Die Yankeedoodlefahrt und andre Reisegeschichten (1)

Von Fiesole nach Pasing
Autor: Bierbaum, Otto Julius (1865-1910), Erscheinungsjahr: 1908
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Reisebeschreibung, München
Fiesole und Pasing*) haben mancherlei gemeinsam. Z. B. mich, der ich im Winter Fiesolaner, im Sommer Pasinger bin. Aber damit läßt sich kein Staat machen, und, wenn ich nicht so schrecklich eitel wäre, würde ich es garnicht erwähnt haben. Bedeutsamer und interessanter ist, daß beide Städte eine Art Anhängsel zu einer großen Nachbarin sind. Sie verhalten sich je zu Florenz oder München etwa so, wie sich Charlottenburg zu Berlin verhält. Aber, während Charlottenburg jünger als Berlin ist, sind Fiesole und Pasing älter als ihre großen Nachbarinnen.

Fiesole zumal ist ganz schrecklich alt: so alt, daß es sich den Luxus eines mythologischen Gründers leisten kann: jenes etruskischen Königs Atlas, den Giotto in der Spanischen Kapelle zu Santa Maria Novella in Florenz als den Erfinder des Festungsbaus verewigt hat. Als er die riesigen Quadern aufeinander türmen ließ, von denen es einige bis auf den heutigen Tag gebracht haben, war von Fiorenza längst noch nicht die Rede, geschweige denn von Firenze. Die stolzen Florentiner müssen sich die historische Wahrheit gefallen lassen, daß ihre Stadt aus einem Komplex von Magazinen hervorgegangen ist, die die Bürger von Faesulae unten am Arno angelegt haben, wo die Händler von Nord und Süd passierten.

Mit so alten und gewichtigen Historien kann sich Pasing freilich nicht schmücken. Seine Gründer haben keinen Mythologen und keinen Giotto beschäftigt, und München ist aus keinen Pasinger Magazinen hervorgegangen; aber vor Isar-Athen ist es dagewesen, und der bajuwarische Name Pasing ist einmal römisch ausgesprochen worden, wenn ich bitten darf. Dort, wo jetzt die Englischen Fräulein junge Mädchen in Gottesfurcht, Weisheit und Klavierspiel unterweisen, steht noch ein altes Gewölbe aus jener vormünchnerschen Vergangenheit, und es gibt in der Bannmeile Pasings eine ganze Masse von Gräbern alter, toter Heiden, während München bloß lebendige Heiden hat, die zu nichts weiter zu gebrauchen sind, als Zeichnungen und Gedichte für unartige Zeitschriften zu machen.

*) Pasing, im Münchner Westen, wurde 1938 nach München eingemeindet.