Abschnitt 5

Zweites Kapitel
Die Revolutionsheere.


Alle Kriegskunst bewegt sich, wie wir uns im Beginn dieses Werkes klargemacht haben, zwischen den beiden Polen oder Grundkräften, der Tapferkeit und Tüchtigkeit des einzelnen Mannes und dem Zusammenhalten, der Festigkeit des taktischen Körpers. Die beiden Extreme sind auf der einen Seite der Ritter, der ganz auf die individuelle Leistung eingestellt ist, und das salvenfeuernde Infanterie-Bataillon Friedrichs des Großen, wo der einzelne in dem Grade als Glied in die Maschine gepreßt ist, daß sogar widerwillige Elemente eingestellt und nutzbar gemacht werden können. Das regulierte und von oben geleitete Tiraillengefecht will die Vorteile des taktischen Körpers mit den Vorteilen des guten Willens des einzelnen Mannes vereinigen. Voraussetzung für diese Abwandlung ist also ein Soldatenmaterial, von dem anzunehmen ist, daß es einen guten Willen mitbringt. Einen solchen guten Willen hatten die alten Söldner gehabt, die sich freiwillig anwerben ließen. Diese Heere konnten aber immer nur klein sein. Die wachsende Größe der Heere hatte das schlechtere Material gebracht. Die neue Idee der Vaterlandsverteidigung brachte nicht nur eine abermalige Vergrößerung, sondern auch in dieser Masse einen so viel besseren Willen, daß aus ihm die neue Taktik entwickelt werden konnte.


In der Artillerie war die Konstruktion der Geschütze noch in den letzten Jahren der alten Monarchie durch Gribeauval wesentlich verbessert worden. Man hatte mehr und mehr herausgefunden, wo an Metall und Gewicht zu sparen war, ohne die Solidarität der Geschütze zu beeinträchtigen. Bisher waren die schweren Geschütze vor Beginn der Schlacht an den Stellen, die dafür bestimmt wurden, aufgefahren und hatten ihren Platz dann gewöhnlich nicht mehr verändert. Man hatte deshalb damit auskommen können, sie von Bauern fahren zu lassen. Die vorgehenden Truppen aber wurden von den ganz leichten Bataillonsgeschützen begleitet, die von Mannschaften gezogen wurden. Gribeauval erleichterte nun die Feldgeschütze so weit, daß sie auf dem Schlachtfelde von den Soldaten selbst gezogen werden konnten, die er zu dem Zweck mit ledernen Gurten ausstattete. Die Revolution führte reitende Artillerie nach Art der preußischen ein. Napoleon verbesserte gleich bei Beginn seines Kommandos diesen Zustand dadurch, daß er das Fahrpersonal militarisierte. Die Bauernknechte waren nur zu sehr geneigt gewesen, wenn sie in den Bereich des feindlichen Feuers kamen, mit den Pferden davonzugehn. Mit dem methodisch geschulten Personal und Pferden konnte die Artillerie jetzt der Infanterie auch auf dem Schlachtfelde nach Bedürfnis folgen und die von den Mannschaften gezogenen leichten Geschütze wurden dafür abgeschafft. Gewann die Artillerie auf diese Weise durch ihre größere Beweglichkeit sehr an Bedeutung, so trat ihre Bedeutung ebenso wie die der Kavallerie zurück, weil das zahlenmäßige Wachsen der Heere ausschließlich der Infanterie zugute kam. Während Friedrich der Große zuletzt 7 Geschütze auf 1000 Mann Infanterie mit sich geführt hatte, sank das Verhältnis in den Revolutionskriegen auf 2, ja bis auf 1 Geschütz auf 1000 Mann, um dann unter dem Kaiserreich allmählich wieder zu steigen. Bei Wagram hatte Napoleon etwas über zwei geschütze auf 1000 Mann (395 auf 180000), 1812 ungefähr drei. Die größere Beweglichkeit dieser Artillerie aber ermöglichte die Aufstellung eines neuen taktischen Grundsatzes für ihre Verwendung. Man konzentrierte die Feuerwirkung auf einen bestimmten Punkt, den man dadurch für den Eindruck der Infanterie reif machte. Das konnte um so leichter erreicht werden, wenn es gelang, den Feind damit zu überraschen. Auch diese Idee war bereits vor der Revolution in der französischen Armee aufgetreten und gelehrt worden.

Die alten Armeen hatten als höchste dauernde Einheit das Regiment, und für jedes Gefecht wurden besondere ordres de bataille ausgegeben, die das Kommando der Treffen oder Treffenteile an die Generale verteilten. Das Tirailleur-Gefecht, das auf längere Dauer berechnet und oft auf gegenseitige Unterstützung der verschiedenen Waffengattungen angewiesen war, machte dauernde Verbände wünschenswert. Die Franzosen schufen deshalb die Divisionen und später die Armeekorps. Das scheint eine bloß äußerliche Anordnung, ist aber der Exponent eines ganz anderen Geistes in der Gefechtsführung. Die Friderizianische Schlacht war angelegt auf einen vom Oberfeldherrn selbst angesetzten, einheitlichen Gewaltstoß, der sehr schnell zur Entscheidung führen sollte und mußte. Jetzt zerfiel eine Schlacht in getrennte, vielleicht sogar zahlreiche getrennte Akte, in denen der Divisions- oder auch der Korps-Kommandeur über seine verschiedenen Waffen, seine Tirailleurs, seine geschlossene Infanterie, seine bewegliche Artillerie, nach eigenem Ermessen verfügte und der Feldherr erst in der Entwickelung des Gefechts und je nach den Umständen den Entschluß faßte über den Stoß, der die Entscheidung bringen sollte.

Die treffenweise Aufstellung wurde zwar nicht aufgegeben, trat aber zurück. Statt dessen wurde immer bedeutsamer für den Verlauf der Schlacht die Zurückhaltung und Verwendung einer Reserve. Das Gefecht war nicht mehr angelegt auf die Entscheidung durch den ersten Stoß, sondern wurde zunächst eingeleitet und dann aus der Tiefe genährt, hingehalten oder gesteigert. „Die Schlachten werden nur gewonnen, indem man die Linie in einem kritischen Augenblick verstärkt“, schrieb der Marschall St. Cyr.

Man kann den Unterschied zwischen einer Friderizianischen und einer Napoleonischen Schlacht, wenn man die einzelnen Ausdrücke nicht gar zu sehr preßt, schematisch etwa in folgender Weise einander gegenüberstellen.

Friderizianisch Napoleonisch.

Die Armee bildet. Die Armee zerfällt
einen einzigen, in Korps und
einheitlichen Körper Divisionen.

Die Führer der Treffen Die mittleren Führer
oder Treffenteile haben Haben selbständige
keine andere Funktion, Aufgaben und Gelegenheit,
als das Kommando des ihre militärische
Feldherrn weiterzugeben Erfahrung und ihr
und Voranreitende den Fachkundiges Urteil in
Truppen ein Beispiel Anwendung zu bringen.
der Todesverachtung
zu geben.

Der Feldherr läßt nach. Der Feldherr läßt die
einer bestimmten Idee Schlacht an der ganzen
Aufmarschieren und Front beginnen und
angreifen entscheidet von Moment
zu Moment, wo und wie er
sie fortsetzen und die
Entscheidung suchen
soll (on s’engage
partout et après on
voit).

Keine oder sehr Sehr starke Reserven.
geringe Reserven.

Erster Stoß am Letzter Stoß am
heftigsten .heftigsten.

Der Zufall spielt Der Zufall hat seine
eine große Rolle Macht, vermag aber
Überlegenheit an Zahl
und Führung
nicht aufzuheben.

Wie der Feldherr die Schlacht in einzelne Akte zerlegt, deren Leitung er seinen Untergeneralen überträgt, so entbindet er sich auch von der Anordnung der Einzelheiten der Märsche. Von Napoleon berichtet Jomini, er habe mit einen auf 7-8 Wegstunden Luftlinie geöffneten Zirkel auf der Karte die Märsche der Armeekorps bestimmt. Auf dem Marsche von Boulogne nach der Donau 1805 sind 100 Meilen, also 21/2 Meilen Luftlinie täglich im Durchschnitt gemacht worden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4