Vorrede

„Eine Reisebeschreibung!“ - so ruft der verehrte Leser entsetzt aus und fügt dann möglicherweise im Tone wohlwollender Ermahnung hinzu: „Wissen Sie auch, wertester Bester, was man heute unter der Einwirkung eines steigenden Angebotes alles von einer „Reisebeschreibung“ fordert? Haben Sie etwa in der nächsten Umgebung des Nordpols ein Rencontre mit rassereinen Eisbären gehabt? Sind Sie mit einigen Eisbergen karamboliert oder haben Sie etwa einen kleinen Schiffbruch jenseits des 86. Grades nördlicher Breite zu verzeichnen?“
Zu meinem unendlichen Bedauern muß ich vor den Lesern, gleich auf der ersten Seite, das Geständnis ablegen, daß ich leider bis zum heutigen Tage nicht das Glück gehabt habe, zum Mittelpunkt einer derartigen interessanten Situation zu werden. Meine Auffassung des Zweckes einer Reisebeschreibung weicht überhaupt von der viel verbreiteten Ansicht ab, daß, wer eine Reise durch fremde Ländergebiete darstellen will, notwendigerweise eine Sammlung sensationeller, oft auch unglaublicher Erlebnisse veranstalten müsse.
Bei einer Reisebeschreibung kommen zwei Faktoren in Betracht: einerseits das fremde Land mit seinen eigenartigen Verhältnissen als Objekt; andererseits der Kopf des Reisenden, in welchem sich Land, Leute und die Reiseerlebnisse widerspiegeln und durch die Darstellung der Feder oder auch des Zeichenstiftes Form und Leben gewinnen. Es ist also ohne weiteres klar, daß nicht jede an Ereignissen oder auch Abenteuern reiche Reise notwendigerweise eine fesselnde Beschreibung im Gefolge haben müsse.
Die ideale Aufgabe der Reisebeschreibung ist nach meiner Auffassung die, durch die Darstellung im Kopfe des Lesers dieselben Eindrücke und Gedanken wachzurufen, welche der Reisende im fremden Lande empfunden hat, den Leser in stand zu setzen, mit den Augen des Erzählers zu sehen und die Reise im Geiste mitzumachen.
Ob es mir gelungen ist, diese Aufgabe zu lösen, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich hoffe und wünsche es! - denn das Land, welchem das vorliegende Buch geweiht ist, gehört zu den herrlichsten, eigenartigsten auf weiter Erdenrunde und erweckt den Wunsch, die Feder statt in Tinte in glühende Farben tauchen zu können, um die überwältigenden Bilder festzuhalten, welche dort die Sinne gefangen nehmen.
Aus diesem Grunde habe ich mich gänzlich fern gehalten von allen Darstellungen, die nach einer Belehrung aussehen und am Ende in weit größerer Vollkommenheit in jedem Konversationslexikon nachgeschlagen werden könnten. Was ich beabsichtige, ist, den Waidgenossen das Nordland so vorzuführen, wie sich dem Beschauer etwa ein Ölgemälde präsentiert, an dem er sich erfreut, ohne auf den Gedanken zu verfallen, eine Untersuchung darüber anzustellen, in welchem Schiebfach der geologischen Wissenschaft die gemalten Berge, oder in welcher Abteilung der Botanik die auf die Leinwand gezauberten Bäume unterzubringen seien.
Mein Bestreben war, den Leser zu unterhalten, nicht aber ihn zu langweilen! – Honny soit, qui mal y pense! -

Waidmannsheil!
Kehl, im Juli 1898
Der Verfasser.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Durch norwegische Jagdgründe