Das Schweigertheater. Von Sebastian Daxenberger.

In der Nähe des „grünen Baumes“, aber jenseits der Isar, am Eingange in die Vorstadt Au, sieht ein sehr unansehnlicher Thespiskarren [oder Thespiswagen ist die Bezeichnung für den Wohnwagen wandernder Schauspieler oder für eine Wanderbühne. Der Name stammt von Thespis, dem ersten griechischen Tragödiendichter, der seine Theaterstücke laut der Überlieferung von Horaz auf einem Theaterwagen aufgeführt haben soll. Dies wird jedoch als falsch bezeichnet], ich meine das königlich privilegierte Sommertheater des Herrn Schweiger. Ihm, der einst seine Bretterbude vor dem Karlstore aufgeschlagen hatte, ist nunmehr zu seinem Schauspiele die Stadt verpönt; ja eine Zeitlang, unter einer unglaublich eifersüchtigen Hoftheater-Intendantur, durfte er gar nicht spielen. Als ihm die Erlaubnis allergnädigst wieder zuteil ward, errichtete er seine Bühne auf dem Prater, aber der Ort war zu entlegen, hierauf da, wo sie gegenwärtig sieht. Schweigers Theater ist in dem Munde der Münchner unter der Benennung „Lipperltheater“ noch immer geläufiger. Es ist die alte Verlassenschaft Lorenzonis, der anfangs mir während der Sommerdult (Messe) sechs Wochen lang, zuerst auf dem Anger, von 1797 an aber auf dem freien Platze vor dem Karlstore, zunächst der viel später erbauten protestantischen Kirche, extemporierte Stücke, die sogenannte Kreuzer-Komödie, aufführte und seine allgemein ergötzlichen Cazzi machte. Von Lorenzoni, bei seinem Tode Stifter eines gedeihlichen, noch bestehenden Armen- und Spinnhauses aus eben dem „Anger“, ging die Bühne auf dessen als Possenreißer nicht minder beliebten Schwiegersohn Schweiger, den Vater des jetzigen Theaterunternehmers, über. Lipperl (Philipperl) war der Ausdruck der neu-originalen Komik, gleichwie in Wien ein Kasperl figurierte. Er machte den gröberen, zotigeren Hanswurst und Pickelhäring mit der Pritsche vergessen, und noch heutzutage besteht diese trockene Art, auf die Lachmuskeln zu wirken, fort. Der Hanswurst war nm vieles aktiver, er attackierte die Personen; Lipperl, wie heutzutage Damian Stutzel, ließ sie bei Seite. Seine Mimik gefiel sich darin, in allen Schick -und Drangsalen sich immer gleich zu bleiben. Lipperl erscheint aber nicht mehr. Die Kreuzerkomödie, wobei nämlich für jeden, in der Regel halbstündigen Akt ein Kreuzer bezahlt und nach jedem Aufzug der ganze hölzerne Theaterraum geleert wurde, hat sich in dem Sommertheater gleichfalls in für das Ganze fixierte Preise umgewandelt; die neuen Wiener Possen und Parodien ersetzten die extemporierten Stücke, und z. B. Lumpaci-Vagabundus war hier recht zu Haus. Schweigers Schauspiel-Personal muß auch singen können; dafür steht aber auch der Name eines jeden Statisten und Choristen auf dem Zettel. Der Mann selbst kämpft fortwährend mit des Lebens Mühen. Vom Oktober bis zum Wonnemonat bleibt sein Thespis-Kasten in jedem Jahre geschlossen; er hat für beinahe dreißig Individuen der Bühne und für zwölf des Orchesters die Gagen aufzutreiben; die Beleuchtung kostet ihn wenig, da nur eine äußerst spärliche vorhanden ist. Aber da der Bewohner der Residenz und auch der heitere Reisende nur zum Spaß und Zeitvertreib Schweigers Bude besucht, so braucht er notwendig einen entsprechenden Komiker, der ihm so häufig mangelt. Ritter- und Gespensterdramen haben ihr eigenes Publikum; das läuft aus den Vorstädten zusammen, allein es füllt nur den letzten und, wenn es hoch kommt, den dritten (6 und 1 2 Kreuzer) Platz, und die besseren Einnahmen werden ihm dadurch entgehen. Es wäre Überfluß, über das Spiel ein Wort zu reden; in ernsten Dramen sind diese Komödianten, wie sie nicht sein sollen; sie haben alle Fehler von Hamlets Luftseglern.

Während das Hoftheater der höheren Kunst gewidmet blieb, bestand seit dem Jahre 18I2 vor dem Isartor ein Volkstheater in einem von Oberbaudirektor d'Herigoyen erbauten stattlichen Gebäude. Namentlich unter der Leitung des Direktors Karl leistete diese Bühne Bemerkenswertes, so daß man in ihr eine bedenkliche Konkurrenz des Hoftheaters erblickte und Ludwig I. nach dem Wiederaufbau des Hoftheaters im Jahre 1825 die Schließung des Hauses vor dem Isartor verfügte. Das Haus wurde in eine Leihanstalt umgewandelt und dient noch heute diesem Zwecke. Die Pflege des volkstümlichen Bühnenstückes blieb fortan ganz dem Schweigertheater überlassen, bis 1865 das Theater am Gärtnerplatz als Volkstheater in die Lücke trat.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert München 1800-1900