Abschnitt 2

Nur ein bornirter Literarhistoriker wird es übersehen, wie reizend und trefflich die romantische Schule dieses schöne Stück Welt uns aufgeschlossen, den Wald mit seinen Stimmen und Geistern, seinem stillen rastlosen Leben und Weben; wenn ich ein Buch von Eichendorff in die Hand nehme, da dringt mir frisch dieser Waldgeruch entgegen, das Wild ruft, an seine fröhliche, gesunde Existenz mahnend, die Vögel singen, die Blätter flüstern alle die ahnungsschwangeren Lieder, welche die süße Sehnsucht unsers Herzens wecken. Mag gesagt werden, daß diese Poeten darin des Guten zu viel gethan, daß sie sich in der dämmernden Naturwelt verschlummert haben, geht's uns nicht mit allen Dingen so, haben sie nicht alle ihre Spitze in dieser Endlichkeit, kann die Liebe nicht Liebelei, der Reiz nicht Ueberreiztheit werden? Wenn wir in den Wald treten, in den ächten, tiefen, dunkelgrünen, geheimnißreichen, dann laßt sie unbefangen heraus aus Eurem Gedächtnisse, alle die Lieder die alten –




»Da rauschten Bäume, sprangen
Vom Fels die Bäche drein,
Und tausend Stimmen klangen
Verwirrend aus und ein.«

»Kennst du noch die irren Lieder,
Aus der alten schönen Zeit?
Sie erwachen alle wieder
Nachts in Waldeseinsamkeit,
Wenn die Bäume träumend lauschen,
Und der Flieder duftet schwül,
Und im Fluß die Nixen rauschen –
Komm herab, hier ist's so kühl.«




»Nächtlich macht der Herr die Rund',
Sucht die Seinen unverdrossen,
Aber überall verschlossen
Trifft er Thür und Herzensgrund,
Und er wendet sich voll Trauer:
Niemand ist, der mit mir wacht –
Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,
Rauschet fromm die ganze Nacht.« –

Hat doch die Nachtigall auch nur ein Lied, was sie immer wieder singt – Ihr sollt sie ja nicht Tag und Stunde hören, der Himmel, der das Alles wohl am Besten weiß, hat's auch nicht so eingerichtet, sie schweigt gar lange, aber wenn sie singt, ist's Euch auch ein Zeichen, daß linde Lüfte und grüner Drang gekommen sind. Singt mir im Walde die Dichter, und kritisirt sie nicht.

Seid Ihr nie mit Eurer Liebe durch den Wald gegangen? O, wie werdet Ihr Euch daheim fühlen, in der Welt ohne Arg und ohne Feinde, in dem Rauschen von tausend Freudesahnungen, für welche wir Armen noch keinen Ausdruck gefunden haben; und wenn Ihr küßt und Euch dann umschaut, so nicken alle Zweige, und der Liebe Odem und Gottes Odem sind Eins und spielen wie ein weicher Aethertraum um Eure Sinne, und wenn es regnet, wie wird Euch heimlich unter den Buchen! –

Der Buchhändler sagte: Aber warum schreiben Sie nicht über meine Verlagswerke so, wie Sie diesen Wald bei Swinemünde betrachten und durchspringen?

Ach, wirklich, wir sind in der Nähe von Swinemünde, das hatte ich ganz vergessen – wer vermuthet hier, weithin von Waldrändern umsäumt, eine verschwiegene Landschaft mit dunklen Seen! Schauen Sie, da hinten fliegt ein Reh durch die Buchen, und dort, wirklich, als hätten wir uns die Romantik bestellt, dort hinten im Einbug des See's geht ein Fischreiher seinem Fange nach, der Gänsehirt am Waldeshange schläft mitten unter seinen Pflegbefohlnen.

Da uns der Weg nach Corsoand so gut gerathen schien, machten wir uns anderen Tages zu einer neuen Partie auf, nach dem Golm. Das ist ein Berg, von welchem die Aussicht rings auf die Gewässer zu finden sein sollte. Der Weg führt durch einen sandigen Kieferforst, und läßt wenig erwarten – da zeigt sich rechts, hinter einer Moorwiese, ein grün bebuschter Hügel. Dorthin fochten wir uns durch sumpfige, extemporirte Pfade, und eine Laubholzung bergauf passirend, die frisch und kräftig war, erreichten wir halb die mäßige Höhe. Ein feiner Staubregen perlte auf die Blätter, ein Wagen, für den die Straße bis hierauf gangbar ist, stand unter den Bäumen, eine Dame saß unter einer großen Bude, welche für die Besucher errichtet sein mochte, die aus einer nahe liegenden kleineren mit Kaffee und Imbiß versorgt werden konnte. Auf dem Gipfel des Berges, denn das eben Beschriebene fand sich auf der letzten Lehne desselben – steht eine kleine gemauerte Warte, oder ein Tempelchen, wie man es nennen will, eine Mauer nach der Rückseite des Berges, ein Paar schmale Seitenwändchen, ein Paar Säulen, wenn ich mich recht erinnere. Dort war die Aussicht und ein interessant aussehender Herr zu finden, wahrscheinlich die Ergänzung der unten sitzenden Dame; denn unsre Damen haben sich so sehr alle Selbstständigkeit entwinden lassen, daß man sie immer nur halb zu sehen glaubt, wenn sie uns in freier Natur allein begegnen. Die Aussicht ist ganz besonders: rechts hinter Bäumen, welche diesen Augenblick verregnet waren, das Haff mit breitem, nebelbedeckten Wasserspiegel, links wiederum Wald, und dahinter der Swinespiegel und die gelben und weißen Häuser Swinemündes, dann ein neuer Waldstreifen, und über diesen hinaus als Horizont das Meer, rückwärts nach allen Seiten Bergwald.

Vom Lande zu fegten Regenwolken, nach Swinemünde und dem Meere zu war es licht, als ob da Hoffnung und Rettung von den Kümmernissen und Beschwernissen des Landes zu finden sei, bei Madame Hannemann in der Lootsenstraße, welche der Herr Major als eine sehr preiswürdige Conditorin zu empfehlen pflegte. –

Die können auch wirklich Rettung und Hoffnung brauchen, flüsterte mein Begleiter, und wies auf den Herrn und rückwärts auf die einsame Dame. Der Herr sah wirklich auch besonders aus: groß, blaß, phantastisch bärtig, fliegendes Halstuch, schmerzhaft gekniffene Lippen; sah starr über das Haff hinein, und mochte vielleicht mit mir den Gedanken haben, wie viel Weh dort hinter dem weiten Wasserspiegel wohnen und sprützende Regenwolken senden möge. Rasch ging er an uns vorüber und rückwärts in den Wald, die Dame blieb einsam unter der Bude, hatte sich tief in ihr Umschlagtuch gehüllt, und den Kopf auf die Brust gedrückt.

Dies war die Situation, als ich folgende Geschichte erfuhr – damit der Leser nicht für unsre Gesundheit fürchte, sei noch bemerkt, daß ich und mein Begleiter in dem halbwüchsigen Tempelchen saßen und nur von vorne naß wurden.

Drinnen im Lande, in einer fruchtbaren Marschgegend liegt ein wohlhäbig Dörfchen mit weißer Kirche und sicher und reichlich gebautem Pfarrhause. Die Pfarre ist gut und bringt mehr als das Nöthige, der Pfarrer ist von jener gutmüthigen patriarchalischen Beschränkheit, welche alles Genüge in einer dreißig Jahre unveränderten Thätigkeit findet. Er predigt, wie es ihn auf der Universität gelehrt ist, er hat für jeden vorkommenden Fall seinen guten Spruch, er hält die Menschen bis auf ein Bischen Erbsünde alle für sehr gut und brav; was die Weltleute die Welt nennen, daß kennt er nicht, und er sagt von ihnen: sie werden wohl auch mit einander und mit dem lieben Herrgott fertig werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen