Vorwort.

Dem Buche des Grafen de la Garde eine besondere Einleitung über das Kulturleben Wiens in der Kongresszeit beizugeben, hieße wohl Eulen nach Athen tragen, da wir ja gerade in diesem Buche fast die einzige, aber auch erschöpfende Quelle dieser einzig eigenartigen Glanzzeit Wiens besitzen und wir sie einfach ausschreiben müßten. Alle anderen Schilderungen dieses fortwährenden Festes und unerhörten Ausstattungsstückes, in welchem die Fürsten agierten, damit die Völker ihre im harten Kampf wohlverdiente Freiheit vergessen oder zum mindesten nicht merken sollten, daß man sie ihnen für immer nehmen wollte, sind über bloße Ansätze nicht hinausgekommen wie etwa die von Nostitz, die der Gräfin Bernstorff oder der Baronin du Montet.

Es ist merkwürdig, daß die Wiener Kongresszeit in ihren pikanten Intimitäten, in ihren rein gesellschaftlichen Ergebnissen nicht mehr Aufzeichnungen erfahren hat und daß dafür die einzige umfassende Darstellung durch de la Garde geradezu ein Meisterstück geworden ist, wenn man von der rein politischen Seite absieht, die vollständig mangelt, ein Umstand, den vielleicht der reine Historiker beklagen kann, der aber dem Werk in seinen belletristischen Eigenschaften dafür doppelt zugute kommt. Vielleicht überwiegt sogar bei de la Garde hin und wieder der Dichter den gewissenhaften Erzähler und Memoirenschreiber, was aber gerade für die Authentizität der Aufzeichnungen spricht, denn gerade die ausgesprochene Romantik des Kongresslebens in Wien erforderte, wenn man sie in ihren verschwiegenen Abenteuern, heimlichen Intrigen, lärmenden Auftritten und blendenden Schauspielen überzeugend, lebendig und farbenprächtig darstellen wollte, nicht die Feder eines trockenen Diplomaten, sondern die schwungvolle eines Künstlers. De la Garde straft also das Wort Goethes Lügen, der einmal zu der Rahel sagte: „Der Kongress ist nicht zum Nacherzählen, weil er keinen Gehalt hatte.“


Dabei hatte er wohl die politische Seite im Auge. Man gewinnt in dem vorliegenden Buche freilich auch den Eindruck, als ob tatsächlich auf diesem Kongress, den man eher den Kongress zu Cythera nennen könnte, die hohe Politik gänzlich ausgeschaltet gewesen und das goldene Zeitalter wieder angebrochen wäre. Die Schalmeien des Friedens lockten zu süßen Schäferspielen und alle Künste wetteiferten, diesen ersehnten Zustand zu verherrlichen. Das Volk, von dem ewigen Alpdruck des Krieges befreit, sowie die hohen Herren von dem einer stets drohenden „Götterdämmerung,“ die nun glücklich abgewendet war, gab sich nun vereint mit diesen dem frohen Genüsse des Augenblickes hin, in vollen Zügen wurden alle Freuden des Lebens geschlürft, da alle dem Untergang sich nun entronnen fühlten. Freilich tanzte dieser Kongress, — er tanzt und schreitet nicht vorwärts, sagte der geistvolle de Ligne von ihm — über einem Vulkan, der augenblicklich erloschen war. Die Erinnerung daran mochte zuweilen einen leichten Schauder erregen, der aber kaum anhielt und nur die Pikanterie der Situation erhöhte. Gleichwohl war der Vulkan noch da, und als er ausbrach, war auch das Freudenfest zu Ende.

Waren die Fürsten bei dem Kongress nur liberal in Versprechungen gegenüber dem Volke gewesen, so zeigten sie sich als Privatmänner genug populär und freigebig mit ihrer Gunst, wenngleich auch hier zumeist der blinde Gott den Mittelsmann zwischen allen Standesunterschieden machte. Vielleicht zeigt sich de la Garde hier als glücklicher Satiriker, da er gerade diese „Liberalität,“ die der Legitimität diesmal selbst durch ihr Gegenteil wenig Abbruch tat, stärker unterstrich, als es vielleicht der Würde der betreffenden Persönlichkeiten erwünscht war, was dem Buche allerdings einen besonderen Hochgeschmack verleiht. Die pikante Anekdote ist dabei zum mindesten nicht zu kurz gekommen und es hieße das Buch kastrieren, wenn man es in dieser Hinsicht durch Kürzung vergewaltigen wollte.

Wir werden also in de la Gardes Erinnerungen keine großen Enthüllungen über die wichtigen politischen Fragen, über die diplomatischen Besprechungen dieser Zeit suchen oder finden, aber reizende Anekdoten, feingeschnittene Silhouetten von großen Damen und kleinen Mädchen, denen die Sieger am grünen Tisch unterlagen, ergötzliche Auftritte aus dem Privatleben der Fürsten und anziehende Züge aus dem munteren Wiener Volksleben, schon vergessene oder nur halbbekannte Persönlichkeiten, die aber ganz der Geschichte angehören, finden hier ihre liebenswürdige Erweckung und ihr Schicksal erscheint oft als spannende Novelle.

Dieses Buch kann man daher mit Recht und mit einem Wort den „Plutarch“ des Wiener Kongresses nennen, da sich auch hier die Fürsten und ihre Ratgeber, ledig des hohen Kothurns der Politik, nur mit der Maske des Satyrs bedeckt bewegten und so im Gewühl des Volkes oft untergingen. Es sollte freilich nur eine rein romantische Popularität bleiben, die zu verschwiegenen Abenteuern führte, welche inmitten der lärmenden Pracht blühten, inmitten der prächtigen Schauspiele, die die Götter dieser Zeit ihren bald zufriedengestellten Erdenkindern gaben. Panem et circenses . . . Die Blüte der schönsten Frauen, die mächtigsten Herren der Welt, die klügsten Köpfe Europas und alle Größen der Kunst und Wissenschaft sollten sich zu einem einzigen fortwährenden Fest vereinen, wo Schönheit und Geist sich stets in neuen Äußerungen überboten.

Gewiss kamen die ethischen Momente bei einem Kongress, der die ruhige Entwickelung der Völker auf einer Basis von Recht und Vertrauen im Auge haben sollte, zu kurz, und die glänzenden Bilder, die vielfach wenig erquickliche Ideen verbergen sollten, welche frivol genug mit Treu und Glauben der Völker zu partikularistischen Zwecken umgingen, glichen jenen Potemkinschen berüchtigten Dörfern: hinter ihnen war alles wüst und leer. Das äußerlich dem strengen Sittenrichter sich oft frivol darstellende Gemälde des Wiener Kongresses drückte tatsächlich auch die inneren Ergebnisse desselben aus, von welchen übrigens auch damals jeder überzeugt war, daß man nichts Dauerndes aufgebaut hatte, sondern nur brüchige Tradition notdürftig zu frommer Täuschung zusammengeflickt hatte. Auch dieses Flickwerk mag ein besonderes Kunststück gewesen sein und ein Kunststück mag es sein, es heute noch entwirren zu können. Freilich war dies ganze Aufgebot von äußerem Schein für inneren umsonst. Zu tief hatten die Ideen des 18. Jahrhunderts, die mit verrosteten Waffen früherer Zeiten bekämpft werden sollten, alle Traditionen verwundet und Ritterspiel und Falkenjagd und ähnliche Feudalismen waren es nicht, was dauernd befriedigen konnte. Man erwartete anderes, indem man unmutig diesem losen Spiel in ernster Zeit zusah und merkte, daß die Kosten der lustigen Unterhaltung die noch immer für unmündig gehaltenen Völker bezahlen mußten. „Die Unzufriedenheit der Völker,“ schreibt der geistvolle Nostitz noch während des Wiener Kongresses, „die getäuschten Erwartungen, der Mangel an Vertrauen sind zu groß. Darum werden harte Gewitter ausbrechen.“ Kongress auf Kongress folgte, keiner so glänzend wie der Wiener, alle jedoch in der Absicht, die bösen „Jakobiner“ zu unterdrücken, und jeder neue war doch nur ein neues Sprungbrett für die vorwärts stürmende Menschheit.

Es erübrigt uns noch, einige Worte über den Verfasser zu sagen. Auguste-Louis-Charles de la Garde wurde am 3. März 1783 als der eheliche Sohn des Grafen Scipio-Charles-Auguste de la Garde, eines Offiziers, geboren. Die Mutter starb bei der Geburt des Sohnes und der Vater folgte ihr bald, indem er auf seinem Totenbette das arme Kind dem Oberhaupt der Familie, dem Marquis von Chambonas, Marechal de camp und späterem Minister Ludwigs XVI., anvertraute, der unserem Schriftsteller auch ein zweiter Vater wurde. Der junge de la Garde wurde anfänglich zusammen mit Juliette Bernard, der später so hochberühmten Mad. Recamier, erzogen und kam dann in das Kolleg von Sens. Sein Ziehvater, Marquis von Chambonas, war im Jahre 1792 an die Stelle von Dumouriez als Minister des Auswärtigen berufen worden, machte sich aber als Royalist verdächtig. Nachdem der Marquis von Chambonas bei der Verteidigung der Tuilerien auch verwundet worden und sicher war, den Verfolgungen nicht zu entgehen, entschloss er sich, sich mit seinem Sohn und seinem Ziehsohn de la Garde während der Schreckenszeit zu verbergen, was ihm auch gelang. Später zog er es aber doch vor, auszuwandern und es brachen nun für den jungen de la Garde schlimme Tage der Entbehrung an, auf welche er auch in dem vorliegenden Buch zurückkommt.

Nachdem de la Garde das bittere Brot der Verbannung in Hamburg, Schweden und Dänemark gegessen hatte, kehrte er nach 1801 wieder nach Frankreich zurück, um einesteils seine Studien zu beenden, anderenteils um die seinen Verwandten konfiszierten Güter wieder zu beanspruchen. In letzterer Sache erzielte er keinen Erfolg und mußte daran denken, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Seine persönlichen, liebenswürdigen Eigenschaften verschafften ihm bald Zutritt in die Familie Napoleons, von welcher ihn mehrere Mitglieder, darunter besonders Eugen Beauharnais, zu mehreren Missionen verwendeten. Auch an dem Fürsten de Ligne fand de la Garde einen väterlichen Freund. In Polen gehörte er dem Kreise der merkwürdigen Sophie Potocka an, die er auch in Prosa und Liedern hoch gefeiert hat und welche wohl auch der Anlass war, daß de la Garde die Laufbahn des Schriftstellers mit Erfolg betrat. Seine Übersetzung des Gedichtes „Sophiowka“ von Trembecki bewirkte, daß ihn die Akademien von Warschau, Krakau, München, London und Neapel zu ihrem Mitglied aufnahmen.

Fortan war de la Garde, der mit Glück den liebenswürdigen Kosmopoliten spielte, in allen Hauptstädten Europas ein gern gesehener Gast, er war Ehrenbürger der Republik Krakau, die Könige von Bayern, Preußen und Sachsen beehrten ihn mit Briefen und die reizende Königin Hortense komponierte seine Lieder. Seinen Kreuz- und Querzügen durch Europa verdanken wir zahlreiche, geistvolle Reiseschilderungen, aber alle diese Werke hat das vorliegende Werk das unter dem Titel: „Fêtes et Souvenirs du Congrès de Vienne“ 1843 in Paris erschien, allein überdauert, es wird den Namen de la Gardes noch lange fortleben lassen.

Bald nach 1853 beschloß de la Garde als Junggeselle sein unruhiges Leben in Paris, nachdem er in seinen letzten Jahren abwechselnd in Angers und Paris gelebt hatte. „Mein Leben ist ein Kampf,“ war seine Devise und er hätte wie sein Biograph, der Graf Fleury, richtig sagt, hinzufügen können, „eine ewige Reise“. Freilich, welches Leben wäre dies nicht!

De la Gardes Buch, das unter dem Titel „Fêtes et Souvenirs du Congrès de Vienne“ im Jahre 1843 zum ersten Male erschien, ist seitdem nur in einem Brüßler Nachdruck (1845 in drei Bänden) und in einer Auswahl 1901 von dem Grafen Fleury herausgegeben worden, 1844 ist es in einer deutschen Übersetzung von Eichler erschienen. Leider haben sich beide Herausgeber gar nicht bemüht, die entstellten Namen und sonstigen Fehler, von denen das Original voll ist, richtig zu stellen, was hiermit zum ersten Male geschieht, auch ist es dem Herausgeber gelungen, eine Anzahl Persönlichkeiten, deren Namen der Verfasser verschweigt, festzustellen. Nicht alles, was de la Garde vorbringt, ist authentisch, manches novellistisch ausgestaltet. Der Herausgeber hat versucht, Wahrheit und Dichtung durch seine Anmerkungen zu scheiden. Das vorliegende Buch, mit einem genauen Index verbunden, dürfte nun in dieser Gestalt zum ersten Male benutzbar sein und eine nicht unwichtige Quelle zur Wiener Lokalgeschichte bilden.

Es erübrigt uns noch, Sr. Durchlaucht dem Fürsten Reuß in Greiz, der Wiener Hofbibliothek, der k. k. Fideikommissbibliothek, den städtischen Sammlungen und der Firma Gilhofer und Ranschburg unseren wärmsten Dank für die gütige Unterstützung in bezug auf das Illustrationsmaterial auszusprechen.

Guditz