2. Einen Blick nur warf der Spieler auf die vorgebeugt lauschende Gestalt, einen andern an die Decke, wie um da Hülfe zu erflehen...



Einen Blick nur warf der Spieler auf die vorgebeugt lauschende Gestalt, einen andern an die Decke, wie um da Hülfe zu erflehen, und dann rasselten mit fester Hand die entscheidenden Würfel auf das grüne Tuch – zwei Sechsen und eine Vier. „Sechzehn!“ zählte monoton der Anschreiber; „noch einmal!“ – wieder lagen dieselben Augen – zum dritten Mal warf er die Würfel in den Becher, schüttelte und – drei Zweien rollten hervor. „Achtunddreißig! – schlecht!“ schrie der Ausrufer, und leichenblaß trat der Unglückliche vom Billard zurück. Ein Anderer nahm seinen Platz ein, und in sich zusammenschaudernd hielt die Negerin kaum ihre zitternde Gestalt aufrecht; doch ermannte sie sich nach wenigen Augenblicken wieder, und bat mit leiser Stimme einen nicht sehr entfernt von ihr stehenden weißen Mann um ein Glas Wasser.


„Verdamm’ Dich – hol es selber; glaubst Du, daß ich Dein Nigger bin!“ rief dieser, sich unwirsch von ihr abwendend. Ohne ein Wort zu erwidern, schwankte sie zum Schenktisch, nahm ein dort stehendes Glas, füllte es mit dem kühlenden Eiswasser und trank es leer; neugestärkt hierdurch, schritt sie leichten, fast elastischen Schrittes zu ihrem Platz zurück und barg, an die Wand gelehnt, das Gesicht in ihren Händen: sie nahm sichtbar keinen weiteren Theil an ihrem ferneren Geschick, und nur manchmal, wenn der rohe, freudige Ausruf eines glücklichen Würflers an ihr Ohr drang, schien eine plötzliche Angst ihr ganzes Innere zu durchbeben, und ein leichtes Zittern überflog ihre Glieder.

Wohl eine halbe Stunde mochte das Spiel so ununterbrochen fortgedauert haben und näherte sich jetzt seinem Ende, als der bleiche Mann, der sich auf kurze Zeit entfernt hatte und dem so viel an dem Besitz des jungen Mädchens gelegen zu sein schien, plötzlich zu dem Sclavenhändler wieder herantrat und ihn leise, mit verhaltener, aber zitternder Stimme um ein anderes Loos bat.

„Gut, mein Herr, ich habe gerade noch zwei, wollte sie selbst werfen, aber um Ihnen einen Gefallen zu thun, ist hier eins davon,“ antwortete dieser artig; „jedoch,“ fuhr er, sich höflich verneigend, fort – „werden Sie einsehen, daß ich eine Gelegenheit, mein Eigenthum selbst wieder zu gewinnen, nicht ganz umsonst aus den Händen geben sollte – ich kann Ihnen jetzt das Loos nur für zehn Dollars lassen.“

„Mann,“ fuhr der Unglückliche empor, indem er krampfhaft seine Schulter faßte, „ich habe Alles veräußert, was ich bei mir hatte, um die lumpige Summe von fünf Dollars zu erschwingen, und jetzt wollt Ihr zehn; ich habe es nicht, mein ganzes Vermögen besteht in sechs Dollars.“

„Freilich kaum bedeutend genug, ein Geschäft anzufangen,“ bedauerte der Yankee; „doch erinnere ich mich, daß mein Bruder Jesaiah einst –“

„Hier ist noch ein Ring,“ unterbrach ihn plötzlich der Andere, indem er einen einfachen goldenen Reif von seinem Finger zog; „nehmt ihn und gebt mir ein anderes Loos. – Er ist das Doppelte werth,“ fuhr er ungeduldig fort, als er sah, daß ihn der Yankee mißtrauisch und aufmerksam in der Hand wog und dann betrachtete; es bedurfte jedoch keiner weiteren Betheuerung. Der Sclavenhändler kannte zu gut den Werth des Goldes, um nicht augenblicklich sich überzeugt zu haben, daß der junge Mann die Wahrheit rede, und reichte ihm eins seiner Loose, während er selbst an das Billard trat und seine drei Würfe that. Das Glück war ihm nicht hold, und ruhig das Resultat des Spiels abwartend, zog er sich in eine Ecke des Zimmers zurück.

Der Doctor hatte jetzt seinen letzten Wurf gethan und rief triumphirend: „Sechsundvierzig! – Das Mädchen ist mein!“

„Sechsundvierzig! bester Wurf!“ schrie der Anschreiber eintönig nach.

„Halt! ich habe noch ein Loos!“ rief jetzt der junge Mann und drängte sich zur Tafel.

„Warum habt Ihr denn da nicht schon lange geworfen?“ entgegnete ärgerlich der Doctor.

„Hatte ich nicht das Recht so gut wie Ihr, bis zuletzt zu warten?“ fragte ihn dieser empfindlich.

„Meinetwegen,“ lachte der Doctor jetzt dagegen, „Ihr werft doch keine Sechsundvierzig und hättet Eure fünf Dollars sparen können; aber halt!“ rief er aus und erfaßte den Arm des jungen Mannes, der eben würfeln wollte – „die Dirne gefällt mir, sie hat ein verdammt hübsches Gesicht – ich gebe Euch fünfzig Dollars, wenn Ihr zurücktretet.“

„Die Würfel mögen entscheiden!“ rief der junge Fremde, indem er sich von der Hand des Doctors losmachte und ihm für einen Augenblick das Blut so in die Schläfe trat, daß es ihm die Adern zu zersprengen drohte; in derselben Minute kehrte es aber zu seinem Herzen zurück und ließ nicht einen Tropfen in seinen Wangen. Die Würfel rasselten und eintönig zählte der Wirth die Augen.

„Siebzehn!“

„Beim Himmel, ein guter Wurf!“ riefen Alle, die jetzt mit gespannter Erwartung die grüne Tafel umstanden.

Wieder rasselten die verhängnißvollen Stücke Elfenbein in dem ledernen Becher. Todtenstille herrschte und Aller Augen hingen an der Hand des Werfenden, während das arme geängstigte Mädchen betend in die Kniee gesunken war und ihr Gesicht mit den Händen bedeckt hielt. Ihr verhaltenes Schluchzen war das Einzige, was die grabesähnliche Stille unterbrach. Die Würfel lagen.

„Siebzehn! noch einmal!“

„Verdammt!“ brummte der Doctor.

„Den dritten Wurf, den dritten Wurf!“ riefen Alle ungeduldig, als sie sahen, daß der Fremde ängstlich sinnend einen Augenblick einhielt. Fast krampfhaft faßte er zweimal den Becher, jedesmal wie zusammenschaudernd vor dem entscheidenden Wurf – aber er konnte nicht länger warten – die halb trunkene Schaar wurde ungeduldig, und wieder rasselte der Becher; vorgebeugt umdrängten Alle das Billard, die Würfel fielen – es waren nur elf.

„Hurrah!“ jubelte der Doctor, sich auf das Billard wälzend in widerlicher Lust – „ich habe gewonnen! Wer will trinken? ich tractire Alles, was im Hause ist. Müller, he! holla! hierher! füllt die Gläser, gebt Jedem so viel, als er trinken will, ich bezahle Alles!“ Und sich dann auf dem Billard niederlassend, rief er aus: „Bringt das Mädchen her, ich will sie betrachten!“

Als Selinde den jubelnden Triumphruf des Doctors hörte, wollten sie fast ihre Kräfte verlassen, und sie wäre gesunken, hätte sie nicht der Fremde unterstützt; doch jetzt ermannte sie sich mit wunderbarer Kraft und flüsterte nur, ehe sie dem Befehl ihres neuen Herrn Folge leistete, ihrem Beschützer leise zu: „Fliehe, Alfons, fliehe, ehe man Dich entdeckt!“ und trat dann festen und sichern Schrittes vor ihren Gebieter, seine Befehle zu vernehmen.

„Sie ist ein hübsches Mädchen!“ lallte dieser, von heftigem Schlucken unterbrochen, indem er sich mit dem rechten Ellbogen auf den Billardrand legte und mit gläsernen Augen zu ihr aufsah – „gut, gut – meine Frau wird scheel sehen, wenn ich ihr den Nigger in’s Haus bringe, aber –“

Er konnte nicht vollenden; die geistigen Getränke, die er an diesem Tage genossen hatte, gewannen durch die letzte Aufregung endlich die Oberhand, und bewußtlos sank er auf’s Billard zurück, von dem er fortgetragen und in ein Bett gelegt wurde, um seinen Rausch auszuschlafen.

Der Wirth nahm die Negerin in seine Obhut und schloß sie in ein Zimmer ein, um sie ihrem Herrn nach dessen Erwachen zu überliefern.

Indessen hatten einige junge Leute, unter denen sich auch Willis befand, eifrig mit einander geflüstert und forschende Blicke auf den bleichen jungen Mann geworfen, den die Negerin Alfons genannt und der theilnahmlos in einer Ecke lehnte. Sein krauses, rabenschwarzes Haar hing ihm in langen Locken über die bleiche Stirn herunter, seine Lippen waren bleich und seine Augen geröthet; plötzlich trat Einer der jungen Leute auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und rief in barschem Ton: „Alfons!“

Wie von einer Schlange gebissen, sprang bei dem Klange dieses Namens der Unglückliche empor und starrte wild umher, auf den Kreis fremder, unbekannter Gesichter, die ihn umgaben, bis seine umherirrenden Blicke auf dem des ihm Gegenüberstehenden haften blieben, der ihn fest und durchdringend betrachtete. Als ihm aber dessen Züge klarer und deutlicher aufdämmerten, schlug er sich mit der geballten Faust vor die Stirn, stieß einen tiefen Seufzer aus und sank wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück. Der junge Mann dagegen, der solche Veränderung in seinem ganzen Wesen hervorgebracht hatte, wandte sich triumphirend nach seinen Kameraden um und rief:

„Ich kannte den Burschen, und Ihr mögt mich einen Schurken nennen, wenn es nicht ein erbärmlicher Nigger ist.“

„Was, ein Neger?“ riefen Alle, sich um den regungslos Dasitzenden drängend, „ein Neger? und mischt sich zwischen Weiße?“

„Hinaus mit ihm! schlagt ihn zu Boden, den Hund! werft ihn aus dem Fenster!“ Das waren die Ausrufungen, die mit Blitzesschnelle einander folgten, und nicht allein bei Ausrufungen blieb es, sondern in demselben Augenblick fühlte sich auch der Unglückliche von kräftigen Händen gefaßt, zu Boden geworfen, wieder aufgerissen und dem Fenster zugeschleppt, aus dem er wenige Secunden später auf die Straße geschleudert wurde. Die Höhe, von der er hinunterstürzte, betrug jedoch kaum sieben Fuß und nur wenig beschädigt fiel er zu Boden; schon aber hörte er das Rachegeschrei der Verfolger, die nicht gedachten, ihr Opfer so leichten Kaufs entwischen zu lassen, auf der Hausflur.

Wohl sprang er empor und wandte das blutende Antlitz seinen Feinden entgegen, aber nicht Todesfurcht, nein, kalter Trotz und Verachtung des Schrecklichen, was ihm begegnen könnte, lag in dem Blick, mit dem er seine Peiniger zu erwarten schien. Da scholl aus einem der oberen Fenster die Stimme Selinde’s, die ihm, den Untergang des Geliebten voraussehend, in Todesangst zurief:

„Flieh, Alfons, flieh – um meinetwillen!“

Einen Blick warf er hinauf zu der halb aus dem Fenster gebogenen schlanken Gestalt des armen Mädchens, einen Blick voll Liebe, Angst und Trotz; dann aber, wie von einem neuen Gedanken durchzuckt und ehe ihn noch der heranstürmende Haufe erreichen konnte, floh er mit Windesschnelle die Straße hinauf und war bald in den ihn verbergenden Baumgruppen, welche die Stadt umgaben, verschwunden.

Taumelnd und fluchend folgten ihm wohl noch einige der Nüchternsten eine kurze Strecke, gaben es aber bald auf, den schnellfüßigen Flüchtling zu erreichen, und kehrten in das Wirthshaus zurück, indem sie schwuren, dem verdammten Neger, wo er sich nur wieder blicken ließe, Füße und Hände zu binden und ihn in die Bayou zu werfen.

Guston hatte an dem ganzen Vorgange keinen Antheil genommen und ruhig, in einem Fenster lehnend, dem Auftritt zugesehen; einmal zwar, gerade als der Haufe den Unglücklichen auf die Straße schleuderte, war er zusammengezuckt, als ob er im Begriff gewesen wäre, ihm beizuspringen; hatte es aber nur so den Anschein gehabt, oder er sich eines Bessern besonnen, er fiel wieder in seine nachlässige Stellung zurück und blieb bei dem Ganzen ein unthätiger, ja, wie es fast schien, theilnahmloser Zuschauer. Nur erst als die Gemüther sich wieder beruhigt hatten und der lärmende Haufe zum erneuerten Trinken in die Gaststube zurückgekehrt war, entfernte er sich leise, selbst nicht von Willis bemerkt, und ging nachdenkend die Straße nach St.-Francisville hinauf.

Die Sonne war indessen untergegangen und tiefe Dämmerung lagerte sich über das Thal, als Guston den Fuß des Hügels erreichte, auf dem das Nachbarstädtchen erbaut ist. Zu seiner Linken sah er ein mattes Licht zwischen den Spalten eines kleinen Blockhauses hindurchschimmern, das, wie er noch von früher wußte, von zwei Mulattinnen, Mutter und Tochter, bewohnt war. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, daß sich dorthin der Verfolgte geflüchtet haben könne, und obwohl sich keines klaren Zwecks bewußt, ging er schnell an dem sanften Abhang des Hügels hinauf und stand bald an der von innen verriegelten Thür des kleinen Hauses, aus dem leise flüsternde Stimmen heraustönten.

Guston legte sein Ohr an eine der Spalten und unterschied bald die tröstende Stimme des Mädchens, die jemandem Muth zusprach und dabei selbst dann und wann einen recht tiefen, tiefen Seufzer ausstieß. Guston war überzeugt, daß der Unglückliche hier Schutz gefunden hatte, aber noch unschlüssig, wie er sich Eingang verschaffen wollte, da die Inwohnenden in ihm unmöglich einen freundlich Gesinnten vermuthen konnten, als er die Stimme der Alten hörte, die, an die Thür tretend, zu ihrer Tochter sagte:

„Ich muß nur noch die Wäsche hereinnehmen, die draußen hängt, sonst dürfte morgen früh wenig davon übrig geblieben sein; setze Du indessen den Kessel auf’s Feuer – der arme Mensch wird Nahrung und Ruhe bedürfen.“ Zu gleicher Zeit wurde der große, schwere eiserne Riegel zurückgeschoben, und die alte Frau trat in die Thür, erblickte aber in demselben Augenblick den jungen Pflanzer und wollte, zurückschreckend, dieselbe wieder zuschlagen, als Guston schnell vorsprang und das Verriegeln derselben hinderte.

Die Frauen stießen einen Angstschrei aus, und Alfons, der sich matt und erschöpft auf’s Bett geworfen hatte, sprang erschrocken empor und riß ein verborgen gehaltenes Messer aus seinem Gürtel; Guston aber hob die Hand zum Zeichen des Stillschweigens, half selbst die Thür verriegeln und dann einen Stuhl an den Tisch rückend, setzte er sich mit einer solchen Ruhe und Kaltblütigkeit nieder, als ob nicht das Geringste vorgefallen sei.

„Mr. Guston,“ rief die alte Mulattin, die ihn erst jetzt erkannte, ganz erstaunt aus, „Mr. Guston! wie um des Himmels willen kommen Sie wieder nach Louisiana und in unsere Hütte? Sie wollen doch nicht dem armen Mann da –?“

„Sei nicht bange, Alte,“ unterbrach sie der junge Pflanzer, „ich habe keine bösen Absichten, ich komme einzig und allein aus Neugierde und kann dem armen Menschen sogar nützlich sein. Wie aber konntest Du es wagen,“ – wandte er sich jetzt an den stumm und regungslos vor sich hinstierenden Quadroon 1). – „Dich so dreist zwischen Weiße zu drängen und mit ihnen zu spielen und zu trinken?“

„Ich habe nicht mit ihnen getrunken,“ antwortete eintönig Alfons.

„Gleichviel,“ entgegnete Guston, „Du mußtest recht gut wissen, welcher Gefahr Du Dich aussetztest, und das ohne irgend einen Zweck oder Nutzen davon zu haben; denn wenn Du wirklich das Mädchen gewannst, so wäre sie Dir, unter den Verhältnissen, doch nicht gelassen worden.“

Alfons seufzte tief auf.

„Aber sage mir, wo bist Du her? Du bist so weiß wie irgend Einer von uns; ich selbst würde nie einen Verdacht geschöpft haben, daß Du von schwarzem Blute abstammtest. In welchem Verhältnisse stehst Du zu der Negerin? denn einen geheimen Grund mußt Du gehabt haben, Du hättest sonst nie etwas so Tollkühnes unternommen.“

„Und was hülfe es mir und Euch, wenn ich die Geschichte meiner Leiden erzählte?“ sagte Alfons traurig, „es ist die Geschichte Tausender meiner Brüder, und Ihr mögt dieselbe in all’ den südlichen Staaten dieses freien, gesegneten Landes finden! Oh, ein freies Land ist es!“ fuhr er, mit beiden Händen krampfhaft seine Schläfe fassend, fort.

„Du selbst bist doch kein Sclave?“ fragte, schnell vom Stuhl aufstehend, der Pflanzer.

„Nicht ich,“ murmelte, traurig mit dem Kopf schüttelnd, der Unglückliche; „doch überzeugt Euch,“ fuhr er, mehrere Papiere aus seiner Tasche hervorlangend, fort – „überzeugt Euch selbst. Mein Vater schenkte mir die Freiheit; oh, ich glaubte es damals ein schönes Geschenk, ich wurde nicht mit den anderen Negerkindern wie die jungen Mustang-Füllen aufgezogen, ich durfte lesen und schreiben lernen und glaubte mich, durch die Weiße meiner Haut getäuscht, so frei und glücklich wie die Amerikaner. Es war ein kurzer, aber schöner Jugendtraum; überall kannte man mich, wußte, daß meine Mutter eine Mulattin sei, und der „verdammte Neger“ durfte sich an keinem Orte, wo sich Weiße aufhielten, sehen lassen, ohne die schmerzlichsten Kränkungen und Demüthigungen zu erfahren.“

„Mit leichtem Herzen würde ich auch das Land meiner Geburt verlassen haben, hätte nicht eine Sclavin meines Vaters – dasselbe junge Mädchen, welches heute ausgewürfelt wurde,“ – fuhr er mit leisem, zitterndem Tone fort – „mein Herz und meine Seele auf jener Pflanzung gefesselt gehalten. Selinde liebte mich wieder und Priesterhand sollte uns vereinigen, denn mein Vater hatte mir versprochen, sie frei zu geben und mir zu schenken. Da entriß mir der Tod plötzlich das einzige Wesen, das noch einen schützenden Einfluß auf mich ausgeübt hatte, denn auch meine Mutter war ein Jahr vorher gestorben, und Fremde nahmen das Eigenthum in Besitz, das durch unvorsichtige Spekulationen, wie mir gesagt wurde, verschuldet und verpfändet war. Ich wurde mit wenigen Dollars in die Welt hinausgestoßen, und Selinde, mit anderen Sclaven und Sclavinnen, da der neue Eigenthümer selbst deren einige fünfzig aus Georgien mitgebracht hatte, an einen Sclavenhändler verkauft. Dieser verließ Alabama und wandte sich nach New-Orleans, um dort für einen höheren Preis die billig eingehandelten Schwarzen zu verkaufen, was ihm auch mit allen gelang, Selinde ausgenommen, die er für sich behalten wollte, bis er mit ihr hier nach Bayou Sarah kam und es ihm einfiel, sie auszuwürfeln.“

„Ich war ihnen von meinem Geburtsort aus gefolgt und hatte oft mit Lebensgefahr das Mädchen, an dem mein Herz hing, zu sehen getrachtet; da hörte ich heute Morgen, hier eben angelangt, von dem beabsichtigten Würfelspiele. Neue Hoffnung belebte mich, ich glaubte mich hier von Niemandem gekannt, der weißen Farbe meiner Haut vertrauend, wagte ich mich in das Wirthshaus und wendete meinen letzten Cent, selbst einen Ring daran, den mir meine Mutter auf dem Sterbebette gegeben, um zwei Loose zu kaufen. Sie wissen das Uebrige. Der junge Mann, der mich erkannte, ist ein Neffe meines Vaters – mein eigener Vetter.“

Alfons schwieg, die beiden Frauen aber saßen in der Ecke und schluchzten; selbst Guston war gerührt.

„Wie aber entgingst Du der Aufmerksamkeit des Sclavenhändlers?“ fragte er endlich nach einer Pause; „der mußte Dich doch auf Deines Vaters Pflanzung gesehen haben.“

„Oft genug,“ fuhr Alfons fort; „da ich aber mit im Herrenhause schlief und von den Sclaven stets als „Mr. Alfons“ angeredet wurde, hatte er nicht den leisesten Verdacht geschöpft, daß ich selbst zu jener verachteten Race gehören könne.“

„Und was denkst Du jetzt zu thun?“ fragte Guston teilnehmend, als er ihm die schnell durchgesehenen Papiere zurückgab.

„Was kann ich thun?“ hauchte leise der Quadroon.

„Sei morgen Abend wieder hier in diesem Hause,“ sagte Guston aufstehend, „ich will mit dem Doctor morgen früh reden, vielleicht kann ich Dir helfen.“

Alfons schüttelte, bitter lächelnd, den Kopf.

„Heute ist so nichts mehr zu hoffen,“ fuhr Guston, mehr zu sich selbst als zu dem Andern redend, fort, „um zehn Uhr fährt der Doctor mit der Dampffähre nach Pointe-Coupé, und da wird für diesen –“

„Heut Abend um zehn Uhr?“ fragte Alfons hoch aufhorchend.

„Die Dampffähre geht doch bei diesem niedrigen Wasserstande nicht mehr so spät in der Nacht?“ sagte die alte Mulattin, sich die Augen trocknend.




1) Quadroon, der Abkömmling eines Weißen und einer Mulattin

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sklavin Selinde