3. Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylor’s Pflanzung auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch übergesetzt zu werden...



„Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylor’s Pflanzung auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch übergesetzt zu werden,“ erwiderte Guston; „da wollen sie den Doctor so lange schlafen lassen und dann mitnehmen; bis dahin ist er nüchtern und kann auf seine Sclavin Acht geben. Doch genug für heut Abend,“ unterbrach er sich selbst, „ich habe vielleicht Unrecht gethan, Dir so theilnehmend zuzuhören, da Du nach den Gesetzen des Staates, in dem wir nun einmal leben, eigentlich eher Strafe als Mitgefühl verdient hättest; doch wollen wir das für jetzt dahingestellt sein lassen; also leb’ wohl, bis morgen Abend will ich sehen, was sich für Dich thun läßt, und halte Dich ein wenig verborgen, daß Du Deinem Vetter nicht wieder vor die Augen kommst, er scheint keinen großen Gefallen an seiner Verwandtschaft zu finden. – Schon gut,“ sagte er, etwas zurücktretend und eine abwehrende Bewegung machend, als er sah, daß Alfons seine Hand ergreifen wollte – „schon gut, Du bist mir weiter keinen Dank schuldig, als daß ich Dich nicht verrathe, und dazu fühle ich nicht die mindeste Lust. Also gute Nacht, Alte, gute Nacht, Anna;“ und den Riegel wieder zurückschiebend, sprang er von der hohen Schwelle hinunter und war bald in der Dunkelheit verschwunden.


Er hatte aber kaum die nach Bayou Sarah führende breite Straße wieder erreicht und war auf dieser einige Schritte fortgegangen, als aus dem dichten Gestrüpp, das zu beiden Seiten des Weges wuchs, zwei dunkle Gestalten auf ihn zusprangen und ihn festhielten. Schon hatte er sein Messer ergriffen und wollte sich, nichts Gutes erwartend, Bahn machen, als er Willis’ Stimme erkannte, der, ihn loslassend, lachend, aber mit unterdrückter Stimme ausrief:

„Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir gefangen, aber nicht den rechten; wie um Gottes willen kommst Du hierher?“

„Ich wollte erst nach St.-Francisville gehen, habe mich jedoch anders besonnen,“ sagte Guston; „aber was im Namen alles gesunden Menschenverstandes thut Ihr hier, wie Straßenräuber auf dem breiten Fahrweg? Ich glaubte wahrhaftig im ersten Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicher Weise Deine Stimme erkannte. Wer sind Diese und was wollt Ihr Alle hier?“ fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen nahen hörte, die in wenigen Secunden an seiner Seite waren und in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte. Der lange Sclavenhändler und der Ankläger und Vetter des Entflohenen schienen sie anzuführen.

„Still,“ sagte Willis, „wir wissen, daß der freche Schuft, der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.“

„Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen?“ fiel Guston gutmüthig ein, „Ihr habt ihn einmal abgestraft, laßt ihn laufen; er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße Männer hineinwagen.“

„Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer,“ entgegnete trocken Willis; „mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn ich’s verhindern kann.“

„Es thut mir nur leid, daß wir ihn nicht gleich banden und in den Fluß warfen,“ fiel ärgerlich, doch mit unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein – „ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren unsere Zeit und dort schimmert das Licht.“

Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufe leise gegen das kleine Blockhaus hinanschlich; plötzlich aber, wie von einem andern Gedanken ergriffen, kehrte er schnell um und folgte seinen Freunden, leise dabei vor sich hinmurmelnd: „Sie sollen ihn doch wenigstens nicht tödten!“

Wenige Schritte nur war er nach der Hütte zurückgegangen, als es ihm schien, als ob eine dunkle Gestalt über den Weg glitte. Er blieb stehen und rief sie mit unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte und bald hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern geräuschlos umzingelt war, während die nichts Böses ahnenden Bewohner sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit leiser Stimme unterhielten und dann und wann ein leises Schluchzen durch die Nacht drang. Willis trat jetzt vor und mit dem starken Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs mitgenommen, an die Thür schlagend, verlangte er Einlaß. Einen Augenblick herrschte Todtenstille; erst auf seine zweite Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache keinem Fremden die Thür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen wären.

„Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe!“ rief jetzt Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag gegen die Thür führte – „öffne augenblicklich, oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe zusammen.“

Die Uebrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten hinzugetreten, und das Haus eng einschließend, schienen sie die Drohung im wahren Sinne des Worts ausführen zu wollen, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Oeffnen der Thür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen dieselbe und sie aufstoßend, warf er sie mit solcher Gewalt gegen den Kopf der Mulattin, daß die Unglückliche, von dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und niederstürzte. Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte, so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Theil der Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen.

Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos verschwunden, und drohend wandte sich jetzt Willis an die arme Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft an die Schulter ihrer Tochter lehnte.

„Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war? Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um.“

„Laßt meine arme Mutter, Herr!“ rief das Mädchen, den schon nach ihr ausgestreckten Arm des wüthenden Willis zurückstoßend – „laßt sie, Ihr habt sie ja schon beinahe getödtet.“

„Nigger!“ rief dieser, sich zornig emporrichtend, „willst Du mir sagen, was ich thun oder lassen soll?“ und mit der Peitsche ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston gefaßt und festgehalten fühlte, der ihm leise zuflüsterte: „Du schlägst das Mädchen nicht, oder Du hast es mit mir zu thun!“

„Was zum Henker mischest Du Dich in mein Thun?“ fuhr Willis heftig gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend, ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb ärgerlich: „Warum ist das dumme Ding so trotzig? ich wollte ihr übrigens kein Leid thun; sie soll nur sagen, wo der Bursche ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!“

Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf Guston, um zu erforschen, ob er sie verrathen habe; bald aber schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise mit dem Kopfe und hauchte: „Ich habe Niemand gesehen.“

„Lügen!“ riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen – „er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?“

„Ich habe Niemanden gesehen,“ wiederholte leise das zitternde Mädchen.

„Gentlemen!“ sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht umdrängenden Männer wendend – „Sie sehen, der Mann ist fort, wohin? darf uns für den Augenblick sehr gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in der stockfinstern Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die Stadt zurück und wir wollen noch ein halb Stündchen zusammen trinken, ich tractire; morgen haben wir vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht mit mir?“

„Nun, ich denke,“ sagte der Sclavenhändler, indem er sich mit großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob – „wir gehen Alle.“

„Ja, laßt uns gehen; zum Teufel mit dem Nigger!“ riefen Alle untereinander und drängten sich wieder aus der Thür hinaus, um im Wirthshause ihr Gelage auf’s Neue zu beginnen. Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen folgte ihm mit dem thränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick – sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter.

Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel sie wollten. Die Unterhaltung war sehr laut und besonders schimpfte und fluchte der Sclavenhändler auf den Entflohenen, den er versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doctor mit verschlafenem, bleichem Gesicht, sich dehnend und streckend, in der Thür erschien.

Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die Erzählung dessen, was, während er schlief, vorgefallen war.

„Der Nigger!“ rief er endlich ganz entrüstet aus. „Ich glaubte selbst, er sei einer jener dunkelhäutigen Creolen, die man oft kaum von Mulatten, viel weniger von Quadroonen unterscheiden kann – aber Ihr habt ihn doch gleich geknebelt und abgestraft, oder wenigstens in Sicherheit gebracht?“ Etwas kleinlaut erzählte jetzt Willis, daß er ihnen entkommen sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am andern Morgen anstellen wollten. „Ich habe einen vorzüglichen Negerhund,“ fuhr er in seinem Argumente fort – „und wenn wir den auf die Spur bringen –“

„Bah,“ rief der Doctor ärgerlich, „glaubt Ihr, der wird sich lange hier in den Büschen oder Sümpfen herumtreiben, wo so viel Boote am Ufer liegen? Der stiehlt diese Nacht eins, wenn das nicht schon jetzt geschehen ist, und hat bis morgen Früh wenig Spuren zurückgelassen, dafür steh’ ich. Nun“ – tröstete er sich endlich – „er kommt uns vielleicht ein ander Mal wieder in den Wurf, und – wir kennen den Burschen jetzt. – Aber glaubt Ihr, ich sei ein Pulvermagazin, daß Ihr Euch hier Alle um mich her drängt und mich so trocken haltet, als ob mich ein Tropfen Spiritus verderben könnte? Heh, Wirth! etwas zu trinken! Ihr habt doch mein Mädchen ordentlich aufgehoben?“

„Alles in Sicherheit,“ entgegnete dieser, dem Doctor ein Glas und eine Flasche hinschiebend; „aber, Doctor, die Fährleute werden gleich zum letzten Mal hinüberfahren, Punkt zehn Uhr will Mr. Taylor am Ufer sein.“

„Mr. Taylor,“ sagte der Doctor, sein Glas halb füllend und leerend, „mag zu – Grase gehen! – – Es wird aber doch besser sein, ich fahre mit; so bringt das Mädchen herunter und laßt sie sich bereit halten.“

„Ihr Bündel liegt in der Küche,“ sagte der Yankee; – „viel hat sie zwar nicht, aber –“

„Ihr Yankees werdet auch einen Sclaven viel Plunder mitnehmen lassen!“ unterbrach ihn lachend der Doctor, „da müßte man Euch nicht kennen; nun, wenn sie fleißig und ordentlich ist, kaufe ich ihr ein paar neue Fähnchen.“

Guston hatte, an das Billard gelehnt, eine Zeit lang starr vor sich niedergesehen und dem Gespräch gehorcht; als er aber hörte, daß das Mädchen vor die Thür geführt ward und der Doctor sich selbst zum Ueberfahren rüstete, trat er auf diesen zu und bat ihn, einen Augenblick mit ihm zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Doctor folgte und Beide standen bald in der sternhellen Nacht auf der offenen, menschenleeren Straße unfern des unglücklichen Mädchens, das, die Hände auf dem Rücken befestigt, an einen Balken, der eigentlich zum Anhängen der Pferde diente, gebunden war und, an diesen gelehnt, in ihrem dünnen weißen Kleide traurig empor zu den goldenen Sternen blickte.

„Nun, was wollen Sie von mir, Sir?“ fragte endlich der Doctor, nur wenige Schritte von der Sclavin stehen bleibend.

„Ich wünsche Ihnen dies Mädchen abzukaufen,“ antwortete Guston fest und ruhig.

„Den Teufel auch!“ rief erstaunt der Doctor; „was fällt Ihnen auf einmal ein?“

„Sie gefällt mir,“ entgegnete in gleichgültigem Ton der junge Pflanzer.

„Mir auch,“ sagte der Doctor lachend, „und ich verkaufe sie nicht wieder; nein, meine Frau wollte lange ein Hausmädchen haben und die scheint mir wie geschaffen dafür: leicht, behende, hübsch und stark.“

„Doctor, es kommt mir auf einige Dollars nicht an; ich möchte aber das Mädchen haben und wenn Sie nicht einen zu horrenden Preis fordern, so –“

„Nein, nein,“ unterbrach ihn der Doctor, „aus unserem Handel wird nichts; wenn ich das Geld nöthig brauchte, ja, dann wär’ es vielleicht etwas Anderes, ich habe aber just gestern einen Wechsel von tausend Dollars bekommen, gut wie Silber und da ist mir jetzt das Mädchen nicht feil. Fragt jedoch Weihnachten einmal wieder nach und – ich stehe Euch nicht dafür, daß das Geld so lange ausreicht – vielleicht noch früher; nur für den Augenblick wird nichts daraus.“

Das Mädchen hatte im Anfang, da sie hörte, wie nahe sie die Unterhaltung anging, erschrocken aufgehorcht, und versuchte vergebens, eine Zeit lang mit ihren scharfen Augen die Finsterniß zu durchdringen, um die Züge Dessen zu erforschen, der sie zu erhandeln wünschte; da sie das aber unmöglich fand, verfiel sie wieder in ihre träumerische Stellung, wenig den Fortgang des Gesprächs und die Folgen, die es für sie haben mußte, beachtend. Sie war daran gewöhnt, als ein Stück Waare betrachtet und verhandelt zu werden, und ihr schien es gleichgültig, wer von den Beiden ihr neuer Herr werde, da Alfons doch unwiederbringlich für sie verloren war; nur zwei große Thränen traten ihr in die dunkeln Augen und fanden, von anderen gefolgt, ihre Bahn die sammetweichen Wangen der Unglücklichen hinab. – Sie konnte sie nicht abtrocknen, ihre Hände waren gebunden.

Jetzt traten auch die übrigen Pflanzer und Kaufleute aus dem Hause und wanderten zusammen dem nicht fernen Flußufer zu, um den Doctor noch auf das Boot zu begleiten. Guston wandte sich ab und schritt schweigend an Willis’ Seite, der ihm tausend tolle Streiche und Schwänke erzählte und sich wenig darum bekümmerte, ob sein Gefährte ihm zuhörte oder nicht, dem kleinen Städtchen St.-Francisville zu, um dort zu übernachten und am nächsten Morgen seines Vaters Pflanzung zu erreichen.

Das Schicksal der beiden Unglücklichen hatte Guston, da er lange Zeit von den Sclavenstaaten entfernt gelebt, wirklich geschmerzt und manch’ gutmüthiger Plan für die Zukunft der Beiden seinen Kopf durchkreuzt, als er dem Doctor das Mädchen abkaufen wollte. Da dieser aber nicht darauf eingegangen war, so glaubte er das Seinige gethan zu haben und vergaß bald das Unglück von Leuten, denen er doch nicht helfen konnte. Noch hatte er nicht die Höhe des Hügels und mit ihm die ersten Häuser des Städtchens erreicht, als er schon ganz in Willis’ Laune einstimmte und diesem von seinen Reisen und Wanderungen erzählte.

Unterdessen waren die Passagiere, die noch nach Pointe-Coupé übersetzen wollten, auf der Dampffähre eingeschifft und Selinde wurde ebenfalls an Bord gebracht, jetzt jedoch, als das Boot vom Lande abstieß, losgebunden, und sie stand vorn am Bugspriet des kleinen, breiten Fahrzeugs, schaute über das niedere Geländer hinab in den dunkeln, reißenden Strom und hing ihren trüben, traurigen Gedanken nach.

In der Kajüte hatte sich indessen der Doctor mit noch zwei anderen Pflanzern zu Taylor’s Familie gesellt und erzählte diesen von den heutigen Vorfällen, während das Boot langsam am Ufer hinauflief und eben vor der kleinen Bayou, von der das Städtchen seinen Namen hat, vorüberfahren wollte.

„Geht denn der Herr nicht mehr mit, der da noch am Ufer steht?“ rief plötzlich der Steuermann, ein Deutscher, dem Master des Boots zu, der unten, unfern der Sclavin, am Geländer lehnte.

„Nein, hat sein eigenes Boot,“ war die lakonische Antwort, und der Ingenieur, der auch zugleich die Stelle des Feuermanns mit vertrat, gab dem Boote die ganze Kraft, um so schnell wie möglich die nächtliche Fahrt zu beenden.

Das Boot erreichte jetzt die ungefähre Höhe, von der aus sie hoffen durften, die gegenüberliegende Landung zu gewinnen; der Steuermann ließ also den Bug nach der Backbordseite abfallen, und bald zeigte das stärkere Rauschen am Bugspriet, daß es in reißendere Strömung gerathen sei. Langsam bewegte es sich der Sandbank zu, die sich in den Sommermonaten, mitten im Flusse von einer kleinen Insel unterhalb ausgehend, wohl zwei Meilen hinauszieht, und welche die Fähre, um an dem gewöhnlichen Landungsplatze in Pointe-Coupé anzulegen, umfahren mußte. Das Boot mochte kaum dreihundert Schritt von dem waldigen Ufer ab sein, als von der Mitte des Stromes aus dreimal der Ton eines Loon 1) klagend über die glatte Wasserfläche herüberschallte. Der Master schien die oft gehörten Töne wenig zu beachten; Selinde aber fuhr schon beim zweiten Rufe, wie von einem plötzlichen Schreck durchschauert, auf und lauschte mit verhaltenem Athem dem dritten. Wenige Minuten war Alles still, und dann schallten wieder dieselben drei wehmüthigen Rufe des menschenscheuen Wasservogels zu ihr herüber, während sie mit vorgebeugtem Oberkörper und weitgeöffneten Augen die Finsternis zu durchdringen suchte, wie um den Urheber dieser Töne zu entdecken.

„Der Loon schreit recht kläglich heut Abend!“ rief der Steuermann.

„Ja, wir bekommen Regen,“ sagte der Master, indem er einen prüfenden Blick nach oben warf. Der Himmel schien aber seine Wetterprophezeiung nicht zu rechtfertigen, denn kein Wölkchen umhüllte die Myriaden Sterne, die in glühender Pracht von dem dunkelblauen Firmament herniederschimmerten.

Das Boot durchschnitt jetzt, in die Nähe der Sandbank und dadurch in etwas stilleres Wasser kommend, mit größerer Schnelle den Strom, während der Loon noch zweimal in kurzen Zwischenräumen seinen Ruf ertönen ließ, aber schwieg sobald die Fähre heranrauschte.

„Halte stromauf!“ rief der Master jetzt dem Steuermann zu, „Du rückst dem Sande zu nahe. So – das wird genug sein!“

Sie liefen von da an ziemlich geschwind in ganz todtem Wasser an der Sandbank hinauf und näherten sich mehr und mehr der Spitze, als der Steuermann ausrief, er sähe etwas Schwarzes vorn auf dem Wasser, das einem Kahne gliche.

„Ich kann nichts erkennen,“ rief der Master, seine Augen anstrengend und sich vorn überbiegend.

„Kommt hierher, es muß ein losgerissenes Boot sein, was dort auf den Sand getrieben ist. Wenn wir unsere Jolle mit hätten, könnten wir es fangen.“

„Schändlich!“ rief der Master ärgerlich, „die Burschen, die hinter uns mit dem Ruderboote kommen, werden es jetzt finden; wir dürfen aber nicht näher hinfahren, sonst bleiben wir sitzen.“

Sie waren unterdessen in gleiche Höhe mit dem dunkeln Gegenstande gekommen, der sich wirklich als ein Kahn auswies, aber nicht als ein leerer, sondern ein einzelner Mann saß darin und ruderte, etwas vor dem Boote, auf dasselbe zu, als ob er dicht an demselben vorüberfahren wollte. In demselben Augenblick ließ sich auch der Loonruf, doch ganz in der Nähe und äußerst leise hören.




1) Loon (Wassertruthahn), eine Art Taucher, der sich in großer Anzahl in den südlichen Bewässern Nordamerikas, besonders auf dem Mississippi aufhält

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sklavin Selinde