Die Pilgerfahrt nach Mekka

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Dr. Felix Langenegger, Erscheinungsjahr: 1926

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Pilger, Mekka, Pilgerfahrt, Karawane, Religionsvorschriften, Islam, Wallfahrt, Moslem, Damaskus, Hodscha,
Die Einrichtung der Pilgerfahrt nach Mekka ist uralt und reicht in die Tiefen des arabischen Heidentums hinein. Schon damals war Mekka der Mittelpunkt des Götterkultus. Mohammed, der Verkünder des „einzigen einen Gottes“, war als Religionsgründer so klug, die Kaaba, diesen altersgrauen Götzentempel der Hedschasaraber, nicht zu zerstören. Er warf nur die Götzen aus Stein und Metall hinaus und erhob den Tempel zum „Haus Gottes“. Hier, und nur hier auf Erden war nach seiner Offenbarung Gottes Wohnung. Die Erkenntnis seiner unsichtbaren Allmacht sollte allen denen werden, die sich vor seiner Schwelle niederwerfen wollten. Und so schrieb er in der zweiten Sure seines Korans : „Nehmet auf euch die Pilgerfahrt nach Mekka und werfet euch dort Gott zu Füßen. Wisset: er kann euch schrecklich strafen. Die Pilgerfahrt fällt in die Monate Schuwal, Du el Kada, Du el Hödscha. Wer die Wallfahrt unternimmt, enthalte sich der Frauen, der Übertretungen der Religionsvorschriften und der Streitigkeiten. Auch soll er kein Tier töten. Das Gute aber, das er tut: Gott wird es sehen. Und nehmet ihr Vorräte mit auf die Reise, so bedenket: der beste Vorrat ist die Frömmigkeit …“

*******************************************
Als Mohammed dies für alle Zeiten des Islams niederschrieb, dachte er nicht daran, dass seine grüne Fahne einstmals ihren Schatten weit hinauswerfen und über Ländern rauschen werde, deren Völker ihm nicht einmal dem Namen nach bekannt waren. Hatte er doch nur an seine Volksbrüder aus Arabien gedacht, an all die unsteten und harten Steppenhirten, die Kameltreiber, Jäger, Kaufleute und rauen Krieger der Ödeneien, für die ein solcher Wallfahrtsritt etlicher Tage nichts war als eine Episode ihres aus einer einzigen Kette von Mühsal, Durstqualen, Unrast und Wanderschaft bestehenden Lebens. Nicht aber, dass er mit seiner Vorschrift Millionen von Moslemin veranlassen würde, Tausende von Meilen durch die Gebirge, Wildnisse und Wüsten Asiens herbeizuziehen oder über ferne Ozeane heranzufahren. Der Beweis aber für den bitteren Ernst, mit dem der Moslem seine religiöse Pflicht auffasst, liegt darin, dass von den Millionen jeder einzelne wenigstens einmal im Leben nach dem Hause seines Gottes zu wallfahren sucht und wohnte er auf Java oder in den Steppen Mittelasiens oder an der Küste des Atlantischen Ozeans. So wandern durch die Jahrhunderte hindurch alljährlich sechzig bis siebzigtausend solche Pilgrime im gleichen Glaubensdrang wie ihre Väter heran, um vor dem schwarzverhängten Hause Gottes Nähe in heiligen Schauern bebend zu fühlen.

Die Pilger, die außerhalb der Länder Vorderasiens und Arabiens wohnen, benutzen im allgemeinen das Schiff bis Dschedda, dem Hafen von Mekka. Für jene aber aus genannten Landstrichen gilt der Landweg. Drei Karawanen gehen von Bagdad, Kairo und Damaskus aus und machen sich zugleich im Monat Schuwal auf den Weg, um bei Beginn des dritten Monats ihr Ziel gerade zum großen Religionsfest zu erreichen. Als der richtige Ausgangspunkt gilt jedoch eigentlich nur Damaskus, weshalb auch seinerzeit durch Abd ul Hamid die Hedschasbahn gebaut wurde, die neben militärischen Zwecken auch den Pilgertransport besorgen sollte und durch die eine große Erleichterung für die Hödscha, die Wallfahrt, herbeigeführt wurde.

Nach Damaskus strömten also von jeher alle die zusammen, die keine Vorschriftaußeracht lassen wollten, um eine gottgefällige Wallfahrt zu vollführen. Und so kann man während der Monate vor dem offiziellen Ausmarsch der Karawane in den Gassen der Stadt „der kalten Wässer und der heißen Gärten“ alle Kostüme der islamischen Welt sehen.

Der Tag des Aufbruchs der stets aus vielen Tausenden von Pilgern bestehenden Karawane gestaltet sich zu einem hohen Weihefest für die gesamte Stadt, und freudig nehmen alle Gläubigen daran teil, die nicht mitziehen dürfen. Als Damaskus noch türkisch war, wurde die Karawane stets von einem türkischen Pascha geführt und durch eine starke Eskorte türkischen Militärs geschützt. Kamelreiter und Reiter zu Pferde nehmen die Spitze. Aber unmittelbar hinter ihnen und als eigentliches Haupt des Zuges werden jene beiden als heilig geltenden Kamele geführt, jene Mehamel, deren Führer ebenfalls seitens der Gläubigen hohe Verehrung genießen. Diese heiligen „Träger“ führen auf ihrem lastbaren Rücken das Prunkzeltgestell, unter dem sich die alljährlich für das Gotteshaus in Mekka gestifteten Weihegaben befinden. Das wichtigste der Geschenke ist jene riesige schwarze Hülle aus dicker Seide, die Kesua, mit welcher der Bau der Kaaba jedes Jahr neu behangen werden muss, jener ungeheure düstere Schleier, der den zwölf Meter hohen Würfel des Bet Allah gleich einem Katafalk zudeckt und umgibt. Es war von jeher das Vorrecht der Beschützer von Mekka, also der Kalifen, dem Hause Gottes seine Jahresgewandung zu schenken.

An diese beiden heiligen Trägerkamele schließt sich der eigentliche Zug an. Auf ausgewählt schönen und starken Reitkamelen oder edlen Rossen folgt die an ihren reinweißen Turbanen erkennbare Geistlichkeit unmittelbar. Glocken und Schellen klingen von den bunten, glitzernden Behängen, Kopfbüsche winken, und Silberbeschlag gleißt von den Zäumen der Tiere, die wie zu einem Hochzeitszug geschmückt sind, obschon für viele von ihnen dieser Freudentag nichts anderes bedeutet, als den ersten Schritt zu elendem Tod auf ferner, kahler Straße.

Der Pascha reitet in seiner goldstrotzenden Uniform mit den brillantenen Ordenssternen wie zur Parade einher. Sein Stab umdrängt ihn. Bewaffnete Reiter bilden seinen Schutzzaun. Und alles, was von Rang ist, hält sich in seiner unmittelbaren Nähe.

Diesem illustren Haupte folgt nun die bunte und wirre Masse des Pilgerzuges selbst. Die Vornehmen, die Bequemen oder ihre Frauen werden in Sänften dahingetragen, die zwischen reich geschirrten Kamelen oder Maultieren hängen, oder die auf Kamelrücken nach Nomadenart frei befestigt sind. Zahllose Reittiere, vom edelsten Rassepferd bis zur bescheidenen, kleinen, lastbaren Eselin hinab, sind vertreten. Viele der Pilger aber gehen auch zu Fuß fürbass. Sie haben nichts als den Wanderstab und schleppen ihr mageres Bündel auf dem eigenen Rücken. In den ersten Tagen kommt der Zug nicht weit. In dem Städtchen El Muzerib werden die letzten Vorbereitungen zur Wüstenreise getroffen und die letzten Nachzügler erwartet. Erst eine Woche nach dem Auszug aus Damaskus setzt sich die Karawane ihrem Ziele zu in Bewegung.

Nun liegt sie vor ihr, die höllische Ödenei, das Meer aus Steinbrocken und Sand, die Landschaft Hedschas. Mitten hindurch führt die kilometerbreite Spur der Pilgerstraße, die im Laufe der Jahrhunderte von Millionen von Hufen in die harte, arme Erde hineingetreten wurde. Unentwegt zieht sie gen Süden . . . gen Süden. Ihre Länge beträgt achtzehnhundert Kilometer. An ihrem Saum. liegen die unzähligen Gerippe der hier verendeten Tragtiere und die Gräber derer, die auf ihr starben. An ihr lauern die wilden Nomaden, die von den Pilgern ihren Zoll fordern. Die Sonnengluten des Tages fließen flammend über sie dahin. Die düsteren Sandstürme jagen ihren Staub erstickend über sie empor. Die Erschöpfung des Wanderns, die Gebresten der Hitze, die aus allen Gegenden des Orients herbeigeschleppten Krankheiten bemächtigen sich der Wallfahrer. Bald erhält die pomphaft ausgezogene Karawane ein anderes Aussehen. Sie zieht sich auseinander und verliert die Ordnung. Die Gruppen der gut Berittenen lösen sich von denen der Fußgänger oder der Eselreiter. Viele Pilger leiden an Erkältungen des Unterleibs oder kranken an dem bitteren, harten Wasser, das die tiefen Felsbrunnen der Raststationen bieten. Gleich Schatten ziehen sie dahin. Alles fliegende Ungeziefer des Orients begleitet den Zug durch die Einsamkeit gleich einer unheilvollen Wolke und nährt sich von den Wunden, welche die unaufhörliche Bewegung des Vorwärtshastens an den Leibern von Tieren und Menschen gebildet hat. Und die Gemeinschaft jener kriechenden und hüpfenden Blutsauger feiert Orgien, zumal ein Pilger nach des Propheten Vorschrift kein lebendes Wesen töten darf und sich alles gefallen lassen muss.

So mancher der Wanderer erreicht nie sein Ziel, sondern wird seitlich der Straße seines Leidens und seiner Hoffnung in die Erde gelegt, von Osten nach Westen gerichtet und das Gesicht nach Süden gedreht, nach jener gebenedeiten Stätte hin, die er nun erst am Jüngsten Tage erreichen wird. Niemand darf diese Toten beklagen. Sie sind glückselig, war auch ihr Leben noch so kurz berechnet.

An den mit kleinen Forts ausgestatteten Rastplätzen sammelt ich die Karawane immer von neuem. Und eines gesegneten Tages erreicht sie endlich den Hedud el Haram, die Grenze des sich um Mekka weit herumziehenden geheiligten Bezirks, den zu betreten für den Andersgläubigen den Tod bedeutet . . .

Hier vollzieht sich mit den Pilgern eine äußerliche Umwandlung. Sie legen nun die vorgeschriebene Pilgertracht, den Ihram an. Diese besteht für die Männer aus zwei weißen, rechteckigen Baumwollstücken, die nicht genäht sein dürfen; eines von ihnen wird um die Lenden, eines so um die Schulter geschlungen, dass der rechte Arm samt Schulter freibleibt. Die Frauen verhüllen den Körper von Kopf bis zu Füßen und mit einem Schleier das Gesicht. Die Männer müssen sich den Kopf kahlscheren lassen. Er bleibt von nun an unbedeckt und darf höchstens mit den Händen beschützt werden. Dies bedeutet für manchen der aus den nördlichen Gebieten des Islams Kommenden, von denen keiner an die stechende Sonne des Wendekreises gewöhnt ist, den Tod durch Sonnenstich. Durch diese Pilgertracht, die das Kostüm eines gemeinen Arabers aus der Zeit Mohammeds darstellt, soll zum Ausdruck gebracht werden, dass arm wie reich, Bettler wie Machthaber in demselben bescheidenen Gewande und äußerlich durch nichts voneinander unterschieden vor das Haus Gottes treten sollen.

In dieser Tracht bleiben nun die Pilger bis zum Ende der vorgeschriebenen Handlungen, die sie in Mekka vorzunehmen haben, also mindestens zwölf Tage. In dieser Zeit dürfen sie sich weder waschen noch Haupthaar, Bart oder Nägel schneiden. Bald erhalten sie daher ein verwildertes, finsteres Aussehen.

Von der Einkleidung an bemächtigt ich der Pilger eine starke Aufregung. Gebete und religiöse Sänge schallen ohne Unterlass. Die Kehlen strengen sich in fanatischem Wetteifer an. Alles aber übertönt jener fromme und glückselige Pilgerruf, der einzig und allein nach Anlegung der Pilgertracht ausgestoßen werden darf: „Labik, labik!“ Dieser Ruf hallt nun millionenfach aus Tausenden von Kehlen hervor und schwingt die Karawane entlang, die nunmehr wieder geschlossen und in alter Ordnung marschiert. Die Bedeutung dieses talismanischen Wortes, von dem die öden Felswände und die grauen Mauern Mekkas alljährlich zur Wallfahrtszeit widerhallen, bedeutet in freier Übersetzung etwa: „Aus tiefer Not nehme ich meine Zuflucht zu dir, o Gott!“ In ihn ist die ganze Sehnsucht des Erdenmenschen nach Erlösung aus diesem Jammertale hineingelegt.

Dann aber naht die heißersehnte, gepriesene Stunde, in welcher die Pilgerkarawane die ferne Masse der Häuser Mekkas erspäht und sich dies unter frenetischem, unaussprechlichem Jubel zujauchzt . . . Mekka, Mekka, du neunmal heilige Stadt . . . du Hauptstadt der Welt . . . Mekka, du Sehnsucht aller Gläubigen . . . Mekka, in der jeder Stein heilig ist . . . Wiege des Islams . . . du heiligster Fußschemel des Allmächtigen . . . du Schatten Allahs auf der Erde . . .!

Da sammeln sich die Pilger zu einem gewaltigen Haufen. Das wilde Geschrei lässt die Säumigen hastig näher kommen. Die unübersehbare Schlange, die eben noch träge ihre Straße entlang kroch, rollt sich zu einem Klumpen zusammen. Die grüne Fahne des Propheten flattert auf und mit ihr Hunderte von anderen Fahnen, die der Zug mitführt. Einstimmig und doch tausendstimmig und tausendtönig dröhnen die Rufe. Keiner, der nicht sein „labik“ ausstößt. Das ist der gelobte Augenblick, an dem die Welt der Qual, die nun im Rücken liegt, versinkt. Und alles Irdische ist in einem Meer des Taumels fanatischer Religiosität vergangen. Die vom Sturme tiefster Gefühle aufgelöste Karawane ordnet sich neu. Hinter der Fahne des Propheten zieht sie auf die Stadt zu, vom Großscherifen von Mekka und der Bevölkerung feierlich eingeholt.

Nun aber beginnen sofort die zahlreichen religiösen Handlungen, die der Mekkapilger ausführen muss: der siebenmalige Lauf um die Kaaba; das Trinken aus dem Brunnen Semsem, der nach der Überlieferung Hagar und Ismael vor dem Tode bewahrte; das Küssen des schwarzen, fabelhaften Wundersteins; die Wallfahrt nach dem Berge Arafat, jenem „Berg der Erkenntnis“, wo Mohammed seine Offenbarungen empfing; endlich die Steinigung des Teufels im Tale Menaa. Daneben noch zahlreiche, vielfach tief im Heidnischen wurzelnde Verrichtungen. Und zum Schluss die Teilnahme an dem großen Hammelopfer, das zum Andenken an das Opfer Abrahams abgehalten werden muss, und das die gesamte Welt des Islams am gleichen Tage im „Großen Opferfest“ mitbegeht. Dann ist der Pilger seiner Pflichten ledig. Der Zweck der Wallfahrt ist erfüllt, und er kann sich um den Rückweg kümmern, den er nun von Dschedda aus auch zur See nehmen darf. Erreicht er dann endlich, oft nach jahrelanger Abwesenheit, die Heimat wieder, so wird er dort mit Ehren empfangen und führt von nun an den begehrten, gesegneten und in Ehrfurcht genannten Titel: Hadschi – Mekkapilger – Pilger zum Hause Gottes.

Die beiden heiligen Kamele (Mehamel) mit der Fahne des Propheten und dem Zeltgestell für die Weihegeschenke beim feierlichen Auszug der Mekkapilger aus Damaskus

Mekka, Die beiden heiligen Kamele , Mehamel, mit der Fahne des Propheten und dem Zeltgestell für dir Weihegeschenke beim feierlichen Auszug der Mekkapilger aus Damaskus

Mekka, Die beiden heiligen Kamele , Mehamel, mit der Fahne des Propheten und dem Zeltgestell für dir Weihegeschenke beim feierlichen Auszug der Mekkapilger aus Damaskus

Mekka, Die Fahne des Propheten und das Zelt für die Weihegaben auf der Wallfahrt nach Mekka

Mekka, Die Fahne des Propheten und das Zelt für die Weihegaben auf der Wallfahrt nach Mekka