Franz von Sickingen auf Ebernburg und der Geist vom Rotenfelsen

Autor: Ueberlieferung
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Im Innern des Rotenfelsens, nicht weit von Ebernburg, haust seit alter Zeit ein Berggeist. In mondhellen Herbstnächten treibt er sein Unwesen und verschwindet mit Anbruch des Tages wieder. Der Geist ist nicht böse; nur darf man ihn weder reizen noch necken. Manchmal schwebt er auch auf die Ebernburg hinüber; dann heult der Sturm in Klagetönen um die zerfallene Burg; denn der Geist vom Rotenfelsen trauert um seinen Liebling. Und das war kein anderer als der Ritter Franz von Sickingen.

Als Knabe hatte Franz einmal die jähe Felswand erklettert und war dann hart am Rande der grausigen Schlucht eingeschlafen. Es war schon spät in der Nacht. Da trug der Berggeist den Knaben, den die Reisigen seines Vaters und die hörigen Leute des Dörfleins vergebens suchten, in seine kristallene Wohnung. Als Franz erwachte, sah er ringsum eine seltene Pracht. Der Geist schwebte mit freundlichen Gebärden auf ihn zu. Der Knabe aber stand trotzig auf und fragte, wo er sich befinde und wie er hierher gekommen sei. Der Geist erzählte ihm, an welcher gefährlichen Stelle er ihn aufgelesen und wie er ihn gerettet habe. Das ließ sich Franz gefallen, dankte dem Geiste furchtlos, verlangte aber, daß er ihn sogleich zur Ebernburg bringe. Solch Wesen gefiel dem Geiste; er zeigte Franz seine Schätze und lud ihn ein, sich zu nehmen, was er wolle. Der Knabe aber dankte für das Anbot, und bat nur, daß er wiederkehren dürfe. Da gab ihm der Geist ein güldenes Kettlein, woran ein Edelstein hing und sagte: "Sooft du zur Dämmerstunde zu mir willst, nimm den Stein in die Hand, und sogleich werde ich dich hereingeleiten."

Franz legte das Kettlein um den Hals und verbarg es sorgfältig. Darauf führte ihn der Berggeist sicheren Schrittes die Felswand hinab und nach der Ebernburg hinüber. Dann verschwand er. Wurde der Knabe von seinem Vater auch ungnädig empfangen, so erzählte er doch nichts von dem, was ihm begegnet war.

So lebte Franz forthin in steter Gemeinschaft mit dem Geiste im Rotenfelsen. Als er ein mächtiger Rittersmann geworden war, da standen ihm die Schätze des Berggeistes zu all seinen Taten und Zügen offen. Nur einmal warnte ihn der Geist, als er gegen Trier zog, und wandte sich grollend von ihm, weil er dennoch den Zug unternahm. Von da an verfolgte den Ritter das Unglück, bis er von seinen Feinden besiegt wurde und auf seiner Feste Landstuhl den Tod fand.

Der Geist trauerte tief um seinen Freund und verschloß sich ein Jahr lang in seiner kristallenen Wohnung. Dann ließ er sich wieder sehen. Er schwebt noch heute um Fels und Burg. Trübe und wolkig ist seitdem sein Gewand, und im Gras am Ufer der Nahe glänzen seine Tränen, die er um seinen Liebling, den letzten Ritter, weint.