Fortsetzung

In dieser Zeit fällt die interessante Erscheinung des eigentlichen Helden unserer Geschichte, des Müllers von Wostevitz, eines so merkwürdigen Charakters, wie ihn die Annalen der Kriminaljustiz aller Länder wohl kaum zwei bis drei Mal aufzuweisen haben, den Schauplatz seiner Taten bildet hauptsächlich die Insel Rügen.
Südlich von dem höchsten Punkte, zugleich dem Mittelpunkt dieser Insel, dem Rugardsberg, liegt am Fuße desselben auf Hügeln, die jedenfalls dem Höhenzuge des Rugards angehören, die Stadt Bergen.
Nur der nordöstliche Teil derselben und der Marktplatz sind auf einem unebenen Plateau gelegen; alle andern Teile und Straßen des Ortes ziehen sich dagegen an mehr oder weniger steilen Abhängen hinunter und eine auf den Marktplatz mündende Gasse ist sogar nichts weiter, als eine hohe Treppe, deren Stufen nur von Fußgängern benutzt werden können.
Diese stiegen in einer dunklen Herbstnacht des Jahres 1764 zwei in Mänteln gehüllte Männer hinan, um demnächst den Marktplatz zu betreten.
Das Wetter war von einer Beschaffenheit, wie es um diese Jahreszeit auf dem „Eilande der Stürme“, wie es der Seemann nennt, meistens vorherrschend ist. Ein heftiger Nordost strich über das Land und trieb einen dichten Nebel, so wie schwere Wolken vor sich her, die von Zeit zu Zeit ihren Inhalt als Regenguss auf die Erde herabströmten.
Die Dunkelheit war daher vollkommen; man konnte nicht drei Schritte um sich sehen, und es war selbst den Männern schwer, die Umrisse ihrer Gestalten zu erkennen, als sie wie in Übereinstimmung ihre Schritte hemmten.
Dies geschah indessen wohl hauptsächlich, weil ganz dicht an ihnen ein Wächter vorüberschritt, der, ohne sie zu sehen, die zweite Morgenstunde abpfiff und während er seine Runde weiter fortsetzte, einen monotonen Sing-Sang vom Feuer, vom Wohlschlafen und dem Lobe des Herrn ableierte.
„Der Satan möge Deine Schutzbefohlenen und Dich dazu holen!“ brummte einer der Männer, als jener in geringer Entfernung seinen Gesang endete, „heult diese Blindschleiche erst zwei Uhr ab; doch gleichviel, ich werde immerhin schon einzudringen suchen, Dornfeld. Du magst im Freien bleiben, so lange es Dir behagt, und mir dann folgen!“
„Zum Teufel mit dem Behagen!“ entgegnete der Angeredete lebhaft, „mir behagt heute Nacht gar nichts, Und wenn wir wieder geprellt würden, so —!“
„Das müssen wir abwarten, mein Junge!“ unterbrach ihn der Andere flüsternd, „ich will deshalb noch Beobachtungen zu machen suchen und hoffe bald zu wissen, woran wir sind; im Grunde genommen gefällt mir der Handel eben auch nicht besonders, doch es gibt Aufträge, die man aus Gründen nicht von der Hand weisen kann, und dann —!“
„— Ist ein Verdienst wie der andre, meint Ihr, Meister Witthans;“ rief der mit Dornfeld angeredete Mann, „aber ob er auch reichlich sein dürfte; — das ist die Frage!“
„— Wollte ich eben sagen!“ fuhr jener fort, „der Verdienst ist eben reichlich, und darum darf uns die Beute nicht entschlüpfen; doch ist das Geld für diesmal Nebensache, die Papiere Hauptsache; nochmals, vergiss dies nicht, Dornfeld!“
„Nein, zum Teufel!“ rief dieser ärgerlich, „ich werde nur nach einigen lumpigen Briefpaketen greifen und jedes gemünzte Stück Gold oder Silber mit wahrer Verachtung zurückstoßen. — Bah, Meister Witthans, ich glaube, wir werden die Sache zuletzt noch um ihrer selbst willen treiben; aber ich muss doch mein Herz durch die Bemerkung erleichtern, wie ich nicht dafür einstehen kann, wenn sich vielleicht einige Profile des Königs auf edlem Metall in meine Tasche verlieren sollten; es liegt ein Mal —!“
„Lassen wir den Scherz jetzt!“ fiel ihm der Andere in die Rede, „komm' nicht zu früh und nicht zu spät.“
„Gut, gut!“ brummte Dornfeld, „ich werde zur rechten Zeit eintreffen!“
Meister Witthans, wie er von seinem bisherigen Gesellschafter genannt worden, antwortete nichts weiter auf dessen verdrießliche Versicherung, sondern schritt die Dammstraße hinab, aus der ihm, nachdem er eine Biegung derselben passiert, ein Licht entgegenschimmerte.
Dies Licht entquoll matt und von einem sogenannten Hofe umgeben, einer Laterne, die über der Türe eines Hauses angebracht war.
Als Meister Witthans dies Haus erreicht hatte, blieb er einige Zeit lauschend und scharf um sich spähend in der Mitte der ziemlich breiten Straße. Mit leisen Schritten und vorgehaltenen Händen schlich er endlich jenem näher, bis er, noch ehe er die Türe erreichte, durch einen unförmlichen Gegenstand von ziemlichem Umfange aufgehalten wurde.
Dieser Gegenstand war ein Wagen, und der nächtige Wanderer begann an demselben mit seinen Händen umherzugreifen und zu fühlen, bis er seine Beschaffenheit durch diese Untersuchung völlig erkannt haben mochte, erst hiernach verließ er das Gefährt und trat der Haustür näher.
Sein Versuch, dieselbe zu öffnen, war jedoch vergeblich. den sie war verschlossen; aber der Mann, dessen Tun und Treiben bisher eine gewisse Verborgenheit bedingte, schien diese jetzt nicht mehr nötig zu haben; er rasselte nicht allein mit dem Drücker des Schlosses, sondern ließ den neben Letzterem befindlichen Klöpfel auch mehrmals so bedeutend gegen die Messingplatte fallen, dass die Schläge trotz des Sturmgeheuls weithin schallten.
„Wer ist da? fragte sofort eine scharfe Stimme von innen, „Wer lärmt denn so an der Türe?“
„Verzeiht, Herr Postmeister!“ antwortete Witthans laut, „ich möchte mit der Post bis Altefähre reisen, — ich denke, ich bin recht informiert, dass dieselbe heute noch nach Stralsund geht!“
„Das wohl!“ lautete die Antwort von innen, „man hätte sich schon gestern einschreiben lassen müsse; jetzt wird erst um zwei ein halb Uhr geöffnet!“
„Ich weiß, ich weiß Herr!“ rief Witthans dagegen, „aber ich bin von Außerhalb, es ist nirgends mehr eine Türe auf, wohl aber ein Wetter, dass man keinen Hund hinausjagen möchte. Ich will gerne im Flur verweilen, wenn ich nur unter Dach sein kann!“
Die Stimme von vorhin erwiderte auf diese Bitte etwas Unverständliches im unwilligen Tone; doch zugleich ließen sich schlurfende Schritte vernehmen, der Schlüssel drehte sich im Schlosse. die Tür ward geöffnet und ein älterer, dürrer Mann, mit einer Brille auf der Nase, in einen Schafpelz gehüllt und mit Filzschuhen versehen, ward in derselben sichtbar.
„Tretet näher!“ sagte derselbe nach einem prüfenden Blicke auf den Fremden, und dieser kam der Einladung nach, indem er eine Entschuldigung wegen der von ihm verursachten Störung hervorbrachte, welche jedoch von dem Beamten keiner Erwiderung gewürdigt ward.
„Nur hier herein!“ sagte er dagegen verdrießlich, während er die Türe eines Bürozimmers öffnete und selbst zuerst über die Schwelle derselben trat.
Der Teil des Flurs, auf welchem sich der Fremde während dieser kurzen Unterhaltung befand, ward teils durch die auch nach innen leuchtende Laterne, teils durch das dem kleinen Flurfenster entströmende Licht, besonders jedoch durch das Öffnen der Türe zu dem erleuchteten Zimmer ebenfalls erhellt und ließ deshalb eine nähere Betrachtung und Beurteilung der äußern Erscheinung des Mannes zu.
Derselbe war von hohem Wüchse, jedenfalls über Mittelgröße, und die Breite seiner Schultern verriet sich selbst unter dem weiten Mantel von dunkelblauem Tuche. Auf feinem Kopfe saß eine Mütze von Seehundsfell, die er jedoch mit dem Betreten des Flurs abnahm, wodurch eine Fülle schwarzen gelockten Haares frei ward.
Als er, um die Kappe von seinem Kopfe zu entfernen, den Mantel auseinander schlug, zeigte sich unter demselben ein kurzer Flauschrock, ebenfalls von dunkler Farbe; über seine muskulösen Oberschenkel waren schwarze Lederbeinkleider gezogen und an diese schlossen sich lange Stiefeln, an deren Hacken massive Sporen geschnallt waren. Stiefeln und Sporen waren stark mit frischem Schmutze bedeckt.
Es war dies eine Tracht, wie sie zu jener Zeit häufig von bemittelten Landbesitzern getragen ward, und für einen solchen hielt der Beamte auch wohl den Meister, als er ihn prüfend betrachtet hatte und dann in das Haus und in das Zimmer nötigte.
Bei dieser letzteren Einladung flog ein freudiger Schimmer über das gerötete, von einem dunkeln Backenbarte eingerahmte Gesicht des Mannes, der übrigens mit einem Blicke seiner dunkeln leuchtenden Augen beim Eintritt in das Haus gleichsam alle Gegenstände im Flug umfasst hatte.
„Sie sind sehr gütig, Herr Postmeister!“ erwiderte er höflich und mit einem gewissen Anstand, „doch, wenn ich stören sollte, bleibe ich gerne wo ich jetzt bin; es war mir nur —“
„Näher, immer näher!“ rief der Beamte heftig, „die Stube wird kalt, wenn wir uns durch die geöffnete Türe bekomplimentieren; übrigens verbitte ich mir dergleichen überhaupt, denn ich habe zu tun, und meine Arbeit kann höchstens diese eine Unterbrechung ertragen. Da steht ein Stuhl!“
Der Mann im Mantel kam dieser kategorischen, eigentlich groben Einladung und Zurechtweisung nach; während er aber schweigend auf dem ihm angewiesenen Sessel Platz nahm, spielte ein hämisches Lächeln um seinen Mund. Der Beamte kümmerte sich nicht weiter darum, ob sein ungelegen gekommener Gast seiner Einladung folgte oder nicht, sondern begann die vermutlich vorhin unterbrochene Arbeit, Briefschaften und Gelder in ein großes Lederfelleisen zu packen, von Neuem.
„Anklam,“ murmelte er dabei nach einiger Zeit im Selbstgespräch, „Anklam, Anklam, Anklam — viel heute nach der Grenzstation und Umgegend, — hm!“
„Greifswald,“ fuhr der Mann nach einer Weile und nachdem er die für die vorhergehende Station und deren Umgebung bestimmten Briefschaften verpackt hatte, „Greifswald;— war immer eine starke Post —; macht die Universität — hm! Greifswald, Greifswald; — fertig!“
„Reinberg!“ hieß es weiter, „nur ein Brief, — hm! an wen denn eigentlich —? Herrn Malzahn hm! Kenne keinen Herrn Malzahn dort —; auch gleichviel — Reinberg fertig!“
Offenbar hatte der Beamte, dessen eintönige Arbeit in Verbindung mit der Einsamkeit, in der erste vielleicht schon Jahre lang verrichtete, ihn an Selbstgespräche gewöhnt, ganz vergessen, dass er nicht mehr allein im Zimmer sei, sondern einen Zeugen seiner Verrichtungen und seiner Worte habe.
Dieser Zeuge hütete sich, sobald er mit unverkennbarer Freude die fatale Angewohnheit des Postmeisters entdeckte, auch sehr, denselben an seine Gegenwart zu erinnern, wohl aber hob er seine breite Stirn und das kühn geschnittene Gesicht höher und höher und öffnete Augen, Nase und Mund, als ob die Ohren nicht genügten, die nur halb laut gesprochenen Worte des Beamten gehörig festzuhalten. Dieser stieß, als er den an Malzahn adressierten Brief weggesteckt, einen schweren Seufzer aus.
„Nun also Stralsund!“ fuhr er in seinem geschäftlichen Monolog fort, „aber mir wird ein Stein vom Herzen sein, wenn ich eine Stunde älter bin. — Im Ganzen recht ein guter Gedanke des Herrn Kreishauptmanns, das Geld nicht pünktlich abzusenden; aber dieser Gedanke hat mir zwei schlaflose Nächte bereitet. — Bei Gott, hätten die Strauchdiebe gewusst, als sie das leere Futteral stahlen, wo der Kern der Nuss steckte, sie wären im Stande gewesen, mein Haus — brrr, ich mag nicht daran denken; — eintausend, eintausend; — zweitausend, zweitausend Dukaten —! nun, hatte der Kreishauptmann einen guten Gedanken, habe ich meinen auch; heute soll nicht einmal der Postillion wissen, was er bei sich führt; der alte Klaus ist überdem eine Plaudertasche, — fünfhundert, fünfhundert Kronen; — fünfhundert in Species — verteufelt schwer; fünfzig in Kupfermünze; schwerer als sie alle; ach — mir wird wirklich ein Stein vom Herzen sein, wenn ich das Geld erst auf der Straße zwischen hier und Stralsund weiß. — Sollten die Herrn Vagabunden heute wieder ein Gelüste haben, so werden sie sich wundern, wenn sie die Säbel der Husaren im Nacken fühlen; ha, ha, wie sie sich wundern werden; gewiss ist die neue Bestimmung wegen der Eskorte noch nicht bekannt, und es kann so kommen. — Also hierin mit Euch; Stralsund, Stralsund, Stralsund — überhaupt eine starke Post heute, Stralsund — nun also fertig!“
Der Postmeister hatte während dieses Selbstgespräches teils die gedachten Effekten in das Felleisen gesteckt, teils verschiedene Schemas, welche wohl als Begleitscheine dienten, ausgefüllt, und wollte sich nun dabei machen, das Behältnis zu schließen.
„Wetter!“ unterbrach er sich jedoch bei dieser Arbeit, „da hätte ich ja bald das vertrackte Paket vergessen —; wo bist Du denn; ach — hier! — müssen wichtige Papiere sein, —“ sagte er, ein umfangreiches Stück hin- und zurückwendend, „bester Sorgfalt empfohlen und versiegelt wie ein geheimer Kronenvertrag. Hinein mit Dir und nun — Ende!“
Der Beamte steckte auch dies Volumen an seinen Platz, schloss die Klappen des Felleisens und wollte eben die Kette, welche zum Verschluss desselben diente, durch die Ringe ziehen, als er plötzlich zusammenfuhr und sich erschreckt nach seinem, von ihm ganz vergessenen Gast umblickte.
„Ach, mein Herr!“ rief er lebhaft, „an Sie habe ich gar nicht mehr gedacht; Sie sind durch meine Unvorsichtigkeit Mitwisser eines Geheimnisses geworden, das ich nicht ausplaudern wollte, aber obgleich ich Sie nicht kenne, irre ich doch wohl nicht, wenn ich Sie für einen Ehrenmann halte. Die Post ist bereits drei Mal hintereinander überfallen und bestohlen worden, deshalb ist einige Vorsicht nötig. Es sind Kassengelder, die ich hier verpackte, und sie haben mir bereits Sorge genug gemacht. Sie wollen ebenfalls die Post benutzen —; bis wohin, mein Herr?“
Der Schreck des Beamten war mit dem Beginn seiner Rede bereits wieder verschwunden und im Verlaufe derselben war deutlich ersichtlich, wie er seinem Gast, an dem er früher nichts Verdächtiges entdeckte, nach einem zweiten prüfenden Blick unbedingtes Vertrauen zu schenken geneigt war.
Der Postmeister würde eine solche Neigung jedoch nicht in sich verspürt haben, wenn er den Mann im Mantel während seines letzten Monologs auch nur ganz flüchtig einen Moment beobachtet hätte.
Derselbe hatte nämlich bei dem Namen Stralsund seinen Hals noch länger als zuvor ausgereckt; beim Anblick der Geldbeutel, welche durch die Hände des Beamten in das Felleisen wanderten, wich die dunkle Farbe seines Gesichts einer natürlichen Blässe, und als er das letzte Briefpaket erblickte, streckte er länger den Arm aus, als wollte er nach demselben greifen.
Erst als der Postmeister von einer Eskortierung der Post sprach, ward er wieder ruhiger, obgleich seine Brust, in der offenbar einen Moment die schwärzesten Gedanken aufgestiegen waren, noch immer wogte. Doch bald verlor sich auch dies, und als der Beamte sich umwendete, sah er bei dem Fremden nur ein ruhiges, leicht lächelndes Gesicht.
„Ich wüsste nicht, was ich mit dem für mich ganz wertlosen Geheimnisse machen sollte, mein Herr,“ antwortete derselbe unbefangen. „Sie können daher ohne Sorge sein wegen eines Verrats —; ich sagte bereits, dass ich nach Altefähre wollte.“
„Ganz recht, mein Herr; — diese Tour macht ein Reichstaler vierundzwanzig Schilling.“
„Hier sind ein Reichstaler vierundzwanzig Schilling, mein Herr; — wenn ich mir aber erlauben dürfte, — was meinten Sie vorhin mit den Husaren-Säbeln und der Eskorte?“
„Ach, mein Herr!“ antwortete der Postmeister, „da Sie die Hauptsache wissen, kann es auf Nebensachen nicht ankommen; es ist hier seit heute ein Husarenkommando stationiert, welches künftig die Post begleiten wird!“
Meister Witthans konnte bei dieser Mitteilung eine gewisse Bewegung nicht unterdrücken, aber er suchte ihr sichtlich den Anstrich einer freudigen Regung zu geben.
??Das ist mir angenehm zu hören!“ sagte er, „denn obwohl ich Waffen bei mir führe, liebe ich doch keinen Kampf und fühle mich gern sicher!“
„Eine Ansicht, die jeder ehrliche Mann mit Ihnen teilen wird,“ antwortete der Postmeister; „was willst Du, Klaus?“
Diese letzte Frage galt einem eben in der Türe erscheinenden alten Knaben, in der hellblauen Uniform schwedischer Postillione, mit schwefelgelbem Kragen, der zu fragen kam, ob er seine Pferde vor den Wagen legen könne. Sein Vorgesetzter gab hierzu die Weisung unk jener entfernte sich wieder.
„Werde ich außer diesem Burschen und den Husaren noch andre Reisegefährten haben?“ fragte der Meister.
„Allerdings,“ lautete die Antwort, „noch drei Personen — da sind sie vermutlich schon; ich habe vergessen zur rechten Zeit zu öffnen!“
Der Postmeister eilte aus dem Zimmer in den Flur und öffnete die Haustüre; während dieser Zeit betrachtete der Meister das Felleisen mit dem Blicke des Falken, der seine Beute im Auge hat. Als jedoch jener gefolgt von einem Manne wieder zurückkehrte, richtete er sein Auge schnell und ohne besondern Ausdruck auf diesen Letzteren.
„Einen guten Morgen wünsche ich!“ rief der Neuangekommene noch in der Tür, „schönes Reisewetter; bei Gott und Schwedens Ehre, müsste ich nicht, würde ich sonst was tun, als Eure Karre benutzen, Postmeister; ich wünsche nach Stralsund zu kommen; es ist doch noch Platz in Eurer Schneckenpost, wie?“
Der neue Passagier der damals königlich schwedischen Post war ein hoch gewachsener Mann und jedenfalls schlank gebaut, obgleich sein langer Mantel eine genauere Beurteilung nicht zuließ; er trug einen breitkrempigen niederen Hut, unter dem sich ein bleiches regelmäßiges Gesicht zeigte, dessen Züge jedoch sehr beweglich waren, seine Oberlippe zierte ein kleiner Bart und seine Manieren hatten einen bei weitem noblem Anstrich als seine Redeweise.
Die letztere gefiel auch offenbar dem Beamten nicht, der ihm, vermutlich weil er geringschätzig von der Post sprach, einen finsteren Blick zuwarf.
„Platz, wohl!“ antwortete er ärgerlich, „aber nur ein Außenplatz, wenn Euch der genügt, so—“
„Möge der Geier Euren Außenplatz holen!“ rief der Fremde, „aber ich kann meinem Pferde nicht mehr zumuten, und schließlich ist der Sattel auch ein Außenputz; ich darf deshalb die neue Wäsche nicht scheuen; was kostet Euer Außenplatz, Mann?“
„Achtundzwanzig Schillinge!“ antwortete der Beamte.
Der Fremde warf einen Thaler auf das Zahlbrett und die Aufmerksamkeit der Anwesenden wendete sich der Türe zu, durch die zwei Männer eintraten, unverkennbar Bürger der Stadt, welche den Postmeister vertraulich, die Fremden etwas verlegen grüßten.
Dicht hinter ihnen traten drei andere Personen durch die offen gebliebene Haustüre, zwei Damen von einem jungen Manne begleitet, ein, blieben aber dicht an jener etwas im Dunkeln zurück, weshalb der schlanke Passagier näher trat, um die Frauen zu mustern, von denen ihm jedoch die jüngere sofort den Rücken zuwendete.
,,Bah!“ machte der Mensch dagegen, „werden uns hoffentlich später doch näher betrachten können!“
Draußen waren inzwischen die vier Pferde vor den Wagen gelegt und der Postillon Klaus erschien, mit einem Kameraden die Poststücke in den Wagen zu tragen. Ein Geräusch vor, Huftritten mehrerer Pferde und Säbelgeklapper ließen alle Anwesenden aufhorchen.
„Ah — sie kommen!“ sagte der Postmeister, sich freudig die Hände reibend.
„Sie kommen!“ murmelte Meister Witthans.
„Wer kommt?“ fragte der schlanke Passagier.
„Die Husaren der Eskorte!“ erwiderte der Beamte mit einem zweideutigen Seitenblicke auf den Frager, „man hat wegen gewissen Herren einige Sicherheitsmaßregeln getroffen!“
Einen Moment schien der schlanke Mann von dieser Nachricht wirklich betroffen zu werden; doch dieses Stutzen schwand so wie sein Blick flüchtig über das Gesicht des Meister Witthans streifte.
„Alle Teufel!“ rief er lachend, „das kann uns zu großer Beruhigung dienen, ich hatte so schon wegen dieser Postreise meine eigenen Gedanken! Desto besser also!“
Die vor der Türe anlangenden Reiter waren fünf Husaren vom Mörner'schen Regiment. Einer derselben stieg vom Pferde und trat in das Haus; er war bereits ein alter Mann mit weißem Haupt und Barthaar.
Nachdem derselbe in gebrochenem Deutsch dem Postmeister eine Art Meldung gemacht, antwortete dieser: „Gut lieber Korporal! es wird gleich abgefahren!“
Der Soldat trat zurück; der Kamerad des Klaus hatte das Licht einer Stalllaterne angezündet und postierte sich damit außerhalb der Türe.
„Wenn den Herrschaften jetzt gefällig ist, können dieselben einsteigen!“ sagte der Beamte.
„Ja, in drei Teufels Namen!“ rief der Außen-Passagier, „wer nämlich einsteigen darf, hätte ich den Erfinder der Außensitze, ich würde ihn — an meiner Stelle reisen lassen. Leben Sie wohl, meine Herrschaften, denn hoffentlich bin ich am Ende unserer Laufbahn verregnet!“
Man lachte über diese Klage des Mannes, der allerdings kein beneidenswertes Los gezogen, und von dem Postmeister begleitet, begab sich die Gesellschaft vor die Türe. Von den zuletzt angekommenen drei Personen stieg die jüngere Dame in den Wagen, nachdem sie sich von ihren Begleitern verabschiedet hatte.
Als die Türen des Kastens geschlossen, stöhnte der Postillon einige Töne durch sein Horn, die im Sturmgeheul noch schauerlicher als sonst musikalische Versuche dieser Art klangen; dann kletterte auch er auf seinen Sitz. Ein Knall mit der Peitsche, und so rasselte die Gesellschaft auf dem holprigen Pflaster die Dammstraße hinab in die ungestüme Nacht hinein.
„Gott sei Dank, endlich!“ stieß der Postmeister hervor. „Michel, lösche die Laterne aus und schließe die Türe!“
Sich vergnügt die Hände reibend, trat der Beamte in sein Büro; ihm war wirklich durch die Abfahrt der Post und den Abgang der Gelder ein Stein vom Herzen genommen, und wer ihm gegenüber behauptet hätte, dass jene nicht an den Ort ihrer Bestimmung anlangen würden, den dürfte der wackere Mann schön angesehen haben.
Doch übertriebene Vorsicht schützt selten vor Dieben, und wir werden später sehen, in wie weit der Postmeister zu einem solchen Benehmen berechtigt gewesen wäre.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Stein vom Herzen
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