Abschnitt 11

Bei den spärlichen Nachrichten über den Weinhandel der Wismarschen Bürger in älterer Zeit haben wir denn auch keine Kunde von den Sorten, welche sie etwa zapften. In einem von dem oft gedachten Claus Bischof anscheinend zu Lübek geführten Manuale aus der Zeit von 1475 werden an Landweinen Kobin oder Gabin, d. i. Gubenscher Wein, und Frankenwein und von Französischen „Rodewin“, Boitaw oder Bitau, d. i. Wein von Poitou, ferner Gersgagher oder Geysgagher, welches so viel als Gascogner sein wird, und Assoy oder Asoe genannt, den man für Wein aus der Grafschaft Auxois erklärt 30). Gubenscher Wein kostete in Lübek damals im Ausschanke das Stübchen 2 S. 8, Frankenwein 4 S., „Rodewin“ ebensoviel und Asoe 5 S. 4. Von allen diesen Weinen sind wir in Wismar nur dem Gubenschen und dem „Rodewin“ begegnet, jenem, der in Frankfurt a. d. O. eingekauft und über Stettin zu Wasser anher gebracht wurde, zuerst in der Alten Bürgersprache, diesem erst im siebenzehnten Jahrhunderte; vielleicht war er nach einem uns vorliegenden Preis-Courante aus Bordeaux von 1743 zu schließen dasselbe Gewächs, welches in erwähnter Zeit viel benutzt - namentlich schenkten es Anfange des achtzehnten Jahrhunderts mißbräuchlich die Krämer in einer Mischung mit Spanischem Weine - und in gedachtem Preis-Courante als „rother Hochlandswein“ aufgeführt ist. Dieser wurde aber nur in mäßiger Menge consumirt und die weißen Franzweine so wie der Franzbranntwein hatten einen weit zahlreicheren Kreis von Gönnern. Die Werthschätzung des alten weißen Franzweins hat sich, wenn auch gegenwärtig abnehmend, bis in unsere Tage in Wismar erhalten; es ist nicht lange, seit die Sitte abgekommen, beim festlichen Mahle Rheinwein und alten Franzwein zur Auswahl anzubieten, noch heute ist er der Wein der Kindtaufen und Begräbnisse und hin und wieder trinkt man wohl aus Kelchgläsern eine Mischung von altem Franzwein mit Rheinwein, versüßt mit Zucker und mit einem Canellstengel (d. h. Zimmet) umgerührt, nach welchem das Getränk benannt wird. Als Sorten haben wir schon oben aus dem Jahre 1712 die süßen Picardan und Frontignan, die weißen Weine von Calvisson und Haut-Preignac sammt dem schweren Pontac als vorkommend genannt und fügen dem hier hinzu, daß wir 1742 zuerst Medoc und Margaux namentlich angetroffen haben, von denen jener damals 39, dieser 27 Th. NZwdr. das Oxhöft in Lübek kostete, und 1744 den weißen Serons, der in Lübek mit 16 Th. 24 S. NZwdr. bezahlt wurde. Daß 1712 zuerst Champagner und Burgunder in Wismar genannt werden, ist bereits gesagt und mag hier noch notirt werden, daß in Hamburg 1743 jener 2 M. 6, dieser 1 M. 8 die Flasche galt.

Im Anfange des vorigen Jahrhunderts gab es in Wismar sechs Weinschenker. Nicht übermäßig günstig situirt, wie es scheint, wurden dieselben 1722 beim Rathe vorstellig wegen der Eingriffe verschiedener Personen, welche Franzbranntwein, Frontignan und Portugieswein bei Kannen und Flaschen verkauften, der Krämer, der Krüger, welche Franzbranntwein schenkten, und endlich besonders deswegen, daß Franzwein auch im Rathskeller feil sei. Der Rath sagte in Betreff der ersten Beschwerden Abhülfe nach Befund der Sachen zu und proponirte bezüglich des Rathskellers, daß man das Schenken von Franzwein einstellen wolle, wenn die Weinschenker dagegen den Verkauf von Südweinen aufgeben würden. Diese aber übersetzten schon damals das Suum cuique mit: Laßt mir das Meine und gebt mir das Eure, gingen nicht auf den Vorschlag ein und wendeten sich vielmehr an das Tribunal, was freilich nicht allein erfolglos war, sondern auch den Nachtheil für sie hatte, daß der Rath nunmehr ihr gleichzeitig angebrachtes Gesuch, eine geschlossene Compagnie bilden zu dürfen, zu dessen Gewährung sie gegründete Aussicht hatten, abschlug. Seit Mitte vorigen Jahrhunderts sind die Weinschenker dann meist in die Papagoien-Compagnie eingetreten und haben gegenwärtig fast alle die Trinkstuben aufgehoben, sind Weinhändler geworden.


Die Weinschenker suchten 1722 auch um die erbliche Freiheit des Weinkranzes für ihre Häuser nach, natürlich ohne Erfolg. Dem Neuen-Hause aber ist solche Freiheit am 3. Mai 1751 ertheilt worden, so lange es Compagniehaus der Kaufleute sein werde, das Privilegium jedoch nur auf Franzwein, Alant- und andere Würz-Weine gerichtet, während Rheinwein, Sect, Spanische und derlei hitzige Weine ausgeschlossen wurden; beim Wechsel der Pächter sollte eine Renovation nachgesucht und eine Recognition gezahlt werden. Das Privilegium erlosch 1820 mit dem Uebergange des Hauses in Privatbesitz. Es bestehen dagegen noch fort die Realprivilegien der Rathsapotheke und der „kleinen“ oder „unteren“ oder Löwen-Apotheke. Die Apotheker verfertigten vormals die beliebten mit Gewürzen abgezogenen Weine, den Claret, Hippocras und Luttertrank 31), von denen der erstgenannte schon 1427-1515 kostete das Stübchen 12S. S. -die anderen beiden zuerst im Ausgange des sechszehnten Jahrhunderts in Wismar genannt werden, und daraus konnte sich leicht der Verkauf von Wein überhaupt entwickeln. In der That hat dieser auch bereits 1580 auf der Rathsapotheke Statt gefunden, doch waren es nur Landwein, Französischer, Spanischer und dergleichen fremde Weine, welche der Apotheker nach vorgehender Probe und Zahlung der Accise zapfen durfte. Gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts war auf der Rathsapotheke zu haben Luttertrank zu 4 S., Bitterwein zu 3 S., Himbeer-, Citronen- und Kirschwein zu 4 S., Franzwein zu 3 S., Hochlandswein und Basedonk (?) zu 4 S. und Franzbranntwein zu 4 1/2 und 5 S. die Planke; in der Wismarschen Apothekertaxe von 1741 ist das Stop Vinum Hippocraticum mit 12 S. angesetzt. Als die Rathsapotheke 1819 von der Stadt in Erbpacht verkauft wurde, ist das Privilegium auf Französischen Wein in dem Contracte conservirt worden, welches der Eigenthümer der 1659 von Mathias Scheffel angelegten zweiten Apotheke gleichfalls besitzt, doch machen beide Apotheken seit Menschengedenken keinen Gebrauch mehr von ihrem Rechte. Luttertrank wird nach 1835 in Wismar nicht mehr bereitet sein und die anderen Weine verstehen die Weinhändler jetzt wohl eben so gut zu präpariren wie irgend ein Apotheker.

Rathskeller im alten und eigentlichen Sinne, d. h. Keller, in denen für Rechnung von Rathscorporationen unter deren Aufsicht edle Weine mit ausschließender Berechtigung verkauft wurden, giebt es jetzt schwerlich noch irgendwo. Theils von Oben, theils von Unten bedrängt sind die Rathmannen, denen die ihnen zustehenden Gefälle nur eine Anerkennung waren für Zeitverlust, Mühe und Gefahr, die sie für das gemeine Wesen aufwendeten, hier fürstliche Diener, dort Gemeindebeamten geworden, welche für ihre Arbeit einen festen Sold, und, müssen sie ausgespannt werden Pension erhalten. Für solche Collegien hat eine schwankende und unerhebliche Einnahmequelle, wie ein Rathskeller war, kein Interesse. Zu diesem Umstande, wie die letzten beiden Jahrhunderte und das gegenwärtige hier früher, dort später ihn hervorgebracht haben, trat hinzu, daß das Bedürfniß beim Publicum mehr und mehr schwand; der Rheinwein kam allmälig außer Gebrauch und man entschied sich in immer weiteren Kreisen für die billigeren und weniger feurigen Bordeaux-Weine und etwa den allerdings teuren, aber gleichfalls nicht nachhaltig erhitzenden Champagner, ganz der süßen Weine des Südens zu geschweigen, denen man gänzlich den Rücken gekehrt hat. Endlich hat man sich ebensowohl Seitens der Obrigkeiten wie des Publicums entwöhnt, für den Schutz, den die Rollen und Privilegien gewährten, als Gegenleistung „Kaufmannsgut“, d. h. unverfälschte und tüchtige Waare zu beanspruchen; jedermann ist eben bereit die Freiheit nach besten Kräften zu mogeln, welche er selbst beansprucht, auch anderen zuzugestehen und so wenig sich jemand wider das angeschobene und schleifige Brod des Bäckers beklagt oder über den Knochenhauer, der ein Stück Vieh vor dem Schinder rettet, so giebt er sich auch zufrieden, wenn er Cette-Wein für Bordeaux und Freiburger Schaumwein für Champagner bezahlen muß, und wird sich auch zufrieden geben und sich vielleicht über die schönen Fortschritte der Wissenschaft freuen, wenn sein Glas mit Magdeburger S. Julien gefüllt ist, mit Brausewein, der im Keller gegenüber seinen Ursprung hat, oder mit Rheinwein, dessen Duft das Werk weniger Secunden ist. Unter solchen Verhältnissen haben die Rathskeller ein Ende nehmen müssen und die jetzt in den alten Räumen etablirten Weinhandlungen stehen auf ganz gleichem Fuße mit allen übrigen. So ist es seit einem Menschenalter auch mit demjenigen in Wismar.




30) Wehrmann a. a. O. S. 86. Hirsch a. a. O. S. 85 führt dagegen Azoye als Lissaboner Ausfuhrartikel an.
31) Ueber Unterschied und Bereitung s. Wehrmann a. a. O. Note 14.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches E. E. Raths Weinkeller zu Wismar