Chortitza-Rosenthal, am 6. Oktober 1919.

Seit vier Tagen kommen wir nicht aus den Kleidern. Vorige Nacht hatten wir 19 Mann zu beherbergen. Zuerst waren es nur 8 Mann. Nach und nach vergrößerte sich ihre Zahl. Um Mitternacht kamen die letzten. Für jeden musste eine Mahlzeit bereitet werden. Die Letzten hatten einen Verwundeten bei sich. Noch niemand hörte ich so fluchen wie diesen Mann, der eine Bleikugel im Leibe hatte.

Heute Morgen gab es für Frau Grete eine große Aufregung. Jemand von den Beherbergten hatte nachts die 100 Eier gefunden, die sie so lange versteckt gehalten hatte. Sie waren für den Winter zurückgelegt. Frau Grete weigerte sich, alle Eier auf einmal zu kochen. Ihre Geistesgegenwart machte oft die Verwegensten stutzig; aber diesmal kam sie fast in Lebensgefahr durch ihren Widerspruch. Auch sie musste parieren. Die anderen; sind eben die Gebieter.


Die Polternden unter ihnen lind allemal nicht die gefährlichsten. Es gibt solche, die nicht viel Worte machen, sondern bei der ersten Regung handeln: sie zaudern keinen Augenblick, einen Menschen niederzustechen. Sie kennen keine inneren Hemmungen. Es sind echte Anarchisten, die kein Gebot kennen.

Ich hätte Lust, die Psyche dieser Menschen zu erforschen. Aber ein Forscher müsste unbeteiligt sein. Mir gehts zu tief durchs Herz.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes