Die Wallfahrt zweier Schwaben nach Compostella

Autor: Ueberlieferung
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Zwei Schwaben, Vater und Sohn, machten sich einst auf, um das Grab des heiligen Jakonus in Compostella, Spanien, aufzusuchen. Sie waren gegen die Unbill des Wetters ausgestattet, wie es für Jakobsbrüder üblich war. Nach langer Wanderung kamen sie endlich in das St.-Jakobs-Münster. In der Stadt fanden sie bei einem Wirt Herberge. In ihrer Meinung, die fromme Einfalt, die ihnen aus ihrer Heimat etwas Selbstverständliches war, sei überall zu finden, vor allem in einer so frommen Stadt, sollten sie sich gründlich täuschen. Der Wirt war sehr freundlich, so daß sie volles Vertrauen zu ihm hatten. In ihrer Harmlosigkeit zählten sie in seiner Gegenwart ihr Reisegeld. Den Wirt aber lockten die Gold- und Silbermünzen, und er sann nach, wie er sie an sich bringen könnte.

Die Wallfahrtszeit war um, und die zwei Schwaben machten sich auf den Heimweg. Sie waren noch nicht weit von Compostella entfernt, da wurden sie von bewaffneten Reitern angehalten. Unter ihnen war auch ihr Gastwirt, die andern waren Polizisten. Man warf den Wallfahrern vor, sie hätten dem Wirt einen goldenen Becher gestohlen, und durchsuchte ihr Gepäck. Tatsächlich fand sich der goldene Becher im Ranzen des Vaters.

Die Schwaben wurden nach Compostella zurückgebracht und vor Gericht gestellt. Der Vater wurde zum Tod verurteilt. Doch der Sohn bat den Richter, an Stelle seines Vaters gehenkt zu werden; denn ohne den Vater gerate die Familie in größtes Elend. Nach langer Beratung nahm der Richter das Anerbieten des Sohnes an: die Strafe wurde vollzogen.

Traurig trat der Vater den Heimweg an, der ihn am Galgen vorbeiführte. Noch einmal schaute er zu seinem jugendlichen Sohn hinauf. Siehe, dieser lebte noch. Vater und Sohn konnten miteinander reden und sprachen die Hoffnung aus, Gott werde auf die Fürbitte des heiligen Jakobus ihnen doch noch helfen. Eilends lief der Vater zum Richter. Als er mit diesem am Wirtshaus vorbeikam, wo beide gewohnt hatten, betraten sie, einer inneren Stimme folgend, die Schenke; der Wirt saß gerade wohlgefällig beim Essen. Vor ihm stand der goldene Becher mit Wein, auf einer Platte lagen gebratene Tauben.

Als der Schwabe erzählte, daß er soeben beobachtet habe, sein Sohn lebe noch, lachte der Wirt laut und meinte: "Du Narr, dein Sohn lebt so wenig, als diese Tauben hier fliegen können."

Im selben Augenblick flogen die gebratenen Tauben von der Platte weg in die Höhe und zum Fenster hinaus. Nun war auch der Richter von der Unschuld der beiden Schwaben überzeugt. Er ließ sofort den Sohn vom Galgen herunterholen. Der Wirt aber wurde vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und zur gleichen Strafe verurteilt.

Vater und Sohn dankten Gott und dem heiligen Jakobus für ihre Hilfe und machten sich auf den Heimweg. Zu Hause ließen sie den ganzen Vorgang in zwanzig Einzelbildern auf eine große Wandtafel malen. Diese ist, wenn auch ziemlich beschädigt, in der Kirche "Maria unter der Ecke", nicht weit von Peutingen, heute noch erhalten.