Abschnitt 1

Die Schalfahrt im 16. Jahrhundert und ihre wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung


Das Mecklenburger Land ist eigenartig, nicht nur was seine Verfassung, sondern auch was seine Stellung zum Welthandel und -verkehr betrifft. Seine günstige Lage an der See, im Westen die bequeme Erreichbarkeit der großen Nordseehäfen und im Süden die Nähe Berlins weisen es aus den Durchgangsverkehr hin, um so mehr, als ihm eigene Industrie mangelt. Es berührt daher sehr merkwürdig, daß die direkten Eisenbahnlinien von Hamburg, Kiel und Lübeck nach Stettin, Danzig, Polen und Rußland nicht durch Mecklenburg, sondern über Berlin gehen, und daß die geplante Ostseeküstenbahn immer noch nicht zustande gekommen ist. Ein ähnliches Verhältnis tritt bei den Kanälen Norddeutschlands zutage. Durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal ist das Schwergewicht nach Kiel und Hamburg verlegt. In dem Elbe-Trave-Kanal lebt die alte Stecknitzfahrt nach Lübeck wieder auf, der Berlin-Stettiner Kanal ist fertig im Bau, aber die Wasserverbindung Berlin-Rostock ist ein Projekt geblieben. Wie kommt es, daß Mecklenburg sich derart abschließt und einspinnen läßt? An der Ungunst der Verhältnisse liegt es nicht, wohl aber am Charakter der Bewohner. Das Volk ist bodenständig in allen seinen Schichten und getragen von einem starken Unabhängigkeitsgefühl. Es will sich aus eigener Kraft das schaffen, was es selbst braucht, nur das Staatsbahnen und kanalisierte Flüsse durchziehen in großer Menge das Land. Sie stellen gute Verbindungen innerhalb der beiden Großherzogtümer her und die Eisenbahnen ermöglichen es dem Mecklenburger, wenn auch mit Umsteigen, an die großen Verkehrsstraßen heranzukommen. Wie es heute ist, so war es immer: zahlreiche Land- und Wasserstraßen im Innern, - mit den bedeutenden Zentren des Auslandes schlechte Verbindung. Während es heute wenigstens eine große internationale Verkehrslinie gibt: Berlin-Rostock-Gjedser-Kopenhagen nach dem Norden, konnte im Mittelalter von einer solchen durch Mecklenburg führenden Weltstraße überall nicht die Rede sein. Das Lüneburger Salz, dieser wichtige Handelsartikel, wurde nach den baltischen Ländern hauptsächlich über Lübeck ausgeführt, das seit Ende des 14. Jahrhunderts durch die Stecknitzfahrt in bequemer Wasserverbindung mit Lüneburg stand. Wismar unterhielt allerdings auch seit Alters Handelsbeziehungen zu Lüneburg, konnte darin mit Lübeck aber nicht konkurrieren.


Bald nach Fertigstellung der Stecknitzfahrt kamen die Lüneburger in starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Lübeck. Das zeigte sich in empfindlicher Weise, sobald beide Städte Händel miteinander hatten. Dann belegten die Lübecker die Lüneburger Salzschiffe mit Arrest; fuhren auch selbst ihre eigenen Waren zum Verkauf die Elbe nach Oberdeutschland hinauf, was einen Eingriff in Lüneburger Stapelrechte bedeutete. Deshalb sah sich Lüneburg in dem Bestreben, sich von Lübeck unabhängig zu machen, zu Anfang des 15. Jahrhunderts noch nach einem zweiten Ausfuhrhafen für sein Salz um. Als solcher erschien das nahe bei Lübeck gelegene Wismar geeignet. Da man ein Konkurrenzunternehmen für die Stecknitzfahrt schaffen wollte, so konnte man nicht nur wie früher das Salz einfach per Fracht von der Elbe aus auf der Landstraße nach Wismar schicken, man mußte einen billigen Wasserweg herstellen. Dieser Versuch einer Kanalverbindung zwischen Lüneburg und Wismar ist die Schalfahrt.

Der Plan zur Schalfahrt wurde gerade zu der Zeit gefaßt, als für Wismar durch die Beilegung seiner eigenen und der Rostocker Unruhen die Hände frei geworden waren zu friedlicher Betätigung und es sich mit der Hoffnung trug, seine frühere Stellung im Hansabunde wieder zu erringen. So kamen sich beide Städte, Lüneburg und Wismar, in ihren Wünschen entgegen. Die Einrichtung der Schalfahrt entsprang aus stadtpolitischen Interessen. Es fragt sich nun, wie sich die Territorialfürsten, die Mecklenburger Herzöge, dazu stellten.

Der Erste, an den die Lüneburger mit ihrer Bitte herantraten, war Herzog Johann. Seine Antwort finden wir in dem Privileg von 1412): Er gibt darin dem Rat von Lüneburg die Erlaubnis, sich eine Straße, die ihm bequem ist, von Boizenburg nach Wismar zu suchen. Auf dieser Straße wahrt er sich die Oberhoheit, indem er die Lüneburger Kaufleute in seinen Frieden und in seine Hut nimmt, indem er verspricht, sie sogar im Kriegsfalle mit dem Lüneburger Fürsten zu beschützen und sich nicht etwa an ihrem Gute schadlos zu halten. Dafür sind ihnen aber befestigte Niederlagen, zu denen die umzäunten Stapel- und Hudenplätze leicht Veranlassung gaben, verboten. Das weitere ist von zollfiskalischem Interesse diktiert. Sie dürfen in seinem Lande, aus seinem Lande und durch sein Land fahren unter der Bedingung, daß sie den Zoll geben, den sie nach Recht geben sollen. Nämlich für jede Last Salz ist zu Boizenburg der Einfuhrzoll von 4 Schill. lüb. zu entrichten. Auf der Rückfahrt von Wismar, Lübeck, Mölln hingegen ist das Gut der Lüneburger in Boizenburg frei. Bei ihren Fahrten durch die Mecklenburger Herrschaften dürfen sie Waren einkaufen und aus dem Lande führen nach Lüneburg oder nach anderen Orten. Sie haben die Erlaubnis, Handel zu treiben, die Freiheit des Einkaufs und der Ausfuhr.

Nachdem der Herzog den Lüneburgern diese Gerechtsame für den Landhandel nach Wismar verliehen hat, geht er auch auf ihre Wünsche wegen der Anlage von Wasserstraßen ein. Sie dürfen Wasserwege graben und Schleusen bauen, und dazu mögen sie sich seiner Holzungen, die „gatlich“ dazu sind, bedienen. Benutzen sie aber das Land oder Holz eines der Anlieger, so müssen sie es ihm bezahlen. Sie dürfen Niederlagen oder Huden bei den Schleusen machen, Brücken über die Flüsse schlagen und die Ufer so herrichten, daß sie die Schiffe auf beiden Seiten entlang ziehen können. Zu Erhaltung der Wasserbauten sollen sie auf Salz und andere Güter einen Zollt nehmen. Auch will er dafür sorgen, daß die Waren von Wismar und Boizenburg durch die Lüneburgische Zollstätte die Elbe abwärts geführt und nicht, wie es gern geschah, auf Umwegen der Zollabgabe entzogen wurden. Fände sich jemand, dem dies doch gelungen wäre, so sei er zu bestrafen. Nach dem Grundsatz, womit man sündigt, damit wird man bestraft, ist ihm genau soviel Gut zu nehmen, als er auf dem Umwege an Lüneburg vorbeigepascht hat.

Trotz dieser ziemlich allgemein gehaltenen Bestimmungen sah der Rat von Boizenburg, der bisher die diesbezüglichen Wasserwege beherrscht hatte, in dem Schiffahrtsprivileg der Lüneburger das Ende seiner eigenen Unabhängigkeit und Selbständigkeit, was ihn um so besorgter machte, als innerhalb seines Schiffswerks ein Streit ausgebrochen war, weil die Deutschen die Wenden unterdrücken wollten. Boizenburg suchte daher jede Beeinträchtigung der Freiheiten seiner Bürger durch Fremde zu hintertreiben, indem es sich seinerseits ein Privileg verschaffte und zwar von Herzog Albrecht 1422: Der Herzog schützt darin die Boizenburger gegen die Wenden, indem er fortan nur solche Leute in das Schiffamt aufnehmen ließ, die von Deutschen echt und recht geboren waren. Und er schützt sie gegen die Lüneburger, indem er nur den Schiffwerksgenossen und ihren Nachkommen erlaubte, zu flößen und zu fahren auf dem schwarzen Wasser und dem See zu Bandekow. Da aber die Schale in die Sude, die auf ihrem Unterlauf den See zu Bandekow und das schwarze Wasser bildet, fließt, so war damit den Lüneburgern die Anwendung ihres Privilegiums für die Schale vereitelt. Oder wollten die Boizenburger die Lüneburger Schalfahrt nur von sich abhängig machen durch den Zusatz: „niemand anders darf hier flößen und fahren, sundern der Rat und das Schiffamt will es ihm sundergen gönnen“?