Abschnitt 6

Zweites Kapitel
Die Revolutionsheere.


Wie das Tiraillieren, so verlieh das neue Kriegswesen der französischen Armee noch eine zweite sehr wesentliche Eigenschaft. Die alten Armeen beruhten auf der geregelten Magazinal-Verpflegung; für 18 Tage sollte die Armee stets mit sich führen; für drei Tage Brot trug der Soldat selber, für sechs enthielt der Brotwagen, der jeder Kompagnie folgt, für neun Tage Mehl führten die Mehlwagen des Proviant-Fuhrwesens. Die strenge Disziplin war ohne derartige Vorsorge nicht aufrecht zu erhalten. Je feiner diese Armeen ihr eigentümliches Wesen im Laufe des 18. Jahrhunderts ausgebildet hatten, desto mehr Gewicht hatte man darauf gelegt, daß der Soldat durch die Heeres-Verwaltung gut und zuverlässig versorgt werde. Das unmittelbare Bedürfnis der Disziplin und die allgemeine Staatsverfassung stimmten darin überein. Der Krieg war Sache der Obrigkeit und nicht der Untertanen; diese sollten, falls nicht gerade bei ihnen gefochten wurde, gar nicht merken, daß Krieg sei. Aufs strengste wurde der Soldat angehalten, Land und Volk bei seinen Durchmärschen und Lagerungen zu schonen. Die Franzosen ließen solche Schonung nicht gelten. Wie bei ihnen der Krieg Sache des ganzen Volkes war, das sein Blut opferte, so durfte der Krieg auch aus dem Lande nehmen, was er gebrauchte. Die Soldaten trieben, wo die Magazine versagten, das Nötige aus der Bevölkerung bei, wo sie gerade waren. Dieses Requirieren ging sehr leicht in Plünderung über, löste die Truppenverbände auf und beförderte das Marodieren mit seiner ansteckenden Kraft. Friedrich der Große hätte, wenn er das zuließ, besorgt, sein Heer durch Desertionen wegschmelzen zu sehen. Nur in einigen ganz seltenen Notfällen hat er die Soldaten durch die Quartierwirte verpflegen lassen. Auch die französischen Revolutions-Heere litten anfänglich sehr unter der Desertion, aber mit der Verpflegung hatte diese Desertion nichts zu tun und eine disziplinarische Aufsicht, sie zu verhindern, existierte ohnehin nicht. Nach Abschmelzen der unzuverlässigen Elemente blieb immer noch ein sehr erheblicher Teil bei den Fahnen, der ihnen aus eigenem Antrieb weiter folgte, freilich in seiner Zuchtlosigkeit wieder an die Banden des 30jährigen Krieges erinnerte.


General Laharpe meldete 1796 seinem Oberfeldherrn Bonaparte, seine Truppen seien schlimmer als jemals die Vandalen gewesen, zwei Brigadechefs gaben an einem Tage ihre Entlassung ein und Bonaparte selber schrieb dem Direktorium, er schäme sich, ein solches Raubgesindel zu befehligen. Unter dem Jubel der Bevölkerung waren die Franzosen, die ja den Völkern die Freiheit bringen wollten, in Mailand eingezogen, acht Tage darauf erhob sich, durch die Mißhandlungen zur Verzweiflung gebracht, die Bevölkerung gegen sie, wurde aber durch Füsilladen gebändigt. Nicht anders als Bonaparte aus Italien berichtete Moreau aus Deutschland (17. Juli 1796): „Ich tue das Mögliche, den Plünderungen zu steuern, aber die Truppe hat seit zwei Monaten keinen Sold und die Proviantkolonnen können unsern raschen Märschen nicht folgen; die Bauern flüchten, die Soldaten verwüsten die leeren Häuser“. Ebenso Jourdan (23. Juli): „Die Soldaten mißhandeln das Land aufs äußerste; ich erröte, ein Heer zu führen, welches sich auf so unwürdige Art beträgt. Wenn die Offiziere sich gegen die Mannschaften erheben, werden sie bedroht, ja es wird auf sie geschossen“. Mit der Zeit gelang es den Generalen doch, die Zügel der Disziplin wieder in die Hand zu bekommen. Nicht bloß die Menschlichkeit, sondern auch das militärische Interesse verlangte es. Schon in dem angeführten Bericht weist Jourdan darauf hin, daß die Einwohner in ihrer Not zu den Waffen griffen und daß es bald unmöglich sein werde, ohne Schutzmannschaft auf der Kommunikationslinie zu reisen. Es kam vor, daß Truppen, die sich nach einem siegreichen Gefecht requirierend und plündernd zerstreuten, nun überfallen und geschlagen wurden. Mit der Wiederherstellung der Ordnung wurden, wie in der Taktik, auch im Verpflegungswesen der französischen Armee die alten Formen sachgemäß wieder aufgenommen und nur im Notfalle der Soldat auf die regellose Selbstversorgung angewiesen. Der französische Verpflegungstrain blieb aber trotz der so sehr vergrößerten Armeen erheblich kleiner als in der alten Zeit. Nehmen wir hierzu die Verminderung der Offiziersbagage und die Abschaffung der Zelte, so mag es stimmen, wenn Rüstow berechnet hat, daß der ganze Troß der Infanterietruppe bei den Franzosen nur den achten oder zehnten Teil des preußischen im Jahre 1806 betragen habe.

Friedrich schrieb einmal an den Feldmarschall Keith (11. August 1757) über einen Verpflegungstransport, den er erwartete, „auf ihn gründe ich die letzte Hoffnung des Staates“. In Napoleons Munde wäre ein solcher Ausspruch eine Unmöglichkeit.

Kein zeitgenössischer Schriftsteller erwähnt, so weit ich gesehen habe, wie sehr die unmittelbare Verpflegung von Heeresmassen es dem Lande durch die Verbreitung und Zunahme des Anbaus der Kartoffeln in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erleichtert worden ist. Im Siebenjährigen Kriege spielte sie noch keine Rolle. 20 Jahre später ist der Bayerische Erbfolgekrieg scherzhafterweise schon danach benannt worden. Im Herbstfeldzug von 1813 waren sie zweifellos von großer Bedeutung.

In eine so vortreffliche Ordnung Napoleon seine Armee gebracht hat, im Verpflegungswesen sind die alten Wunden doch immer von Zeit zu Zeit wieder aufgebrochen, und sobald hier etwas fehlte, stellten sich auch sofort wieder die Übel der Auflösung und der Undisziplin ein.

Napoleon vollendet zugleich die Revolution und schließt sie ab. Er übt die höchste Gewalt nicht kraft eigenen Rechts, sondern als der Erwählte des Volkes; in einer allgemeinen Abstimmung hatte das französische Volk ihn in einer an Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit erst zum Konsul, dann zum Kaiser ernannt. Trotz der Wiedererrichtung der Monarchie behielt also die Armee wesentliche Eigenschaften des in der Republik neugebildeten Charakters. Die Unterscheidung zwischen Offizierkorps und Mannschaft hatte nicht mehr die Natur einer ständischen Scheidung, sondern zwischen höherer und geringerer Bildung und Eignung, noch weiter überbrückt dadurch, daß auch ganz ungebildete Mannschaften bei bewährter Tüchtigkeit bis zum Hauptmann und bei besonderer Auszeichnung bis in die höchsten Stellen avancieren konnten. Jeder Soldat trug, wie man sagte, den Marschallstab im Tornister. Das ist nun freilich nicht so zu verstehen, als ob die großen Marschälle Napoleons aus der Tiefe des Volkes emporgestiegen gewesen wären; bei weitem die meisten von ihnen waren, wie Bonaparte selber, schon vor der Revolution Berufssoldaten gewesen und ihre hervorragenden Leistungen beruhten nicht zum wenigsten darauf, daß die Revolution, von aller Tradition befreit, sie in einem Alter in führende Stellungen gebracht hatte, wo jugendliche Kraft sich mit jugendlichem Ehrgeiz und Wagemut paarte, um das Unerhörteste zu vollbringen. Napoleon selber war 27 Jahre alt, als er das Kommando der italienischen Armee übernahm und die meisten seiner Marschälle waren nicht oder nur wenig älter.

Die allgemeine Wehrpflicht für die fünf Jahrgänge, vom 20. bis 25. Lebensjahre, wurde als Prinzip noch einmal im Jahre 1798 ausgesprochen, aber im Jahre 1800 durch die Gestattung der Stellvertretung eingeschränkt. Auch bis dahin war sie praktisch insofern nicht eigentlich in Geltung gewesen, als die jungen Leute sich massenhaft dem Dienst entzogen oder selbst, wenn sie schon bei der Armee waren, wieder nach Hause gingen. Die Verwaltung war nicht stark und durchgebildet genug, das zu verhindern, und man hatte auch die Stellvertretung schon einmal erlaubt, dann aber wieder abgeschafft. Die durch die Gesetze von 1798 und 1800 geschaffenen Konskription mit Stellvertretung ist nun ihrer Natur nach ein sehr dehnbares System und wurde tatsächlich sehr milde gehandhabt. Während jeder Jahrgang an dienstfähigen jungen Männern wenigstens 190000 Köpfte zählte, hob Napoleon für die Jahre 1801 bis 1804 jährlich nur 30000 Mann für die aktive Armee und 30000 für eine Reserve aus, die nur 15 Tage im Jahr und einmal im Monat Sonntags exerzieren sollte. Bei Vollendung des 25. Lebensjahres war der Mann zu entlassen.

Von 1806 an wurden die Anforderungen größer und größer und die Bestimmung der Entlassung mit dem 25. Lebensjahr ist wohl, da jetzt der Kriegszustand dauernd wurde, nicht mehr zur Ausführung gekommen. Eine positive Überlieferung darüber gibt es nicht, ebenso wenig wie eine sichere Zahl, wie stark die tatsächlichen (nicht die verkündeten) Aushebungen 1812 bis 1814 geworden sind. Sicher ist nur, daß selbst in der Zeit vor 1805 die ganz milde Konskription auf starken Widerstand stieß und nur mit Gewalt durchzusetzen war. Man nannte die Ausgehobenen, die sich der Einstellung entzogen, „réfractaires“, spürte sie mit eigenen Gensdarmerie-Kommandos im Lande auf und führte sie gebunden den Regimentern zu oder drangsalierte ihre Eltern und Verwandten mit Einquartierung oder machte die Gemeinde verantwortlich.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4