Ein Sonntagabend auf dem Meere.

Ein Sonntagabend auf dem Meere
1844

Die Sonne neigte sich zur salzgen Flut;
Nach Irland fuhr das Schiff, die Wimpel flogen.
Es schien die See in abendlicher Glut
Rings wie ein wildes Rosenfeld zu wogen;
Hoch in den Lüften nur der Möwe Sang –
Der Flutendonner dumpf herüberdrang
Gleich einem Festchoral zu Gottes Ehre.–
Es war am Sonntagabend, auf dem Meere.
Die in die Ferne zogen, jung und alt,
Der schönen Heimat dachten sie, wo heute
Zu gleicher Feier hell die Orgel schallt
Und in den Dörfern tönt ein lieb Geläute.
Es schweiften ihre Seelen weit hinaus
Zu stillen Tälern, wo ums Vaterhaus
Die Buchen rauschen und die Linden wehen,
Wo Sterne über blauen Strömen stehen.
Und jedes Herz schlug rascher an die Brust;
Was sie umgab mit tausend bunten Bildern:
Das Jugendland, der Heimat Pracht und Lust,
Hört, wie sie's selbst in kurzen Zügen schildern.
Ein deutsches Wort, ein Lied darauf und keck
Ein Jubeln jetzt, weit schallt es vom Verdeck.
Es knarrt der Mast, hoch schäumen auf die Wellen,
Und frisch beginnt der erste der Gesellen:
„Ich bin vom Rhein, vom schönen Rhein,
Wo frei das Volk und freudig im Gemüte,
Wo man zufrieden mit 'nem Becher Wein,
Mit einem Kuß und einer Rosenblüte.
Am Morgen in den Dom, ins Gotteshaus;
Am Abend steckt den jungen Maienstrauß
Ein kölnisch Kind wohl in die braunen Locken,
Wenn Geigen hell zum Kirchweihtanze locken.“
Der zweite drauf: „Vom Heidelberger Schloß
Zieh ich daher, wo einst in grauen Zeiten
Der Pfalzwein in dem Riesenfasse floß
Und jetzt die bärtigen Studenten schreiten.
Der Neckar blitzt durch dunkles Wiesengrün,
Die Schwalbe fliegt, die Bergstraßreben blühn;
Um morsche Bogen kreist der Falken Flügel,
Und paradiesisch dehnen sich die Hügel!“
Dem Schwaben ward die treue Brust so weit,
Das treue Herz so wacker und so bieder:
„Ein Märchen bist du heut wie alle Zeit,
Dich grüß ich, Schwaben, Vaterland der Lieder!
Ha, wie es tönt von Frauen hold und zart!
Wild schwang sein Schwert der alte Rauschebart;
Herr Uhland ist zwar nicht dabeigewesen,
Doch ist es schön, in seinem Buch zu lesen.“
„Auch meine Heimat ist mir lieb und wert.“
Ein andrer sprach's, vom Teutoburger Walde.
„Dort ruht im Sand manch rostig Römerschwert,
Und Edelhirsche wandeln an der Halde.
Im Norden braust die Weser, und im Süd
Der Weizen auf Westfalens Feldern blüht.
Dort spornte Herzog Wittekind den starken,
Den Sennerhengst einst durch des Landes Marken.“
„Doch Schönres nicht“, so stimmten alle an,
„Als wenn der Rhein an Wäldern und an Auen,
Hoch auf dem Dampfer wie auf ries'gem Schwan
Vorüberträgt die blonden deutschen Frauen!
Am Ufer rings die Berge wild und kühn.
Die Reben nicken, und die Rosen glühn!
Im Fluge hält der Sonnengott die Pferde,
Und neidisch blickt er auf die deutsche Erde!“
Da sprach der letzte noch: „Wohl rauscht daheim
Die alte Freude bei Gelag und Festen,
Wohl tönt der Becher zu des Liedes Reim,
Wohl ragt die Pracht von Kirchen und Palästen,
Wohl ist es schön, das große deutsche Land –
Nur jüngst, an schlesischer Gebirge Rand
Sah das Gefild ich blutig rot sich färben,
Sah ich den Armen weinen und verderben!“
Und stille ward es, dumpf nur klang die See,
Verdorben war die Lust den deutschen Seelen.
Und erst am Morgen schwand das tiefe Weh,
Und neuer Jubel brach aus allen Kehlen,
Denn auf den Wellen lag, smaragdengrün,
O'Connells Land, das prächtige Erin –
Erin, als ob der Hoffnung Bild es wäre!
Und lächelnd stieg das Frührot aus dem Meere.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Englische Reisen