Ein grausames Verlangen (Kunstblatt vor Seite 9).

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: H. Rd., Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen, Goten, Byzanz, Lombardei, Mord, Rache, Verrat
Als im letzten Drittel des vierten Jahrhunderts vom Norden und Osten Europas her germanische Völkerschaften mit elementarer, unaufhaltsamer Gewalt nach Westen und Süden vordrangen, ging die innerlich längst erschütterte, altersschwache römische Weltherrschaft in der über sie herbrandenden Sturmflut junger, unverbrauchter Volkskraft zugrunde. Die Goten wurden als Eroberer die Herren von Rom, Vandalen und Sueven nahmen von Gallien und Spanien Besitz und plünderten schonungslos auch die Ewige Stadt am Tiber. Um ihre Siege beneideten sie andere germanische Stämme und zogen auch über die Alpen nach dem schönen Italien, das ihnen allen als Kampfpreis schwersten Ringens wert erschien. Als letzte Welle der großen Völkerwanderung kamen die Langobarden aus ihren Wohnsitzen an der Theiß und in den Karpaten nach dem Süden. Ihre östlichen Nachbarn in Siebenbürgen und der Wallachei, die Gepiden, die auch einer Gruppe gotisch-vandalischer Stämme angehörten, folgten ihnen, und zwischen den beiden entbrannten beständig harte Kämpfe.

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Im Jahr 566 gelang es dem Langobardenkönig Alboin, unterstützt von den tatarischen Awaren, in großer Feldschlacht die von ihrem König Kunimund geführten Gepiden so vernichtend zu schlagen, dass nur noch versprengte, zu Knechten gemachte Häuflein übrigblieben. Kunimund wurde erschlagen, und Alboin ließ sich nach der Sitte der Szythen aus dem Schädel des Feindes eine Trinkschale anfertigen. Er glaubte nämlich nach der damals allgemein gültigen heidnischen Anschauung, dass die Körperkräfte seines getöteten Gegners durch einen Trank aus dem Schädel auf ihn selber übergehen würden. Der ehrgeizige Langobardenfürst vermählte sich Rosamunde, der Tochter des im Kampf gefallenen Kunimund, und zog, von Byzanz gegen Feinde des römischen Reiches zu Hilfe gerufen, mit seinen Heerscharen über die schneebedeckten Alpen in die fruchtbare Po-Ebene. Fast ohne Schwertstreich fiel ihm Oberitalien in die Hände und trägt seitdem den Namen Lombardei. Das von der Gotenzeit her stark befestigte Pavia wurde belagert und eingenommen, Mailand, Verona und Mantua im Sturm überwältigt. Seine Herrschaft, viel härter und unerträglicher als früher die der Goten, war nicht von langer Dauer. Räuberische Kriegszüge und Frevel aller Art erfüllten sie, bis der Gewalttätige selbst ein Opfer heimtückischer Vergewaltigung wurde. Bei einem Siegesmahl in Verona stellte in Übermut und Trunkenheit Alboin an seine Gattin Rosamunde das frevelhafte Verlangen, aus dem Schädel ihres Vaters zu trinken. Die Verhöhnte richtete sich, im Innersten erschauernd und bebend vor Entrüstung, auf, aber dann gehorchte sie dem Befehl, im geheimen Rache schwörend für die angetane Schmach. Mit Helmigis, dem Schildträger des Königs, und einem seiner Krieger verabredete sie, ihren Gatten eines Tages nach genossenem Mahl in trunkenem Schlaf zu ermorden. Sein Schwert band sie in der Scheide fest, so dass der Überfallene keine Waffe zur Wehr hatte als einen Fußschemel, den er gegen die Eindringlinge schleuderte. Von ihren Speeren durchbohrt, endete Alboin. Doch der Fluch der unseligen Tat fiel auf Rosamunde zurück. Mit ihren Helfershelfern floh sie nach Ravenna; aber als sie sich durch Gift des ihr widerlich gewordenen Buhlen und Mittäters Helmigis entledigen wollte, zog er, am Geschmack des Trankes die Absicht erratend, das Schwert und zwang das verbrecherische Weib, den Rest des Bechers zu leeren. Beide starben am gleichen Tage. H. Rd.

Der Langobardenkönig Alboin zwingt seine Gemahlin Rosamunde aus dem Schädel ihres Vaters zu trinken

Der Langobardenkönig Alboin zwingt seine Gemahlin Rosamunde aus dem Schädel ihres Vaters zu trinken