Auf der Main-Lust (Fortsetzung)

Die energische Ansprache des Majors verfehlte ihre Wirkung nicht, – die beiden Hauptleute hatten während derselben soviel über sich gewonnen, dass sie zu lächeln vermochten und ein anscheinend hochwichtiges Gespräch im italienischer Sprache begannen, an welchen die anderen scheinbar den lebhaftesten Anteil nahmen, den Tisch der Preußen nicht weiter beachtend.

Auch an diesem schienen einzelne Klügere, Besonnenere zu sitzen, welche das herausfordernde Benehmen ihrer Kameraden missbilligten. Allein Einer von ihnen, der Junker von Puntigow, schien durchaus nicht der Mann dazu, wenn die Krakeelsucht sich seiner einmal bemächtigt hatte, so leicht nachzugeben. Er sprang auf, stürzte noch ein Glas Champagner hinab und schritt dann mit vollkommen sicherem Gange auf das Orchester zu, wo die Banditen eben wieder zu ihren Instrumenten griffen. Die allgemeine Aufmerksamkeit, die schon durch die frühere Szene erregt worden war, wendete sich ungeteilt dieser neuen Wendung der Dinge zu. Von Puntigow blieb vor dem Pulte des Kapellmeisters stehen und sprach:


„He! Sie da! Kapelle!“

„Sie wünschen?“ erwiderte der Kapellmeister, dessen feines, den Künstler verratendes Antlitz eine leichte Röte überzog bei der etwas undelikaten Ansprache des preußischen Offiziers. Der Junker von Puntigow zog eine höchst elegante Brieftasche, worauf weithin sichtbar in einem Vergissmeinnichtkranze der Name „Adelheid“ prangte, nahm aus der Tasche einen Zehnthalerschein, legte denselben vor dem Kapellmeister auf das Pult, und sagte in jenem unnachahmbaren näselnden Tone, den man in vollkommenster Suffiance nur in Berlin bei „Kranzler“ und „d'Heureuse“ hören kann:

„Ach! tun Sie mir doch den Gefallen, mein Bester, und spielen Sie einmal die preußische Volkshymne.“ Der Kapellmeister zauderte. „Haben sie mich nicht verstanden, Männchen?“ fuhr Herr von Puntigow etwas gereizt fort, „ich bin ein preußischer Offizier und verlange, dass Sie mir für mein Geld: „Heil Dir im Siegerkranz“ aufspielen.“ Der Kapellmeister befand sich in keiner geringen Verlegenheit. Der preußische Lieutenant hatte laut genug gesprochen, dass man ringsum Alles hören konnte, und auch den österreichischen Offizieren war kein Wort von der kurzen Conversation verloren gegangen.

In seiner Not warf der Kapellmeister von der Höhe des Orchesters herab einen bittend fragenden Blick auf den Major, welchen Blick der Stabsoffizier mit einem kaum bemerkbaren zustimmenden Blinzeln seiner Augen beantwortete.

Der Kapellmeister wusste nun wenigstens was er zu tun hatte.

Allein der Künstler hatte beschlossen, dem Junker für ein brüskes Auftreten eine kleine Lektion zu geben, und er tat dies auf folgende Weise: Zuerst legte er den Zehnthalerschein systematisch zusammen, dann sprach er:

„Ihrem Wunsche, Herr Lieutenant, werde ich mit Vergnügen nachkommen. Allein, da ich hier zum Vergnügen des Publikums die Nummern meines Programms vorzutragen habe, so würde es mir das Publikum sehr übel nehmen, wenn ich für Geld von meinem Programme abgehen, und eine Piece spielen wollte, die im selben nicht vorkommt. Erlauben Sie mir daher, Herr Lieutenant, Ihnen Ihr Geld mit der Versicherung zurück zu geben, dass ein österreichischer Kapellmeister es sich zur wahren Ehre rechnet die preußische Volkshymne zu spielen, zu Ehren des hochherzigen Königs von Preußen, des hohen Verbündeten meines gnädigen Herrn und Kaisers.“

Und bei diesen Worten reichte der Kapellmeister mit zwei Fingern dem Junker den zierlich zusammengelegten Thalerschein vom Orchester hinab.

Von den nächst stehenden Tischen erschallten einige energische Bravos. Der Junker von Puntigow war über den feinen Merks, den ihm der uniformierte Künstler ereilt hatte, so verdutzt, dass er nahe daran war, den zurückgegebenen Thalerschein wieder in seine Brieftasche zu stecken, allein er besann sich noch rechtzeitig eines Besseren, und gab denselben einem vorüberschießenden Kellnerjungen, mit dem zwischen den Zähnen gemurmelten Worten:

„Was ein preußischer Kavalier einmal geschenkt hat, kann er nicht mehr zurücknehmen. Da nimm mein Junge.“

Der Kellnerbursche, ganz verdutzt über diese ungewohnte Großmut, nahm, fabelhafte Bücklinge schneidend, mit zagender Hand die Banknote, und rannte dann so eilig davon, als ob er gefürchtet hätte, zur Rückgabe verhalten zu werden. Während dem hatte der Kapellmeister die aufgelegten Noten wechseln lassen, und einige Minuten darauf ertönten vom Orchester herab die melancholisch schönen Akkorde der preußischen Volkshymne, die von einem nicht unbedeutendem Teile des Publikums mit Applaus begrüßt wurde.

Der Junker von Puntigow kehrte zu einem Tische zurück, allein er trug den Kopf nicht mehr so hoch, als er ihn auf dem Hinwege getragen hatte.

Die preußische Hymne war zu Ende und der lebhafteste Applaus der Offiziere und teilweise des Publikums rief den abtretenden Kapellmeister wieder an sein Notenpult zurück.

Der Künstler nahm den Taktstock und flüsterte dem Orchester links und rechts ein paar Worte zu.

Diesmal brauchten die Noten nicht gewechselt zu werden.

Die Bandisten setzten ihre Instrumente mit einer Begeisterung an, als ob sie, die kein Schwert zum Fechten trugen, für die Ehre ihres Vaterlandes mit Tönen kämpfen wollten.

Und vom Orchester herab brauste majestätisch feierlich Haydns schönstes Werk, Österreichs Volkshymne, das herrliche: „Gott erhalte!“

Ein wahrer Sturm von Beifall brach ringsum los, die Frankfurter gingen aus ihrem Phlegma heraus und klatschten und schrien Bravo, wie wälische Enthusiasten; ja die Weiber und Mägdeleins, die nicht so schreien konnten, wie ihre respektiven Väter, Männer, Brüder usw. ließen sich's nicht nehmen, die Taschentücher zu schwenken und einzelne Ultras unter den Herrn versuchten es sogar, die Melodie mitzubrummen.

Die österreichischen Offiziere aber erhoben sich an ihrem Tische mit blitzenden Augen, zogen ihre Mützen und blieben mit entblößtem Haupte stehen, bis der letzte Akkord der Hymne verklungen war, und als der Abendwind, der vom Main herüberwehte, die weißen Haare des Majors lüftete, da sah man eine breite Narbe, welche die Heldenstirne zierte.

Unwillkürlich erhob sich, was ringsum saß, und manches blitzende Auge sah drohend hinüber nach den Preußen. Allein es gibt wenig bravere Soldaten, als die Preußen und wer an den preußischen point d'honneur appelliert, tut’s nicht vergebens. Wie ein Mann erhoben sich die preußischen Offiziere, auch sie standen kerzengerade, wie auf der Parade, mit entblößtem Haupte, ihr Gesicht drückte das Bewusstsein aus, dass sie den Österreichern eine Art Genugtuung schuldig waren, für das, was Einer aus ihrer Mitte gefehlt hatte, und so blieben sie stehen, bis unter stürmischem Jubel die letzten Takte der österreichischen Volkshymne verklungen waren, – erst als die Österreicher ihr Haupt wieder bedeckten, taten sie das Gleiche und legten, wie auf Kommando, die Hand an die Mütze, nach den Österreichern herübersalutierend, die kameradschaftlich den Gruß erwiderten.

Bald darauf verließen die Österreicher die Main-Lust; sie gingen längs den drei Bahnhöfen in den blühenden Anlagen hinauf bis zum Taunus-Tor, dann durch die große Gallerstraße auf dem Rossmarkt und durch die Allee am Goethedenkmal vorüber auf den Steinweg, den Major begleitend, der im „Weidenbusch“ wohnte. Dort nahmen sie von dem verehrten Veteranen Abschied, der ihre Hände schüttelnd gerührt, sprach:

„Ich danke Euch, Kinder, Ihr habt heute meinen unbefleckten Namen vor der unliebsamen Notwendigkeit bewahrt, in den Akten eines Raufhandelprozesses fungieren zu müssen. Ich danke Euch, Kinder, – Ihr habt heute soviel, ja noch mehr Mut
bewiesen, als auf den Schlachtfeldern Ungarns und Italiens. Gute Nacht.“

Die Herren trennten sich.

Der Leutnant Rebzweig ging allein über den Rossmarkt zur?ck durch den Hirschgraben nach der Weißfrauengasse um in der Jägerkaserne einen Freund zu besuchen.

Es war bereits dunkel geworden.

Als er in jene Enge kam, wo der Hirschgraben und der Münzgraben zusammenstoßen, vernahm er die raschen Schritte eines Nacheilenden hinter sich.

Der Lieutenant blieb stehen und wendete sich um. Beim Scheine einer lebensmüden Straßenlaterne erkannte er in dem, der ihm gefolgt war, den Junker von Puntigow.

Der Lieutenant Rebzweig hatte ihn auf der Stelle erkannt, denn das Gesicht des Junkers war durch die Szene auf der Mainlust seiner erbitterten Seele zu tief eingeprägt worden, allein er machte es, wie die Vedette, welche auch dann noch den Feind anruft, wenn sie ihn bereits erkannt hat, und mit kräftiger Stimme schallte dem Preußen ein „Wer da?“ entgegen.

„Oho!“ antwortete der Junker. „Sie donnern mir ja Ihren Ruf zu, als ob ich irgendein verdächtiges Individuum wäre, das einen Posten beschleichen will.“

„Hm!“ antwortete der Österreicher, „wenn im Dunkel der Nacht hinter mir. Einer drein kommt, raschen Schrittes, und ohne dass ich weiß, wer er ist und was er will, so ist's mir wohl erlaubt von ihm zu denken, was mir beliebt.“

Der preußische Offizier lachte laut auf.

„Dank Ihnen schönstens für das Kompliment“, erwiderte er, „meine Adelheid würde sich höchlich wundern, wenn sie erführe, dass ihr Theodor in den sonst so sicheren Straßen der ehrwürdigen Stadt Frankfurt beinahe für einen Straßenräuber gehalten worden sei, denn nach den Augen, die Sie auf mich heften, scheinen Sie mich wirklich in die Kathegorie der Highwaymen zu setzen. Doch um Ihnen nicht länger einen Zweifel darüber zu lassen, wer ich bin und was ich will, so erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen.“

Und er legte die Hand an die Mütze und sprach in halb ernstem, halb scherzenden Tone: „Lieutenant Theodor von Puntigow, Erbherr auf Malowitz und Schakelburg an der Grenze zwischen Brandenburg und Pommern, Bräutigam der liebenswürdigsten Bankierstochter, die je in einem Berliner-Salon über Humboldt geschwatzt, ohne ihn zu verstehen, leidenschaftlicher Verehrer der Oper, wenn ein Ballett eingelegt ist, sowie des echten Champagners und der echten Rassepferde, gegenwärtig so ziemlich ohne Schulden, da der Alte vorgestern „Moos“ geschickt hat.“

Dem Österreicher schien der witzelnde Ton, in welchem der Preuße von einer Stellung, von seiner Braut und seinem Vater sprach, durchaus nicht zu gefallen; er antwortete sehr ernst: „Und ich mein Herr, bin Leutnant Franz Rebzweig, schlechtweg, ohne Güter und nur Besitzer des kaiserlichen Leopoldsordens.“

„Ich gäbe Malowitz und Schakelburg drum, wenn ich ihn hätte,“ rief der Preuße in einem so aufrichtigen Tone, dass man daran nicht zweifeln konnte; „Ihr habt leicht lachen, Ihr Oesterreicher, Ihr habt superbe Schlachtfelder gehabt, auf Taille! – in Ungarn und Italien, – da gab's was zu holen, Ehre und Orden. Aber wie soll unsereins dazu kommen, in einer pommerischen oder schlesischen Garnison! Glaubt mir, Ihr Herren, wenn wir manchmal mit Euch anbinden, so geschieht es aus reinem Brotneid.“ Trotz dem frivolen Tone, den der Junker in seinem Gespräche nicht lassen konnte, klang ein gewisses wehmütiges Etwas hindurch, welches unwillkürlich den Lieutenant Rebzweig milder stimmte, als er sprach: „Ich bedaure, mein Herr, – ich glaube, es hat Ihnen bis jetzt bloß an Gelegenheit gefehlt, sich auszuzeichnen, doch bei alledem sind Sie mir noch immer die Erklärung schuldig, was Sie von mir wünschen?“

„Ja so!“ rief Herr v. Puntigow, „auf Wort! daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich habe ein paar Worte mit Ihnen zu reden.“

„Stehe zu Diensten,“ erwiderte der Österreicher sich hoch aufrichtend.

„Prr! Da haben wir schon wieder den knurrigen Ton, und der passt durchaus nicht zu dem, was ich vor habe. Hören Sie mich an, mein Bester. Nach dem, was heute vorgefallen ist, müssen Sie mich für einen Erz-Krakeeler halten. Ich hab's bemerkt, dass Sie über mein Betragen am meisten indigniert waren, – na! na! – leugnen Sie's nicht, kann Ihnen ja gar nicht Unrecht geben, habe mich ja benommen wie ein Renommist zu Halle oder Jena. Und doch versichere ich Sie, dass ich ganz ein guter und honetter Kerl bin, wenn mir der leidige Champagner nicht zu Kopf steigt. Und wie diese gottverdammten Frankfurter Ihnen und Ihrem Volksliede zujauchzten, während wir Andere an unserem Tische so ziemlich aussahen, wie Pudel nach einem Regenwetter, da ging's mir erst auf, was ich für ein Hannsdämel gewesen, und da dacht ich mir: Geht Einem nach und fordert ihn auf dritthalb Schuh Eisen, damit Dich die Österreicher wenigstens nicht für einen Prahler halten: Sie, Herr Lieutenant, wollte ich mit der Bitte belästigen, mir die Ehre zu schenken, Ihren im Feld erprobten Säbel mit meinem leider noch jungfräulichen Degen zu kreuzen. Allein unterwegs zwischen den kühlen Lindenbäumen ist mir's wieder eingefallen, dass auf solche Weise sich jeder Fuchs heraus ziehen würde, der in einer Kneipe „Tusch“ bekommen hat, und kein besseres Mittel weiß, als mit dem, der ihn getuscht, loszugehen. Das ist ein armseliger Mut, ich glaube es gehört mehr Mut dazu, das zu tun, was ich jetzt vorhabe. – Herr Lieutenant, ich sehe es ein, dass ich gefehlt, es tut mir leid; werden Sie meine Hand zurückstoßen, wenn ich Ihnen dieselbe entgegen halte und frage: „Kannst Du mir verzeihen, Kamerad?“

„Vom Herzen!“ rief der Österreicher, gerührt von der Innigkeit, mit welcher Puntigow die letzten Worte gesprochen, und schlug herzlich in des Junkers dargebotene Rechte.

„Und nun, Freund Österreicher“, jubelte der Junker, schnell wieder in seinen alten Ton verfallend, „und nun rasch Rechts um!“ – und „im Manöverschritt Marsch!“ hinauf ins Hôtel d'Angleterre, wo gegenwärtig der maniperbste Cliquot von ganz Europa zu haben. Die Freundschaft gleicht der Rose, sie muss begossen werden, soll sie blühen. Freut Euch des Lebens, weil es Moneten gibt usw. usw.“

„Geht nicht, Freund Preuße,“ antwortete Lieutenant Rebzweig lachend, „ich habe den heutigen Abend einem alten Kameraden zugesagt, einem Jägerhauptmann, den ich seit Santa-Lucca nicht gesehen; s’ist ein Familienkreis, sonst würd ich mitnehmen. Aber morgen“ –

„Morgen! morgen kann ich nicht“, erwiderte der Herr v. Puntigow und ein Schatten flog über sein Gesicht, „ich muss morgen in Wiesbaden sein. Habe mein Ehrenwort gegeben.“

„Also übermorgen.“

„Übermorgen, – ja!“ – erwiderte der Preuße in einem Tone, der fast wie ein Seufzer, klang, „wenn ich aus Wiesbaden zurück komme. Übermorgen im Hôtel d'Angleterre. Gute Nacht!“

„Gute Nacht!“

Und nachdem sich die beiden versöhnten Feinde noch einmal herzlich die Hände geschüttelt hatten, trennten sie sich.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Opfer des Goldes. Band I