Nun waren die Andern bald erreicht

Wie das Waldbächlein bei einer Ueberschwemmung helfen mußte.


Nun waren die Andern bald erreicht,
Und schon von ferne riefen die Wellen:
„Ei seht den jungen Reisegesellen!“
Da ward dem Bächlein sogleich ganz leicht,
Und fröhlich mischt' es sich unter die Schaar,
Aus der die mächtigste Woge sprach:
„Da bist du ja wieder, mein Sohn! nichtwahr,
Du kommst uns gerne wieder nach?
Ja, wer die Freiheit einmal verspürt,
Nur wer gesehn die Sonne blitzen,
Der wird so leicht nicht wieder verführt,
Gefangen in Waldesnacht zu sitzen.
Nun, nun! Wir wollen dir gern vergeben,
Daß du ein Stündchen ein Narr gewesen.
Hast noch ein gar zu zartes Leben;
Und ist an dir ein Fleck noch wund,
In unsrer Gesellschaft wirst du genesen!
Nun komm, mach' dich mit uns bekannt,
Und tritt in unsern freien Bund!“
Und schon umschlang sie das Bächlein gewandt,
Und gab ihm gleich den Bruderkuß.
Das aber sprach mit schämigem Mund:
„Wie gerne trät' ich in euern Bund,
Doch sagt, ob ich nicht zagen muß!
Bin gar so jung, kann euch Nichts frommen.“
Drauf sprach die Welle: „Das kümmre dich nicht!
Kömmt nur die Zeit, wird's Andre kommen.
Die junge Kraft uns grad' gebricht:
Komm nur, du wirst schon noch ein Mann,
Aus dem was Großes werden kann.“
Und funkelnd ihr Aug' am Bächlein hing.
Das aber besah sich zweifelsvoll:
„Womit ich ihnen doch frommen soll?
Bin doch nur ein junges, ein schwaches Ding!“
Doch eilig sprach sein Stolz darein:
„Werd' grad' auch nicht der Letzte sein.
Ward eben sonst erniedrigt zu tief,
Als ich beim Tannenbaum noch schlief;
Der sprach mir nie von Kraft ein Wort,
Und hielt mich stets wie einen Knaben:
Da mein' ich eben noch immerfort,
Ich könne nicht Kraft des Mannes haben.
Doch nun verspür' ich's, und nun weiß ich's,
Und wo mich fesseln will ein Band,
Da werf' ich's ab, und da zerreiß' ich's;
Nun hab' ich Kraft, nun hab' ich Verstand.“
Und laut zu den Wellen rief es drauf:
„So sei's! Wie macht mich stolz die Ehr'!
Ich mach' mit euch den gleichen Lauf;
Ich habe Kraft, und will sie erproben.“
Da schwammen die Wellen um's Bächlein her,
Und konnten nicht genug es loben,
Und war ein Herzlichthun und Küssen –
Es hätte fast ersticken müssen.


So zog das Bächlein, Arm in Arm,
An blühender Hügel schwellendem Rain,
In frischem Wind und Sonnenschein,
Nun weiter mit dem Wogenschwarm,
Und führt' mit ihm ein lockres Leben.
Was da geblüht zur Rechten und Linken,
Holla! Das mußte sich ergeben,
Und ihnen an die Herzen sinken;
Und keine Lilie stand so rein,
Sie spülten sie zu sich hinein.
Doch sieh', da schwanden nach und nach
Die Blumen und das Gras am Strande;
Das Bett ward seicht, die Ufer brach,
Die Wellen kämpften mit dem Sande,
Drein lästig heiß die Sonne stach;
Es ward die Luft so faul und dumpf,
Und kaum sie recht sich deß versahn,
Da hatte sich ein ries'ger Sumpf,
Umdämmt von hoher Wälle Wand,
Ganz nah vor ihnen aufgethan.
Draus winkte mit tausendfacher Hand
Die Wellen herbei das seufzende Rohr,
Und giftige Flüche dampften vom Moor
In schwarzem Nebel zum Himmel empor.
Da mischten die Wogen in zornigem Chor
Ihr Klagen und Schelten und Fluchen drein,
Und ward gemurrt ob des Bettes Enge, Verwünscht der stechende Sonnenschein.
Und aus der trübe schleichenden Menge
Ließ eine Woge heiser sich hören:
„Laßt Brüder euch den Muth nicht stören!
Noch sind wir kühne, wagende Wellen.
Laßt uns die armen Wasser schwellen,
Die seufzend verschmachten in öder Haide!
Wir machen sie frei von ihrer Haft,
Sie mehren unsre versiechende Kraft:
So retten wir vereint uns Beide,
Und brausen hinaus mit verjüngter Fluth,
Und stürmen der Dämme knechtende Hut. –
Ja, Brüder, höret meinen Plan,
Den ich schon lang mir ausgedacht!
Was bannen wir unsre brandende Macht
In hemmender Ufer sumpfige Bahn?
Wir waren ja in alter Zeit
Schon einmal die brausenden Herrn der Erde.
Auf, auf! Vom Ufer euch befreit,
Daß wieder einmal Sündfluth werde!“
Und all' die Wellen stürzten herbei,
Und staunten sie an, die so gesprochen,
Und wild sie riefen: „Ja, ja, es sei!
Der knechtende Damm, er werde durchbrochen!
Wir brausen hinaus, und machen uns frei;
Und alle Wogen und Wasser auf Erden,
Die müssen unsre Genossen werden.
Den Erdball wollen wir überschwemmen,
Und Alles verschlingen, was uns will hemmen.
Wir machen die Hügel und Thäler eben –
Freiheit und Gleichheit sollen leben!“

Und wie ihr Rufen war verschollen,
Da that geheim die Erde sich auf,
Und aus der Schlünde schwarzem Gähnen
Qualmende trübe Gewässer schwollen;
Und siehe, da stürzten in vollem Lauf,
Wie schäumende Hengste mit flatternden Mähnen,
Gießbäche daher, aus waldiger Nacht
Hinuntergeschleudert in donnernden Schacht,
Der Felsen ewig verschmähte Freier.
Und als ein riesiger, höllischer Buhle
Fiel all der Strom an den Busen dem Pfuhle,
Der seiner harrte in giftigem Schleier;
Und hob die Braut von den sumpfigen Kissen,
Und tanzte mit ihr in brausendem Reigen
Auf ihrer Beider zertretnem Gewissen,
Und aus der Hölle gellten die Geigen.
Und siehe, da wogte schon an dem Wall
Im Wirbeltanz die trunkne Fluth;
Da riefen sie höhnisch im Uebermuth:
„Tanzt zu! Wir bringen ihn tanzend zu Fall.
Wie mag der morsche Damm sich erfrechen,
Uns jungen Fluthen zu bannen den Reigen?
Die ganze Welt ist uns zu eigen,
Tanzt zu! Er muß wie Glas zerbrechen.“
Da wollten sie gleich mit einem Mal
Den Strand durchbohren mit stürmendem Strahl,
Doch aus der Wasser zischendem Toben,
Da hatte sich die mächtigste Welle
Mit herrschendem Wort zur Höhe gehoben:
„So nicht, ihr Brüder, nicht allzuschnelle!
Was soll das Schäumen und Brausen frommen?
Noch seid ihr nicht zur Stärke gekommen,
Und seid nicht hoch genug gethürmet,
Daß ihr als Sieger den Damm erstürmet!
Drum vor der Hand den Muth noch kühlt,
Vergeudet nicht die Kraft der Jugend,
Und macht Geduld zur einzigen Tugend!
Fein langsam das Erdreich erst durchspült!
Und habt ihr den Grund nur locker gemacht,
Und braust nur noch ein Sturm herbei,
Dann weicht das Ufer über Nacht!
Nur noch ein Stoß – und wir sind frei!“
Der Vorschlag dünkte den Wellen gut.
Sie zähmten den ungestümen Muth,
Und gaben sich dran, mit plätscherndem Schwall
Geduldig zu unterspülen den Wall.
Und dann und wann zur Ruhestunde,
Da sangen Manche mit prahlendem Munde
Von Freiheit ihnen ein Liedlein vor,
Daß laut sie jauchzten in schallendem Chor.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen