Freimaurer Zeitung Sonnabend, den 19. Dezember 1868

Menschenentwürdigung
Autor: Zille, Moritz (1814-1872) deutscher Theologe, freimaurischer Führer, lyrischer Dichter, Erscheinungsjahr: 1868
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Israeliten, Christen, Moslem, Marokko, Religion, Menschenwürde, Araber, Lebensverhältnisse, Reisebeschreibung, Heinrich Freiherr v. Maltzan
Heinrich Freiherr v. Maltzan berichtet in der Beschreibung seiner „Reisen in Algerien u. Marokko“ (Lpz. 1863) B. 4. von der unwürdigen Lage, in welcher sich Christen und Israeliten im ganzen Kaiserreich Marokko befinden. Christen können nur unter dem Schutze der Israeliten sich auf kürzere Zeit in diesem mohammedanischen Reiche aufhalten; auch dürfen sie nur in der Kleidung der, Israeliten sich auf offener Straße zeigen, wobei sie aber wie die Israeliten jedweder beliebigen Misshandlung ausgesetzt sind. Möchten die Großlogen Deutschlands, sowie die von England und Frankreich bei ihren Regierungen geeignete Gesuche stellen, um von diesen Schritte zu veranlassen. damit der gebildete Europäer, überhaupt Christ und Jude, im Reiche Marokko die Achtung vor den allgemeinen Menschenrechten finde.

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Um die unwürdigen Verhältnisse mit einigen Zügen zu belegen, führen wir folgendes an: S. 196. „Als Ungläubiger durfte ich die Tore dieser heiligen Stadt der Araber (Marokko) nicht betreten. Ich musste im Judenviertel, welches eine eigene kleine Stadt für sich bildet, mein bescheidenes Absteigequartier nehmen.“ S. 197 „Der Fanatismus würde mir in der Maurenstadt die unhaltbarste und gefahrvollste Stellung bereitet haben. Ich hätte keine 24 Stunden in der selben lebendig zugebracht.“ S. 199. „Die Juden leben hier wo möglich in einem noch ärgeren Zustande der Unterdrückung, als in den andern Städten des Reichs. Dadurch, dass der sogenannte Hof, d. h. der Kaiser und seine wilde Bande von Trabanten und Bettelsoldaten, sich fast jeden Winter hier aufhält, sind sie aller Raubgier und Habsucht der Umgebungen des Sultans besonders ausgesetzt. Dass es auch hier wie überall reiche Juden gebe, das wage ich nicht zu verneinen, da dies ein beispielloser Fall wäre. Dass aber kein Israelit einen andern Zustand, als die bettelhafteste Armut zur Schau zu tragen wagt‚ das habe ich mit eignen Augen gesehen. Die Kinder Israels sind hier wo möglich noch ärmlicher, unscheinbarer und dunkler gekleidet als in Tetuan, der andern heiligen Stadt. Hier wird wo möglich noch strenger darauf gehalten, dass die Juden stets im maurischen Quartier barfuß gehen und weder Pferd noch Esel besteigen. Dazu müssen sie sich von den Mauren, besonders aber von fanatischen Kabylen des Innern, die immer ein wahres Kontingent durchreisender Vagabunden in Marokko bilden, alle möglichen Demütigungen und Beschimpfungen gefallen lassen. Das ins Gesicht Spucken, mit Füßen Treten, Schimpfen mit den ekelhaftesten Namen, das Bewerfen mit Kot und Steinen, alles dies müssen sich die gedemütigten Juden, gefallen lassen. Mancher Araber, wenn er einem Juden begegnet, wendet sich mit einer unanständigen Gebärde von ihm ab.“

Man könnte fragen: „Warum wandern die Israeliten nicht aus?“ Ja, es ist ihnen dies erlaubt, aber diese Erlaubnis kostet beinahe unerschwingliche Summen. Der Reisende bemerkt hierüber S. 17: „Eine unglaubliche Tyrannei von Seiten der marokkanischen Regierung erschwert den Juden die Auswanderung, ja selbst ihre Geschäftsreisen außerordentlich. Jeder Jude muss nämlich, so oft er den marokkanischen Boden verlässt, für seine Person einen Ausgangszoll entrichten. Bei Männern beträgt dieser Ausgangszoll etwa 10 rhein. Gulden. Bei Jüdinnen ist er jedoch auf die, wenigstens für die Ärmeren, einem Verbot gleichkommende Summe von 250 Gulden festgesetzt. Marokko behandelt die Juden, so lange sie im Lande sind, schlecht genug; aber es weiß sie als Handelsvolk doch zu schätzen und hat durch diese Gesetze einer massenhaften Auswanderung derselben trefflich vorgebeugt. Ein Exodus Israels aus Marokko wäre geradezu unmöglich. Kaum Rothschild würde den Ausgangszoll zu bezahlen im Stande sein. Es mag im ganzen Kaiserreich vielleicht 200.000 Juden geben, also etwa 100.000 männlichen und gleichviel weiblichen Geschlechts. Nun multipliziere man‚ ersteres mit 10 und letzteres mit 250, so erhält man die enorme Summe von 26 Millionen rhein. Gulden für den Ausgangszoll Israels aus Marokko.“

Den traurigen äußern Ausdruck der Menschenentwürdigung, unter welcher die Israeliten in Marokko seufzen, schildert der Reisende mit folgenden Worten S. 37 f.: „Die israelitischen Männer Tetuans sind fast ausnahmslos von abschreckender Hässlichkeit. Diese besteht weniger in Unregelmäßigkeit der Züge, sondern rührt hauptsächlich von dem unangenehmen, aller Menschenwürde entbehrenden Ausdruck ihrer Gesichtszüge her. Bald sieht man ihre Augen feig zu Boden gesenkt, bald blicken sie furchtsam und unstät umher, als drohe ihnen eine noch unbekannte Gefahr. Ihre demütig kriechende Haltung, ihr hässlich schmeichelndes Wesen, welches doch nicht vermag, seine Falschheit zu verbergen, erregen nur Ekel. Das Gesicht dieser unterdrückten Wesen ist durch ihren sklavischen Zustand und zugleich durch ihre wucherisch interessierte Beschäftigung von Geschlecht zu Geschlecht hässlicher geworden. Der Zustand der Verachtung, und Misshandlung, in dem sie leben, ihr Haupterwerb, der schmutzige Wucher und der verachtete Handel mit allem Ekelhaften, Abgetragenen und Zerlumpten, den die Juden betreiben, haben aus diesem Ebenbild Gottes im Laufe der Zeiten das kriechende widerliche Wesen gemacht, das hier den Namen Mann trägt. Es ist merkwürdig zu sehen, wie selbst ein reicher Jude Marokkos, der in Europa immerhin einige Achtung genießen würde, hier trotz seines Geldes eine so elende Rolle spielt. Der zerlumpteste Bettelbeduine tritt oft ungeladen in das Haus des wohlhabenden Israeliten und gebärdet sich ganz als Herr darin; nicht nur, dass ihm mit allem aufgewartet werden muss, was das Haus Köstliches zu bieten hat: wehe dem Wirte, wenn er ihn nicht zugleich mit einer sklavischen Kriecherei empfängt! All sein Vermögen genügt nicht, um den Juden auf eine höhere gesellschaftliche Stufe zu stellen, als eine solche, welche noch unter der des verachtetsten Bettelarabers liegt. Was das Äußere des schönen Geschlechts bei den Israeliten betrifft, so unterscheidet sich dieses höchst vorteilhaft vor den hässlichen Herren der Schöpfung. Die Frauen kommen so gut wie gar nicht aus dem jüdischen Stadtviertel heraus, also auch nur sehr wenig in Berührung mit den tyrannischen Mauren und Arabern. Der Umstand, dass sie so all jenen Demütigungen und Beschimpfungen, welchen ihre Männer täglich und stündlich ausgesetzt sind, entgehen, ferner ihre einfacheren, natürlichen und edleren Beschäftigungen, kurz ihr ganzes Leben, welches der Menschenwürde angemessener ist, hat vielleicht das Wunder bewirkt, dass ihre Züge nicht durch jenen widerwärtigen, unnatürlichen Ausdruck entstellt sind, den wir bei den Männern bemerken. Unter ihnen findet man äußerst selten hässliche, meist höchst angenehme Gesichter, zuweilen wirklich strahlende Schönheiten.“
Ist der gegenwärtige Zustand der Israeliten in Marokko nicht ebenso traurig wie einst in Ägypten unter den Pharaonen? Scheint er in vieler Beziehung nicht noch unwürdiger zu sein?

Und da findet sich jetzt kein Moses, der die Würde der Menschheit rettet? Möchte der Freimaurerbund dieser Moses sein! Er hat dazu den Beruf, die Pflicht! Wohlauf denn, ihr Priester der Menschenwürde, vernehmt den Notschrei der entwürdigten Menschheit in Marokko!

Kaplan, Josef (Zeichnung der Vignetten)

Kaplan, Josef (Zeichnung der Vignetten)

Juden in Marokko um 1860

Juden in Marokko um 1860