Michael Gericke
Die Völkerschau in Bildern
Ethnologie im Nationalsozialismus http://www.ethno-im-ns.uni-hamburg.de/kricke.htm
Autor: Krickeberg, Walter (1885-1962) deutscher Amerikanist und Ethnologe. 1939 bis 1954 Direktor des Museums für Völkerkunde in Berlin.https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Krickeberg, Erscheinungsjahr: 1932
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Völkerschau, Völkerkunde, Bildberichte, Filmberichte, Reiseberichte, Kolonien, Naturvölker, Kulturgeschichte, Sittengeschichte, Bräuche, Kolonisation, Zivilisation, Welteroberung, Ethnologie,
Die Völkerschau gehörte früher in den Großstädten zu den ständigen Einrichtungen der Zoologischen Gärten, Vergnügungsparks und Ausstellungen. Alljährlich im Frühjahr oder Frühsommer, wenn die Wärme einen dauerhaften Aufenthalt im Freien ermöglichte, erschienen die gelben, braunen oder schwarzen Leute, schlugen ihre Zelte oder Hütten zwischen den Häusermauern auf und spielten den Großstädtern ein Stück urwüchsigen Lebens vor, um dann nach ein paar Monaten, meist nur um einige fragwürdige Errungenschaften der europäischen Zivilisation reicher und oft genug durch das faule Leben und die Unvernunft der Besucher verdorben und infolge des ungesunden Klimas und der verkehrten Ernährung krank in ihre ferne Heimat zurückzukehren. Viele sahen sie niemals wieder, wie die 6 Ojebwa-(Tschippewä-) Indianer, die 1883 beim Schiffbruch der "Cimbria" untergingen, oder der arme Eskimo Nanuk, der Held des bekannten Films, den man in New York mit Süßigkeiten zu Tode fütterte. Andere, wie die Eingeborenen der deutschen Kolonien, denen man in der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 ein ganzes Dorf aufgebaut hatte, sind den Kolonialbehörden nach ihrer Rückkehr durch die "zivilisierten" Eigenschaften, die sie sich zugelegt hatten, recht lästig gefallen.
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Inhaltsverzeichnis
- 1. Gruppe: Nordeuropa und Nordasien
- Lappe von Kautokaino (Norwegen)
- Schwedischer Lappe
- Samojede vom Mesen (1862)
- Samojede vom unteren Ob (1876)
- Ostjake
- Ostjake (Zauberpriester)
- Jakutischer Jäger
- Jakute (1862)
- Jakutischer Jäger
- Katschine
- Dulgane (1843)
- Karagasse
- Tunguse vom Jenissei
- Tunguse (1775)
- Orotschone
- Golde
- Golde im Jagdkostüm
- Manegre
- Tschuktsche
- Gepanzerter Tschuktsche
- Itälme (1862)
- Giljake im Winterkleid (1854)
- Ainu (1881)
- Ainu in Festtracht
- 2. Gruppe: Mittel- und Vorderasien
Photographische Bildberichte und Kulturfilme ersetzen dem heutigen Europäer die Völkerschau. Er hat nur noch selten Gelegenheit, in der Heimat fremde Völker leibhaftig vor sich zu sehen, es sei denn in einem der großen Wanderzirkusse, wo sie aber natürlich noch viel weniger als früher in den Völkerschauen imstande sind, ein Bild von ihrem wirklichen Leben zu vermitteln, da sie ja vom Unternehmer in der Regel nur als Artisten zur Vorführung bestimmter Kunststücke verpflichtet werden. Der Film hat den ungeheuren Vorzug, fremde Völker ungeschminkt zeigen zu können; er ist daher für die Verbreitung völkerkundlicher Kenntnisse von größten Bedeutung und wird einmal, wenn es keine „Naturvölker“ mehr auf Erden gibt, das Material zu einem unschätzbaren Archiv menschlicher Kulturgeschichte liefern.
Nur leider kam der Film zu spät. Als der Kinematograph vor etwa 25 Jahren (1895 https://de.wikipedia.org/wiki/Kinematograph ) so weit vervollkommnet war, dass man ihn zur Aufnahmen in fernen Ländern gebrauchen konnte, hatte die zwölfte Stunde für viele farbige Völker längst geschlagen. Ganze Gruppen von ihnen waren infolge der europäischen Welteroberung und Kolonisation verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen; es braucht nur an die Urbevölkerung Westindiens erinnert zu werden, die schon im 16. und 17. Jahrhundert unterging, oder an die Tasmanier, die in dem schonungslosen Vernichtungskrieg der englischen Kolonisten von etwa 8.000 Menschen im Jahre 1800 binnen eines halben Jahrhunderts auf einen Mann und eine Frau zusammenschmolzen, die 1869 und 1876 starben. Viele andere fügten sich der nivellierenden Zivilisation; ein Sioux, der an einer Universität der Vereinigten Staaten studiert, ein Maori, der im neuseeländischen Parlament sitzt, ein Baschkire, der einer Sewjetbehörde angehört, ein Sulu-Polizist in Natal sind für die Kamera, die völkerkundliche Motive sucht, keine interessanten Typen mehr. So wäre es selbst mit den Besten und vollständigsten Sammlung ethnographischer Photographien heutzutage nicht mehr möglich, ein erschöpfendes Bild von den Rassen und Völkern der Erde zu geben.
Diesem Mangel soll unsere „Völkerschau“ in den bescheidenen Grenzen, die ihr durch Zahl und Format von Serienbildern gesteckt sind, abhelfen. Sie hält sich nicht an die Gegenwart und überhaupt nicht an einen bestimmten Zeitpunkt; denn wenn auch für die Zeit um 1700 oder 1800 herum die Zahl der bildlich interessanten Völkertypen einerseits viel größer gewesen wäre als gegenwärtig, hätten andererseits wiederum ganz große Erdgebiete, die damals noch nicht erforscht waren, ausfallen müssen. Die „Völkerschau in Bildern“ vereinigt daher Völkertypen aus etwa vier Jahrhunderten, von der Zeit an, in der überhaupt die ersten wissenschaftlich brauchbaren Bilder von Völkertypen entstanden. Das große Zeitalter der Entdeckungen hat leider noch keine solche Bilder geliefert. Wir wären glücklich wenn Columbus, Cabot, Vasco da Gama, Magalhaes Zeichner an Bord ihrer Schiffe gehabt hätten, die auch nur den bescheidensten Ansprüchen auf Genauigkeit bei der Wiedergabe fremder Völker genügt hätten. Erst gegen Ende des Zeitalters, als das hitzige Entdeckungs- und Eroberungsfieber sich legte und die bedächtigere, sorgsam vorbereitete Kolonisation in ihre Rechte trat, erscheint auch der Künstler neben dem Mann des Schwertes und des Kruzifixes auf dem Plan. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tauchen die ersten Maler und Zeichner als Begleiter französischer und englischer Kolonistenzüge nach den atlantischen Gestaden der heutigen Vereinigten Staaten und Brasiliens auf. Auf zwei von Ihnen, Jacques Le Moyne de Morgues und John White (With), gehen daher die ältesten Bilder unserer Sammlung (Nr. 201-203) zurück. Im 17. Jahrhundert sind es besonders die holländischen Seefahrer und Kolonisatoren, die der bildlichen Wiedergabe der von ihnen besuchten Völker Aufmerksamkeit schenkten, doch auch den Franzosen verdanken wir manches, vom Ethnographischen Stadtpunkt sehr wertvolle Bild. (Nr. 200). Ihrer künstlerischen Höhepunkt erreicht die bildliche ethnographische Darstellung aber erst in dem durch die Fahrten James Cooks (1768-1779) heraufgeführten zweiten Zeitalter der Entdeckungen. Es stand ganz im Bann der Rousseauschen Vorstellung von der Körperlichen und seelischen Vollkommenheit und dem wahrhaft glücklichen Leben des unberührten Naturmenschen; daher haftet allen ethnographischen Bildern aus der Zeit der großen Seefahrer ein teils heroischer, teils sentimentaler Zug an. Trotzdem sind diese Darstellungen der Begleiter Cooks (Bilder Nr. 146,194), Meares' (Nr. 222), Krusensterns (Nr. 152, 153), Otto von Kotzebues (Nr. 143, 195, 223, 256) Lütkes (Nr.140), Dumont d'Urvilles (Nr. 155) und viele anderer für uns von größtem Nutzen wegen der Sorgfalt, die der Zeichner auf die Wiedergabe aller Einzelheiten der Tracht und Bewaffnung verwandt hat. Auch die Landreisenden dieses Zeitalters vernachlässigten die künstlerische Seite ihrer Aufgabe nicht. Neben dem europäischen und asiatischen Russland, wo die ethnographischen Studien unter der Regierung Katharinas II. Einen mächtigen Auftrieb erfuhren und in Johann Gottlieb Georgie der erste Bilderchronist der russischen Völker erstand (Bild Nr. 14, vergl. Auch 28, 32, 35), wird vor allem Amerika das gelobte Land der Maler-Ethnographen. Nach Südamerika ließen sich Prinz Maximilian von Wied (1815-1816), Spix und Martius (1817-1820) und Langsdorff (1828) von tüchtigen Malern begleiten (Bilder Nr. 247, 242, 240). Noch weit mehr zog die prachtvolle Erscheinung der Nordamerikanischen Indianer die Künstler an, unter denen Bodmer, der Begleiter des Prinzen Wied auf seiner zweiten Reise (1832-1834), an erster Stelle zu nennen ist (Bild Nr. 205). Der fast zur gleichen Zeit reisende Amerikaner George Catlin war selbst Maler (Bilder Nr. 199, 207-209, 211, 213, 215), wie 20 Jahre Balduin Möllhausen (Bild Nr. 227). Eine Zeit lang blühte sogar eine offizielle ethnographische Porträtkunst; die Regierung der Vereinigten Staaten lies nämlich von allen Indianerhäuptlingen, die Verhandlungen mit dem „Großen weißen Vater“ nach Washington kamen, Bilder anfertigen, die im Kriegsministerium aufgehängt und 1838 bis 1842 von Mc Kenney und Hall in einem großen Tafelwerk veröffentlicht wurden (Bild Nr. 204). „Väterchen Zar“, der Beherrscher eines Reiches mit zahlreichen interessanten Völkern folgt diesem Beispiel; als die Tausendjahrfeier der Gründung des Russischen Reiches stattfand, erschien 1862 auf Veranlassung der Regierung ein von Pauly herausgegebenes Tafelwerk mit prächtigen farbigen Wiedergaben von etwas 60 russischen Völkerschaften (Bilder Nr. 3, 8, 21, 33, 38).
Um nur von den nordamerikanischen Indianern zu sprechen: was wüssten wir heute noch von dem wilden malerischen Pomp ihrer Erscheinung vor ihrem endgültigen Niedergang, wenn wir nicht dies Bilder hätten. 1637 begann bereits ihre planmäßige Ausrottung und Vertreibung mit dem Krieg gegen die Pequot, einem Stamm der Mohikaner in Connecticut; 1842, nach dem Seminolen-Krieg, war der ganze Osten bis zum Mississippi im wesentlichen von den Indianern geräumt; 1890 gehört nach dem letzten Aufflackern indianischen Widerstandes in der „Geistertanzbewegung“ auch der Westen bis zum Pazifik den weißen uneingeschränkt, denn die wenig mehr als 300.000 im Staat Oklahoma und in kleinen Reservationen lebenden Indianer geben dem Volksbild in den Vereinigten Staaten keine besondere Note mehr, da sie sich äußerlich lägst zivilisiert haben.
Auf das Zeitalter der völkerkundlichen Spezialforschung, da etwa 1840 anhebt und dem die meisten in der „Völkerschau“ vereinigten Bilder angehören, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. In ihm ist der Grund zur heutigen vergleichenden Völkerkunde gelegt worden, und es ist kein Zufall, dass die beiden großen Gesamtdarstellungen der Völkerkunde in deutscher Sprache, die Werke von Klemm und Waitz, an seinem Anfang stehen, Illustrativ bedeutet es zunächst einen Abstieg; die wertvollen Kupfer und Stahlstiche der vorangehenden Epoche werden durch schlechte Holzschnitte ersetzt, an deren Stelle erst seit etwa 1890 allgemein die auf der Fotografie beruhende Autotypie tritt.
Eine einfache Wiedergabe aller dieser Vorlagen von 1560 bis zur Gegenwart in ihren zahlreichen verschiedenen Reproduktionstechniken und -stilen hätte sich für die „Völkerschau“ wenig geeignet. Um einen einheitlichen Gesamteindruck zu erzielen, mussten von allen Vorlagen Umzeichnungen angefertigt werden, bei denen man unter Preisgabe zufälliger stilistischer Eigentümlichkeiten alle Einzelheiten der Darstellung, soweit sie völkerkundlich wertvoll waren, gewissenhaft beibehielt und da, wo die Vorlage sich als unvollständig oder unzulässig herausstellte, ergänzt und berichtigte. Diese Aufgabe konnte nur mit genauer Kenntnis der Sammlungen eines großen ethnographischen Museums gelöst werden, denn es galt ja auch schwarzweiße Vorlagen in einwandfreier Weise zu kolorieren. Es traf sich daher besonders glücklich, dass in Berlin ein alter Herr lebte, der seit 50 Jahren die Sammlungen des dortigen Museums für Völkerkunde, eines der bedeutendsten seiner Art, unermüdlich studiert und im Laufe der Zeit in der Geschilderten Weise ein großes ethnographisches Bildarchiv angelegt hatte, aus dem die vorliegende „Völkerschau“ nur eine kleine Auswahl darstellt.
Die „Völkerschau“ zeigt Vertreter aller größeren Völker- und Sprachgruppen der Erde außerhalb Europas; von europäischen Völkern sind nur die nordskandinavischen Lappen und südrussischen Turkstämme berücksichtigt worden, weil sie eng mit den Nord- bzw. Vorderasiaten zusammenhängen, rassenmäßig und sprachlich sowohl wie nach ihrer Kultur. Den vorder-, hoch-, süd- und ostasiatischen Kulturvölkern, deren Typus als allgemein bekannt gelten darf, wurden nur wenige Bilder gewidmet, um desto mehr Platz für die asiatischen Naturvölker zu gewinnen lässt, die alten Kulturvölker Amerikas fehlen deshalb, weil sich eine einwandfreie Vorstellung von ihrer äußeren Erscheinung nur aus vorspanischen Bilderschriften und archäologischen Funden gewinnen lässt, deren Wiedergabe ganz aus dem Rahmen des hier Gebotenen gefallen wäre. Einer weiteren Erklärung bedarf der Umstand, dass nur Männer abgebildet sind. Die Frauen stehen bei vielen Völkern der Erde, vor allem bei den meisten Naturvölkern, in Tracht und Putz weit hinter den Männern zurück; viele Schmuckarten sind ihnen nur in beschränktem Maße zugestanden oder ganz versagt, wie die prächtige Tatauierung auf Neuseeland und den Marquesas und der reiche Federschmuck in Nord- und Südamerika. Da auch möglichst viel von der charakterischen Bewaffnung der Hauptvölker gezeigt werden sollte, schien es das Beste, auf die Wiedergabe von Frauen ganz zu verzichten.
Als vor hundert Jahren die Völkerkunde noch in den Anfängen steckte, hielt man fünf große Rassen für ausreichend, um die ganze Menschheit zu umspannen: die weiße oder „Kaukasische“, gelbe oder mongolische, braune oder Malaiische, rote oder indianische und schwarze Rasse. Die von Linné und Blumenbach aufgestellten Schema, in dem jede Rasse ungefähr einem Erdteil entspricht (wenn man als Erdteil der „braunen Rasse“ Ozeanien im weitesten Sinne, also die ganze Inselwelt des Indischen und Großen Ozeans betrachtet), ist nach unserem heutigen, wesentlich verbreiterten und vertieften Wissen ganz unzureichend. Schon das Einteilungsprinzip, die Hautfarbe, eignet sich sehr wenig zur Unterscheidung von Rassen, da ja in einer jeden Farbschattierungen auftreten, die sich auch in den anderen wiederholen. Man könnte z. B. Mit dem selben Recht wie die Malaien auch viele Mongolen und die meisten Indianer zur „braunen Rasse“ rechnen; von einer „roten“ zu sprechen, ist geradezu irreführend, da die Indianer hauptsächlich ihrer Körperbemalung wegen „Rothäute“ hießen und kupferfarbene Haut Haut nur bei wenigen amerikanischen Stämmen vorkommt. Ferner wird eine Fünfzahl der Rassen nicht entfernt der körperlichen Erscheinungsformen der Menschheit gerecht. Buschmänner und Pygmäen, Wedda und Ainu, Australier und Papua lassen sich in dem alten Rassenschema nirgends unterbringen; die sogenannte „kaukasische“ Rasse zerfällt nach heutigen Anschauungen in mindestens fünf sehr von einander verschiedenen Unterassen. Es hat daher auch nicht an Versuchen gefehlt, die Rasseneinteilung dem heutigen Stand der Wissenschaft anzupassen; Stratz nimmt z. B. 11, Deniker 17 Rassen oder Rassengruppen an. Indessen ist die heutige Rassenforschung noch so weit entfernt von allgemein anerkannten Feststellungen, dass in der „Völkerschau“ nicht die Rassen, sondern die Sprachen der Menschheit der Einteilung zu Grunde gelegt wurden.
Die sprachliche Gruppierung hat der Rasseneinteilung gegenüber den großen Vorzug, dass sie scharfe Grenzen schafft und meist Völker vereint, die auch geschichtlich und kulturell irgendwie zusammengehören, was durchaus nicht immer zugleich Rasseneinheit bedeutet. Auf einige besonders typische Fälle, in denen der Gegensatz der Sprachen- und Rassenzugehörigkeit deutlich hervortritt, wie bei den Lappen (Bild Nr. 2), Armeniern (Bild Nr. 47), Singhalesen (Bild Nr. 73), Küstenstämme Neuguineas (Bild Nr. 127f), und Fundsch (Bild Nr. 174), ist in den Bildererklärungen hingewiesen worden. Auch Kulturgruppen decken sich nicht immer mit Sprachgruppen. Die Jakuten (Bild Nr. 7) gehören zu einem ganz anderen Kulturkreis wie die Jürüken (Bild Nr. 27), obwohl sie beide türkisch reden, und die Tibeter (Bild Nr. 25) bzw. Birmanen (Bild Nr. 76), die unter indischen Einfluss sich zum Range von Kulturvölkern erhoben, haben nur noch wenig gemein mit ihren Vettern in Assam, den Garo, Naga, Abor usw. (Bilder Nr. 62-71). Andererseits wäre es verfehlt, die papuanisch und melanesisch sprechenden Völker Neuguineas aus einander zu reißen, da sie kulturell keine wesentlichen Unterschiede zeigen. Am wenigsten lässt sich in Amerika mit der Völkergruppierung nach Sprachen etwas anfangen. Nirgends ist die Sprachzersplitterung größer als in diesem Erdteil. Die Puebloindianer, eine vergleichsweise winzige Gruppe dorfbewohnender Indianer in Arizona und Neumexiko, zerfallen in vier sprachlich völlig von einander verschiedenen Stämme, und in Kalifornien zählte man bis vor kurzem nicht weniger als 21 verschiedene Sprachfamilien (nach neueren Forschungen immerhin noch neun). Von den größeren Sprachfamilien, z. B. den Athapasken (Bilder Nr. 212, 217-219) und Schoschonen (Bilder Nr. 216, 226), gilt dasselbe wie von den erwähnten türkischen und tibettobirmanischen Völkern: Ihre Einzelstämme gehören so verschiedenen Kulturkreisen und Kulturstufen an, dass nur noch die Sprache die einstige Zusammengehörigkeit verrät. Um zu einer klaren Übersicht über die verwirrende Menge von amerikanischen Stämmen zu gelangen, muss man sie daher nach Kulturkreisen gruppieren, wie es in der „Völkerschau“ geschehen ist.
Dem wissbegierigen Betrachter sollen die Bilder der „Völkerschau“ nicht nur eine Übersicht über die Sprachgruppen und Völker der Erde geben. Sie können, aufmerksam miteinander verglichen, auch eine Fülle wertvoller kulturgeschichtlicher Belehrung vermitteln. Wer z. B. Über die verschiedenen Stile der Tataurierung (so sagt man besser statt Tätowierung, denn tattow ist nur die englische Schreibweise von tatau) unterrichtet sein will, findet zahlreiche Beispiele dieser eigenartigen Kunst; das selbe gilt von den Federschmucken, Brustzieraten, Haartrachten. Die Entwicklung des Schildes vom einfachen Parierstock mit ledernem Handschutz (Bild Nr. 183) bis zum mächtigen Rund- oder Langschild oder des Panzers vom schmalen Korsett (Bild Nr. 92) bis zur vollständigen Umhüllung des Körpers lässt sich nahezu lückenlos verfolgen. Wir lernen die beiden Hauptgebiete des Blasrohrs in Südasien (Bild Nr. 58) und Südamerika (Bild Nr. 242) kennen und erfahren, dass sich eine primitive Wurfkeule, der australische Bumerang (Bild Nr. 116) in Afrika zum zackigen Wurfmesser (Bild Nr. 169) umgebildet hat. Von Kleidungsstücken erscheint z. B. Der Mantel in allen erdenklichen Abarten, vom Tierfell (Bild Nr. 258) und Rindenstoffumhang (Bild Nr. 151) bis zur kunstvollen Federpelerine (Bild Nr. 145) und zur gewebten reichgemusterten Decke (Bild Nr. 221). Aus der Verbreitung solcher oft unscheinbaren Kulturgüter lassen sich die wichtigsten Schlüsse ziehen; sie spielen in der Geschichte der Primitiven, die weder durch Urkunden, noch Überlieferungen, noch Bodenfunde erhellt wird, dieselbe Rolle, wie die Schriftdenkmäler in der Geschichte der Kulturvölker und zeigen bisweilen, dass enge Verbindungen zwischen Völkern bestanden haben, die heute durch Kontinente und Meere von einander getrennt sind.
Nur leider kam der Film zu spät. Als der Kinematograph vor etwa 25 Jahren (1895 https://de.wikipedia.org/wiki/Kinematograph ) so weit vervollkommnet war, dass man ihn zur Aufnahmen in fernen Ländern gebrauchen konnte, hatte die zwölfte Stunde für viele farbige Völker längst geschlagen. Ganze Gruppen von ihnen waren infolge der europäischen Welteroberung und Kolonisation verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen; es braucht nur an die Urbevölkerung Westindiens erinnert zu werden, die schon im 16. und 17. Jahrhundert unterging, oder an die Tasmanier, die in dem schonungslosen Vernichtungskrieg der englischen Kolonisten von etwa 8.000 Menschen im Jahre 1800 binnen eines halben Jahrhunderts auf einen Mann und eine Frau zusammenschmolzen, die 1869 und 1876 starben. Viele andere fügten sich der nivellierenden Zivilisation; ein Sioux, der an einer Universität der Vereinigten Staaten studiert, ein Maori, der im neuseeländischen Parlament sitzt, ein Baschkire, der einer Sewjetbehörde angehört, ein Sulu-Polizist in Natal sind für die Kamera, die völkerkundliche Motive sucht, keine interessanten Typen mehr. So wäre es selbst mit den Besten und vollständigsten Sammlung ethnographischer Photographien heutzutage nicht mehr möglich, ein erschöpfendes Bild von den Rassen und Völkern der Erde zu geben.
Diesem Mangel soll unsere „Völkerschau“ in den bescheidenen Grenzen, die ihr durch Zahl und Format von Serienbildern gesteckt sind, abhelfen. Sie hält sich nicht an die Gegenwart und überhaupt nicht an einen bestimmten Zeitpunkt; denn wenn auch für die Zeit um 1700 oder 1800 herum die Zahl der bildlich interessanten Völkertypen einerseits viel größer gewesen wäre als gegenwärtig, hätten andererseits wiederum ganz große Erdgebiete, die damals noch nicht erforscht waren, ausfallen müssen. Die „Völkerschau in Bildern“ vereinigt daher Völkertypen aus etwa vier Jahrhunderten, von der Zeit an, in der überhaupt die ersten wissenschaftlich brauchbaren Bilder von Völkertypen entstanden. Das große Zeitalter der Entdeckungen hat leider noch keine solche Bilder geliefert. Wir wären glücklich wenn Columbus, Cabot, Vasco da Gama, Magalhaes Zeichner an Bord ihrer Schiffe gehabt hätten, die auch nur den bescheidensten Ansprüchen auf Genauigkeit bei der Wiedergabe fremder Völker genügt hätten. Erst gegen Ende des Zeitalters, als das hitzige Entdeckungs- und Eroberungsfieber sich legte und die bedächtigere, sorgsam vorbereitete Kolonisation in ihre Rechte trat, erscheint auch der Künstler neben dem Mann des Schwertes und des Kruzifixes auf dem Plan. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tauchen die ersten Maler und Zeichner als Begleiter französischer und englischer Kolonistenzüge nach den atlantischen Gestaden der heutigen Vereinigten Staaten und Brasiliens auf. Auf zwei von Ihnen, Jacques Le Moyne de Morgues und John White (With), gehen daher die ältesten Bilder unserer Sammlung (Nr. 201-203) zurück. Im 17. Jahrhundert sind es besonders die holländischen Seefahrer und Kolonisatoren, die der bildlichen Wiedergabe der von ihnen besuchten Völker Aufmerksamkeit schenkten, doch auch den Franzosen verdanken wir manches, vom Ethnographischen Stadtpunkt sehr wertvolle Bild. (Nr. 200). Ihrer künstlerischen Höhepunkt erreicht die bildliche ethnographische Darstellung aber erst in dem durch die Fahrten James Cooks (1768-1779) heraufgeführten zweiten Zeitalter der Entdeckungen. Es stand ganz im Bann der Rousseauschen Vorstellung von der Körperlichen und seelischen Vollkommenheit und dem wahrhaft glücklichen Leben des unberührten Naturmenschen; daher haftet allen ethnographischen Bildern aus der Zeit der großen Seefahrer ein teils heroischer, teils sentimentaler Zug an. Trotzdem sind diese Darstellungen der Begleiter Cooks (Bilder Nr. 146,194), Meares' (Nr. 222), Krusensterns (Nr. 152, 153), Otto von Kotzebues (Nr. 143, 195, 223, 256) Lütkes (Nr.140), Dumont d'Urvilles (Nr. 155) und viele anderer für uns von größtem Nutzen wegen der Sorgfalt, die der Zeichner auf die Wiedergabe aller Einzelheiten der Tracht und Bewaffnung verwandt hat. Auch die Landreisenden dieses Zeitalters vernachlässigten die künstlerische Seite ihrer Aufgabe nicht. Neben dem europäischen und asiatischen Russland, wo die ethnographischen Studien unter der Regierung Katharinas II. Einen mächtigen Auftrieb erfuhren und in Johann Gottlieb Georgie der erste Bilderchronist der russischen Völker erstand (Bild Nr. 14, vergl. Auch 28, 32, 35), wird vor allem Amerika das gelobte Land der Maler-Ethnographen. Nach Südamerika ließen sich Prinz Maximilian von Wied (1815-1816), Spix und Martius (1817-1820) und Langsdorff (1828) von tüchtigen Malern begleiten (Bilder Nr. 247, 242, 240). Noch weit mehr zog die prachtvolle Erscheinung der Nordamerikanischen Indianer die Künstler an, unter denen Bodmer, der Begleiter des Prinzen Wied auf seiner zweiten Reise (1832-1834), an erster Stelle zu nennen ist (Bild Nr. 205). Der fast zur gleichen Zeit reisende Amerikaner George Catlin war selbst Maler (Bilder Nr. 199, 207-209, 211, 213, 215), wie 20 Jahre Balduin Möllhausen (Bild Nr. 227). Eine Zeit lang blühte sogar eine offizielle ethnographische Porträtkunst; die Regierung der Vereinigten Staaten lies nämlich von allen Indianerhäuptlingen, die Verhandlungen mit dem „Großen weißen Vater“ nach Washington kamen, Bilder anfertigen, die im Kriegsministerium aufgehängt und 1838 bis 1842 von Mc Kenney und Hall in einem großen Tafelwerk veröffentlicht wurden (Bild Nr. 204). „Väterchen Zar“, der Beherrscher eines Reiches mit zahlreichen interessanten Völkern folgt diesem Beispiel; als die Tausendjahrfeier der Gründung des Russischen Reiches stattfand, erschien 1862 auf Veranlassung der Regierung ein von Pauly herausgegebenes Tafelwerk mit prächtigen farbigen Wiedergaben von etwas 60 russischen Völkerschaften (Bilder Nr. 3, 8, 21, 33, 38).
Um nur von den nordamerikanischen Indianern zu sprechen: was wüssten wir heute noch von dem wilden malerischen Pomp ihrer Erscheinung vor ihrem endgültigen Niedergang, wenn wir nicht dies Bilder hätten. 1637 begann bereits ihre planmäßige Ausrottung und Vertreibung mit dem Krieg gegen die Pequot, einem Stamm der Mohikaner in Connecticut; 1842, nach dem Seminolen-Krieg, war der ganze Osten bis zum Mississippi im wesentlichen von den Indianern geräumt; 1890 gehört nach dem letzten Aufflackern indianischen Widerstandes in der „Geistertanzbewegung“ auch der Westen bis zum Pazifik den weißen uneingeschränkt, denn die wenig mehr als 300.000 im Staat Oklahoma und in kleinen Reservationen lebenden Indianer geben dem Volksbild in den Vereinigten Staaten keine besondere Note mehr, da sie sich äußerlich lägst zivilisiert haben.
Auf das Zeitalter der völkerkundlichen Spezialforschung, da etwa 1840 anhebt und dem die meisten in der „Völkerschau“ vereinigten Bilder angehören, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. In ihm ist der Grund zur heutigen vergleichenden Völkerkunde gelegt worden, und es ist kein Zufall, dass die beiden großen Gesamtdarstellungen der Völkerkunde in deutscher Sprache, die Werke von Klemm und Waitz, an seinem Anfang stehen, Illustrativ bedeutet es zunächst einen Abstieg; die wertvollen Kupfer und Stahlstiche der vorangehenden Epoche werden durch schlechte Holzschnitte ersetzt, an deren Stelle erst seit etwa 1890 allgemein die auf der Fotografie beruhende Autotypie tritt.
Eine einfache Wiedergabe aller dieser Vorlagen von 1560 bis zur Gegenwart in ihren zahlreichen verschiedenen Reproduktionstechniken und -stilen hätte sich für die „Völkerschau“ wenig geeignet. Um einen einheitlichen Gesamteindruck zu erzielen, mussten von allen Vorlagen Umzeichnungen angefertigt werden, bei denen man unter Preisgabe zufälliger stilistischer Eigentümlichkeiten alle Einzelheiten der Darstellung, soweit sie völkerkundlich wertvoll waren, gewissenhaft beibehielt und da, wo die Vorlage sich als unvollständig oder unzulässig herausstellte, ergänzt und berichtigte. Diese Aufgabe konnte nur mit genauer Kenntnis der Sammlungen eines großen ethnographischen Museums gelöst werden, denn es galt ja auch schwarzweiße Vorlagen in einwandfreier Weise zu kolorieren. Es traf sich daher besonders glücklich, dass in Berlin ein alter Herr lebte, der seit 50 Jahren die Sammlungen des dortigen Museums für Völkerkunde, eines der bedeutendsten seiner Art, unermüdlich studiert und im Laufe der Zeit in der Geschilderten Weise ein großes ethnographisches Bildarchiv angelegt hatte, aus dem die vorliegende „Völkerschau“ nur eine kleine Auswahl darstellt.
Die „Völkerschau“ zeigt Vertreter aller größeren Völker- und Sprachgruppen der Erde außerhalb Europas; von europäischen Völkern sind nur die nordskandinavischen Lappen und südrussischen Turkstämme berücksichtigt worden, weil sie eng mit den Nord- bzw. Vorderasiaten zusammenhängen, rassenmäßig und sprachlich sowohl wie nach ihrer Kultur. Den vorder-, hoch-, süd- und ostasiatischen Kulturvölkern, deren Typus als allgemein bekannt gelten darf, wurden nur wenige Bilder gewidmet, um desto mehr Platz für die asiatischen Naturvölker zu gewinnen lässt, die alten Kulturvölker Amerikas fehlen deshalb, weil sich eine einwandfreie Vorstellung von ihrer äußeren Erscheinung nur aus vorspanischen Bilderschriften und archäologischen Funden gewinnen lässt, deren Wiedergabe ganz aus dem Rahmen des hier Gebotenen gefallen wäre. Einer weiteren Erklärung bedarf der Umstand, dass nur Männer abgebildet sind. Die Frauen stehen bei vielen Völkern der Erde, vor allem bei den meisten Naturvölkern, in Tracht und Putz weit hinter den Männern zurück; viele Schmuckarten sind ihnen nur in beschränktem Maße zugestanden oder ganz versagt, wie die prächtige Tatauierung auf Neuseeland und den Marquesas und der reiche Federschmuck in Nord- und Südamerika. Da auch möglichst viel von der charakterischen Bewaffnung der Hauptvölker gezeigt werden sollte, schien es das Beste, auf die Wiedergabe von Frauen ganz zu verzichten.
Als vor hundert Jahren die Völkerkunde noch in den Anfängen steckte, hielt man fünf große Rassen für ausreichend, um die ganze Menschheit zu umspannen: die weiße oder „Kaukasische“, gelbe oder mongolische, braune oder Malaiische, rote oder indianische und schwarze Rasse. Die von Linné und Blumenbach aufgestellten Schema, in dem jede Rasse ungefähr einem Erdteil entspricht (wenn man als Erdteil der „braunen Rasse“ Ozeanien im weitesten Sinne, also die ganze Inselwelt des Indischen und Großen Ozeans betrachtet), ist nach unserem heutigen, wesentlich verbreiterten und vertieften Wissen ganz unzureichend. Schon das Einteilungsprinzip, die Hautfarbe, eignet sich sehr wenig zur Unterscheidung von Rassen, da ja in einer jeden Farbschattierungen auftreten, die sich auch in den anderen wiederholen. Man könnte z. B. Mit dem selben Recht wie die Malaien auch viele Mongolen und die meisten Indianer zur „braunen Rasse“ rechnen; von einer „roten“ zu sprechen, ist geradezu irreführend, da die Indianer hauptsächlich ihrer Körperbemalung wegen „Rothäute“ hießen und kupferfarbene Haut Haut nur bei wenigen amerikanischen Stämmen vorkommt. Ferner wird eine Fünfzahl der Rassen nicht entfernt der körperlichen Erscheinungsformen der Menschheit gerecht. Buschmänner und Pygmäen, Wedda und Ainu, Australier und Papua lassen sich in dem alten Rassenschema nirgends unterbringen; die sogenannte „kaukasische“ Rasse zerfällt nach heutigen Anschauungen in mindestens fünf sehr von einander verschiedenen Unterassen. Es hat daher auch nicht an Versuchen gefehlt, die Rasseneinteilung dem heutigen Stand der Wissenschaft anzupassen; Stratz nimmt z. B. 11, Deniker 17 Rassen oder Rassengruppen an. Indessen ist die heutige Rassenforschung noch so weit entfernt von allgemein anerkannten Feststellungen, dass in der „Völkerschau“ nicht die Rassen, sondern die Sprachen der Menschheit der Einteilung zu Grunde gelegt wurden.
Die sprachliche Gruppierung hat der Rasseneinteilung gegenüber den großen Vorzug, dass sie scharfe Grenzen schafft und meist Völker vereint, die auch geschichtlich und kulturell irgendwie zusammengehören, was durchaus nicht immer zugleich Rasseneinheit bedeutet. Auf einige besonders typische Fälle, in denen der Gegensatz der Sprachen- und Rassenzugehörigkeit deutlich hervortritt, wie bei den Lappen (Bild Nr. 2), Armeniern (Bild Nr. 47), Singhalesen (Bild Nr. 73), Küstenstämme Neuguineas (Bild Nr. 127f), und Fundsch (Bild Nr. 174), ist in den Bildererklärungen hingewiesen worden. Auch Kulturgruppen decken sich nicht immer mit Sprachgruppen. Die Jakuten (Bild Nr. 7) gehören zu einem ganz anderen Kulturkreis wie die Jürüken (Bild Nr. 27), obwohl sie beide türkisch reden, und die Tibeter (Bild Nr. 25) bzw. Birmanen (Bild Nr. 76), die unter indischen Einfluss sich zum Range von Kulturvölkern erhoben, haben nur noch wenig gemein mit ihren Vettern in Assam, den Garo, Naga, Abor usw. (Bilder Nr. 62-71). Andererseits wäre es verfehlt, die papuanisch und melanesisch sprechenden Völker Neuguineas aus einander zu reißen, da sie kulturell keine wesentlichen Unterschiede zeigen. Am wenigsten lässt sich in Amerika mit der Völkergruppierung nach Sprachen etwas anfangen. Nirgends ist die Sprachzersplitterung größer als in diesem Erdteil. Die Puebloindianer, eine vergleichsweise winzige Gruppe dorfbewohnender Indianer in Arizona und Neumexiko, zerfallen in vier sprachlich völlig von einander verschiedenen Stämme, und in Kalifornien zählte man bis vor kurzem nicht weniger als 21 verschiedene Sprachfamilien (nach neueren Forschungen immerhin noch neun). Von den größeren Sprachfamilien, z. B. den Athapasken (Bilder Nr. 212, 217-219) und Schoschonen (Bilder Nr. 216, 226), gilt dasselbe wie von den erwähnten türkischen und tibettobirmanischen Völkern: Ihre Einzelstämme gehören so verschiedenen Kulturkreisen und Kulturstufen an, dass nur noch die Sprache die einstige Zusammengehörigkeit verrät. Um zu einer klaren Übersicht über die verwirrende Menge von amerikanischen Stämmen zu gelangen, muss man sie daher nach Kulturkreisen gruppieren, wie es in der „Völkerschau“ geschehen ist.
Dem wissbegierigen Betrachter sollen die Bilder der „Völkerschau“ nicht nur eine Übersicht über die Sprachgruppen und Völker der Erde geben. Sie können, aufmerksam miteinander verglichen, auch eine Fülle wertvoller kulturgeschichtlicher Belehrung vermitteln. Wer z. B. Über die verschiedenen Stile der Tataurierung (so sagt man besser statt Tätowierung, denn tattow ist nur die englische Schreibweise von tatau) unterrichtet sein will, findet zahlreiche Beispiele dieser eigenartigen Kunst; das selbe gilt von den Federschmucken, Brustzieraten, Haartrachten. Die Entwicklung des Schildes vom einfachen Parierstock mit ledernem Handschutz (Bild Nr. 183) bis zum mächtigen Rund- oder Langschild oder des Panzers vom schmalen Korsett (Bild Nr. 92) bis zur vollständigen Umhüllung des Körpers lässt sich nahezu lückenlos verfolgen. Wir lernen die beiden Hauptgebiete des Blasrohrs in Südasien (Bild Nr. 58) und Südamerika (Bild Nr. 242) kennen und erfahren, dass sich eine primitive Wurfkeule, der australische Bumerang (Bild Nr. 116) in Afrika zum zackigen Wurfmesser (Bild Nr. 169) umgebildet hat. Von Kleidungsstücken erscheint z. B. Der Mantel in allen erdenklichen Abarten, vom Tierfell (Bild Nr. 258) und Rindenstoffumhang (Bild Nr. 151) bis zur kunstvollen Federpelerine (Bild Nr. 145) und zur gewebten reichgemusterten Decke (Bild Nr. 221). Aus der Verbreitung solcher oft unscheinbaren Kulturgüter lassen sich die wichtigsten Schlüsse ziehen; sie spielen in der Geschichte der Primitiven, die weder durch Urkunden, noch Überlieferungen, noch Bodenfunde erhellt wird, dieselbe Rolle, wie die Schriftdenkmäler in der Geschichte der Kulturvölker und zeigen bisweilen, dass enge Verbindungen zwischen Völkern bestanden haben, die heute durch Kontinente und Meere von einander getrennt sind.
001 Lappe von Kautokaino (Norwegen).
002 Schwedischer Lappe
003 Samojede vom Mesen (1862)
004 Samojede vom Unteren Ob , 1876
005 Ostjake
006 Ostjake
007 Jakutischer Jäger
008 Jakute (1862)
009 Jakutischer Pelzjäger
010 Katschine
011 Dulgane (1843)
013 Tunguse vom Jenissei
014 Tunguse (1775)
012 Karagasse
015 Orotschone
016 Golde
018 Manegre
017 Golde im Jagdkostüm
019 Tschuktsche
020 Gepanzerter Tschuktsche
021 Itälme (1862)
022 Giljake im Winterkleid
023 Ainu (1881)
024 Ainu in Festtracht