Ein merkwürdiges Bild in der St. Nikolai-Kirche zu Rostock.

Aus: Meine Wallfahrt nach Mekka. Band 1
Autor: Von H. Pintz, Kämmerarius zu Röbel, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Rostock, St. Nikolai, Kirche, Bild, Gemälde, Verkündigung der Maria, Seestadt, Ostsee
Vor etwa 50 Jahren fand ich in Rostock, in dem Hause meines damaligen Prinzipals, zufällig ein Lesebuch, die Reisebeschreibung eines gewissen Jemands aus älterer Zeit — wahrscheinlich aus der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts.— So viel ich mich noch erinnere, hatte dieser Jemand die Seestädte der Ostsee, von Kiel bis zur russischen Grenze, bereist und beschrieb er nun die Merkwürdigkeiten der besuchten Städte. Ich wurde sogleich auf Rostock aufmerksam und fand unter Anderem, dass dieser N. N. auch in der St. Nikolaikirche gewesen war und eines dort befindlichen Bildes erwähnte, welches durch seine zwei verschiedenen Unterschriften berühmt geworden ist.

Nach der Beschreibung des N. N. stellte das Bild die Verkündigung Maria dar, und zwar den Augenblick, als der Engel Gabriel der Gebenedeiten die göttliche Botschaft brachte. Das Bild soll, wie das Buch weiter berichtete und wie ich es nachher auch mündlich hörte, durch folgende Veranlassung entstanden und in die Kirche gekommen sein:

Ein reicher Geizhals, der sein großes Vermögen wohl nicht auf ganz redliche Art zusammengebracht und wahrscheinlich die Armut viel gedrückt hatte, glaubte durch ein Geschenk an die St. Nikolaikirche seine Sünden abbüßen zu können. Er ging deshalb zu einem Maler, mit dem er viel in Geldsachen zu tun hatte, und ließ von diesem das beregte Bild anfertigen, doch ohne vorherigen Akkord.

Als das Bild fertig war, ging der Geizhals wieder zum Maler, um es zu besehen und zu bezahlen, fand aber die geforderte Summe viel zu hoch. Da der Künstler den reichen Mann nicht erzürnen wollte und konnte, so musste er es für die Hälfte des geforderten Preises weggeben und auch noch obendrein als Zugabe eine Unterschrift hinzufügen.

Der Maler, welchem die Unterschrift zu wählen überlassen worden war, schrieb darunter: „Recht tun währt lange!" wonach denn das Bild in der Kirche aufgehängt wurde.

Das Bild wurde alsbald als ein vorzügliches Kunstwerk anerkannt, jedoch die Unterschrift nicht für passend gehalten, indem sie sich zu sehr auf die Persönlichkeit des reichen Geizhalses beziehe. Dieser hatte das Urteil kaum gehört, als er auch schon zum Maler eilte, ihm heftige Vorwürfe machte und von ihm verlangte, statt dieser Inschrift die Worte der Maria zu setzen: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich!"

Der Maler sagte: „Das kann ich machen, aber es ist zu mühsam; ich muss fast das ganze Bild neu malen und deshalb müssen Sie mir jetzt noch einmal so viel Geld geben, als ich schon bekommen habe."

Der Geizhals musste notgedrungen einwilligen. Der Maler aber überarbeitete die ersten Worte so meisterhaft, dass sie scheinbar nicht zu sehen waren, und setzte dafür die zweite Unterschrift; worauf denn auch das zweite Honorar gezahlt wurde.

Unser gute Künstler hatte aber so geschickt gearbeitet, dass in der Kirche allenthalben die letzte Unterschrift zu lesen war, während man auf einer Stelle, von nur wenigen Quadratfuß, ganz deutlich die erste und nicht die zweite Inschrift sah.

Allgemein fand man, dass dies nun ein noch größeres Kunstwerk sei, und so wurde denn beschlossen, — da auch der Geizhals inzwischen plötzlich verstorben war — dass es mit den beiden Inschriften so bleiben solle.

Am nächsten Sonntage ging ich sofort in die St. Nikolaikirche, um mich selbst von Allem zu überzeugen. Leicht fand ich auch das Bild, die Figuren in Lebensgröße abgebildet und mit der letzten Unterschrift: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich!" versehen. Nach beendetem Gottesdienst suchte ich auch die Stelle zu finden, von wo aus man auch die zweite Unterschrift sehen konnte, was mir ebenfalls gelang, indem ich von hier aus, statt der ersteren, die Worte las: „Recht tun währt lange!"

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Ob dies merkwürdige, wahrscheinlich schon einige hundert Jahre alte Bild, nach der kürzlich stattgefundenen inneren Restauration der St. Nikolaikirche, dort noch jetzt vorhanden sein mag, steht dahin; vor 50 Jahren hatte es daselbst seinen Platz zur rechten Seite der Orgel, an einem Pfeiler der großen Wand.

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

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Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

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Hansestadt Rostock - Stadtansicht

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