrici Magnopolensis , sieut ore trium locutus fuit suis burgensibus Wismariae sibi et pueris suis ad manus."
Zu derselben Zeit ward auch Mecklenburg wieder aufgebauet; vgl. das. S. 44.
Die Burgmänner zu dieser Zeit, welche auch in der Vormundschaftsführung der Fürstin Anastasia, jedoch nicht alle mit vollem Namen, auftreten (vgl. Jahrb. III, S. 40), waren nach einer Urkunde des Klosters Rehna vom J. 1270:
"Helmoldus de Plesse, Alvericus de Barnecowe, Conradus Dotenberg, Benedictus de Rodenbeke, Hermannus Storm, Hinricus Pren, castellani Wismarienses."
7) Vgl. Schröders Beschr. S. 281 u. 659. Der Vertrag vom 28. März 1300 nennt "muri constructionem" und "castri exclusionem" als Gründe der Feindseligkeiten zwischen Fürsten und Stadt; vgl. Rudloff II, S. 98. Die Ausschließung der Burg von der Stadt durch die Stadtmauer ist also ohne Zweifel.
8) Vgl. die Urkunde vom 28. März 1300 in Senkenberg Sel. juris II, p.480, in welcher genannt werden:
"castrum nostrum situm ante civitatem, cum omnibus areis adjacentibus, utpote granarii, curiae lignorum, et marstalli nostri intra muros civitatis situati."
Nach Schröders Beschr. S. 283 soll das Marstallum domini am lübischen Thore (?) gelegen haben und im J. 1309 völlig eingegangen sein; nach S. 288 lag der Marstall jedoch am altwismarschen Thore und ein anderer lag in der großen Schmiedestraße; dieses letztere Haus gehörte bis in das 17. Jahrhundert zum Amte Meklenburg.
9) "1283. Curia dominorum de Mykelenburg in Wismaria urbe ab
"igne proprio exusta." Corner Chron. p. 934.
10) Dieser Vertrag ist gedruckt in Senkenberg Sel juris II, p. 480.
11) Veram quia mansione in ipsa civitate carere non possumus, consules et uniuersitas praedicti - - nobis aream - - intra muros civitatis erogarunt, in qua curiam aedificabimus, habitationi nostrae competentem, quam jure Lubecensi promittimus et volumus confovere. - - In eadem curia nullam munitionem firmabimus. Urk. v. 28. März 1300 bei Senkenberg.