Die bayerische Oberrealschule vor 100 Jahren.

Ein Beitrag zur Geschichte des Allgemeinen Normativs von 1808 und des Realschulwesens.
Autor: Küffner, K. Dr. k. Professor der Oberrealschule Nürnberg., Erscheinungsjahr: 1908
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
    1. Gesichtspunkte der Erörterung.
    3. Die ersten Jahre unter Maximilian IV. Joseph.
    4. Der Wismayersche Lehrplan von 1804.
    5. Eintritt Niethammers ins Ministerium.
    6. Niethammers Vorarbeiten zum Allgemeinen Normativ von 1808
    a) Die prinzipielle Frage.
    b) Die Vorschulfrage.
    c) Unterricht und Lehrplan.
    7. Begutachtung des Niethammer’schen Projektes durch
    a) Friedrich Jakobs
    b) Kajetan Weiler
    c) Wismayer, Hobmann und einige Spezialgutachter.
    8. Niethammers Stellung zu den eingelaufenen Gutachten und seine Anträge.
    9. Das Allgemeine Normativ vom 3. November 1808.
    10. Altbayerische Reaktion gegen das Normativ und die Norddeutschen.
    11. Ausbau des Normativs.
    12. Aussichten und Erfolge der neuen realistischen Schulen.
    13. Auflösung der Realinstitute.
1. Gesichtspunkte der Erörterung.

Das Jahr 1908 ist hochbedeutsam für die Geschichte des realistischen Schulwesens in Bayern. Im Herbst schaut die junge Oberrealschule auf das 1. Jahr ihres Bestehens zurück. Im Februar vor 75 Jahren erschien die Schulordnung, welche die Gewerbeschulen ins Leben rief. Am 3. November ist ein Jahrhundert abgelaufen, daß das Allgemeine Normativ der Einrichtung der öffentlichen Unterrichtsanstalten in dem Königreich Bayern bekannt gemacht wurde. Darin, daß eine neue Schulordnung erschien, liegt an und für sich nichts Bemerkenswertes. Vor und nach dem Normativ sind in rascher Folge Schulordnungen herausgekommen, die von 1804, 1816, 1824, 1829. Sie beweisen nur, daß man bestrebt war, bestehende Einrichtungen zu verbessern und dem allgemeinen Zeitgeiste anzupassen. Das Normativ vom Jahre 1808 jedoch bezeichnet einen Markstein in der Geschichte des bayerischen Schulwesens. Während der Neuhumanismus nach schwankenden Versuchen wieder an den Gymnasien festen Fuß fasste, hat für den Realismus die neue Schulordnung die Bedeutung einer magna charta, welche die fundamentale Forderung der Gleichwertigkeit realistischer und humanistischer Bildung nicht bloß theoretisch ausreichend begründete, sondern in konkreten Formen verwirklichte. Das Allgemeine Normativ von 1808, dessen geistiger Vater der Philosoph Em. v. Niethammer war, brachte nichts mehr und nichts weniger als die Oberrealschule vor 100 Jahren in einer Form, welche vorbildlich für die nachfolgende Zeit und für die spätere Entwicklung hätte werden müssen, wenn nicht ein rauhes Geschick sie schon nach 8 Jahren, 1816, wieder hätte verschwinden lassen. Während Bayern fast als letzter unter den Staaten des Deutschen Reiches zur Gründung von Oberrealschulen geschritten ist, war es vor 100 Iahren die erkte deutsche Macht, welche dem realistischen Gedanken eigene, den Gymnasien gleichgeordnete, mit wertvollen Berechtigungen ausgestattete Schulen überwies. Dieser Anlass ist bedeutsam genug Rückschau auf die Vergangenheit zu halten und den Entwicklungsgang näher kennen zu lernen, welcher zu der erfreulichen Organisation des Jahres 1808 geführt.