Erfolge mit Elektrischer Massage in Verbindung mit einer Badekur in Wiesbaden

Ergänzung zu einem Vortrage: Über elektrische Massage, gehalten auf dem VIII. Kongresse für Innere Medizin
Autor: Mordhorst, Carl Dr. (?) Praktischer Arzt in Wiesbaden, Erscheinungsjahr: 1890
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wiesbaden, Heilanstalt, Gesundheit, Massagen, Elektrizität, Kurort, Therapeutische Erfolge
Inhaltsverzeichnis
Mordhorst, Therapeutische Erfolge mit elektr. Massage etc.

Unter elektrischer Massage verstehe ich die gleichzeitige Anwendung der Massage und der Elektrizität.

Nachdem ich die Erfahrung gemacht hatte, dass viele chronische Affectionen der Gelenke, Muskeln, Sehnenscheiden, Nerven etc. rheumatischen und traumatischen Ursprungs der hier meist üblichen Behandlung mit warmen Mineralbädern und Massage oft hartnäckigen Widerstand leisteten, fügte ich in solchen Fällen diesen Kurmitteln — zuerst versuchsweise — noch die Anwendung konstanten Stromes hinzu. Der Erfolg dieser komplizierten Behandlung war in einem großen Teil dieser hartnäckigen Fälle ein so guter, dass ich seit der Zeit mehrere Jahre hindurch immer dieselbe in Anwendung zog. Da aber auch bei dieser Behandlungsweise noch häufig Fälle ungeheilt oder doch nur wenig gebessert blieben, die Methode außerdem für den Patienten sehr umständlich und kostspielig war, so sann ich über ein Verfahren nach, durch welches beide Mittel, Massage und Elektrizität, gleichzeitig ihre Wirkung entfalten konnten. Es lag sehr nahe anzunehmen, dass zwei so bewährte Heilmittel, welche jedes für sich schon die Heilung des krankhaften Prozesses so günstig beeinflussen, dieses in noch viel höherem Maße tun würden, wenn sie gleichzeitig zur Anwendung kämen.

Durch die gewöhnliche Massage wird bekanntlich nicht allein eine aktive Hyperämie (arterieller Blutzufluss) in dem afficirten Gewebe und dessen Nachbarschaft und eine gründliche und schnelle Entfernung der Lymphe und des Blutes aus demselben, sondern auch eine durch den mechanischen Druck bewirkte Verteilung der etwa abgelagerten krankhaften Produkte auf eine größere Oberfläche herbeigeführt, lauter Prozesse, die die Resorption der letzteren beschleunigen. Leider überdauert die auf diese Weise erzielte Hyperämie nicht oder doch nur sehr kurz die Prozedur der Massage selbst. Und da diese weder zu lange noch zu kräftig ausgeführt werden darf, um nicht durch den starken, mechanischen Reiz noch mehr Schmerzen und Entzündung heraufzubeschwören, so kann nur durch eine häufigere Wiederholung der Massage ein Ersatz gefunden werden.

Die Elektrizität, der konstante Strom, ruft eine viel länger dauernde Hyperämie der afficirten Stelle hervor und zwar ohne die Nachtheile eines zu starken mechanischen Reizes. Wie lange die Hyperämie sich nach der Anwendung des constanten Stromes hält, sieht man an der oft stundenlang anhaltenden Röte der Haut. Dass außer dieser Erscheinung andere uns noch gänzlich unbekannte Wirkungen zur Geltung kommen, unterliegt keinem Zweifel. Das mechanische Moment zur Entfernung der Lymphe und des Blutes etc. aus dem afficirten Organ, die Streichung etc., fehlt jedoch. Es geht hieraus hervor, dass die Wirkung, welche der Massage abgeht, nämlich die länger andauernde Hyperämie, eine Hauptwirkung des konstanten Stromes ist, und was man bei Anwendung des letzteren entbehrt, die mechanische Entfernung der Lymphe und des Blutes etc. aus der erkrankten Partie, die Hauptwirkung der Massage ist. Es ist nun einleuchtend, dass durch die gleichzeitige Anwendung beider Heilmittel, also der Massage und des konstanten Stromes, die Lücke in der Wirkung der einen Behandlungsmethode durch die Wirkung der anderen ausgefüllt werden würde. Es gelang mir die Konstruierung einer Massierelektrode, *) die sich zum Massieren meiner Erfahrung nach in den meisten Fällen noch besser eignet, als die Hand, und die auch den elektrischen Strom leitet. Dieselbe besteht aus einer elastischen Walze von verschiedener Größe und Gestalt, je nach der Form und Lage des zu behandelnden Körperteiles. Die Walze ist mit einem gebogenen, bequemen Griff für die Hand verbunden.

*) Nach meiner Angabe angefertigt von Herrn Carl Th. Wagner, Wiesbaden Fabrikant elekt. Signal- und Glockenapparate.

Mit Ausnahme einzelner Stellen (der Intercostalräume und des unteren Teiles des Gesichts) ist die Massage mit meiner Massierelektrode — auch ohne Elektrizität — viel wirksamer als die einfache Massage mit der Hand und dabei nicht so schmerzhaft. Sowohl das Blut als die Lymphe wird viel gründlicher und schneller aus den betreffenden Gefäßen entfernt, wodurch die Säfteströmung beschleunigt wird. Wie sehr dies der Fall ist, zeigt am deutlichsten die folgende Beobachtung des Herrn Dr. Heermann, Militärarzt an der hiesigen „Wilhelmsheilanstalt“*) In einem Falle von Schussverletzungen bestanden 3 Fisteln, 2 im oberen Drittel des r. Oberschenkels, 1 an der Innenseite des Knies. Dieselben entleerten tagsüber oder auf Druck und Streichung (Massage) mit der Hand nur spärlichen dünnen Eiter; sobald jedoch 1 — 2 Minuten die Einwirkung der elektrischen Massage stattgefunden hatte, entleerte sich derselbe in auffallend zunehmender und reichlicher Menge. An den Stellen, wo die Massierelektrode sich nicht recht anschmiegt, wende ich den Daumen oder Zeigefinger, versehen mit einem Handschuhfinger aus Waschleder, gut getränkt mit warmem Wasser, zur elektrischen Massage an. Das mit warmem Wasser getränkte Waschleder leidet den elektrischen Strom hinreichend, um denselben in beliebiger Dichte zur Anwendung bringen zu können.

Was nun die Anwendungsweise der elektrischen Massage anbetrifft, so befolge ich genau die Vorschriften bei der manuellen Massage. Ist das afficirte Organ ein Gelenk, dann applicire ich die Plattenelektrode auf dasselbe; dieser gegenüber setze ich die Massierelektrode und bewege dieselbe zuerst unter leisem, allmählich immer stärkerem Druck in centripetaler Richtung bis über das erkrankte Gelenk hinaus. Ohne einen nennenswerten Druck auszuüben gehe ich dann denselben Weg zurück. Auf diese Weise wird nach und nach das ganze Gelenk elektrisch massiert. Bei Affectionen von Muskeln, Sehnen oder Nerven an einer Extremität verfahre ich in ähnlicher Weise.

*) Über die Erfolge, die dort mit elektrischer Massage erzielt wurden s. Nachtrag Seite 23.

Bei Affectionen am Halse oder am Stamme setze ich die Plattenelektrode auf das Sternum oder in die Nähe der afficirten Stelle.

Als Stromgeber benütze ich seit Jahren einen Apparat mit 40 Elementen von Dr. Stöhrer & Sohn in Leipzig, der allen Anforderungen genügt.*) Derselbe ist versehen mit einem guten statischen Galvanometer, geteilt in Milli-Ampère, mit einem Reostat, einem guten Schlittenapparat für den Induktionsstrom nach E. du Bois-Reymond und mit einer Einrichtung für den gleichzeitigen Gebrauch des galvanischen und des faradischen Stromes. Da die die Haut berührenden Flächen der beiden Elektroden verschiedene Größen haben, so ist die Stromdichte an denselben selbstverständlich auch verschieden. An der Plattenelektrode, von welcher c. 100 qcm sich der Haut anlegen, ist bei einer Stromstärke von beispielsweise 6 Milli-Ampère die Stromdichte also 6/100 oder c. 1/16. An der Massierelektrode, wo c. 12 qcm die Haut berührten, ist die Stromdichte 1/2, also außerordentlich groß; in der Mitte des Gelenkes beträgt sie c. 1/9. Um einen so starken Strom zu erzeugen, muss man oft, namentlich bei alten torpiden Fußgelenkkrankheiten und bei alten Patienten männlichen Geschlechtes alle 40 Elemente in Tätigkeit setzen. Hinzufügen muss ich noch, dass ich, um eine noch kräftigere Wirkung hervorzurufen, die Massierelektrode sehr oft mit der Kathode, die Plattenelektrode mit der Anode verbinde. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Anode nicht oder wenigstens nicht in so hohem Grade den erweichenden Einfluss auf die harte Masse bei chronischen Gelenkschwellungen etc. besitzt, wie die Kathode.

*) Selbstverständlich kann jeder Apparat mit genügend starkem Strom und einem guten Galvanometer als Stromgeber benutzt werden.

Dass neben der elektrischen Massage auch passive und aktive Bewegungen, und möglichst viele Körperbewegung in frischer Luft, bei beginnender Atrophie der Muskeln auch die Anwendung des Induktionsstromes notwendig sind, bedarf kaum der Erwähnung.

Die Vorteile dieser Behandlungsmethode gegenüber der nicht gleichzeitigen Anwendung der manuellen Massage und des konstanten Stromes sind folgende:

1. Die Hyperämie, durch die Massage hervorgerufen, wird erhöht und verlängert durch die gleichzeitige Application des konstanten Stromes, und dies ohne den schädlichen Einfluss eines zu intensiv mechanischen Reizes, wie ihn eine zu kräftige und langdauernde manuelle Massage erzeugt.

2. Durch die Massage mittelst meiner Massierelektrode werden die resorbierten in der Lymphe enthaltenen pathologischen Produkte mit dem Lymphstrome aus dem Krankheitsherde entfernt.

3. Die lang andauernde Hyperämie der Haut trägt zur Entlastung der krankhaft afficirten Lymphgefäße und Umgebung bei.

Diese Vorteile, die schon aus theoretischen Gründen einleuchten, haben sich denn auch in der Praxis herausgestellt. Unter den 318 Affectionen, die ich mit der elektrischen Massage behandelt habe, war nur eine einzige (Fall 251), die durch diese Behandlung nicht besser wurde. Die Durchschnittsdauer der Behandlung war vier bis fünf Wochen. Neben der Behandlung mit elektrischer Massage war Bewegung im Freien immer, passive Bewegungen in vielen Fällen unentbehrlich. Bei Muskelrheumatismen sind durch einen kräftigen Induktionsstrom ausgelöste Contractionen der afficirten Muskeln unmittelbar nach oder selbst gleichzeitig mit der elektrischen Massage und Widerstandsbewegungen sehr zu empfehlen.

Um Ihnen, m. H., Gelegenheit zu geben, auch von anderer Seite ein Urteil über meine Methode zu hören, erlaube ich mir, die Erfahrungen des Herrn Oberstabsarztes Dr. Heinzel und des Herrn Dr. Heermann, beide an der hiesigen Wilhelmsheilanstalt tätig, hier mit an zu führen. Letzterem Herrn Kollegen demonstrierte ich Anfangs Juni vorigen Jahres meine Behandlungsweise an verschiedenen meiner Patienten, worauf dieselbe gleich in der „Wilhelmsheilanstalt“ *) täglich zur Anwendung kam. Herr Dr. Heermann war so liebenswürdig, mir seine diesbezüglichen Erfahrungen mitzuteilen. Es ist mir eine angenehme Pflicht, dem Herrn Kollegen Heermann hierfür meinen wärmsten Dank auszusprechen.

*) Die „Wilhelmsheilanstalt“ ist bestimmt zur Aufnahme von Offizieren und Soldaten, die durch chronische Affectionen rheumatischen, gichtischen und traumatischen Ursprungs für kürzere oder längere Zeit dienstunfähig sind.

Die in der Wilhelmsheilanstalt gesammelten Erfahrungen über elektrische Massage fasst Herr Dr. Heermann in folgenden Worten zusammen:

„Die Krankheiten, bei denen diese Methode benützt wurde, waren Ergüsse und Schwellungen nach Quetschungen, Verstauchungen und Knochenbrüchen, Gelenk- und Muskelrheumatismus, Neuralgieen traumatischen oder rheumatischen Ursprungs, Ischias, chronische Sehnenscheiden- und Knochenhautentzündungen. Von diesen Affectionen wurden über 100 Fälle mit elektrischer Massage behandelt.

Ich habe aus dieser Zahl von Fällen und dem Vergleiche mit ebenso vielen anders Behandelten die Überzeugung gewonnen, dass dieselbe recht befriedigende Resultate liefert. Statistische Beweise lassen sich natürlich aus dieser Anzahl und bei der Schwierigkeit solcher Vergleiche überhaupt, nicht schöpfen. Außerdem kommt noch hinzu, dass in den meisten Fällen neben der elektrischen Massage Bäder, Douchen, Massage mit der Hand, Gymnastik und Apparate zur Anwendung kamen und so die Beobachtung der Wirkung einer einzelnen Methode sehr erschwerten. Indem ich also von diesen letzten genannten Fällen absehe, in welchen über den Erfolg der elektrischen Massage nur das Gefühl und die Erfahrung des Beobachters urteilen können, will ich hier nur solche aufführen, bei denen neben den hiesigen Thermalbädern die Methode der elektrischen Massage allein in Betracht kommt.“ Hierauf folgen die Krankengeschichten, die ich als Nachtrag meinen „Therapeutischen Erfolgen mit elektrischer Massage“ hinzugefügt habe. Herr Heermann schließt seine Bemerkungen mit folgenden Worten:

„Diese kurze Zusammenstellung zeigt, dass bei allen für eine derartige Methode geeigneten Krankheiten, wo überhaupt eine Behandlung Nutzen brachte, die elektrische Massage in Verbindung mit den Thermalbädern einen günstigen, zuweilen auffallenden Erfolg aufzuweisen hatte, was um so mehr ins Gewicht fällt, als die Heilung dieser Leiden bereits Wochen und Monate lang vorher auf die verschiedenste Weise vergebens versucht war.“

Wiesbaden - Der Bahnhof

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Wiesbaden - Das Bismarck-Denkmal

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Wiesbaden - Blick vom Kaiserhof

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Wiesbaden - Bowling green mit Nassauer Hof

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Wiesbaden - Drahtseilbahn auf den Neroberg

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Wiesbaden - Neues Kurhaus, Konversations-Säle

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Wiesbaden - Kurhaus-Terrasse

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Wiesbaden - Paulinenschlößchen

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Wisbaden - Wilhelms-Heil-Anstalt

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