Abschnitt 10

Wie vor Alters das Emische Haus gewissermaßen ein Filial des Rathskellers war, so gab es ein solches auch in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts. In dem Contracte von 1661 wird nämlich dem Pächter auch das „Ober-logiment beym Waßer vulgo die Börße“ eingethan und demselben gestattet, dort Gäste zu setzen und Wein und fremde Biere gegen eine verglichene Accise zu schenken, in dem Contracte von 1665 aber ist ausgemacht, daß Wein u. s. w., welchen der Kellermeister bei Kannen oder Stübchen in jenes Local holen ließe, oder auch 6 Oxhöfte oder 4 Cartele Branntwein, ohne Zweifel Franzbranntwein, accisefrei sein sollten. Wir wissen das Local, von dem weiter keine Rede ist, nicht nachzuweisen, falls man nicht das sogenannte Gewölbe beim kleinen Wasserthor darunter zu verstehen hat.

Schließlich haben wir noch einen Blick auf den Weinhandel der Bürger und dessen Verhältniß zum Rathskeller zu richten. Aus dem ganzen Mittelalter ist uns in Beziehung auf jenen nur die einzige Thatsache bekannt, daß der Rathmann Hinrich Kadow 1341 dem Bürgermeister Johann Kröpelin sein großes Faß Wein im Keller verpfändete 29), wonach wir vielleicht vermuthen dürfen, daß in Wismar zu jener Zeit noch aller Wein in dem öffentlichen Keller gelagert wurde, wie es auch vordem in Lübek der Fall war. Darnach aber findet sich eine Spur bürgerlichen Weinhandels erst in einem Hafenregister, welches dem Jahre 1535 angehören mag. Nach demselben gaben Basterd die Pipe 3 S., das Oxhöft 2 S., Malvasier, Romanie und Alicant das Faß 4 S., die Pipe oder Bot 3 S., Poitou die Pipe 2 S., das Oxhöft 9 Pf. und endlich Rheinwein das Faß von 8 Ohm und darüber 4 S., 6 Ohm oder ein halbes Faß 3 S., die Zulast von 4 Ohm gab 2 S. und ein einzelnes Ohm 6 Pf., wogegen im folgenden Jahrhunderte, 1663, das Hafengeld für je ein Faß Alicant, Malvasier, Basterd und andere heiße Weine, wie auch für das Ohm Rheinwein auf 8 S., für das Ohm Franzwein auf 6 S. 6 festgesetzt wurde, während 1628 das Dammgeld für das Ohm von 4 S.=Pfd. auf 4 S. normirt war. Man sieht aus diesen Bestimmungen, daß der Rathskeller nicht etwa allein Rheinwein und heiße Weine führte, sondern daß dies auch von Seiten der Bürger geschah, aber das ist nicht weniger gewiß, daß dieser Handel und zwar sicher seit uralter Zeit ein beschränkter war, wenn wir auch weder im älteren Lübischen Rechte noch unter den früheren Wismarschen statutarischen Aufzeichnungen eine Spur davon finden. Es war der Großhandel mit Wein jeglicher Art, der allen Kaufleuten zustand, doch scheint auch dieser allerdings nicht ganz ohne Schranken und der Verkauf von Rheinwein landwärts dem Rathskeller vorbehalten gewesen zu sein, während seewärts jeder Bürger ausführen konnte, denn anders ist es nicht wohl zu erklären, wenn es in dem Contracte von 1593 heißt, daß „außerhalb der Stadt zu Lande bei Zulasten, ganzen oder halben Ohmen oder Lecheln“ Rheinwein zu verkaufen der Ratskeller allein berechtigt sei. Ganz unzweideutig ist aber letzterem die Lieferung von Rheinwein zu Hochzeiten, Kindtaufen und dergleichen zahlreicheren Zusammenkünften in den Contracten vorbehalten. Dieselben enthalten diese Reservationen für den Keller aber von 1664 ab nicht mehr und dafür eine allgemeine Zusicherung von Schutz in Betreff der Rechte des Rathskellers, insoweit es die Zeitumstände erlauben würden. Zu dieser Modification wurde der Rath durch das treulose Verfahren der Schwedischen Regierung bewogen, welche, trotzdem daß die Rechte und Statuten der Stadt vermöge des Westfälischen Friedensinstrumentes unangetastet bleiben sollten, kein Bedenken trug, selbige zu „attemperiren“ und hierin leider auch bei dem höchsten Gerichtshofe nicht ohne Unterstützung blieb, welcher oft genug Uebergriffe aus der richterlichen Sphäre in die legislatorische sich gestattet hat. In Bezug auf unseren Gegenstand kam namentlich ein Königliches Rescript vom 28. Juli 1058 in Betracht, nach welchem es jedem Bürger freistehen sollte, zu handeln, womit er wolle, d. h. wenn nur die der Krone und der Stadt zustehenden Ungelder bezahlt würden; wäre das dem Bürgervertrage entgegen, so müsse derselbe „zeitgemäß adaptiert“ werden. Solchen Ukas hatte das Tribunal bereits einer Entscheidung grundleglich gemacht und bei dieser Willkür vermied es also der Rath, Verpflichtungen gegen den Kellerpächter einzugehen, die er nicht halten zu können leicht in die Lage kommen konnte. Den Verkauf des Rheinweins im Großen scheint man übrigens hernach auch nicht weiter für beschränkt angesehen zu haben und mag auch keine Gelegenheit zum Einschreiten dagegen gewesen sein. Länger aber hat man das Privilegium des Rathskellers auf den Detailverkauf von Rheinwein und von Südweinen aufrecht zu erhalten gewußt, welches Art. 88 der Alten und Art. 75 der Bürgersprache von 1610 bestätigen; niemand sollte nach denselben Rheinischen Wein oder Branntwein, Bastart, Muscatel, Malvasier oder dergleichen „hitzige“ Weine außer dem Kellermeister zapfen. Aber schon im siebenzehnten Jahrhunderte fingen die Weinschenker an Uebergriffe zu machen und der Rath hielt es 1695 für das Beste, wenigstens in Betreff der Südweine Concessionen gegen eine Recognition zu ertheilen, die nur bezüglich der Hochzeiten, Kindtaufen u. s. w. eingeschränkt waren, andererseits aber auch Schutz gegen die Krämer und sonstige Nichtconcessionirte zusagten. Man versuchte freilich noch 1722 bei einer passenden Veranlassung, dem Keller das ausschließliche Recht wieder zu gewinnen, aber vergebens, doch sind die heißen Weine wie der Rheinwein noch 1751 in dem Privilegium für das Neue-Haus als Schenkhaus ausdrücklich ausgenommen worden. Aber auch Rheinwein auszuzapfen hatten die Weinschenker seit dem obengedachten Rescripte von 1658 bereits vielfältig unternommen. Namentlich hatte Johann Tanke, von dem bereits die Rede war, bis 1662 schon 238 Oxhöfte Rheinwein, die er als Frankenwein eingeschmuggelt zu haben scheint, in seinen Keller gelegt und bis zum April 1663 an Rheinwein, süßen Weinen und Branntwein 147 3/4 Oxhöfte verkauft. Der aus diesem Anlasse angefangene Prozeß blieb aber liegen, anscheinend, weil Johann Tanke den Rathskeller in Pacht erhielt, und ebenso derjenige, welcher sich entspann, als sein Sohn 1687 Rheinwein in seinen Privatkeller hatte bringen lassen. Der Rath erlangte jedoch noch 1749 eine dem Keller günstige Entscheidung beim Tribunal und reservirte letzterem gegenüber 1765 alle dem Keller in Bezug auf den Verkauf von Rheinwein im Kleinen und sonst zustehenden Rechte, als dem Weinschenker Hieron. Chrn. Ungnade in letzter Instanz die Berechtigung zugesprochen war an Eximirte Rheinwein, wie im Großen, so auch im Kleinen, zu verkaufen. Nach Aussage des damaligen Kellerpächters war übrigens die Lage der Dinge zu jener Zeit schon so, daß alle sechs Weinschenker Rheinwein und süße Weine führten und zwar in dem Umfange, daß er, der seit 1752 wohnte, während er in der ersten Zeit noch für 1000 Th. jährlich davon abgesetzt haben sollte, zuletzt für 700 Th. weniger verkaufte, weswegen er sich einen Schaden von 200 Th. das Jahr berechnete. Der Rath hat weiterhin keinen Versuch mehr gemacht, sein Recht zu vertheidigen.


Ohne alle Einschränkung frei stand dagegen den Bürgern Landwein und Französische Weine zu zapfen, aber allerdings nicht ohne Weiteres, sondern es war dazu und ist dazu, zur Gerechtigkeit des Weinkranzes, d. h. zum Aufhängen eines solchen am Hause als Zeichen der Schenkstube, eine besondere Verlehnung Seitens des Rathes noch von Nöthen, wie das revidirte Lübische Recht auch ausdrücklich (III, 6, 12) besagt. Es haben jedoch auch die Krämer nach dem Vertrage vom 8. März 1661 Berechtigungen zum Verkaufe von Wein im Kleinen, d. h. in Quantitäten unter 1/4 Anker und unter 12 Flaschen nach gegenwärtiger Auffassung, während früher das Lechel die Grenze gebildet haben wird. Der Bürgerwein unterlag aber einer Accise und einer bereits vom Alten Lübischen Rechte angeordneten Probe vor dem Ausschanke.




29) Dominus Hinricus Kadowe inpignerauit domino Johanni Cropelyne suum maius vas vini, quod jacet in cellario pro XIII marcis Lubicensium denariorum. Daß der Rathskeller gemeint ist, wird nicht zu bezweifeln sein; es würde sonst in cellario suo gesagt sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches E. E. Raths Weinkeller zu Wismar