Freitag-Abend

Erzählung
Autor: Wirth, Johann Christian (1788-1851) seit 1827 Verleger und verantwortlicher Chefredakteur der AZ, Erscheinungsjahr: 1848
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Handelshaus, Erzählung, polnische Juden, Deutschland, Hamburg, Handel, Liebe, Mord aus Liebe
Aus: Der Sammler. Band 17. Ein Blatt zur Unterhaltung und Belehrung. Beilage zur Augsburger Abendzeitung. Erzählung von M. Honek. 1848

Rasch bewegte sich ein Zug von Reitern auf der Straße, die nach der polnischen Stadt Mirz führt; es war der Fürst Rawuzky, der mit zahlreichem Gefolge gen Warschau zum Reichstage zog. Selbst für einen polnischen Winter war die Kälte dieses Mittags groß; aber sie hatte auch getan, was die Kunst damals noch allzu sehr an den Landstraßen der Republik zu versäumen pflegte: sie hatte die Löcher mit hartgefrorenem Schnee gefüllt, die morastigen Pfützen waren fest geworden, wie gepflasterte Wege, und so konnte der Zug schneller vorwärts, als wäre es ein sonniger Sommertag gewesen. Dem nächsten Dorfe ging es zu, das jenseits eines Flusses lag, über den eine hölzerne Brücke führte.

Der Fürst sprengte seinem Gefolge voran über die Brücke. Als er ungefähr in der Mitte derselben war, strauchelte sein stolzer arabischer Schimmel — er zog rasch die Zügel an, und das Tier hielt sich noch auf den Beinen. Der Reiter, dessen Gesicht noch eben von der Kälte und dem scharfen Ritt gerötet war, erblasste aber doch. Ein böses Vorzeichen, sprach er leise vor sich hin, ein böses Vorzeichen für das Spiel in Warschau und für meine Werbung um die schöne Base.

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Langsam ritt er weiter; als er an das erste Haus des Dorfes gekommen, rief er laut und mit zorniger Stimme: Wo ist der Hund von einem Juden, der die Brücke, die er in Stand halten soll verfallen lässt? Es ist das dritte Mal, dass mein Gaul auf der verfluchten Brücke strauchelt!

Ein Mann trat an das Pferd des Fürsten und verbeugte sich demütig; es war ein trauriger Zug in seinem Gesichte, der es verriet, dass er schon viel gelitten, dass sein Rücken sich oft hatte beugen müssen vor Übermut und vor Gewalt. — Es ist nicht meine Schuld, durchlauchtiger Fürst, sagte er zagend, dass Euer Pferd strauchelte; aus meinem Rechnungsbuche werdet Ihr ersehen können, wie viel ich in den letzten Wochen für die Instandhaltung der Brücke verausgabt habe.

Glaubst du, rief der Fürst verächtlich, ein Edelmann aus dem ältesten Geschlechte Polens wird in das schmutzige Buch eines Juden sehen? Wir rechnen anders mit einander ab, Joseph! — Er wandte sich an sein Gefolge: Wir übernachten hier, Kinder; ich will Euch ein Fest in diesem meinen Dorfe geben — mein Pächter, der Jude, soll die Kosten tragen. Auf, meine Jungen, schlachtet sein Vieh; seine Branntweinfässer, seine Metfässer sind Euer! Den Joseph selbst aber bindet mir an Händen und Füßen, über ihn will ich später Gericht halten.

Jubelnd zog der Haufe durch das Dorf, voran sein Fürst mit finsterer Miene, dem Wirtshause des Juden zu, dem stattlichsten Hause unter den ärmlichen Wohnungen des Dorfes. Von den Bauern und Juden, die es bewohnten, flohen fast Alle mit Weib und Kind in den nahen Wald. Sie kannten die tolle Grausamkeit des Fürsten, die, zumal wenn der Geist des Trunkes Herr über ihn geworden war, sich in den wahnsinnigsten Quälereien seiner Leibeigenen oder der Juden gefiel.

Als Joseph in sein Haus geschleppt wurde, kam ihm weinend sein einziges Kind entgegen. Lauf auf den Boden über dem Stalle und verbirg dich im Heu, dass sie dich nicht mit mir fangen, flüsterte ihm der Vater zu, und erst wenn sie fort sind und ich dich rufe, komm wieder herunter. — Keiner von des Fürsten Leuten hatte den Knaben bemerkt, der scheu auf den Boden schlich und sich dann weinend in dem Heu verbarg.

Unten im Hause begann ein tolles, wüstes Treiben; den Wirt hatten des Fürsten Trabanten an Händen und Füßen gebunden und in einen Winkel seiner Stube geworfen. Da seine Dienstleute mit den übrigen Dorfbewohnern geflohen waren, so spielten die wilden Ankömmlinge unter Schreien und Fluchen und Lachen Köche und Kellner. Der Stallmeister des Fürsten ward der Metzger und schlachtete alle Ochsen und die besten Schafe; dann machten sie ein großes Feuer in der Küche an und brieten das noch blutige Fleisch. Andere hatten sich in den Keller des Wirtes gemacht und zapften den Branntwein und Met in Eimer. Der Fürst war trotz seines hochfahrenden Sinnes nicht eigen in der Wahl seiner Zechgenossen; sein Stallmeister, seine Trabanten und Knechte waren ihm bei seinen wüsten Gelagen vornehm genug. So auch heute; ein dichter Kreis seiner Leute hatte sich um ihn am großen Tische der Wirtsstube geschart; er hielt einen großen zinnernen Becher in der Hand, aus dem er in tiefen Zügen trank. — Mein gelehrter Wundarzt! schrie er plötzlich, würdiger Hüter meines edlen Körpers, warum verschmähst du wieder den edlen, trefflichen Nektar der Polen, diesen goldenen Branntwein Josephs des Sohnes Jacobs, der wieder nicht als Herr, nein, als Knecht in Ägypten wohnt und den wir nun nach Herzenslust plagen dürfen?

Der Fürst lachte laut über seine biblische Anspielung. Warum trinkst du nicht, Amice, warum säufst du nicht, du Schüler der gelehrtesten Tochter unserer Mutter Polen, der Universität Wilna?

Ich habe schon zur Genüge getrunken, mein durchlauchtiger Herr, antwortete der Wundarzt bescheiden. Täte ich des Guten zu viel, ich würde mich ja an unserer großen Kunst, der Chirurgie, versündigen. Wohl führt den Säbel wacker, wer unerschrocken auch den Becher leert; aber das Messer des Wundarztes muss mit leichter, feiner Hand geführt werden. Die Hand, die, schröpft, zur Ader lässt, Verbände auflegt, darf nicht zittern; der Branntwein aber ist arger Schalk, der seine besten Freunde zum Zittern bringt.

Nun, so trinke mäßig. Es ist wahr, mit sanfter Hand hast du mir manche Wunde, die ich gegen Moskowiter und Kosaken oder in Zweikämpfen zu Warschau empfing, verbunden, und ich konnte immer bald wieder mein Ross besteigen und meinen Säbel und mein Faustrohr gebrauchen. Und mehr als eine Wunde, fuhr er prahlerisch fort, wirst du noch zu verbinden haben, mein Lieber, denn Johannes Fürst Rawuzky wird noch als ein echter, adeliger Sohn Polens zu manchem Kampfe ziehen gegen den ungläubigen Türken, den Moskowiter oder den Ungarn und den dummen Deutschen.

Ein so stolzer, hoher Fürst, als Ihr, durchlauchtiger Herr, seid, versetzte der Wundarzt geschmeidig, und der Joseph ist Eurem Zorne nicht zu gering? Nicht wahr, Ihr lasst ihn seiner Bande morgen wieder ledig?

Nein, nein! schrie der Fürst zornig, auf der verfluchten Judenbrücke begegnen mir immer schlechte Vorzeichen; zweimal ist mir dort mein Gaul schon gestrauchelt, und jedes Mal ist mir dann ein Unglück wiederfahren. Vor drei Jahren ritt ich das herrlichste Pferd, das je meine Sporen gefühlt, doch strauchelte das Tier auf der Brücke — den andern Abend trank und spielte ich in Mirz mit Edelleuten, und richtig verlor ich gegen den jungen Radziwill zweitausend Dukaten. Und das zweite Mal war mein gutes Pferd wieder auf der verfluchten Brücke gestrauchelt; ich ritt damals, du weißt es ja, zu einem Zweikampfe mit dem jüngsten Grafen Tobiansky, und — es musste so geschehen — ich bekam von dem Grafen, der eben erst das Pagenwamms ausgezogen hatte, den furchtbaren, Säbelhieb über die Brust, an dem ich drei Wochen darniederliegen musste. Heute Morgen, als wir vom Schlosse wegritten, rief mir meine Liebe Mutter noch zu: Nimm dich in Acht, nimm dich in Acht auf der Brücke vor Sukowiborg! Und weißt du nicht, du gelehrter Mann, dass tapfern Kriegsleuten stets Unglück begegnet, wenn ihr Pferd strauchelt, da sie zu einem Unternehmen ausreiten? Hast du wohl gehört wie es Rakozy, dem Ungarn, erging? — Der Wundarzt schüttelte verneinend mit dem Kopfe. — So höre sprach der Fürst und tat einen tüchtigen Zug aus dem Becher, der vor ihm stand. Rakozy, der Ungar, war ein Feind unserer Republik Polen, aber ein großer Kriegsmann, würdig solcher Gegner wie der Polen. Es mögen jetzt wohl an die neunzig Jahre her sein, da zog der Ungar wieder aus gegen unser Land. Als er von seiner Mutter Abschied nahm, strauchelte sein Pferd und wäre fast unter ihm gefallen. Die Mutter flehte ihn an, von seinem Kriegszuge abzulassen, denn sie hielt es für ein böses Vorzeichen, dass das Ross unter ihrem Sohne gestrauchelt war. Er aber erwiderte lachend: Mutter, die Füße des Pferdes sind schlecht, nicht aber das Vorzeichen ist es! So schwang er sich auf ein anderes Pferd und sprengte mit seinem Gefolge vorwärts den Grenzen von Polen zu. Die erste Brücke, über die er reiten musste, brach unter ihm zusammen — und dieser Krieg ward unglücklich für ihn. Er musste viel seines Ruhmes auf den Feldern von Polen lassen, nur ein schweres Lösegeld bahnte ihm den Weg in seine Heimat zurück. — Wenn es mir auch diesmal wieder schlecht ginge, wenn die schöne Base meine Hand ausschlüge, der Jude müsste hängen, und dieses Dorf ließe ich niederbrennen!

Der rohe Edelmann schwieg einen Augenblick, dann schlug er mit der Faust auf den Tisch: Es ist zu still hier um den Fürsten, Euren Herrn; singt und tanzt, meine Jungen! Auf, du langer Peter mit der feinen Weiberstimme, auf und singe deine lustigen Lieder!

Der lange Peter saug ein Lied nach dem andern, sein Herr und alle Diener brüllten im Chore mit. Dazu wurde furchtbar in Branntwein und Met gezecht. Einige Stunden noch, und Alle lagen auf Tischen, Bänken, auf dem Boden in tiefem Schlafe.

Nur der Wundarzt wachte noch; leisen Schrittes schlich er zu dem gebundenen Joseph und flüsterte ihm zu: Ich gäbe viel darum, könnte ich dich retten!

Ich weiß, Herr Peter Mickloff, Ihr wart mir immer wohlgesinnt.

Ich könnte dir die Bande mit scharfem Messer entzwei schneiden, aber wie würdest du entkommen, da quer vor der Schwelle die beiden riesigen Leibtrabanten des Fürsten liegen?

Und entkäme ich auch, mein Freund, wohin in dieser grimmig kalten Nacht? Und meilenweit reichen die Besitzungen des Fürsten: wo ich mich auch verbergen würde, morgen hätten mich seine Knechte gefangen.

Glaube mir, Joseph, ich beklage dich bitter; was ich für dich beim Herrn tun kann, wie zornig er auch ist, soll doch geschehen.

Nur Eins gelobt mir, mein werter Freund! Ihr habt mich und meine Glaubensgenossen nie gehasst, nie verspottet, noch verachtet; wurdet Ihr zu einem kranken Manne unseres Stammes gerufen, Ihr send zu ihm geeilt trotz Nacht und Sturm und Schnee, als wäre es ein Graf oder ein Fürst gewesen.

Unsere Wissenschaft, unterbrach ihn der Wundarzt, kennt nicht den Christen, nicht den Juden, nicht den Edelmann noch den Leibeigenen; es ist der sieche, der verwundete Mensch, zu dem uns ihr Gebot treibt.

Wie einen Bruder habt Ihr mich getröstet, da vor zwei Jahren mein geliebtes Weib, meine Kinder von der entsetzlichen Seuche hingerafft wurden. Macht mich aufs Neue zu Eurem Schuldner für die Ewigkeit, Herr Peter; nehmt Euch, wenn die Rache des Fürsten mich niederwirft, meines Knaben, meines Einzigen an. Vielleicht wird er glücklicher als sein Vater.

So viel ein armer Schüler der Wissenschaft kann, will ich mich deines Kindes annehmen. Doch fasse Mut, vielleicht wird der kommende Morgen den Fürsten milder stimmen. —

Hamburg 1842

Hamburg 1842

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Hamburger Hafenbilder

Hamburger Hafenbilder

Hamburg Brandstwiete 1775

Hamburg Brandstwiete 1775

Hamburger Baumwollbörse

Hamburger Baumwollbörse

Blick auf Hamburg - Unterelbe

Blick auf Hamburg - Unterelbe

Hamburger Börse

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