Aaron Königsberger ein Hamburger Handelsherr

Sein ganzes Herz wendete Elias dem kleinen Moses zu; er suchte Gemüt und Verstand gleichmäßig in ihm zu bilden, ihn vor der Vereinsamung zu bewahren, unter deren Last die Blüten seiner eigenen Jugend geknickt waren. Er wurde in den Häusern der wohlhabenderen Juden Hamburgs schon nach einigen Jahren seines Aufenthaltes ein gern gesehener Gast und benutzte freudig diese Gastlichkeit, auch seinen Pflegesohn in die Häuser zu bringen, die sich ihm geöffnet hatten, und ihn so, wenn auch nur flüchtiger, an dem Leben in Familienkreisen Teil nehmen zu lassen. Der Kleine gewöhnte sich bald an die Sitten und Gewohnheiten seiner Umgebung, er lernte mit rascher Fassungskraft, und Elias hatte viel Freude an ihm. — Als er den Todestag seines Vaters schon neun Mal mit Gebet und Fasten begangen hatte und fünfzehn Jahre alt geworden war, ließ Elias ihn die Schule verlassen und sich einen Beruf wählen.

Wählen! sagte der sonst so milde Mann bitter vor sich hin, was kann der Jude anders frei wählen, als das Studium der Vergangenheit seines Stammes oder den Handel? In Deutschland ist man milder gegen ihn, als in dem Polen, dessen Staub wir von unseren Füßen geschüttelt haben, aber auch hier sind ihm fast alle Wege verrammelt, welche Millionen durch das Leben führen. Die Erde, die uns alle geboren, der Jude darf nicht den kleinsten Teil von ihr besitzen; das Handwerk hat einen goldenen Boden, sagen sie, aber zäh und neidisch verwehren die Zünfte dem Juden alles Handwerk. Und hätte der Jude Herz und Kopf auf der rechten Stelle, und wollte er der Justiz dienen, den Unschuldigen zu verteidigen, den Schuldigen zu verfolgen, sie würden ihn schnöde zurückweisen, wie sie ihn schnöde von allen anderen Bahnen zurückstoßen. Nur eins bleibt ihm, der Handel; die allgemeine Jagd auf Geld und Gewinn darf auch der Jude mitmachen.


So trat denn Moses in das Geschäft eines reichen Handelsherrn ein. Herr Aaron Königsberger war Witwer und hatte zwei Kinder, einen zwanzigjährigen Sohn, Simon, und eine Tochter von dreizehn Jahren, Lea. — Fünf Jahre musste er dort lernen. Der Sohn vom Hause, ein Schüler des Elias von Wilna im Studium der heiligen Schrift und der rabbinischen Traditionen, behandelte den Pflegesohn seines Lehrers mit vielem Wohlwollen; er vertraute halb seinem Fleiße schwierige Arbeiten und seiner Ehrlichkeit bedeutende Summen an. Moses entsprach diesem Vertrauen und wurde, noch ehe seine Lehrzeit abgelaufen war, einer der tüchtigsten Arbeiter in dem ausgedehnten Geschäfte. Als er ausgelernt hatte, schloss der alte Aaron Königsberger einen Vertrag mit ihm als Gehilfen und er konnte zu der gemeinschaftlichen Haushaltung mit seinem Pflegevater eine nicht unbedeutende Summe beitragen.

Simon Königsberger unternahm im Herbste des Jahres 1768 in Geschäften seines Hauses eine Reise nach England — er kam nicht wieder. Das Schiff, mit dem er gereist, ging in einem furchtbaren Sturme unter, und sein junges Leben endete in den Wellen der Nordsee. — Moses hatte die peinliche Pflicht, seinem Herrn den Brief vorzulesen, in welchem der Londoner Korrespondent des Hauses den Untergang des Dreimasters „Hammonia“ meldete. Fischer hatten weitab von dem Laufe, den das Schiff hätte machen müssen, einen Teil der Ladung geborgen, die Schiffspapiere aufgefischt und zwölf Leichen gefunden, welche sic als Mannschaft und Passagiere der „Hammonia“ erkannten. In dem Überrocke, mit dem eine dieser Leichen bekleidet war, hatten die Fischer eine Brieftasche mit Briefen und Wechseln gefunden, woraus der Friedensrichter des nächsten Städtchens ersehen, dass dieser Körper die Leiche von Simon Königsberger aus Hamburg sei. — Der Vater war vom bittersten Schmerz überwältigt; dann bat er Moses, seiner Tochter den furchtbaren Verlust zu eröffnen; er selbst fühlte sich außer Stande dazu.

Zagend ging der junge Mann dem Zimmer Leas zu. Er klopfte leise an, aber keine Stimme forderte ihn auf, hereinzutreten. Noch einmal klopfte er dann — wieder keine Antwort auf sein Klopfen. Da öffnete er die Tür. Lea saß vor dem Spiegel, wie in das Anschauen ihrer selbst versunken. Als sie Tritte hinter sich hörte, wandte sie sich um und stand auf. Sie war auf diesen Abend zu einem Feste bei einer der reichsten jüdischen Familien der Stadt geladen. Sie war so schön! Wie berauscht ruhten die Blicke des Eingetretenen auf der schlanken, von dem hellen seidenen Gewande umschlossenen Gestalt.

Was führt Euch zu mir, Moses? fragte sie in gleichgültigem Tone.

Er schwieg verlegen. Sollte sie jetzt, in heiteren Gedanken an das Fest der nächsten Stunden, die furchtbare Kunde erfahren, sollte sie jetzt das seidene Gewand zerreißen, den glänzenden Schmuck an dem schlanken Halse, an den herrlichen Armen von sich schleudern?!

Was führt Euch zu mir, Moses? fragte sie noch einmal. Wollt Ihr mich im Festkleide sehen und bewundern? fügte sie scherzend und doch stolz hinzu.

Sie hat kein Herz, die schöne Lea! sagte Moses vor sich hin, als er sich seines traurigen Auftrages entledigt hatte. Wäre sie eine gute Tochter, sie wäre hingeeilt zu dem jammernden Vater, ihren Schmerz mit dem des alten Mannes zu vereinen. Aber wie zierlich, ich möchte sagen: wie berechnet, weinte sie! wie ruhig klingelte sie ihrem Mädchen, dass sie ihr den Schmuck abnehme und sie auskleide! wie ruhig entließ sie mich! und ich solle dem Vater sagen, sie würde nachher zu ihm auf sein Zimmer hinüber kommen! Sie ist schön, sehr schön, aber sie hat kein Herz.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Freitag-Abend