Abschnitt 3
So beschaffen sitzt er am Sommerabende vor seiner Hausthür unter dem Kirschbaume und raucht Tabak aus einer dicken Pfeife; seine älteste Tochter sitzt neben ihm und näht, die jüngste springt singend ab und zu. »Man kann doch wirklich drüber nachdenken« sagt er zur neben ihm sitzenden Tochter Elisabeth, wie er das alle Jahr ein Paar Mal zu sagen pflegt, »ich sage, und wiederhole es, man kann darüber nachdenken, und zwar ernstlich und bedächtig, woher Hannchen das viele Temperament hat. Eure selige Mutter war eine stille Frau, und ich habe auch nie Veranlassung in mir wahrgenommen, so beweglich, zum Singen und Springen aufgelegt zu sein, wie unser fröhliches Mädchen da.« –
Damit wollte er keinen Tadel ausdrücken, er hatte gar nichts dawider, und Elisabeth liebte Hannchen auch sehr, der Herr Pastor gab nur eine seiner oft wiederkehrenden Notizen, welche diesmal durch das Hervorspringen und unausgesetzte Bellen des Hausspitzes unterbrochen wurde. Ein junger Wandersmann zog des Weges daher, und dadurch wurde Spitz beunruhigt, seine Unruhe zog auch Hannchen an die Thür, und so sah der Wanderer, ein junger Maler, eine Gruppe unter dem Kirschbaume, welche ihn festhielt. Er blieb stehn, Spitz vom Herrn Pastor gerufen, knurrte nur noch, und ging vielfach umblickend bei Seite. Die Gruppe interessirte den Maler: es war ein Kirschbaum, ein alter Herr mit schwarzem Rocke und weißen Haaren, die älteste Tochter mit blaßem Antlitze, schwarzen Locken und dunklem Kleide und das siebzehnjährige Hannchen, weiß gekleidet, mit fliegenden nußbraunen Haaren, frisch und fröhlich aus glänzend braunen Augen lachend. Diese letztere interessirte auch den jungen Mann, der nicht bloß ein Maler war.
Nach einigen Tagen ist er ganz heimisch, er malt ein Altarblatt für die Kirche, und er und Hannchen lieben sich, sie sitzen heut allein unter dem Kirschbaume, und sie erzählt ihrem Guido, was sie getrieben habe die siebzehn Jahre hindurch. Der Vater hat nichts gegen die Liebe einzuwenden, was sollt' er auch? Guido ist ein schmuckes junger Mann, bemittelten Standes, malt schon sehr schön, und wird nach zwei Jahren in Italien seine Kunst studiren, dann Hannchen heurathen und in der Residenz sich niederlassen. Schwester Elisabeth, ein wenig an der Brust leidend, ist ein sehr gutes Geschöpf, und freut sich über Hannchens Glück. Der junge Maler malt und liebt, der Winter vergeht, der Frühling kommt, das junge Liebespaar streicht durch Felder und Wälder, und freut sich der schönen Welt; als der Abschiedstag da ist, wird heftig geweint und tüchtig gehofft und versprochen.
Es kommt der Sommer, und Hannchen wird traurig, sie fühlt sich krank, und der Vater schickt seine beiden Kinder nach der Residenz, um einen alten Universitätsfreund, der ein berühmter Arzt geworden ist, zu fragen, was ihr fehle, denn sie wußte selbst nicht, was es sei. Auch Elisabeth hustet mehr, der Herr Doctor soll beiden helfen. Das ist ein liebenswürdiger, freundlicher Mann, welcher sich der Sache nach Kräften annimmt: Elisabeth schickt er gleich wieder zum Vater zurück, mit der Weisung, Molken zu trinken, Hannchen soll bei ihm bleiben, bis sie genesen sei, des Arztes Frau, eine sehr verständige Dame, welche aus Neigung mit keinerlei Gesellschaft verkehrt, nimmt sich mit mütterlicher Theilnahme des Mädchens an.
Im nächsten Frühjahr ist Hannchen wieder gesund und munter, ihr Aussehen ist wunderbar gereift, und der Vater ist sehr erfreut, sie wiederzusehn. Zum Winter aber will sie der alte ärztliche Freund so gern wieder bei sich haben, sie fehlt ihm, das heitre, gelehrige Mädchen, und besonders seiner Frau, von der sie so Vielerlei lernt.
So vergeht der nächste und noch ein Winter, Hannchen ist halb in der Stadt, halb auf dem Lande, sie ist eine reizende, von aller Welt gesuchte, sehr unterrichtete, liebenswürdige Dame geworden, der alte, einfache Papa weiß sich manchmal gar nicht in das kluge Kind zu finden, und sagt nur immer: Was wird sich der Guido freun! Und schreibt er auch fleißig? Das Altarblatt ist noch immer so schön wie damals –
Er schrieb nun eben nicht fleißig, und wenn er es that, so war immer viel von andern Frauen die Rede, bei welchen er Glück machte, die ihn auszeichneten. Anfangs schmerzte das Hannchen, später verdroß es sie, und es ereignete sich nun gar Folgendes: Ein junger Arzt, der bei ihrem Pflegevater aus und einging, bewies ihr jene innere Freundlichkeit, welche der Vorbote stärkster Gefühle ist, und selten verfehlt, auch das Herz zu bewegen, welches den Eindruck geschaffen hat – kurz, die beiden Leute waren bald ein Herz und eine Seele und liebten sich sehr. Der junge Arzt war reich, und hielt um Hannchen an; sie erschrack zum Tode; jetzt erst fiel ihr Guido ein – nicht daß sie Gedächtniß oder Gefühl für diesen gestört und gehindert hätte, nein; aber sie weinte bitterlich, und erklärte, Gustav, den jungen Arzt nicht heurathen zu können. Dabei fiel sie ihm um den Hals, und wiederholte unter Schluchzen die innigsten Liebesversicherungen.
Das ging so eine Zeitlang hin, bis Gustav es nicht mehr trug, und auf das Entschiedenste drängte. Hannchen fuhr hinaus zum Papa, und ließ ihrem Liebsten ein Billet zurück:
»Sprich mit dem Onkel und der Tante, und frag' sie über mich – wenn sie Dir Alles gesagt haben, und Du willst mich noch heurathen, dann hole mich nach der Stadt –«
Der alte Freund des Vaters und seine Frau hatten allmählig die Namen Onkel und Tante von ihr erhalten. Gustav eilte zu ihnen, Hannchen saß beim Papa im Zimmer, und weinte; ach, was hatte sie Alles zu weinen! Schwester Elisabeth, die gute, war gestorben, Guido hatte plötzlich seit langer Zeit wieder einmal geschrieben, und mit den Worten seine nahe Ankunft gemeldet, daß er sein Versprechen zu halten komme; es war der zweite Tag schon, den sie aus der Hauptstadt war; wenn Gustav sie holen wollte, so konnte er schon sechs Stunden lang da sein, sie sah unverwandt auf die Landstraße. –
So vergingen sechs Tage, da kam ein Reiter, der hieß aber Guido. Guido hatte gerade so viel Erziehung, daß er's für seine Schuldigkeit hielt, Hannchen zu heurathen, obwohl er diese Jugendliebe lang vergessen hatte – nach einiger Zeit geschah denn auch die Hochzeit, und Hannchen holte das kleine blonde Mädchen nun herbei, was sie damals im Winter bei der Tante geboren hatte, dessen Vater Guido war, und welches all das Unheil verschuldet hatte, was nun hereinbrach. Denn Guido und Hannchen liebten sich schon lange nicht mehr; die Dame unten in der Bude war Hannchen. –
Damit wollte er keinen Tadel ausdrücken, er hatte gar nichts dawider, und Elisabeth liebte Hannchen auch sehr, der Herr Pastor gab nur eine seiner oft wiederkehrenden Notizen, welche diesmal durch das Hervorspringen und unausgesetzte Bellen des Hausspitzes unterbrochen wurde. Ein junger Wandersmann zog des Weges daher, und dadurch wurde Spitz beunruhigt, seine Unruhe zog auch Hannchen an die Thür, und so sah der Wanderer, ein junger Maler, eine Gruppe unter dem Kirschbaume, welche ihn festhielt. Er blieb stehn, Spitz vom Herrn Pastor gerufen, knurrte nur noch, und ging vielfach umblickend bei Seite. Die Gruppe interessirte den Maler: es war ein Kirschbaum, ein alter Herr mit schwarzem Rocke und weißen Haaren, die älteste Tochter mit blaßem Antlitze, schwarzen Locken und dunklem Kleide und das siebzehnjährige Hannchen, weiß gekleidet, mit fliegenden nußbraunen Haaren, frisch und fröhlich aus glänzend braunen Augen lachend. Diese letztere interessirte auch den jungen Mann, der nicht bloß ein Maler war.
Nach einigen Tagen ist er ganz heimisch, er malt ein Altarblatt für die Kirche, und er und Hannchen lieben sich, sie sitzen heut allein unter dem Kirschbaume, und sie erzählt ihrem Guido, was sie getrieben habe die siebzehn Jahre hindurch. Der Vater hat nichts gegen die Liebe einzuwenden, was sollt' er auch? Guido ist ein schmuckes junger Mann, bemittelten Standes, malt schon sehr schön, und wird nach zwei Jahren in Italien seine Kunst studiren, dann Hannchen heurathen und in der Residenz sich niederlassen. Schwester Elisabeth, ein wenig an der Brust leidend, ist ein sehr gutes Geschöpf, und freut sich über Hannchens Glück. Der junge Maler malt und liebt, der Winter vergeht, der Frühling kommt, das junge Liebespaar streicht durch Felder und Wälder, und freut sich der schönen Welt; als der Abschiedstag da ist, wird heftig geweint und tüchtig gehofft und versprochen.
Es kommt der Sommer, und Hannchen wird traurig, sie fühlt sich krank, und der Vater schickt seine beiden Kinder nach der Residenz, um einen alten Universitätsfreund, der ein berühmter Arzt geworden ist, zu fragen, was ihr fehle, denn sie wußte selbst nicht, was es sei. Auch Elisabeth hustet mehr, der Herr Doctor soll beiden helfen. Das ist ein liebenswürdiger, freundlicher Mann, welcher sich der Sache nach Kräften annimmt: Elisabeth schickt er gleich wieder zum Vater zurück, mit der Weisung, Molken zu trinken, Hannchen soll bei ihm bleiben, bis sie genesen sei, des Arztes Frau, eine sehr verständige Dame, welche aus Neigung mit keinerlei Gesellschaft verkehrt, nimmt sich mit mütterlicher Theilnahme des Mädchens an.
Im nächsten Frühjahr ist Hannchen wieder gesund und munter, ihr Aussehen ist wunderbar gereift, und der Vater ist sehr erfreut, sie wiederzusehn. Zum Winter aber will sie der alte ärztliche Freund so gern wieder bei sich haben, sie fehlt ihm, das heitre, gelehrige Mädchen, und besonders seiner Frau, von der sie so Vielerlei lernt.
So vergeht der nächste und noch ein Winter, Hannchen ist halb in der Stadt, halb auf dem Lande, sie ist eine reizende, von aller Welt gesuchte, sehr unterrichtete, liebenswürdige Dame geworden, der alte, einfache Papa weiß sich manchmal gar nicht in das kluge Kind zu finden, und sagt nur immer: Was wird sich der Guido freun! Und schreibt er auch fleißig? Das Altarblatt ist noch immer so schön wie damals –
Er schrieb nun eben nicht fleißig, und wenn er es that, so war immer viel von andern Frauen die Rede, bei welchen er Glück machte, die ihn auszeichneten. Anfangs schmerzte das Hannchen, später verdroß es sie, und es ereignete sich nun gar Folgendes: Ein junger Arzt, der bei ihrem Pflegevater aus und einging, bewies ihr jene innere Freundlichkeit, welche der Vorbote stärkster Gefühle ist, und selten verfehlt, auch das Herz zu bewegen, welches den Eindruck geschaffen hat – kurz, die beiden Leute waren bald ein Herz und eine Seele und liebten sich sehr. Der junge Arzt war reich, und hielt um Hannchen an; sie erschrack zum Tode; jetzt erst fiel ihr Guido ein – nicht daß sie Gedächtniß oder Gefühl für diesen gestört und gehindert hätte, nein; aber sie weinte bitterlich, und erklärte, Gustav, den jungen Arzt nicht heurathen zu können. Dabei fiel sie ihm um den Hals, und wiederholte unter Schluchzen die innigsten Liebesversicherungen.
Das ging so eine Zeitlang hin, bis Gustav es nicht mehr trug, und auf das Entschiedenste drängte. Hannchen fuhr hinaus zum Papa, und ließ ihrem Liebsten ein Billet zurück:
»Sprich mit dem Onkel und der Tante, und frag' sie über mich – wenn sie Dir Alles gesagt haben, und Du willst mich noch heurathen, dann hole mich nach der Stadt –«
Der alte Freund des Vaters und seine Frau hatten allmählig die Namen Onkel und Tante von ihr erhalten. Gustav eilte zu ihnen, Hannchen saß beim Papa im Zimmer, und weinte; ach, was hatte sie Alles zu weinen! Schwester Elisabeth, die gute, war gestorben, Guido hatte plötzlich seit langer Zeit wieder einmal geschrieben, und mit den Worten seine nahe Ankunft gemeldet, daß er sein Versprechen zu halten komme; es war der zweite Tag schon, den sie aus der Hauptstadt war; wenn Gustav sie holen wollte, so konnte er schon sechs Stunden lang da sein, sie sah unverwandt auf die Landstraße. –
So vergingen sechs Tage, da kam ein Reiter, der hieß aber Guido. Guido hatte gerade so viel Erziehung, daß er's für seine Schuldigkeit hielt, Hannchen zu heurathen, obwohl er diese Jugendliebe lang vergessen hatte – nach einiger Zeit geschah denn auch die Hochzeit, und Hannchen holte das kleine blonde Mädchen nun herbei, was sie damals im Winter bei der Tante geboren hatte, dessen Vater Guido war, und welches all das Unheil verschuldet hatte, was nun hereinbrach. Denn Guido und Hannchen liebten sich schon lange nicht mehr; die Dame unten in der Bude war Hannchen. –
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen