Verwickelte Entwicklung

Die Kunst in der Schweiz ist im Sinne der Kunststatistik innerhalb der Grenzpfähle des Landes ein zusammengehöriges Ganzes. Sie stellt das Vorhandene fest. Aber wie das Gewordene ward, das ist eine andere Sache. Im Sinne der Entwicklung ist das Bild überaus verwickelt. Der Querschnitt, den die geologische Wissenschaft durch ein Alpengebiet legt, wo die verworfenen und übereinandergelagerten Schichten ein Chaos zeigen, das aber durch Druck und Zeit zu einem neuen organischen Bilde verwachsen ist — er zeigt einen ähnlichen Zustand, wie er heute im kunstgeschichtlichen Sinne hier vor uns liegt. Die Schichtung der stilgeschichtlichen Lagen und Folgen ist nicht das Ergebnis eines ruhigen und stetigen Wachstums, sondern der Überrest weitausgedehnter europäischer Vorgänge oder der eingesprengte Bestandteil einer fernabgelegenen Kultur, ein Zufallsgebilde, schließlich finden sich tiefgelegene und verwachsene Kernstücke volkstümlicher Bildung, und das alles in einem festgeschlossenen Zustand, der die kunstgeschichtliche Grundfeste schweizerischer Bodengestaltung ist und die saftige lebensspendende Humusschicht trägt, auf der die Gegenwart Wurzel geschlagen hat. Die Fazies nun, die dieser Querschnitt darstellt, ist original schweizerisch. Denn sie kommt nirgendwo anders so vor, wie hier.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die alte Schweiz