Fortsetzung - Madrid.

Am Prado liegt ein Palast, den Carl III. erbaute, den die Franzosen in Trümmern zurückließen und der von König Ferdinand VII. mit einem Kostenaufwand von sieben Millionen Realen wiederhergestellt und damit das neue Madrider Museum gegründet wurde, wo die Meisterwerke der Malerei, welche sich zerstreut in vielen königlichen Schlössern, namentlich aber im Escurial befanden, zusammengebracht wurden und nun die jetzige große Gallerie bilden. Der Palast, anfangs zu einem naturhistorischen Museum bestimmt und demgemäß eingerichtet, ist ein langes, zweistöckiges Gebäude, so an den Bergabhang angelehnt, daß man durch den Portikus der schmalen Seite von der großen Rampe aus in das obere und eigentliche Hauptstockwerk gelangen kann.

Eine weite Rotunde mit Oberlicht, deren Kuppel auf acht Granitsäulen ruht, liegt hinter diesem Portikus und dann folgt eine lange Gallerie mit Deckenbeleuchtung, um die her nach Außen vier große Säle mit Seitenlicht liegen.


Im Erdgeschoß wiederholen sich diese vier von der Seite beleuchteten Säle. Den übrigen Raum nimmt die Treppe und die Antikensammlung ein, und wenn auch in Folge der früheren Bestimmung dieses Gebäude für seinen heutigen Zweck einige Wünsche übrig läßt, so ist es in seiner ganzen Anlage und Ausstattung doch großartig und würdig, die reichen Schätze aufzubewahren, die man in dem Madrider Museum beisammen findet. Die hiesige Gallerie ist allerdings nicht die zahlreichste der ganzen Welt, doch obgleich manche große Namen ganz fehlen, so ist sie jedenfalls die vorzüglichste. Fast jede Nummer ist ein Meisterwerk und da man wenig Mittelmäßiges und Schlechtes findet, so bleibt man bewundernd bei jedem Schritte stehen. Welcher Reichthum ist hier in diesem Gebäude vereinigt! Die ersten Namen der Italiener, Spanier und Niederländer in ihren besten Werken. Leider aber ist die Madrider Gallerie, wie so vieles in diesem schönen Lande, nur für die genießbar, welche es möglich machen können, all das Schöne an Ort und Stelle aufzusuchen; denn von den wenigsten dieser wunderherrlichen Bilder sind, mit Ausnahme der Publikation des verdienten Directors Madrazo, gute Abbildungen, sei es in Kupferstichen oder gemalten Copien im In- und Auslande vorhanden.

Es ist durchaus nicht meine Absicht, mich hier in eine Beschreibung dieser Gallerie einzulassen; ich bin dafür nicht Kenner genug und es bedürfte eines eigenen Buches, um den Leser nur einen Theil dieser Schätze kennen zu lehren. Im Ganzen hat die Sammlung jetzt über zweitausend Nummern, unter denen, was die spanische Schule anbelangt, von Murillo fünfzig, von Ribera dreiundfünfzig, von Zurbaran vierzehn, von Juanes achtzehn, von Velasquez zweiundsechzig. Ebenfalls reich vertreten ist Morales, Rizzi, Ribalda. Die großen Italiener repräsentirt Raphael mit zehn, Giordano mit fünfundfünfzig, Tizian mit dreiundfünfzig, und Tintoretto mit siebenundzwanzig Nummern. Obgleich viele Bilder des Museums, die man zur Franzosenzeit nach Paris geschleppt, wieder zurückgegeben werden mußten, so scheint man doch von den Landsleuten noch einige zurückbehalten zu haben, denn die französische Malerei ist am schwächsten in der Zahl. Freilich sind immer noch einundzwanzig Poussin's da, sowie fünf Bilder von J. Vernet und herrliche Claude Lorrains. Von Deutschen begrüßen wir Albrecht Dürer mit zehn und Lucas Kranach mit zwei Bildern, auch an einigen vortrefflichen Holbeins erfreut sich das Auge; am zahlreichsten sind die Gemälde der flämischen und holländischen Schule. Im Erdgeschosse sind lange Säle damit angefüllt. Dort hängen allein zweiundsechzig Bilder von Rubens und zweiundfünfzig von Teniers.

In dem länglichrunden Mittelsaal des oberen Stockwerks, der rückwärts an die lange Gallerie angefügt und dessen Fußboden in der Mitte ausgeschnitten ist, um den im Erdgeschoße befindlichen Sculpturwerken Helle zuzuführen, befinden sich, wie in der Tribuna der Florentiner Gemäldesammlung im Palazzo Degli Uffici, die Meisterwerke der berühmtesten Maler; namentlich ist hier Murillo, Tizian, Raphael, Giorgione und Velasquez reich vertreten. Gerade dem Eingang gegenüber hängt der Spasimo von Raphael, leider nicht mehr in dem anfänglichen Colorit, sondern durch häufige Retouchen aller Abstufung der Farbe vom Vorder- nach dem Hintergrund beraubt. Links davon ist von Murillo ein wunderbares Bild, vor dem ich stundenlang gesessen, una concepcion, die Jungfrau Maria auf dem Halbmond stehend, der von den Engeln emporgetragen wird. Murillo hat mehrere dieser ganz ähnlichen Madonnen gemalt; von einer, die sich in der Sammlung des Louvre befindet, existirt ein guter Kupferstich; doch hat der Kopf des Pariser Bildes nicht den wunderbaren Ausdruck dieser Jungfrau Maria. Es ist das ganz unbeschreiblich, und auf mich hat dieses Bild einen solch mächtigen Eindruck gemacht daß, wenn ich die Augen schließe, ich sie heute noch deutlich vor mir sehe, diese wunderbare Gestalt, die dem Beschauer so körperlich aus den Wolken entgegentrat, daß es ihn süß durchschauert. Das edle, blasse Gesicht zeigt eine unaussprechliche Verklärung und das aufwärts blickende Auge der Jungfrau ist halb gebrochen von himmlischer Lust. Dabei ist das Bild so einfach in der Farbe, Maria im hellen Gewande mit einem blauen Mantel, der um den rechten Arm und die Füße wallt, und aus welchem der silberne Halbmond blinkt, den so reizende kleine Engel tragen, wie sie eben nur Murillo malen kann.

Für mich ist dieser Künstler, nachdem ich seine Bilder in Spanien gesehen, überhaupt der größte Maler aller Zeitalter, seine Figuren sind menschliche Wesen, aber Geschöpfe, wie sie der Schöpfer nur in guter Laune hervorbringt, kräftig und wahr, schön und edel. Murillo mit einer Welt von Gedanken kannte die Leidenschaften und alle edeln Gefühle, die eine menschliche Seele erfüllen; und damit hat er seine Schöpfungen, unterstützt von einem ungeheuren Talente, ausgestattet.

Von Tizian befindet sich in dem Mittelsaale u. A. ein sehr großes und schönes Bild, das, obgleich nur ein Portrait, mich viele Zeit gekostet. Es ist Carl der Fünfte, in voller, schwarzer Rüstung zu Pferde, Reiter und Roß in Lebensgröße. Einen eigenthümlichen Eindruck macht es, daß der Maler zum Hintergrund eine weite, flache Gegend gewählt, über welche schon die Abenddämmerung hereinbricht. Fern am Horizonte ziehen schwere Streifen dunkler Wolkenmassen dahin und zwischen ihnen durch sieht man den gelben, leuchtenden Reiter der schon untergegangenen Sonne. Der Kaiser hält etwas nachlässig die Zügel des galoppirenden Pferdes und scheint die lange Lanze, die er in der Rechten trägt, eben gegen etwas Feindseliges einlegen zu wollen. So erscheinen auch die angespannten Gesichtszüge seines emporgehobenen Kopfes, von dem der röthliche Kinnbart drohend absteht; die Augen blicken scharf in die Ferne und der Oberkörper ist wie erwartend vorgestreckt.

Ob von diesem Bild ein Kupferstich existirt, weiß ich nicht, glaube es aber kaum, doch wäre dieß ein schöner Vorwurf für einen Kupferstecher. Die Rotunde enthält vielleicht über sechzig Bilder, alles große unschätzbare Meisterwerke, die nur leider viel zu dicht eines neben das andere gedrängt hängen. Ich will hier nur neben seiner herrlichen Übergabe von Breda noch eines Gemäldes von Velasquez erwähnen, das Interieur seines eigenen Hauses, wenn ich nicht sehr irre, mit spielenden Kindern und dem Künstler selbst vor seiner Staffelei stehend. Im Hintergrunde erblickt man in einem Spiegel reflectirend die Gestalt König Philipps des Vierten, der den Maler in seinem Atelier überrascht. Hieran knüpft sich noch eine ganz hübsche und wohl verbürgte Anecdote. König Philipp der Vierte soll nämlich dieses Bild, als es fertig war, aufmerksam betrachtet und belobt, endlich aber zu Velasquez gesagt haben: »In deinem Bilde fehlt noch eine Kleinigkeit, die ich hinzufügen will.« Und darauf habe er Palette und Pinsel genommen und auf dem Portrait des Künstlers im Bilde den Calatrava-Orden ziemlich roh hingemalt, wie er heute noch zu sehen ist.

Von unserem Landsmann Dürer ist eine Jungfrau mit dem Kinde in der Rotunde, ein schönes und liebes Bild, würdig des Besten, was sich hier befindet; ein anderes allegorisches Gemälde desselben: Jugend, Alter und Tod darstellend, thut Einem weh zwischen den lebensfrischen Bildern von Murillo und Velasquez; ein großer Künstler, der, wenn er auch in ganz anderem Genre malte, Murillo sehr nahe kommt.

In einem der untern Säle hängen von Velasquez vielleicht zwanzig Gemälde nebeneinander, alles lebensgroße Portraits von spanischen Königen und Infanten, Hofzwergen, ehrenhaften Bürgern und prachtvolle Bettlergestalten. Das ist aber Alles mit einer fast erschreckenden Wahrheit gemalt, und wo man eins dieser Bilder lange und fest ansieht, da glaubt man, jetzt hebe sich die Hand des Königs mit dem langen Feuerrohr zum Schuß, der verwachsene Hofzwerg grinse uns an und der Bettler mit vorgehaltenem Hut spräche: »Per l'amor de Dios . . . «

Im großen Mittelsaal ist Raphael außer dem Spasimo nicht besonders vertreten; seine bedeutendsten Bilder befinden sich in der langen Mittelgallerie; so die berühmte »Perle«, die Jungfrau Maria, auf ihrem Schooße das Jesuskind, zur Mutter schelmisch lächelnd hinaufblickend, wie fragend, ob es die Früchte nehmen dürfe, die ihm der kleine Johannes darreicht; im Hintergrund sitzt die heilige Anna, das Ganze von wunderbarem Farbenschmelz.

Als König Philipp der Vierte dieses Bild erhielt und zum erstenmal betrachtete, rief er aus: »Es la perla de mis cuadros!« woher es seinen Beinamen »die Perle« hat. Ob es diesen Namen mit Recht verdient, wage ich nicht zu entscheiden; wenn es aber auf mich ankäme, so würde ich mir doch eine andere Perle in der Madrider Sammlung heraussuchen.

Während unseres Aufenthalts hier fanden wir einen geschickten Photographen, einen Engländer Namens Clifford, der nicht nur höchst gelungene Ansichten von spanischen Gegenden geschmackvoll aufgenommen hatte, sondern auch gerade beschäftigt war, einige der berühmtesten Bilder der Gallerie zu photographiren. Ich erlaube mir, denselben allen Lesern, die Gelegenheit haben, von seinen wohlfeilen und schönen Blättern zu erwerben, bestens zu empfehlen.

In der Nähe der Gemäldegallerie steigt man vom Prado zum oftgenannten Parke von Buen Retiro hinauf. Derselbe hat vielleicht einen Durchmesser von einer halben Stunde und erstreckt sich innerhalb der Stadtmauern vom Thore von Alcalà bis zum Thore von Atocha. Angelegt wurde er unter der Regierung Philipps des Vierten und damals war er mit vielen Schlössern, Kirchen, Kasernen und einem schönen Theater eine Art selbstständige Stadt, worin der König seinen prachtvollen Hof hielt. Seine Nachfolger indessen ließen den Buen Retiro verfallen, wenigstens geschah für seine Unterhaltung so gut wie gar nichts, oder was, wie unter Ferdinand dem Sechsten, dafür geschah, der ihn nach dem steifen Geschmack von Versailles umänderte, zerstörte nur die ehemalige Schönheit des Parkes vollkommen. Die Franzosen endlich machten eine Citadelle aus dem Buen Retiro, von der aus sie Madrid vollkommen beherrschten, zerstörten aber dafür auch gründlichst die Gärten und Schlösser. Obgleich nun auch nach dem Befreiungskriege sehr viel geschah, um Buen Retiro wieder einigermaßen herzustellen, so hat man ihm doch seine ehemalige Herrlichkeit nicht wiedergeben können; er ist eine Gartenruine geblieben, die aber immer noch sehr viel Schönes enthält; namentlich im südlichen Ende, der Blick auf den Manzanares hinab, sowie gegen Nordwesten eine wirklich schöne Aussicht auf die Stadt Madrid. Im Sommer freilich, wo die breiten Alleen dicht belaubt sind und eine behagliche Kühlung gewähren, muß dieser Park in seiner angenehmen Einsamkeit ungleich reizender sein in der Nähe des überfüllten Prado. In der Mitte des Parks befindet sich ein kleiner See in ausgemauertem Becken; wir erlebten bei unserem Aufenthalt, für Madrid gewiß höchst merkwürdig, daß dieser See fest zugefroren war und sich namentlich deutsche Landsleute hier mit Schlittschuhlaufen vergnügten. Dieß war eine so seltsame und interessante Erscheinung für die guten Spanier, daß nicht nur eine große Volksmenge hinauslief, um dem zuzuschauen, sondern sich auch der königliche Hof bewogen fand, dorthin zu fahren.

Da aber bei Schnee und Eis weder Laub noch Blumen gedeihen und zu gewöhnlicher Zeit keine Spaziergänger anlocken, so fanden wir den Park leer, kahl, und sogar etwas melancholisch. Ein kleiner, abgeschlossener Garten im Buen Retiro, dem Hofe vorbehalten, ist mit Tempelchen, kleinen Obelisken und mehr dergleichen Spielereien verziert, hat aber etwas Heimliches, wie eine Kinderstube, oder wie ein Garten für liebe Kinder. Leider sind dieselben alle verschwunden, die Räume liegen öde und leer und das Schnörkelwerk und Spielzeug ist einsam zurückgeblieben.

Der Theaterbesuch in Spanien scheint nicht so zur Volksleidenschaft geworden zu sein, wie zum Beispiel bei den Franzosen, denn der Spanier spart lieber seine Realen bis zum Sommer, wo er bei wöchentlich abgehaltenen Stiergefechten mehr Genuß und Befriedigung findet; doch sind die kleineren Theater Madrids, namentlich wenn Ballete gegeben werden, stark besucht. In den meisten herrscht der italienische Gebrauch, daß eine Oper oder eine Komödie, wenn sie gefällt, so lange gegeben wird, als der Zudrang des Publikums dauert. Madrid hat neun Theater, welche übrigens nicht immer geöffnet sind: Teatro del Oriente, del Circo, Lope de Vega, dela Cruz, del Principe, del Museo, del Instituto, de Variedades, de Buenavista. Im Theater del Oriente, auch das königliche Theater genannt, werden nur große Opern und Ballete gegeben. Es liegt in der Nähe des königlichen Palastes, und wenn das gewaltige Äußere desselben auch an einigen Geschmacklosigkeiten leidet und keine Ansprüche auf vollendete Schönheit machen kann, so gehört dagegen das Innere zu den elegantesten Häusern, die ich je gesehen. Nicht übermäßig groß, hat es vier Logenreihen und ist in allen Theilen einfach, aber geschmackvoll dekorirt; die Logen sind wie die italienischen abgetheilt, die des ersten Ranges haben kleine Vorzimmer, wo man Mantel und Hut ablegt und im angebrachten Spiegel seine Toilette corrigiren kann. Diese kleinen Cabinete werden erleuchtet durch Gasflammen unter matt geschliffenen Glaskugeln, die so in der durchbrochenen Mauer befestigt sind, daß ihre andere Hälfte zum Erleuchten des Corridors dient. Dieser Corridor ist hier zu gleicher Zeit Foyer, breit, lang, ziemlich hoch, elegant tapezirt, der Boden mit Strohmatten belegt und hat überall Sophas und Fauteuils. An weichen Teppichen und allen möglichen Sitzbequemlichkeiten fehlt es nicht in den Logen. Das Parterre ist durchweg mit numerirten Sitzen versehen; jeder derselben bildet einen förmlichen Fauteuil, der mit rothem Sammet überzogen ist; auch hier bedecken den Fußboden dicke Teppiche und vor jedem Sitz ist obendrein noch eine kleine gepolsterte Fußbank angebracht, was äußerst angenehm ist. Dabei ist die Beleuchtung brillant; man kommt auch ins Parterre in sehr gewählter Kleidung; in den Logen aber sind die Damen in großer Toilette, und wenn man sich so den schönen strahlenden Kreis betrachtet, die blitzenden Brillanten und die glänzenden Augen, die von Gold glitzernden Fächer in ewiger Bewegung, so überkommt einen unwillkürlich eine angenehme, festtägliche Stimmung.

Leider ist aber auch hier, wie in allen spanischen Theatern, das leidige und doch so süße Cigarrenrauchen an der Tages- oder vielmehr an der Nachtordnung. Während der Vorstellung selbst wird freilich nicht geraucht, aber kaum ist der Vorhang gefallen, so zieht sich Alles in die Corridors zurück; die Thüren dort hinaus bleiben offen stehen, und der Fremde, der zum erstenmal hier ist, merkt mit Erstaunen, daß zu allen diesen Öffnungen der Duft des Tabaks in den Zuschauerraum dringt. Wenn er sich erstaunt umwendet, sieht er auch wohl ein paar Elegants, die an der Eingangsthür zum Parterre lehnen und ins Haus hinein dampfen; auch schlendert wohl hie und da einer sorglos zwischen den Sperrsitzen umher und betrachtet sich die oberen Gallerien, wobei er gemüthlich fortraucht. Dieß ist allerdings verboten, aber wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter und Jeder hütet sich, den andern zu behelligen, denn er kann ja morgen selbst in den gleichen Fehler verfallen. Während der Zwischenakte ist es aber draußen in den Corridors selbst für einen Raucher erschrecklich; dicht gedrängt stehen die Männer in diesen Gängen, fast jeder hat die Papier-Cigarre im Munde, und die Damen, welche zu ihren Logen kommen, winden sich hustend und fächerwedelnd durch den Qualm. Aber die Spanierinnen aller Stände können in diesem Punkte schon etwas ertragen, und wenn auch auf der ersten Gallerie nicht so stark geraucht wird, wie unten, so sind doch auch dort die Gänge mit einem leichten Duft angefüllt, durch welchen man die umherwandelnden eleganten Damen nur wie im Nebel sieht. Übrigens schreckt auch selbst das schöne Geschlecht hier nicht vor einer niedlichen Papiercigarre zurück und ich bemerkte im Teatro del Oriente häufig eine freilich schon ältliche Dame behaglich rauchend in der Ecke eines Sophas lehnen.

Wir sahen hier den unvermeidlichen Rigoletto, der mit seinen wirklich schönen Melodien in diesem Winter ganz Spanien erobert hatte; auch wurde er nicht schlecht gegeben, namentlich war die Oper sehr schön ausgestattet mit Decorationen und Kostümen. Auch Meyerbeers Robert war aufs Neue einstudirt und vorbereitet, und sollte mit unerhörtem Glanz in Scene gehen. Schon früher hatte das prächtige Werk hier sehr angesprochen, und Jetzt war auch schon zehn Tage im Voraus auf dem Büreau des Theaters kein Platz mehr in dem ganzen großen Hause zu haben; doch gelang es uns durch eine gute Protection für die vierte Vorstellung zwei Fauteuils zu erobern. Ich habe das Haus nie so voll und nie so glänzend besetzt gesehen, und das Publikum folgte lebhaft den Schönheiten des Werkes. Daß es aber hier möglich war, diese zu empfinden und zu würdigen, war mir wieder ein neuer Beweis von der Vortrefflichkeit dieser frischen, glänzenden Musik, denn obgleich das Orchester unter der Leitung eines Böhmen sein Möglichstes that, so waren die Chöre doch äußerst mangelhaft und sangen z. B. die herrlichen Kompositionen unisono. Ebenso waren die Solosänger, leider auch Robert, mittelmäßig; aber die Musik Meyerbeers ist nun einmal nicht zu ruiniren und das Publikum blieb animirt unter rauschenden Beifallspenden bis zum Schluß. Die Costüme waren prachtvoll und die Decorationen hätte man vollendet nennen können, wenn sich nicht am Schluß des vierten Acts der Teufel in's Spiel gemischt hätte und mit seiner ganzen Hölle erschienen wäre, um die gottlose Nonnenschaar zu verschlingen. Überall klafften Abgründe, aus denen blutrothe Flammen hervorzüngelten und – horribile dictu! – der Hintergrund des Klosterhofes verwandelte sich in den kolossalen Rachen eines fürchterlichen Ungeheuers, dessen glühender Schlund sämmtliche Nonnen verspeiste, als seien sie ein Bündel Monatrettige gewesen. Unbegreiflich ist es, daß die Maschinerie hier, auf dem ersten Theater, noch so zurück ist; sie sind nicht im Stande, auf offener Scene zu verwandeln, vielmehr wird ein Wolkenvorhang herabgelassen, hinter dem man nun die Zimmerleute hanthieren hört. Das spanische Publikum aber nimmt eine solche Pause ganz geduldig und gnädig auf und benützt die Zeit, um mit dem Nachbar zu plaudern, oder die Nachbarin im Spiele mit dem Fächer zu übertreffen.

Das Theater del Circo gibt kleine spanische Opern, die beliebten Zarzuelas, und hat ein ordentliches Ballet; die übrigen, die gerade geöffnet sind, mit Ausnahme des Theatro del Museo, füllen ihre Abende mit Possen, kleinen Lustspielen und Nationaltänzen aus. Die berühmteste Tänzerin Madrids in diesem Genre, Senora Nena, eine vortreffliche Künstlerin, ist leider schon über die ersten Stadien, wenn auch nicht Thorheiten der Jugend hinweg, doch vergißt man ihre dreißig Jahre, wenn sie vortritt, den Kopf emporwirft und mit der Lebendigkeit einer Schlange dahinschlüpft, nachdem sie das Publikum zu ihrem Privatvergnügen mit ihren immer noch schönen glänzenden Augen eine lange Weile ruhig betrachtet. Sie lebt in ihrem Tanze, und wenn sie einmal angefangen hat mit den Castagnetten zu rasseln und ihren Oberkörper durchzubiegen, so wäre, glauben wir, keine Macht im Stande, sie zurückzuhalten; jede Muskel, jeder Nerv tanzt mit, und das geht so durch den längsten Pas, bis sie am Schluß mit einem unnachahmlichen Aplomb feststeht, lachend die weißen Zähne zeigt und, was die Hauptsache ist, nicht die Spur einer Ermüdung. Sie tanzt im Theatro Lope, wo sich auch die einzige vorzügliche Schauspielertruppe Madrids befindet. Hier sieht man die alten vortrefflichen spanischen Lustspiele, die berühmte Palma und zwei Brüder A., in deren Händen sich die ersten Fächer befinden. Die beiden letztern sind von der Königin dekorirt, und wenn einer von ihnen im besternten Frack erscheint, so erkennt man sogleich den Mann, der es gelernt hat, das Ordenskreuz auf der Brust auch in anderer Gesellschaft zu tragen. Wir sahen hier unter Anderem auch eine Übersetzung der Dame aux Camélias, namentlich aber ältere Komödien, und die Palma spricht ein wunderbar schönes Spanisch, von so ausdrucksvollem Spiel begleitet, daß man sie versteht, auch wenn man nur wenige Worte dieser herrlichen Sprache weiß.

Madrid hat sehr viele und auch schöne Kaffeehäuser, freilich sind die hiesigen nicht mit dem Luxus ausgestattet, den man in Paris und Marseille findet; doch sind es weite Räume, oft von Säulen getragen, mit großen Spiegeln, reicher Vergoldung und Marmortischen. Es ist eigenthümlich, wie sich jeder Stand in seinem gewissen Local zusammenfindet; hier sieht man Kaufleute, dort Beamte, in einer andern Straße Militär, auf der Alcalà ist das große Café Suizo, das die Fremden, unter ihnen viele Deutsche, besuchen, und in welches auch wir häufig kamen. Interessant ist ein kleines Kaffeehaus in der Verlängerung der Straße de la Montera, wo gewöhnlich nur Gäste sind, die sich zur edlen Kunst der Stierfechter zählen, kräftige Gestalten mit gebräunten Gesichtern, lebhaften Augen und vollem Haarwuchs, an dem hinten das kleine Zöpfchen ersichtlich ist, welches bei der Function zur Befestigung des Haarbeutels dient. Eines der bedeutenderen Kaffeehäuser bildete im gegenwärtigen Augenblicke den Aufenthaltsort der Minenspekulanten und war dasselbe jeden Abend überfüllt. Es ist nämlich in diesem Augenblick eine eigene Wuth in die Spanier gefahren, überall Gold- und Silberminen entdecken zu wollen, und obgleich das Land in der That sehr reich an edeln Metallen ist, so wird doch oft mit einer unbedeutenden Grube ein großartiger Minenschwindel getrieben, der auf diese Art viel edles Metall in Umlauf bringt, aber leider nur zur Wanderung von einer Tasche in die andere. Da viele fremde Ingenieure, namentlich Engländer, von diesen Gesellschaften, deren täglich neue entstehen, das Land bereisen, so geschah es uns häufig, daß wir mit ihnen verwechselt wurden, und man uns im Nachtquartier statt des sehnlich gewünschten Essens einen Korb mit Erz herbeischleppte, um unsere Ansicht zu vernehmen. Einmal spielte mir unser kleiner Baumeister den Streich, daß er den Leuten versicherte, ich sei ein deutscher Bergmeister, und auf das hin mußte ich über einen ganzen Haufen angeblicher Gold- und Silberstufen mein Urtheil abgeben, was ich denn auch nach besten Kräften that, jedoch so gewissenhaft war, ihnen Aussicht auf viel Blei und wenig Silber zu machen.

Fast in allen spanischen Kaffeehäusern findet man die sonderbare Sitte, daß in einem der Nebensäle ein Klavier aufgestellt ist, an welchem ein hierzu aufgestellter Künstler unaufhörlich spielen muß. Natürlich waren hiezu nicht immer Virtuosen zu haben, und so wurden denn die Melodieen von Rossini, Bellini, Verdi, sowie die Walzer von Strauß und Gungl oft auf schreckliche Art heruntergeleiert. Uns war dieses immerwährende Geklimper überhaupt nicht angenehm, und zum Glück war auch in dem Kaffeehaus auf der Alcalà kein Clavier aufgestellt. Die deutschen Landsleute, die dort zahlreich zusammenkamen, hatten sich diesen Genuß ein für allemal verbeten, was gewiß sehr zu loben ist. Man könnte glauben, es sei diese Art der Unterhaltung der Gäste noch ein Anklang aus der Maurenzeit, denn im Orient findet man heutiges Tages noch den Meddah (Mährchenerzähler), der vom Kaffetschi gemiethet ist, und den ganzen Tag seine Geschichten vorbringen muß, sind nun wenige oder viel Gäste da. Ein Zusammenhang ist wenigstens denkbar, und in diesem Fall hätten die Spanier aus Dankbarkeit zuweilen türkische Melodieen abspielen müssen, denn öfter hörte ich in Konstantinopel vom Meddah die Thaten des Sid-al-Battal (des spanischen Cid Campeador) den erstaunten Gläubigen berichten. Ein anderer Gebrauch in den spanischen Kaffeehäusern, den wir hier in Madrid fanden, hatte mehr unsern Beifall, es ist nämlich die Sitte, einen Fremden, der dem Spanier vorgestellt wird, den er vielleicht einmal gesprochen, nicht bezahlen zu lassen. Man hat zum Beispiel am Morgen flüchtig eine Bekanntschaft gemacht, die man vielleicht im Laufe des Tags wieder vergessen; man tritt Abends ins Kaffeehaus, nimmt seine Chocolade oder sein Gefrorenes, und wenn man seine Zeche berichtigen will, sagt der Mozo (Kellner) mit einer freundlichen Kopfbewegung: »es ya pagado, Señor.« Man blickt verwundert um sich, denn an allen Tischen ist keiner der nähern Bekannten, endlich sehen wir jenen Herrn, mit dem wir heute Morgen zwei unbedeutende Worte gewechselt, und als er hinausgeht, ohne sich weiter um uns zu bekümmern, bezeichnet ihn der Kellner auf dringendes Fragen als unsern Wohlthäter. Übrigens kann uns die Sitte in Verlegenheit bringen, wir trinken unsern Kaffee – »es ya pagado« spricht der Mozo, worauf es denn unschicklich wäre, sich auf eines andern Mannes Kosten noch ein Gefrorenes geben zu lassen, was man sonst gern gethan hätte.

In den hiesigen Kaffeehäusern bemerkt man wenig Lesende oder Spielende; die Journale scheinen überhaupt hier nur in politisch bewegten Zeiten eine Rolle zu spielen; dagegen sieht man die Spanier immer gruppenweise um die Tische sitzen, die Köpfe zusammengesteckt, und wenn man nach ihren ernsten Mienen und Geberden urtheilen wollte, so müßte man glauben, rings um uns her würden Dinge von der größten Wichtigkeit verhandelt. Unser Bekannter, der spanische Architekt, dessen ich schon früher erwähnte, ein sehr liebenswürdiger Mann, der lange in Paris gelebt, versicherte mich übrigens lachend das Gegentheil und sagte: »Meine Landsleute pflegen mit diesem Ernst und dieser Wichtigkeit auch die allergeringsten Kleinigkeiten zu behandeln. Sehen Sie dort jene Gruppe junger Leute um einen älteren Herrn, der ihnen mit dem größten Aufwand von Pantomimen etwas erzählt. Alle scheinen für oder wider das Gehörte zu streiten; unruhig rücken sie hin und her, die Hände erheben sich, die Augen blitzen, und so könnte man glauben, es sei ein wichtiges Tagesereignis über das da abgesprochen wird. Keineswegs. Man unterhält sich über die unbedeutendste Neuigkeit.«

Derselbe Freund nannte Spanien das Land, namentlich aber Madrid die Stadt des à peu près. So sind alle unsere Einrichtungen, sagte er, die Wege, welche uns mit dem Auslande verbinden, sind nur Landstraßen à peu près, unsere Eisenbahn sehr à peu près, unsere Constitution nicht minder à peu près, ja das geht so bis oben hinauf, wo man auch manches mit dem Prädikat à peu près belegen kann. Was nun Landstraßen und Eisenbahnen anbelangt, die wir zur Genüge kennen gelernt hatten, so stimmten wir ihm lachend bei, konnten aber nicht begreifen, warum denn in Spanien alle Kommunikationen so vernachlässigt seien und deßhalb die Straßen während der Winterszeit fast unfahrbar. Auf unsere Frage: ob sich denn die Regierung ihrer Chausseen nicht hie und da einmal ernstlich annehme? antwortete er: ich versichere Sie, daß man alljährlich einen großen Anlauf nimmt, etwas dafür zu thun, aber dabei bleibts auch. Im Frühjahr und Sommer, wo der Boden von der glühenden Sonne zu Pulver verbrannt wird, füllen sich die Unebenheiten der Straßen so ziemlich aus und wenn der aufwirbelnde Staub den Passagier auch fast blind macht, so fährt sich doch fast sanft darin; fängt es aber im Spätherbst an zu regnen, so haben wir gleich wieder das alte Elend. Der Regen spült den Staub aus den Löchern, die Straße sieht wie ein Steinbruch aus, und nun fangen die Eilwagen an, zu spät zu kommen, zuerst nur ein paar Stunden, dann ganze Tage. Klagen der Unternehmer und Passagiere laufen zahlreich ein: hier sind Eilwagen stecken geblieben, dort haben gar mehrere umgeworfen. Gut. Man bestürmt das Ministerium mit Bittschriften; lange vergeblich. Endlich aber mit einemmal beschließt man von oben herab die Sache in die Hand zu nehmen und – à peu près, seine Pflicht zu thun; man läßt sich einen offiziellen Bericht über den Stand der Straßen machen, der, obgleich sehr à peu près, doch den jämmerlichen Zustand durchschimmern läßt. Darauf scheint man gründlich zu Werk gehen zu wollen, man ernennt eine Centralcommission zu Untersuchung sämmtlicher Straßen, unter ihr gibt es natürlich viele Abtheilungen mit hohen und niederen Commissären, Ober-, Mittel- und Unter-Ingenieuren, alle außerordentlich gut bezahlt. Das rutscht nun im ganzen Land umher, besieht sich die Straßen, einer berichtet an den andern, wonach endlich die Generalcommission ihren Bericht ebenfalls zusammenfaßt, und ihn dem Ministerium vorlegt. Die sämmtlichen Klagen waren nicht unbegründet, die Regierung sieht ein, daß sich alle Landstraßen in einem traurigen Zustand befinden, und – das ist das Ganze. Der Winter ist unterdessen vorübergegangen, und da die große Werkmeisterin Sonne wieder kräftig zu arbeiten anfängt, so läßt man die Sache auf sich und auf ihr beruhen bis zum nächsten Herbst. Das geht aber so in allen Zweigen der Verwaltung, und namentlich dringt das System des à peu près überall glänzend durch.

Wenn es auch damals, zu Anfang des Jahres 1854, noch ziemlich still in Madrid war, so konnte man doch schon den Lufthauch spüren, der gewöhnlich einem großen Sturme voranzugehen pflegt. In den Kaffeehäusern genirte man sich durchaus nicht, alle Regierungsmaßregeln laut und öffentlich auf die härteste Art zu besprechen. Und leider blieb man dabei nicht stehen, sondern anstatt, wie es früher der Fall war, die Person der Königin von den Übergriffen ihres Ministeriums zu trennen und in Schutz zu nehmen, waren es gerade die schonungslosesten Äußerungen, welche die Königin selbst betrafen. Nach dem fluchwürdigen Attentat auf Ihre Majestät am zweiten Februar 1853 hatte das noble spanische Volk derselben seine volle Sympathie wieder zugewandt, sie war wieder vollkommen populär geworden; es gelang aber dem Ministerium nicht, die allgemeine Theilnahme für die Königin zu erhalten.

Zu Anfang dieses Jahres war das Volk von Madrid in gespannter Erwartung. Die Königin befand sich ihrer Niederkunft nahe, und der Palast war häufig von einer großen Menschenmenge umlagert, welche erwartungsvoll zu den Fenstern emporschaute oder die aus- und eingehenden Beamten befragte. Auf der Puerta del Sol ging es noch lebhafter als gewöhnlich zu, und man sah zahlreiche Gruppen von Männern, welche mit ernsthaften Geberden zusammenstanden und sich über das bevorstehende Ereigniß unterhielten. Die Spanier glaubten, es werde ihnen ein Prinz, ein Thronerbe, geschenkt. Die Spannung war außerordentlich, viele Cavalleriepatrouillen durchzogen die Straßen, und, wie es hieß, war der größte Theil des Militärs in die Kasernen consignirt. Die Spannung erreichte den höchsten Grad, als am fünften Januar gegen zehn Uhr sämmtliche Glocken anfingen zu läuten, von allen Seiten Kanonendonner erschallte, einzelne Infanteriemassen ausrückten und Pikets der berittenen Leibwache der Königin in vollem Trabe durch die Straßen rasselten. Der Schloßplatz war mit einer unzähligen Menschenmasse bedeckt, die, obgleich aufs höchste gespannt, schweigend oder leise murmelnd nach den Thoren des Palastes blickte. Endlich kam von dort Nachricht. Eine freudige Bewegung drang durch die Masse der zunächst Stehenden, und der officielle Bericht: »La Reyna nuestra Señora ha dato á luz con toda felicidad una robusta Infanta á las diez y media del dia de hoy« pflanzte sich von Mund zu Mund fort, und rief ein Vivat auf die Königin hervor.

Also eine Infanta, eine Prinzessin – kein Kronprinz. Und die dreijährige Prinzessin von Asturien blieb also vorderhand noch präsumtive Thronerbin. Die arme Neugeborne lebte indessen, wie bekannt, nicht lange, und man kann wohl sagen, daß sie an den Folgen der noch bestehenden spanischen Etikette gestorben. Diese besagt nämlich, daß alle neugebornen königlichen Kinder vom Tage der Geburt an während drei Wochen in kein Bett gebracht werden dürfen, sondern in Kissen eingehüllt Tag und Nacht auf dem Schooße der dienstthuenden Kammerfrauen gehalten werden müssen, welche in diesem Dienst natürlich häufig abwechseln. Diese Verordnung, ein mildes warmes Wetter voraussetzend, brachte der armen Infantin den Tod, weil der dießjährige Winter in Madrid so kalt war, daß die weiten und hohen Gemächer des königlichen Palastes nicht genugsam erwärmt werden konnten. Schon am zweiten Tage nach der Geburt fand man das Kind erkältet, und am dritten Morgens vernahm man die Nachricht von seinem Tode.

Begreiflicherweise hatten wir unter diesen Verhältnissen keine Gelegenheit, die Königin Isabella zu sehen. Ihr lebensgroßes Portrait in der Akademie der bildenden Künste, das sehr ähnlich sein soll, stellt sie dar als eine nicht sehr große, aber dabei außerordentlich starke Dame mit bleichem Gesicht und kleinen Augen. Doch hat sie etwas Wohlwollendes und Aufgewecktes, gerade das Gegentheil von ihrem Bildniß auf den Münzen, welche den Ausdruck des königlichen Gesichtes so unangenehm geben, daß es mich wundert, wie die betreffenden Künstler es wagen konnten, einen solchen Kopf so tausendfach zu vervielfältigen. Die Königin Christine ist immer noch eine schöne stattliche Frau, nicht so stark als ihre königliche Tochter und mit angenehmem Gesichtsausdruck.

Auf verschiedene Art wetterleuchtete damals schon das Gewitter, welches jetzt so verheerend über Spanien hereingebrochen ist, und das gewiß noch lange nicht ausgetobt hat. Brach doch schon zu Anfang des Jahres die Empörung des Regiments Cordova aus, und mit Kartätschen niedergeschmettert wurden für die gleiche Sache Offiziere und Soldaten, die man heute, gleich den Schaaren O'Donnells, als Befreier des Vaterlands gefeiert hätte. Sprach man doch in Andalusien offen davon, es müsse ein Ende gemacht werden mit der bestehenden Regierung, und man könne keinen geschicktern Zeitpunkt wählen, als den jetzigen, wo Franzosen und Engländer vollauf im Orient beschäftigt wären. Auch die Verhaftung mehrerer Generale deutete schon darauf hin, daß man Befürchtungen hegte und sich unsicher fühlte. Auch hatte die Königin zu Anfang des Jahres einen Gast, den unglücklichen Herzog von Parma, welcher kurze Zeit nachher unter dem Dolche eines Meuchelmörders fiel, den die kleinen Blätter der Hauptstadt auf alle Art anzufeinden nicht ermangelten, und dem der Clamor publico ein bezeichnendes Lebewohl zurief als er abreiste, wozu er ihm höhnisch Glück wünschte.

Man hatte von Seite des Hofs übrigens damals nicht verfehlt, dem Herzog von Parma eine große Parade zu veranstalten, gewiß in der Absicht, um den Madridern eine imposante Heeresmacht vor Augen zu stellen, über welche man verfügen zu können glaubte. Doch hatte man sich auch dießmal wieder getäuscht; das Heer schloß sich, wie schon so oft, ohne große Schwierigkeiten der Staatsneuerung an. Die Erfahrung hat sich bestätigt, daß die spanische Regierung weniger als die irgend eines andern Landes auf ihre Truppen rechnen kann, und daß diese nur zu geneigt sind, dem Bestehenden Opposition zu machen. Mit Ferdinand VII. unternahm das Heer im Jahr 1815 die Revolution, welche die Verfassung umstieß, und fünf Jahre später war es dasselbe Heer, welches dieselbe Verfassung wieder in Kraft setzte, um sie 1833 von neuem im Stich zu lassen. Und so haben die spanischen Truppen bis in das Jahr 1843 hinein jedesmal die Waffen gestreckt, wenn es darauf ankam, die Verfassung des Landes gegen Gewalt zu vertheidigen, mochte diese Gewalt von oben oder von unten, oder sogar vom Ausland kommen.

Dießmal war freilich die alte Verfassung unter Null herabgesunken, und das Heer hat sich erhoben um eine neuere, volksthümlichere zu unterstützen. Vielleicht erleben wir es aber noch, daß ihm auch diese abermals unbequem wird, und daß, was das Bajonnet herbeigerufen, von dem Bajonnet wieder beseitigt wird. Die Armee sieht übrigens in ihrem jetzigen Zustand vortrefflich aus, sie ist zahlreicher als seit langen Jahren, zählt, glaube ich, in allem 130,000 Mann, ist hübsch uniformirt und gut bewaffnet. Was ich von einzelnen Truppen sah: die berittene Leibwache der Königin und deren Hellebardiere, dann Artillerie, Carabineros, Ulanen, Bergjäger zu Pferd, Infanterie, hat alles ein eben so gutes und properes Aussehen, wie im französischen Nachbarland; natürlich besteht die Mannschaft aus jungen Leuten, die sich unter den Waffen hie und da noch unerfahren und unbeholfen zeigen, aber das ist in mancher größern Armee ebenso, und wenn man die afrikanischen Regimenter des französischen Heers, und den größten Theil des heutigen österreichischen und russischen Heers ausnimmt, so findet man ja auch im übrigen Europa wenig Soldaten von ächt kriegerischem Aussehen. Was das Officiercorps anbelangt, so kann ich auch hier nur nach dem Äußern urtheilen, dieses aber läßt bei den Spaniern nichts zu wünschen übrig; ihre Officiere sind gut gekleidet, und machen durch Miene, Wuchs und Haltung einen durchaus günstigen Eindruck. Sonderbar ist das Beibehalten des Stocks als Zeichen des Befehlshabers, auch zu Pferd.

Wenn man die Spanier und den Charakter ihrer verschiedenen Volksstämme betrachtet, so begreift man wohl, daß sie eine Nation sein könnten, aber nur ausnahmsweise ein einiges Volk. Bei keiner der großen Nationen Europas, selbst nicht bei uns Deutschen, stehen die Provinzialunterschiede in Volkscharakter und Volkssitten einander so schroff gegenüber wie hier. Abgesehen davon, daß der Aragonier, der Andalusier, der Castilianer und der Baske sich gänzlich von einander abscheiden, da auch der letztern Sprache verschieden ist, so betrachtet selbst der Bewohner jeder Provinz den nächsten Nachbar im gewissen Sinn des Worts als einen Fremden, mit dem sich eng verbunden nicht gut leben läßt, der an einer Masse von Fehlern und Lächerlichkeiten laborirt, und welchen zu verspotten und zu tadeln durchaus keine Sünde ist. Daher wohl ihre ewige Uneinigkeit; daher stehen sich auch die verschiedenen Stämme so oft feindselig gegenüber, und was von ihnen zusammenhält, bildet wieder zwei große, scharfgetrennte Lager, die Progressisten und Moderados. Kennen wir doch in der spanischen Geschichte nur zwei Momente, wo das Volk fest zusammen hielt: aus Zwang von oben unter der starren Faust Philipps II. und aus freiem Willen im Krieg gegen Napoleon. Deßhalb muß Spanien seiner Natur nach ein Föderativstaat sein und wird ebensowenig vollkommen konstitutionell regiert werden können, als es je eine reine Monarchie war. Übrigens ist das monarchische Princip in Spanien vorherrschend. Der Spanier ist unter einer halbwegs guten Regierung streng conservativ; das Königthum wäre geachtet, und Herrscher und Volk würden im besten Einklänge leben, wie schon das alte Lied sagt:

El que quiera zer libre que aprendra,
En España hay un pueblo y un rey,
El primero dietando las leyes,
El segundo sujeto a la ley.

Wer da frei sein will, erfahre,
Volk und König sind in Spanien!
Das Gesetz, vom König kommt es,
Und das Volk ist ihm gehorsam!

Um diese Verschiedenheiten der Charaktere in kurzen Worten zu verdeutlichen, so ist dem stolzen Castilianer, bei dem wir uns gerade befinden, immer noch etwas geblieben von dem feierlichen Hidalgo mit großem Degen und steif emporgewichstem Schnurrbart, wie er zu Zeiten des Don Quixote lebte, und wie wir ihn aus dem Gil Blas kennen, stolz auf sein Haus und auf seinen Stammbaum. Die Arbeit ist ihm eine Last, und sobald ein castilianischer Eckensteher keine Hand zur Arbeit rührt, wenn ihn nicht der Hunger treibt, so sieht man den Gewerbsmann und den Bürger, namentlich draußen in den Dörfern, noch immer steif und aufrecht in braunem Mantel und spitzem Hut, und er wird sich nur mit finsterer Miene herablassen, dem Fremden eine Dienstleistung, für welche man ihn theuer bezahlen muß, zu verrichten.

Ganz anders ist der Andalusier: obgleich ebenfalls ein großer Freund vom Nichtsthun, ist er dabei lustig bis zur Ausgelassenheit, mittheilsam, witzig und voll von Späßen und Liedern, die er bereitwillig dem Fremden zum Besten gibt. Er liebt zierliche Kleider, ist durchdrungen von dem Gefühl seiner körperlichen Schönheit, liebenswürdig, zuvorkommend und sich seiner Unwiderstehlichkeit beim schönen Geschlecht bewußt. Hier muß ich des Majo erwähnen, der, obgleich man ihn auch an andern Orten Spaniens findet, doch ächt andalusisch ist. Ein wörtliche Übersetzung von Majo oder Maja gibt es gar nicht; doch werden diese Worte auch in der Bedeutung von schön, geputzt, gebraucht. – Ay, que majo estas, niña! Ei, wie hast Du Dich geputzt, Mädchen! Der Majo erhält seinen Namen hauptsächlich durch die Kleidung, die er trägt, vestido de majo, auch vestida andaluz, und es gibt nichts Schöneres, als einen jungen, wohlgewachsenen Andalusier im großen Majokostüm, einer kurzen Jacke von farbigem Sammt, mit seidenen Schnüren besetzt, voll Stickereien und silbernen Troddeln und Knöpfen; ein buntes seidenes Tuch locker um den Hals geschlungen, fällt vorn hinab, darf aber nicht das schneeweiße Hemd mit breiter Krause verdecken. Die engen Beinkleider, oft von Sammt, meistens aber von feinem Tuch, reichen bis an die Kniee; um den Leib hat er die Faja, einen Gürtel von rother Seide, der mehrmals umgewickelt wird, und dessen Ende als Geldbeutel dient, und den man einschiebt; er hat feine weiße Strümpfe, niedere Schuhe und Kamaschen von hellbraunem Leder mit Stickereien und mit langen herabhängenden Schnüren verziert, vermittelst welcher die Kamaschen oben und unten so geschlossen werden, daß Strumpf und Wade sichtbar bleiben. Die Redecilla, so hieß das grüne Netz, in welches früher die Haare eingebunden wurden, ist in Spanien fast ganz abgekommen; aber nicht allein die Kleidung macht den Majo, er muß ein vortrefflicher Reiter sein, er muß eben so gut mit dem Gewehr als mit der Navaja und dem Punal umgehen können. Die größten Stierkämpfer Spaniens waren Andalusier, und ein ächter Majo, ohne selbst Torero zu sein, muß sich doch auf der Plaza de Toros zeigen können. Daß er seinen Fandango kennen muß, versteht sich von selbst; er muß aber auch die Guitarre fertig spielen, und alle bekannte Lieder auswendig wissen. Der Majo ist natürlicher Weise verliebter Natur, aber er darf nicht den Schmachtenden spielen, und wenn er auch durch Freigebigkeit bis zur Verschwendung seine Geliebte erfreut, so darf er doch sonst durch allzugroße Nachgiebigkeit seiner Würde nicht zu viel vergeben. Geiz soll er nicht kennen, eben so wenig Trunkenheit oder Weichlichkeit. Da er die Rache für Beleidigungen selbst übernimmt, so steht er meistens mit den Dienern der Gerechtigkeit auf einem sehr schlechten Fuße, weßhalb es auch wohl kommen mag, daß Majo noch die Nebenbedeutung eines Raufboldes hat. Alles in Allem genommen, würde man anderswo von einem Majo sagen: Ein guter Kerl, aber mauvais sujet. Majos gibt es unter allen Ständen, und wie früher die meisten Räuber, so gehören noch jetzt Contrebandisten und Stierfechter zu ihnen. Die Maja ist das würdige Ebenbild des Majo: heißblütig und verliebt, jammert sie nicht über eine Untreue, die man an ihr begangen, sondern weiß sich mit dem Dolche selbst zu rächen.

Im Allgemeinen ist der Andalusier, wenn er auch Lanze und Messer gut zu führen versteht, doch ein schlechter Soldat, denn er ist körperlicher Anstrengung unfähig, und fürchtet sich, sein köstliches Diesseits zu verlassen. Hat er nicht hier über sich einen beständig blauen Himmel, warme balsamische Düfte umsonst, die herrlichsten Früchte mit wenig Arbeit, und die schönsten Weiber der Erde!

Was kriegerische Eigenschaften anbelangt, so stehen den Söhnen des Südens die Bewohner des Nordens, die Basken und Catalonier, am auffallendsten gegenüber. Überhaupt sind die Basken das nobelste und tüchtigste Volk unter den Spaniern; sie sind fleißig, zuverlässig, arbeitsam und treu, und sie haben sich nicht nur auf dem Schlachtfeld als vortrefflich bewährt, sondern enthielten sich auch während der Bürgerkriege aller Ausschweifungen, wie denn überhaupt Zucht und Sitte ein Grundzug ihres Charakters ist.

An Fleiß und Gewandtheit kommen ihnen die Catalonier gleich; ihre Hauptstadt, Barcelona, ist die einzige Stadt Spaniens, in welcher Industrie und Handel blüht; auch das Landvolk ist unermüdlich, und man muß den schlechten Boden Cataloniens sehen, um die Ausdauer zu bewundern, mit welcher sie ihm die täglichen Bedürfnisse abringen. Wahr ist das spanische Sprüchwort:

El Catalan
Saca de la piedra pan.

Das heißt: der Catalonier weiß selbst aus Steinen Brod zu ziehen; wenn sie Mannszucht lernen wollten, wären sie eben so gute als tapfere Soldaten.

Beides sind dagegen die Aragonesen, doch hört man sonst in Spanien nicht viel gutes von ihnen sagen; man wirft ihnen grobe Sitte und Sprache vor. Sie sind bettelhaft, unersättlich, unverschämt. Zu der Anekdote, die man sich von einem Fremden bei uns erzählt, er habe einem Lastträger für eine geringe Dienstleistung einen Ducaten geschenkt, um zu sehen, ob dieser zufrieden zu stellen sei, worauf derselbe noch um eine Kleinigkeit zu einem Schnaps bat, damit er das schöne Goldstück nicht zu wechseln brauche, ließe sich in Aragonien manches Seitenstück finden.

Den schlimmsten Ruf unter allen Spaniern hat übrigens der Valencianer; man hält ihn für treulos, rachsüchtig und blutgierig, wo er das nämlich ohne Gefahr für sein theures Leben sein kann. Im Verhältniß kommen in Valencia jahraus jahrein die meisten Meuchelmorde vor; dabei ist er jedoch arbeitsam, nüchtern und sparsam bis zum Geiz.

Der Galicier ist der Savoyarde Spaniens. In der Jugend wandert er mit seinem Nationalinstrument, dem Dudelsack, aus seinem Dorfe nach einer größern Stadt, gewöhnlich nach Madrid oder Lissabon; später wird er Wasserträger, Hafenarbeiter oder Lastträger, und als solcher arbeitet er fleißig und unermüdlich mit seiner beispiellosen Genügsamkeit, und dadurch, daß keiner wie er das Sparen und Zusammenscharren versteht, gelingt es ihm meistens sich ein kleines Kapital zu erwerben, mit dem er alsdann unfehlbar in seine Heimath zurückkehrt.

Der Asturianer endlich ist der Haushammel des Landes. Obgleich von Haus ungebildet und plump, läßt er sich leicht nach der Hand ziehen, zu Dienstleistungen abrichten, und ist deßhalb, namentlich in den wohlhabenderen Häusern von Madrid, als Bedienter sehr gesucht.

Was das gesellschaftliche Leben der Spanier anbelangt, so findet man für so viele Belustigungsarten bei uns, für Schauspiele, Kaffeehäuser, große langweilige Diners und ermüdende Soupers hier wenig Ersatz; nur bei seltenen feierlichen Gelegenheiten wird der einfache Lauf eines häuslichen spanischen Lebens unterbrochen, und ganz im Gegensatze zu uns, die wir so gerne fremde Sitten und Gebräuche nachahmen, geschieht dieß in Spanien äußerst selten, und dann nur von den allerhöchsten Ständen. Einer Menge von Dingen, welche wir zu unserer halbwegs behaglichen Existenz für unumgänglich nothwendig erachten, z. B. einem gewissen Comfort in Möbeln, Kleidung und dergleichen, legt der Spanier sehr wenig Werth bei, woher es denn auch wohl kommt, daß Fremde so leicht geneigt sind, das gesellschaftliche Leben der Spanier als einförmig und unerträglich zu verdammen.

Man kann sagen, daß sämmtliche öffentliche Belustigungen, Theater und Stiergefechte abgerechnet, in den Freuden des Paseo bestehen, des Spazierengehens, dem das spanische Volk jeden Standes, Alters und Geschlechtes mit wahrer Leidenschaft nachgeht. Hat doch selbst jedes Dörfchen hier einen Platz mit zwei Reihen Bäumen bepflanzt, mit ein paar steinernen Bänken, und wenns hoch kommt auch einer Fontaine, unter dem stolzen Namen einer Alameda. Hier werden die Sommerabende zugebracht, man geht umher, man plaudert, man trinkt ein Glas frischen Wassers, welches des heißen Klimas wegen und auch wohl als Anklang aus der Maurenzeit bei den Spaniern eine große Rolle spielt. Einer andern eigenthümlichen Belustigung erwähnte ich schon in Valencia. Es sind dieß die Versammlungen der Männer Morgens zwischen zehn und elf Uhr auf irgend einem öffentlichen Platze, Corillos; hier in Madrid auf der Puerta del Sol, und man findet sich da mit demselben Eifer ein, wie man bei uns ein Kaffeehaus oder einen politischen Klubb besucht.

Was nun die häuslichen Vergnügungen der Spanier anbelangt, die sogenannten Tertullas, so wird der Einheimische und Fremde selten für einen gewissen Abend dazu eingeladen; wer sich bei einer spanischen Familie vorstellen läßt, wird gebeten, »das Haus als das seinige zu betrachten,« und eine solche Einladung gibt ihm ein Recht, so oft zu kommen, als es ihm beliebt. Erscheint er zur Zeit des Mittagessens, so versteht es sich von selbst, daß er am Tische Platz nimmt, kommt er zur Siesta, so ist niemand für ihn zu Hause, stellt er sich Abends ein und die Familie ist zufällig nicht auf der Alameda, so kann er, wenn es ihm gefällt, da bleiben, und am Gespräche Theil nehmen, wenn er musikalisch ist, die Gesellschaft durch Klavier- oder Guitarrenspiel erfreuen. Dazu kommen dann bald ein paar Castagnetten zum Vorschein, man ersucht die jungen Damen zu singen oder zu tanzen, was nun auch meistens nach Herzenslust geschieht. Bälle nach unserer Art oder Tanzparthieen sind dagegen in Spanien äußerst selten, und fangen selbst jetzt erst nach und nach in der höheren Gesellschaft an Eingang zu finden. Da bei diesen Zusammenkünften keine Erfrischungen gereicht werden, höchstens eine Tasse Chocolade, wenn es lange dauert, so ist das ein eben so wohlfeiles Vergnügen, wie das Spazierengehen, weßhalb auch fast alle Stände, Arme wie Reiche, häufig ihre Tertullas halten. Die Zwanglosigkeit dabei erstreckt sich auch auf die Kleidung, und es wird niemand einfallen, wenn er sich vom Paseo weg zu einer Tertulla einfindet, vorher eine gewähltere Toilette zu machen.

Bei allen Zusammenkünften, sowie überhaupt im gesellschaftlichen Leben der Spanier nehmen die Frauen einen wichtigen Platz ein. Wenn man in einer Tertulla ein wenig aufmerksam ist, so bemerkt man gleich, daß überall kleine Herzensangelegenheiten abgemacht werden. Es ist dieß aber so begreiflich bei diesem leicht erregbaren Volke, und ich möchte den sehen, der kalt bleibt, wenn eine Spanierin mit ihren schönen Augen und der Kunst, sie zu gebrauchen, es darauf abgesehen hat, seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Wenn die Gesetze der ehelichen Treue hier im Allgemeinen nicht so streng gewahrt werden, wie wir dieß wenigstens vom gesellschaftlichen Leben bei uns behaupten, so wird dagegen die Treue der Liebe und ihre Gesetze um so heiliger gehalten. Eine Spanierin, die ihrer Freundin gewiß keine Vorwürfe darüber machen wird, oder den vielleicht befreundeten Gemahl warnen, wenn sie einen Cortejo gefunden, ist dagegen wohl im Stande, diesen Liebhaber von einem Verrath zu benachrichtigen, der gegen ihn begangen werden soll. Treulosigkeit in der Liebe wird von der öffentlichen Meinung gebrandmarkt, sowie dagegen die Gesellschaft fast jedes Verhältniß, welches die Liebe knüpft, bereitwillig schützt. Huber in seinen Skizzen aus Spanien sagt: Die Spanierinnen machen die Liebe zu ihrer Hauptbeschäftigung und sehen die Pflichten und Gesetze derselben als die wichtigsten und bindendsten an.

Die strengen Urtheile, welche über die Spanierinnen gefällt werden, entspringen übrigens, wenn sie nicht blos das Produkt der Eitelkeit und der Einbildungskraft sind, aus der großen Freiheit und Ungezwungenheit im Ausdrucke, aus derselben Franqueza, welche dem ganzen gesellschaftlichen Leben der Spanier zu Grunde liegt, und den Fremden bei oberflächlicher Beobachtung, bei der Gewohnheit theoretischer Schlüsse, oder sehr oft bei einer großen Eitelkeit, leicht zu sehr irrigen Folgerungen und Ansichten verleitet. Was indessen auch die Spanierinnen für Fehler haben mögen, sie sind weder zu coquet noch prüde, und das ist schon sehr viel.

Was die Frauen nun außer der Liebe in das gesellschaftliche Leben der Spanier bringen, und woran die ganze Gesellschaft Theil nehmen kann, während die Liebe dem Einzelnen gehört, ist eine unvergleichliche, natürliche Anmuth in der Rede, in dem Blicke, in allen Bewegungen, kurz in ihrem ganzen Wesen, welche man in der Art nirgends wieder findet, einen natürlichen Verstand und Witz, mit einer Leichtigkeit und Kraft des Ausdrucks verbunden, die wirklich bei dem fast gänzlichen Mangel an eigentlicher Erziehung und Unterricht erstaunenswerth ist, einen Enthusiasmus für den Ruhm, die Unabhängigkeit und Freiheit des Vaterlandes, und überhaupt eine Lebendigkeit und Frische aller Gefühle und Interessen, sei es Liebe, Religion, Haß, Eifersucht, Freude oder Schmerz, die sich ohne falsche Scham oder Prüderie äußert, und bei jeder Gelegenheit wie ein unbändiger Strom hervorbricht, in begeisterten Worten, glühenden Blicken und den ausdrucksvollsten und doch anmuthigsten Bewegungen.

Ein charakteristischer Zug in dem gesellschaftlichen Leben der Spanier ist der in andern Ländern unbekannte Grad von gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit, der in der Tertulla, auf dem Paseo, auf der Plaza, den Handwerker, den Kaufmann, den Offizier, den Beamten, den Geistlichen von jedem Range, den Adeligen, den Marques und Grafen, auf einem Fuß der vollkommensten Gleichheit in Berührung bringt.

Was aber in Spanien die Gesellschaften trennt, ist nur die geistige Bildung, die geistigen Bedürfnisse, nicht die äußere Stellung ihrer Mitglieder, und innerhalb dessen, was man im Allgemeinen die gebildeten Stände nennt, gibt es keine gesellschaftliche Aristokratie und Absonderung. Hier sind höchstens nur einige Überreste der alten Grandezza auszunehmen, deren Leben nur dem Hof angehört. – Was unter- oder außerhalb dieser Gränze liegt, hat, wie sich denken läßt, nicht den Wunsch, sie zu überschreiten, sondern hält sich zu Seinesgleichen; aber wo der Zufall die untern oder untersten Stände mit den höhern oder höchsten zusammenführt, z. B. auf Reisen, sogar in Verhältnissen vorübergehender Dienstleistungen, da geschieht es immer mit der vollkommensten Gleichheit, die aber auch nur dadurch möglich wird, daß die unteren Stände geistig nur durch größere Unwissenheit sich von den höheren unterscheiden, während sie alle natürlichen Anlagen mit ihnen gemein haben, besonders aber einen natürlichen Anstand, eine Würde des Benehmens und der Haltung, und eine Leichtigkeit und Kraft des Ausdruckes, der kriechende oder rohe Gemeinheit ausschließt, und es dem Gebildeten, dem Vornehmen möglich macht, mit dem gemeinen Manne, wie mit Seinesgleichen umzugehen. So geschieht es denn, daß die äußern Formen der Höflichkeit und der gesellschaftlichen Berührungen unter allen Ständen ziemlich dieselben sind, also daß der gebildete Städter ohne unangenehme Empfindung oder Berührung in eine Venta voller Fuhrleute oder Maulthiertreiber, oder in ein Bauernhaus, und der Landmann oder Maulthiertreiber ohne Verlegenheit oder Demüthigung in das eleganteste Kaffeehaus oder in die Wohnung des reichsten Städters tritt. Diese Art von gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit, der rechtliche Stolz, die ernste gemessene Höflichkeit, die edle Haltung, die man durchgehends auch bei den untern Volksklassen in Spanien findet, bringt bei dem Fremden eine Art von bleibender angenehmer Empfindung, ein gewisses Behagen hervor, was ich wenigstens in keinem andern Lande empfunden, sondern im Gegentheil häufig schmerzlich entbehrt habe. Ja, auf die Gefahr hin, nicht recht verstanden zu werden, gestehe ich, daß dieses Gefühl mir alle Beschwerlichkeiten oder Gefahren, welche sonst mit dem Reisen in Spanien verbunden sein mögen, nicht nur erträglich, sondern angenehm gemacht hat, daß ich jetzt mit einer Art von Sehnsucht der Abende gedenken kann, die ich nach ermüdenden Ritten in den spanischen Ventas zugebracht habe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Winter in Spanien