Kein Erbarmen für den armen Joseph

Als der Fürst aus seinem schweren Rausche erwachte, gab er Befehl zum Aufbruche nach Mirz. Du, Michael, und du, Stanislaus, rief er seinen beiden Leibtrabanten zu, nehmt den Juden zwischen Eure Pferde bis zur Stadt; er kann mit den Gäulen um die Wette traben, bis ich ihn meinem werten Freunde, dem königlichen Richter, einstweilen in Verwahrung gebe.

Die Trabanten banden ihren Gefangenen mit Stricken fest an ihre Pferde, und vorwärts ging es über den hartgefrorenen Schnee.


Vergeblich bat Peter Mickloff den Fürsten um Erbarmen für den armen Joseph. — Es ist zum dritten Male, dass mein Gaul auf dieser verfluchten Brücke von Sukowiborg strauchelt; bedeutet es auch dieses Mal Schmerz und Schmach für mich, weist die herrliche Sophia meine Hand zurück, dann soll der Jude baumeln, so wahr adeliges Blut in meinen Adern fließt. Werde ich aber ihr Bräutigam, dann mag er zurück laufen nach Sukowiborg. Bis dies entschieden ist, soll ihn der königliche Richter in Mirz mir aufheben.

Spät am Abende langte der Fürst mit seinem Gefolge in der Stadt an. Joseph, dessen Füße bluteten, dessen ganzer Körper von heftigem Fieber geschüttelt wurde, schleppten sie in das Gefängnis des königlichen Richters. Den Wundarzt, der ihn besuchen wollte, wies der Gefangnenwärter schnöde zurück: er dürfe Keinen ohne schriftlichen Befehl des Richters zu einem Gefangenen lassen.

Der Fürst Rawuzky hatte bei seinem Freunde, dem königlichen Richter, Quartier genommen. Sie zechten mit einander. Als Peter Mickloff den Mann der Justiz um einen schriftlichen Befehl bat, den Gefangenen besuchen zu dürfen, antwortete der lachend: Liebster, ich habe ein Gelübde getan, nie nach dem Mittagessen eine Feder anzurühren.

Anderen Morgens früh setzte der Fürst seinen Zug gegen Warschau fort: Ihr habt unsere Abrede von gestern doch nicht vergessen, mächtiger Kammerherr der Justitia? Da Ihr vielleicht auch ein Gelübde getan habt, nach dem Mittagessen nicht zu lesen, und ich alles Schreiben und alles Papier hasse, so haben wir Folgendes verabredet: sende ich Euch ein rotes Band von Warschau, so lasst den Juden laufen; die Gefängniskost, die er verzehrt hat, werde ich Euch dann ersetzen; sende ich ein schwarzes Band, so seid Ihr so gefällig und lasst den Juden hängen.

Hängen! wiederholte der königliche Richter. Der Galgen ist ein schönes Institut! Kaiser Carolus, der Fünfte seines Namens, der feine, kluge Spanier, der die dummen Deutschen beherrschte, ritt, wie Historie berichtet, niemals an einem Galgen vorüber, ohne seinen Hut grüßend abzunehmen vor diesem Denkmal und Wahrzeichen der Gerechtigkeit.

Es ist eine wahre Freude, zuweilen mit einem gelehrten Herrn zu plaudern, sagte der Fürst verbindlich und schwang sich auf sein Pferd.

Joseph hatten sie in einen tiefen, dunkeln Keller des Gefängnisses eingeschlossen. Der Arme lag auf einer Schütte schmutzigen Strohes; bald zitterte er vor Frost in der Winternacht, bald schüttelte ihn Fieberglut. Gegen Morgen überkam ihn ein sanfter Schlaf; als er wieder erwachte, drang ein Strahl der aufgehenden Wintersonne in seinen furchtbaren Kerker. Da raffte er sich auf zum Morgengebete und sprach noch einmal die ehrwürdigen Worte von Ergebung und Gottvertrauen, die seit Jahrtausenden von den Lippen Israels strömen. Und sein blasses, verkümmertes Gesicht wendete er gen Osten, woher die Gottes-Erkenntnis glorreicher und strahlender als die irdische Sonne über die Menschheit gekommen ist.

Als der Arme sein Gebet vollendet hatte, sank er zurück auf sein elendes Lager. Mitleidiger Schlaf senkte sich wieder auf seine Augen nieder, und er träumte sanft. Sein Weib, seine Kinder grüßten ihn. Sehnsüchtig hob er die Arme zu den Lieben, die ihm seit Jahren entrissen waren, dann atmete er tief auf — er hatte ausgelitten. Des Winters Kälte, mitleidiger als die Menschen, hatte ihn in ihre harten Arme gedrückt und ihm längere Qual erspart.

Der Gefangenenwärter dachte erst gegen Abend, als es schon lange dunkel geworden war, an seinen Gast tief im Keller und brachte ihm ein Stück schwarzes Brot und einen Krug Wasser. Er fand einen Toten. Ich darf es dem Herrn Richter erst morgen sagen sprach er vor sich hin, das der Jude erfroren ist; nach dem Mittagessen mag er ja nichts mehr von Geschäften hören.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Freitag-Abend