Handel und Handelspolitik.

Die Aufgabe des Handels ist, den Umsatz zwischen Schaffen und Verbrauch, Produktion und Konsumtion zu vermitteln. Er steht im Dienste beider, hat die Interessen beider als Kundschafter der Unternehmungslust und des Bedarfs, des Überflusses und Mangels, als Sammler von Vorräten zu vertreten und sein Gewinn besteht in der ihm von beiden Teilen von Rechts wegen gebührenden Vergütung. Steht er nur im Dienste einer Seite, dann ist er nicht eine selbständige Hilfskraft des Ganzen, sondern Kommissionär einer Partei. Diese selbständige Berufsstellung, in der es mehr als sonst auf die individuelle Findigkeit und von jeder Schablone unabhängige Tüchtigkeit ankommt, bildet die moderne Volkswirtschaft immer mehr aus, sowohl im Großhandel, der durch Erschließung neuer Beziehungen auch im internationalen Verkehr die größten mit starkem Betriebskapital und erheblicher Risikogefahr verknüpften Operationen leitet, als im örtlichen Kleinhandel, der auf geordnetem regelmäßigen Markte durch Sammlung, Ordnung und Sortierung der Güter, Berechnung von Konjunkturen, Makler- und Agentendienste den Güterumsatz im kleinen vermittelt.

Bei der Abgrenzung zwischen Grossund Kleinhandel spricht der technische Nutzen das entscheidende Wort. Der Handel ist nützlich und unentbehrlich, wenn er im großen oder kleinen, ohne den Herrn zu spielen, seine Dienste in technisch und wirtschaftlich zweckmäßigster Weise gegen angemessenen Gewinn leistet. Seine Freiheit ist innerhalb des Staates nur denjenigen Beschränkungen zu unterwerfen, die der Schutz gegen Missbräuche (Monopolbestrebungen aller Art, Unlauterkeit der Konkurrenz u. s. w.) notwendig macht. Im internationalen Verkehr dagegen ist die Tätigkeit des Handels an das Gesamtinteresse des Staates gebunden, hat sich der Zoll- und Handelspolitik des Staates zu fügen und als nationale Interessengemeinschaft aufzutreten.


Die Dienste des Handels sind gleichgültig und entbehrlich, sofern sich ihre Organisation derart zersplittert und in kleine egoistische Gewinninteressen auflöst, dass sie in ihrer Vielheit nicht mehr leistet, als eine einheitlichere und einfachere Einrichtung. Hiermit soll keineswegs der Aufsaugung des Kleinhandels durch den Großhandel das Wort geredet werden; auch hierfür gilt das unter Abschnitt 7 über den Groß- und Kleinbetrieb Gesagte. Hier steht vielmehr die für die Selbständigkeit des sesshaften Kleinhandels so gefährliche, zahlreiche, kurzlebige und unsolide Konkurrenz in Frage, die in ihrer Verquickung mit der Kreditgewähr infolge ungenügender Betriebsfonds nach dem Satze verfährt: „der Händler entnimmt auf Kredit bei dem Lieferanten und gewährt Kredit seinem Abnehmer“; sie ist für das Ganze nutzlos und für das solide Geschäft ruinös, eine unangenehme Begleiterscheinung der Gewerbefreiheit.

Die Dienste des Handels sind schließlich nachteilig, wenn sie rein egoistische Spekulationsinteressen verfolgen, die losgelöst sind von den Interessen der Produzenten und Konsumenten. Die öffentlichrechtliche Aufgabe besteht hiernach in der Feststellung von Merkmalen, an denen das Nützliche gefördert, das Überflüssige geduldet und das Schädliche verboten wird.

Soweit die Spekulation in Berechnung künftiger Ereignisse vorsorgt, das Risiko der Preisschwankungen übernimmt und in kürzeren und längeren Perioden zu einer Preisausgleichung führt, ist sie die festeste Stütze für die Regelmäßigkeit des Umsatzes. Auf die Art der Handhabung kommt hier das Meiste an 16). Der Missbrauch kann mit der Herbeiführung der Häufigkeit, Plötzlichkeit und Ausdehnung von Preisschwankungen als Selbstzweck der Spekulation beginnen und sich bis zu dem nur äußerlich an den Warenmarkt anknüpfenden, auf die Zahlung von Differenzen gerichteten Wettgeschäft steigern, das sich im ganzen auf das Vielfache des überhaupt vorhandenen Materials beläuft und im einzelnen die Lieferungsfähigkeit ausschließt. Der auf den effektiven Warenumsatz sich stützende Terminhandel ist ein nützlicher Dienst. Auch gegen Wettgeschäfte, sofern sie sich in den Grenzen der Ehrlichkeit halten, ist vom Standpunkt der persönlichen Freiheit ein Verbot nicht gerechtfertigt. Für den Warenhandel aber höchst bedenklich kann das sich an seine Schwankungen anlehnende und auf diese einwirkende Spielgeschäft werden, gleichviel in welche Form es sich kleidet. Steigen die Spielpreise, so müssen ohne inneren Grund die Preise der Lagervorräte unvermutet mitsteigen, um demnächst beim Zusammenbruch der Hausse ebenso rasch und grundlos zu fallen. Andererseits müssen beim Preissturz die Produzenten, die verkaufen müssen, sich den fiktiven Zufallpreisen unterwerfen. Noch gefährlicher sind die internationalen Trusts, die durch übermächtige Kapitalmacht ganze Produktionszweige und Gebiete unter ihrer Herrschaft zu bringen und durch Sperrung und künstliche Mittel aller Art Monopolpreise und die Vernichtung jeglicher Konkurrenz zu erstreben suchen. Dass solchen zum Ausschluss der persönlichen Freiheit im Warenhandel führenden Angriffen gegenüber, auch wenn ihr baldiger Zusammenbruch zu gewärtigen ist, mit Energie entgegengetreten werden muss, ist eine allgemeine Pflicht. Selbst bei dem Warrantsystem kann der sich nach dem Geldmarkt regulierende Spekulationspreis dieser Papiere, bei denen die Ware (z. B. Roheisen) nur Mittel zum Zweck ist, den Handel unsolid beeinflussen. Mehr vorübergehender Art sind dagegen die Schädigungen des Warenumsatzes durch Gründungs- und Schiebungsspekulationen auf dem industriellen Efftektenmarkt. Im übrigen kann auch der Handel mit den auf das öffentliche Schuldkapital sich beziehenden Forderungen, da er den für den Warenumsatz wichtigen Geldkapitalmarkt gleichfalls in Anspruch nimmt, im internationalen Verkehr nachteiligen Einfluss auf den Warenhandel üben 17). Derartige Kollisionen werden sich jedoch bei guter Organisation des Bank- und Geldwesens zumeist gleichfalls ohne tiefergehende Wirkungen ausgleichen. Die schädlichsten Spekulationsformen im Handel sind diejenigen, die eine gewinnlustige, aber urteilslose Menge in Mitleidenschaft ziehen. Unter allen für den Handel wichtigen öffentlichen Fragen steht die Handels- und Zollpolitik im Vordergrund und zwar nicht nur für den Außen-, sondern auch für den Inlandsverkehr, weil Ausfuhr- und Einfuhrinteressen im ganzen nicht trennbar sind. Kein Staat wird einem anderen die Einfuhr gestatten, wenn ihm die Ausfuhr seiner Produkte dorthin versperrt ist. Weder Absperrung noch Freizügigkeit, sondern Einfügung der Staaten als selbständige wirtschaftliche Größen in regelmäßige Ausfuhr- und Einfuhrbeziehungen ist die Losung für den internationalen Verkehr, den Wetterwinkel der Wirtschaftspolitik, Je nach seinen Produktionsbedingungen kann der einzelne Staat gegebene Verhältnisse vernünftig ordnen, wenn er die internationalen Beziehungen stark betont oder einschränkt und demgemäss Freihandels- oder Schutzzollpolitik treibt. Es ist eine reine Nützlichkeitsfrage. Als prinzipielles, allgemein brauchbares System kann keines von beiden gelten; namentlich ist der Freihandel weit weniger eine prinzipielle Konsequenz der persönlichen Freiheit, als ein durch unvermeidbare Unterschiede in den Produktionsbedingungen begründeter, als internationaler Produktionsordner dienender Ausgleichszoll. Die internationalen Verkehrsbeziehungen sind in mächtiger Entwicklung und fortschreitender technischer Erleichterung begriffen. Gerade mit Rücksicht hierauf erweist sich eine Ordnungsgrundlage als notwendig, um einer wilden Konkurrenz Schranken zu ziehen. Diese Grundlage kann nur darin bestehen, dass das heimische Absatzgebiet das Rückgrat der heimischen Produktion bleiben muss, und die Zollpolitik nur eine Ergänzung der inneren Wirtschaftspolitik sein soll.

Normaltarif gegenüber Ländern mit gleichem Tarifniveau, Begünstigungstarif gegenüber Ländern, die Zug um Zug Gegenkonzessionen gewähren, Zuschlagstarif gegenüber Ländern mit aggressiver Zollpolitik. In jedem Falle aber Beständigkeit in der allgemeinen Richtung, die unbeschadet der Regulierung bei technischen oder sozialen Umwälzungen, durch periodisch wiederkehrende Gegenströmungen weder nach rechts noch nach links verschoben werden darf.

Unzweifelhaft hat das in den letzten fünfzig Jahren — einem Zeitraum enormer wirtschaftlicher Veränderung — angewandte System der Handelsverträge in hervorragender Weise zur Befestigung einer regelmäßigen Entwicklung beigetragen 18). Inzwischen haben sich jedoch zahlreiche Nebenerscheinungen herausgebildet, die erkennen lassen, dass mit diesem System das letzte Wort nicht gesprochen ist. Zunächst das Bestreben der Staaten, durch Aufstellung von Abschreckungstarifen, sog. Generaltarifen mit übermäßig hohen Sätzen eine Basis zu gewinnen, von der aus heruntergehandelt werden kann. Sodann die schwere unvermeidbare Fessel, einzelne Produktionszweige auf Kosten anderer bevorzugen zu müssen. Im Interesse der Industrieausfuhr werden die eigenen landwirtschaftlichen Zölle herabgesetzt oder umgekehrt; einzelne Industriezweige finden Berücksichtigung, andere nicht; Halbfabrikate werden zu Gunsten der Ganzfabrikation der auswärtigen Konkurrenz freigegeben u. s. w. Kurz: Viel Kampf der Interessen, viel Zufall und Machtfragen. Vor allem aber handelt es sich um die Frage der Meistbegünstigung, d. h. die Einräumung des Rechts, dass Zugeständnisse, die ein Vertragsstaat in Zukunft anderen Ländern einräumt, stillschweigend ohne Gegenleistung auch dem mitvertragschließenden Staate zu Gute kommen sollen. Dieser Wechsel auf die Zukunft kann allerdings Zollkriege verhindern, bringt aber in die ganze Tarifpolitik Unsicherheit, Unfreiheit und Misstrauen.

Tarifbestimmungen, die zwei Ländern zu gegenseitigem Nutzen gereichen könnten, müssen unterbleiben, weil ein dritter meistbegünstigter Staat ohne Gegenleistung den Hauptvorteil daraus ziehen würde; oder: infolge der Veränderung der Konkurrenz- und Verkehrsverhältnisse während der Vertragsdauer nimmt ein dritter meistbegünstigter Staat den ganzen Vorteil einer zwischen zwei Ländern getroffenen Tarifvereinbarung für sich weg; oder: ein meistbegünstigter Staat verliert plötzlich einen auf Grund der Meistbegünstigung mitgenossenen Vorteil, weil die beiden unmittelbaren Vertragsstaaten anderes vereinbaren. Es kommt hinzu, dass die differentielle Zollbehandlung überhaupt nicht mehr die Waffe ist, mit der ein Staat einen anderen zu schädigen sucht, letzteres vielmehr in der Weise geschieht, dass der allgemeine Tarifsatz für diejenigen Waren, an deren Einfuhr das betreffende Land in erster Reihe beteiligt ist, stark erhöht wird. In Wirklichkeit ist das Handelsvertragssystem mit den Gefahren, die sich aus der langjährigen Festlegung, aus der vertragsmäßigen Meistbegünstigung und den hohen Generaltarifen ergeben, zu einer Verlegenheitsform insofern geworden, als es statt zur Ermäßigung zur Erhöhung des allgemeinen Zolltarifniveau führte.

Zollrückerstattungen, Ausfuhrvergütungen mit oder ohne Identitätsnachweis sind nur künstliche Mittel. Auch der Vorschlag der Zollverbände bietet keinen Ausweg. Abgesehen von vorübergehenden Bündnissen zur Abwehr von Angriffen Dritter, können politisch selbständige Länder stets nur innerhalb enggezogener Grenzen auf ihre Zollselbständigkeit verzichten; auch scheitern Zollvereine hauptsächlich an der Quotenfrage für die Verteilung der Finanzerträge. Einen Wegweiser für die weitere Entwicklung bietet das neue System, nicht mehr einzelne Verträge, sondern ein Kollektivsystem von Verträgen mit einheitlicher Vertragsdauer gleichzeitig abzuschließen.

Drei Möglichkeiten kommen vorzugsweise in Betracht: Statt der vertragsmäßigen Festlegung der Meistbegünstigung deren tatsächliche Handhabung aus freier Hand von Staat zu Staat. Da alle Hauptländer an der Vermeidung von Zollkriegen in gleicher Weise beteiligt sind, wird sich auf autonomem Wege gegenseitig ein ausgleichendes Zollniveau leichter herstellen, als auf dem Umwege über Abschreckungstarife durch gemischte Handelsverträge.

Sodann an Stelle der die heterogensten Dinge zusammenschmiedenden Verträge die Sonderbehandlung der im internationalen Wettbewerb stehenden Großindustrien (Eisen-, Textil-, Papier-, chemische Industrie u. s. w.) und allgemeinen Bedarfsartikel wie Getreide, Holz, Zucker, Salz u. s. w. In diesen Großindustrien und zum Teil auch im Handel mit den allgemeinen Bedarfsartikeln wird durch die weiter fortschreitende Ausbildung des Syndikatssystems eine Produktions- und Absatzordnung nicht nur im heimischen, sondern auch im internationalen Verkehr angestrebt. Diese Organisationen werden in den einzelnen Produktionszweigen der Großindustrie um so umfassender und intensiver wirken, je mehr auch die erforderlichen Rohstoffe im Inlande erzeugt werden (z. B. Kohle und Erze bei der Eisenindustrie) und je weniger es sich um Spezialitäten handelt. Im internationalen Verkehr spielen diese Kartelle die Offensive für die Ausfuhr, während die Zölle die Defensive gegen die Einfuhr bilde. Es liegt nahe, dass sich den beteiligten Ländern allmählich das gemeinsame Interesse aufdrängen wird, an Stelle dieser verschärften Kampfesstellungen von Staat zu Staat durch ein auf einer gemeinsamen Konferenz mit offenen Karten zu beratendes, gemeinsames Übereinkommen im Wege des Zollausgleichs eine internationale Konkurrenzordnung zu schaffen. Die Syndikate haben um so mehr Anlass hierbei mitzuwirken, als ihre Tätigkeit von der Gestaltung der Einfuhrzölle abhängig ist. Inwieweit bei derartigen Übereinkommen eine isolierte Behandlung oder Verbindung der einzelnen Produktionszweige am Platze ist, bleibt eine offene Frage. Während die internationalen Kartellverträge die Abgrenzung der Absatzgebiete, Bestimmung der Produktionshöhe, des Preisminimums zum Gegenstande hätten, würde das Zollübereinkommen die Höchstbeträge der Zölle, die nicht überstiegen werden dürfen, oder die Preisgrenzpunkte, bei deren Eintritt von selbst eine Zoll-Erhöhung oder -Ermäßigung stattfinden soll, regeln. Je nach den gegebenen Verhältnissen wäre auch eine zeitweise Revision vorzubehalten.

Im Anschluss hieran könnten auch für die internationale Eisenbahntarifpolitik, die gleichfalls in enger Wechselwirkung mit dem Kartellwesen der Großindustrie und dem internationalen Handel mit allgemeinen Bedarfsartikeln steht, geeignete Ausgleichwege geebnet werden.

Für die übrigen Artikel, die keinen ständigen Umsatz im internationalen Verkehr haben, bei denen also nicht die Notwendigkeit einer internationalen Produktionsordnung im Vordergrund für die Zollpolitik steht, wäre die Autonomie oder die jetzt übliche Form der Handelsverträge zu belassen.