Die schöne Bertha vom Schweckhäuserberge (mündlich)

Aus: Volkssagen, Märchen und Legenden Niedersachsens
Autor: Gesammelt und Herausgegeben von Harrys, Herrmann, Erscheinungsjahr: 1862

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen, Märchen, Legenden, Norddeutschland, Niedersachsen, Überlieferungen, Waake, Landolfshausen, Mackenrode, Göttingen, Schweckhäuserberge, Ebergötzen, Bösinghausen
Zwischen Waake, Landolfshausen und Mackenrode, unweit Göttingen, liegen nicht weit von einander drei Berge, welche die Schweckhäuserberge genannt werden; einer ist unter dem Namen der lange Schweckhäuserberg bekannt. Auf dem langen Schweckhäuserberg hat früher ein Schloss gestanden, wovon man jetzt aber nur noch wenige Steine sieht. Der letzte Herr auf Schweckhausen hat eine Tochter gehabt, die um ihrer Schönheit willen die schöne Bertha genannt wurde. Um diese Bertha hat einst der ruchlose Graf Isang geworben, aber vergebens. Nun ist aber des Grafen Mutter in den Zauberkünsten wohl bewandert gewesen, und ist auch eine böse, grimmige Frau gewesen. Also gedachte sie, die schöne Bertha in Jammer und Elend zu bringen, weil sie ihren Sohn verschmäht hatte. Sie nahm ihren schwarzen Zauberstab und sagte zu Bertha: Weil Du den Grafen Isang nicht zum Ehegemahl gewollt, so sollst Du nun auch nie und nimmer eines Andern Gemahl werden. Aber ich will Dich in einen Wald bannen auf einen gangbaren Weg, da sollst Du Nachts wandern gehen und rufen: „Hilf mir, hilf mir!“ bis Einer zu Dir sagt: „So helf’ Dir der liebe Gott.“ Dann soll Deine Erlösung beginnen. Es muss aber erst noch ein Mann von seiner Frau sterben, die Frau muss sich einem zweiten Mann in die Ehe geben und einen Sohn zeugen. Der muss ein Pfarrer werden. Wann der zum ersten Male in einer Kirche predigt, alsdann bist Du erlöst, nicht eher. Der Weg im Walde, auf dem Du wanderst, soll der sein, der da geht von Ebergötzen nach Bösinghausen.

Nun ist Keiner gewesen, der von der schönen Bertha den Bann hat nehmen können, und sie hat wandern müssen bei Nacht, und bei Tag hat sie ausgeruht in einer Steinklippe am Walde. Sie hat eine Flasche Weines und ein Brot gehabt und jeden Morgen ist die Flasche voll angefüllt gewesen und hat ein frisches Brot auf ihrem Laubbette gelegen. Es ist aber bald nachher die Gräfin Hildegard zu Wagen des Weges gekommen, und Bertha hat an der Steinklippe gerufen: Hilf mir, hilf mir! Darüber hat der Lenker die Spur verloren, ist auf die Steinklippe geraten, von wo dann der Wagen samt Menschen und Pferden mit einem furchtbaren Krachen hinabgestürzt und unten Alles zerschmettert ist. An diesem Steine kann man noch heutigen Tages folgende Schrift lesen:

HANS DANNE: JAKOP KANNEN 1603. 1504.

Es stehen noch mehr Buchstaben daran geschrieben, die sind aber verwittert. Nicht lange darauf ist auch der sündhafte Graf Isang in Elend geraten und in das Kloster Gieboldehausen gezogen.*) Aber die arme Bertha hat fort und fort wandern müssen und rufen: Hilf mir, hilf mir! So sind Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte verlaufen und ist nicht anders mit ihr geworden. Es ging auch bei Nachtzeit keiner mehr in den Wald, weil da seit 300 Jahren eine verzauberte Jungfrau umgehe, vor der man sich fürchten müsse.

*) Die vorigen Tage.

Einmal begab es sich, dass ein tapferer Reiter im Wirtshause zu Ebergötzen einkehrte, traf da gute alte Bekannte, die erzählten ihm auch von dem Gespenste, das da im Walde nach Bösinghausen gehe und immer hilf mir, hilf mir! rufe. Der Reiter hat über die Furcht seiner Kameraden gelacht und gesagt: Wenn das Gespenst Hilfe nötig hat, so will ich doch sehen, ob ich ihm nicht helfen kann. Er hat darauf noch ein Glas getrunken und ist gutes Muts in den Wald geritten. Es hat auch nicht lange gewährt, so hat er rufen gehört „hilf mir, hilf mir!“ Wer kann Dir helfen? „Ach, Keiner!“ So helf Dir der liebe Gott. Kaum hat der Reiter die Worte gesagt, so hat auch die schöne Bertha hinter ihm auf seinem Pferde gesessen und sich fest an ihm gehalten.

Da ist dem Reiter doch ein leises Grauen angekommen, aber die schöne Bertha hat ihn bald beruhigt, hat ihm ihre ganze Geschichte erzählt, und wie er, der Reiter, ihre Erlösung begonnen hätte, und wie er nun weiter für sie tun solle: Ihr müsst reiten nach Waake, hat sie gesagt, in die Straße, die nach Mittag liegt und zum Sieke genannt wird. Da müsst Ihr in das letzte Haus an der Straße gehen, da wohnen zwei Leute, Mann und Frau, die keine Kinder haben. Wann Ihr in der Stube seid, wird auch der Tod herein kommen, vor dem aber braucht Ihr Euch gar nicht zu fürchten, denn Ihr werdet ihn sehen, der Mann und die Frau aber nicht. Der Tod wird alsdann hinter den Mann treten und ihm in den Buckel klopfen, worauf der Mann krank werden und sterben wird. Wenn dann der Tod wieder hinausgeht und Euch winkt, so müsst Ihr ihm folgen, denn er wird Euch draußen sagen, wie viel Jahre bis zu meiner Erlösung noch verlaufen werden. Davon sollt Ihr Mir in der folgenden Nacht eine Nachricht geben. Dem Reiter ist das alles sehr wunderbar vorgekommen, aber er hat der armen Bertha doch gern aus ihrem Elend verhelfen wollen; ist also zum Sieke geritten, und wie er ins letzte Haus gekommen ist, so haben da richtig Mann und Frau am Tische gesessen. Er hat sie um Quartier, bloß aus Vorwand, angesprochen, und eh' er sich’s versehen, ist die Tür ganz ohne Geräusch aufgegangen und der Tod hereingetreten. Der ist ein langer, hagerer Mann mit blassem, eingefallenen Gesichte gewesen, hat einen langen, grauen Rock und in der Hand ein spanisch Röhrlein mit einem Totenkopf als Knopf getragen. Den Reiter hat’s kalt überrieselt, aber der Mann und die Frau haben den Tod nicht gesehen. Also tritt der Tod leise hinter den Mann, klopft ihm dreimal mit seinem spanischen Rohr in den Rücken, da schüttelt sich der Mann und sagt: mich fröstelt. Drauf geht der Tod wieder hinaus, der Reiter ihm nach. Draußen sagt der Tod: Mein Freund, Du kannst nun wieder zum Walde reiten und der verzauberten Bertha das Folgende berichten: Dieser Mann wird nun sterben und seine Frau wird einen Andern ehelichen, dem wird sie einen Sohn zeugen, der wird ein Pfarrer werden und sobald er 22 Jahre gelebt, eine Predigt halten. Dann wird die schöne Bertha erlöst sein. Der Reiter hat’s gut ausgerichtet, und die schöne Bertha hat ihm viel tausend Mal gedankt und ihn gebeten, dass er noch einmal wieder zu ihr kommen solle. Er ist aber nicht wieder gekommen, und der Tod, sein Freund, wird ihm auf der nächsten Wahlstatt wohl auch mit seinem Röhrlein in den Buckel geklopft haben. Genug, es ist Alles genau so eingetroffen, wie der Tod gesagt hatte, und wie die Zeit um gewesen ist, so ist der Tod der schönen Bertha selber in ihrem Steinlager erschienen und hat zu ihr gesagt, dass sie nun aus ihrem Zauber erlöst sei und wieder unter die Menschen gehen könne. Aber die Menschen sind ihr fremd geworden in der langen Zeit; sie hat nur noch ein Jahr nach ihrer Erlösung gelebt und ist unter der Steinklippe begraben.

Waake mit Blick auf das Harzvorland

Waake mit Blick auf das Harzvorland

Landolfshausen, Niedersachsen

Landolfshausen, Niedersachsen

Mackenrode, Niedersachsen

Mackenrode, Niedersachsen