Erste Fortsetzung

Wenden wir uns jetzt dem Inhalte des Buches zu, so finden wir zunächst eine im englischen Sinne geschmackvolle Übersetzung, welche sich vielleicht zu eng an die J. Taylor'sche anlehnt. — Unserer Ansicht nach möchte das Werk noch brauchbarer geworden sein, wenn Herr Rawlinson den griechischen neben den englischen Text gestellt und die schwierigen und zweifelhaften Stellen, welche jedem Übersetzer aufstoßen müssen, angedeutet haben würde. Die Beigabe des Urtextes wäre besonders wünschenswert gewesen, weil sich der Herausgeber dem größeren Publikum zu Gefallen ganz willkürliche Änderungen erlaubt und eine so ängstliche Rücksicht auf die übel berüchtigte Prüderie der Engländer nimmt, dass man von der Sittlichkeit derselben eine sehr üble Vorstellung gewinnen muss. Nicht der nackte Apollon ist unanständig, sondern derjenige, welcher denselben unanständig findet. — Wenn Herr Rawlinson Alles, was sich auf den für den Kultus der Alten so bedeutungsvollen Phallusdienst bezieht, fortlässt oder vertuscht, wenn er nicht einmal die harmlosen Stellen
. . . . zu übersetzen wagt, wenn er den kräftigen Witz der Deserteure des Psammetich nicht über die Lippen bringt und ihn darum verflacht und der Spitze beraubt, so sündigt er geradezu gegen den Ernst der Wissenschaft, um einem nichtigen Vorurteile zu schmeicheln. Stünde der griechische Text neben dem englischen, so würde wenigstens der Gelehrte nicht unter der Ängstlichkeit des Herausgebers zu leiden haben. Eine andere Art von Prüderie zeigt sich in jenen Samthandschuhen, mit denen Rawlinson die Bibel als historischen Codex anfasst. Wäre der Herausgeber ein Deutscher, so würden wir uns nicht mit so leichtem Tadel begnügen; dem Engländer müssen wir aber in dieser Beziehung etwas zu Gute halten, denn die Prüderie in gesellschaftlicher und religiöser Beziehung ist ein Übel, das sich in Großbritannien wie eine hereditäre Krankheit von Geschlecht zu Geschlecht forterbt. Shakespeare und die „jungfräuliche" Königin wussten nichts von dieser Armseligkeit, welche erst mit den unsittlichen Stuarts nach England gekommen zu sein scheint. Übrigens wollen wir hiermit konstatieren, dass wir zwar mildernde Umstände gelten lassen, dem Gelehrten aber, welcher einer solchen Schwäche huldigt, nie und nimmer vergeben können.

Die Anmerkungen sind so reichhaltig, dass der Laie zu jeder Stelle, welche ihm dunkel vorkommen könnte, eine Erklärung finden wird. Auch dem Gelehrten werden viele dankenswerte Aufschlüsse gegeben; derselbe vermisst aber schmerzlich jedes Eingehen auf die Schwierigkeiten des allerdings von dem trefflichen Bähr (Herodoti Musae. Leipzig 1830 — 1835) ziemlich erschöpfend behandelten Urtextes. Ferner müssen wir unser Bedauern über die große Flüchtigkeit aussprechen, mit welcher Alles, was sich auf die afrikanischen Stämme bezieht, behandelt wird. Wo das Mitgeteilte durch ein Bild deutlicher gemacht werden kann, da unterstützt der Stift des Zeichners die Feder des Herausgebers. Die neuesten Entdeckungen und Funde werden überall in Wort und Bild mitgeteilt. So sehen wir z. B. bei der Stelle, wo Herodot von dem Grabmale des Alyattes erzählt, die von dem preußischen Konsul Spiegelthal zu Smyrna aufgefundene Grabkammer des lydischen Königs; wo wir die reichen Einkünfte des Satrapen Tritantächmes preisen und die vielen indischen Hunde desselben erwähnen hören, die Abbildung einer zu Babylon gefundenen Steinplatte, welche eine große indische Dogge in Basrelief darstellt. Am reichsten illustriert erscheint das zweite Buch, welches bekanntlich die Geographie und Geschichte von Ägypten behandelt. Bei der großen Menge der wohlerhaltenen Bilder, welche die Wände der Gräber und Denkmäler des Pharaonenlandes von Memphis bis Nubien bedecken und gleichsam zur Illustration der Geschichte des ältesten aller Völker dienen können, wird es dem Gelehrten leicht gemacht, den Schritten des Halikarnassiers zu folgen. Auch die asiatischen Altertümer sind fleißig benutzt worden, wogegen die griechischen in den Illustrationen verhältnismäßig spärlich bedacht erscheinen.


Das Studium des Altertums ist in den letzten Jahrzehnten ein so ernstes und in die Tiefe gehendes geworden, dass kein Einzelner alle Teile desselben gründlich zu erforschen vermag. Die Archäologie beschränkt sich nicht mehr auf die sogenannten klassischen und orientalistischen Studien, welche letzteren früher nur die Kenntnis einiger semitischer Sprachen umfasste. Neben denselben wird das indische Sanskrit mit seinen Dialekten, das demselben nah verwandte Zend, die Sprache der achemänidischen Keilschrift und der Zend Avesta, die turanische Sprache, als Idiom einer anderen Art von Keilschrift, und das Koptische, dessen Kenntnis zur Entzifferung der Hieroglyphen unerlässlich erscheint, in den Kreis der Forschung gezogen. Jeder Hellenist, Keilschriftentzifferer oder Ägyptologe, hat genug zu tun, wenn er sich, nach einem Überblicke über das Ganze, welcher namentlich im Interesse der Sprachvergleichung notwendig erscheint, ausschließlich seiner Spezialwissenschaft hingibt. So konnte denn auch Herr Rawlinson in all den Teilen des Altertums, mit welchen sich die Geschichte des Herodot beschäftigt, nicht gleich bewandert sein und überließ darum die auf den ägyptischen Teil seiner Arbeit bezüglichen Stellen dem berühmten Ägyptologen Sir Gardener Wilcinson, dem gründlichen Verfasser der „manners and customs oft he ancient Egyptians;" den auf die persisch-assyrischen Altertümer bezüglichen dem berühmten Sir Henry Rawlinson, einem Manne, dem die Entzifferung der Keilschriften unendlich viel verdankt. Die von diesen beiden Gelehrten herrührenden Anmerkungen sind mit den Anfangsbuchstaben derselben bezeichnet und umfassen die gehaltreichsten Stellen des ganzen Werkes. Aber auch die Arbeiten des Herausgebers sind, namentlich wegen ihrer gründlichen Quellenstudien und allgemein verständlichen Klarheit, äußerst dankenswert.

Um die Anmerkungen nicht mit Material zu überfüllen, hat Herr Rawlinson die einzelnen Bücher mit Anhängen und Essays versehen. So vortrefflich viele derselben genannt werden müssen, so wenig zweckentsprechend erscheinen uns einige andere. So ist z. B. der Aufsatz von Wilcinson über die Verbreitung der Venus Urania über den Orient zu ausführlich, während unserer Ansicht nach die verschiedenen ägyptischen Schreibarten von demselben Verfasser zu flüchtig behandelt worden sind. Das vierte Essay des ersten Bandes von dem Keilschriftentzifferer Sir Henry Rawlinson über die älteste Geschichte von Babylon scheint uns manche etwas gewagte Voraussetzung zu enthalten. Eine besondere Anerkennung verdienen das vom Herausgeber herrührende zweite Essay des vierten Buches und das zweite des sechsten Buches. Am Schlusse der höchst dankenswerten und dem ganzen gebildeten Publikum zu empfehlenden Arbeit befindet sich ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, ohne welches überhaupt kein wissenschaftliches Buch erscheinen sollte, und eine Liste derjenigen Werke, welche der Herausgeber seiner Arbeit zu Grunde legte. Die Zahl derselben ist natürlich nicht gering und umfasst die gelehrte Literatur der meisten zivilisierten Völler. Wir haben es uns nicht versagen können, dieses Register genauer zu betrachten, um demselben den Beweis zu entnehmen, dass alle gelehrten Werke, welche das Ausland erzeugt, zum größten Teil aus deutschen Quellen geschöpft werden, dass Deutschland es ist, das die Gedanken denkt, welche andere Nationen zu ihrem Ruhm oder Nutzen auszubeuten verstehen. In der Rawlinson'schen Quellenangabe finden sich 50 Namen unter a, 35 unter b, 31 unter d. Von den ersteren gehören 32, von den zweiten 18, von den dritten wieder 18 der deutschen Nationalität an. Hiernach wiegt die deutsche philosophisch-historische Gelehrsamkeit ebenso schwer, als diejenige der ganzen übrigen zivilisierten Welt.
Dr. G. E.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Rawlinson'sche Ausgabe des Herodot.
Keilschrift 005 Tafel mit archaischer Schrift

Keilschrift 005 Tafel mit archaischer Schrift

Keilschrift 004 Steintafel mit archaischer Schrift

Keilschrift 004 Steintafel mit archaischer Schrift

Babylon Stiere und Drachen des Ischtartors

Babylon Stiere und Drachen des Ischtartors

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