Die Militärpflicht der Juden

Gleichstellung der Juden mit dem Christentum
Autor: anonym aus: Die Grenzboten: Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, Erscheinungsjahr: 1842
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Preußen, Militärpflicht, Emanzipation der Juden, Heimat, Vaterland, Konfession
Einer der leitenden Artikel der Kölnischen Zeitung, aus der Feder des Dr. Hermes, hat sich die undankbare Mühe genommen, der von der preußischen Regierung beabsichtigten Maßregel gegen die Juden das Wort zu reden. Die Kölnische Zeitung zählt 8.000 Abonnenten, und somit, gering angeschlagen, 50.000 Leser; sie ist in Gegenden verbreitet, wo sie das einzige Journal ist, welches der Population zu Gesichte kommt. Die Meinungen, die sie verbreitet, setzen sich um so sicherer fest, als kein anderes Organ da ist, das sie widerlegen könnte, und das auditatur et altera pars wegfällt. Wir hätten gedacht, ein solches Journal sollte im Bewusstsein seiner*) Macht weit skrupulöser in seinen Artikeln sein. Wider einen mächtigen Gegner seine Stimme zu erheben, ist Pflicht und Würde der Presse; aber mit Übermacht den Schwachen zu erdrücken, ist kein ruhmvolles Geschäft. Wo Fünf gegen Einen kämpfen, da ist es nicht ehrenvoll, sich als Sechster der Übermacht anzuschließen. Die Anstrengungen, welche die Juden in letzterer Zeit machten, um den sie bedrohenden Gesetzentwurf abzuwenden, sind um so rührender, als sie keiner gemeinen Quelle entspringen. Kaum wurde der Plan laut, dass man die preußischen Juden von der Militärverpflichtung lossagen will, und siehe da, aus allen Gegenden der preußischen Monarchie erheben sich mit Schrecken die Juden, um gegen dieses Gesetz zu protestieren; sie wollen sich das Recht nicht rauben lassen, ihr Blut dem Vaterlande zu widmen.
Wir glauben, selbst die wütendsten Hep-Hep-Schreier müssen diese Protestation achten. Alle die Vorurteile prallen hier ab; denn der preußische Jude, der so beharrlich auf seinem Recht, die militärischen Pflichten seiner Mitbürger zu teilen, besteht, weiß doch, dass er die militärischen Ehren derselben keineswegs teilen kann. Der preußische Jude kann nicht Offizier werden; nicht um die Hoffnung, ihren Söhnen die Epaullettes zu verschaffen, wollen die jüdischen Eltern die Fortdauer der Wehrpflicht ihnen retten; sie reklamieren nichts für sie, als die wenig eigennützige Ehre — als Gemeiner dienen zu können; sie wollen nicht bloß freiwillig in den Militärdienst treten dürfen, sie wollen die Pflicht haben, es tun zu müssen. Man hat sich Anfangs die Mühe gegeben, den neuen Gesetzentwurf als im Interesse der Juden darzustellen, als geschähe Alles bloß aus purer Liebe und Hochachtung für ihre alte Religion und Stammgeschichte. Wirklich konnte die projektierte Maßregel, bevor sie zur Kenntnis der Juden kam, als wohlwollend sich ausgeben; man konnte sagen, man wolle die Juden von einer Pflicht befreien, die man für ihren Glaubenspflichten widersprechend hielt; man glaubte, ihnen eine Wohltat, eine Gnade zu erweisen; nun aber die Meinung der Juden darüber bekannt wurde, nun da alle Stimmen, die laut wurden, gegen diese Gnade protestierten, nun ist es Zeit, die Wohltätigkeitsmiene endlich aufzugeben. Es ist keine Wohltat, wenn man einem Menschen, der keinen Hunger hat, den Mund mit Gewalt öffnet, und ihm den Bissen hinunterstößt. Es ist ganz gleich, ob man einen Menschen zu Tode kitzelt, oder zu Tode schlägt. Die Juden im Großherzogtum Posen, sagt man, haben sich das Staatsbürgerrecht verbeten. Was kümmert das die Juden in den andern Teilen Preußens? Die Königsberger haben eine repräsentative Verfassung verlangt. Hat man sich darum beeilt, sie ihnen, oder den andern Provinzen zu verleihen? Die Rheinprovinzen haben Geschworenen-Gerichte und mündliches Prozess-Verfahren. Hat man deshalb in den andern Provinzen dieselben Institutionen sogleich eingeführt? Warum will man so schnell bereit sein, den Wünschen eines einzigen Bezirks die Wünsche aller Andern zu opfern, sobald es sich um Zurücknehmung eines Rechtes handelt, während man doch so harthörig ist, wenn es sich um die Verleihung eines solchen handelt? Wir wollen hier gar nicht einmal auf den Unterschied aufmerksam machen, der zwischen der Durchschnittsbildung in der Provinz Posen, und der in den andern Provinzen herrscht. Wir wollen nicht erst darauf hindeuten, dass die Juden in den Provinzen, welche zu dem deutschen Bunde gehören, eine andere Berücksichtigung ansprechen dürfen — eine solche, die mit der in der Bundesakte versprochenen Verbesserung ihrer Verhältnisse im Einklange steht. Es liegt dies so klar vor Augen, dass jeder Unbefangene von selbst darauf verfallen muss. Wohl aber wollen wir einige der Argumente des Herrn Dr. Hermes zu widerlegen suchen, weil sie durch die Ruhe, mit der sie vorgetragen, den mit der Frage weniger vertrauten Teil des Publikums leicht verleiten könnten, die Irrtümer zu teilen, die wir einem Schriftsteller seiner Bedeutung nicht zugetraut hätten. „Jene moderne Schule des Staatsrechts,“ sagt Herr Dr. Hermes, „die den Staat nach allgemeinen Grundsätzen aufbaut, ohne sich um die gegebnen Verhältnisse zu bekümmern, erklärt es für einen Überrest mittelalterlicher Barbarei, wenn der Staat irgend einen Unterschied für seine Bürger durch ihre Glaubensbekenntnisse macht. Wir aber haben die Überzeugung, dass nur die Religion uns aus dem mangelhaften Zustande, in dem wir uns befinden, zu einem höheren, besseren, reineren und sittlicheren erheben kann. Die Religion, von der wir diese Wirkung mit Zuversicht erwarten, ist die christliche, und alle unsere Staatsgesellschaften sind deshalb ihrem Wesen nach auf das Christentum begründet; alle unsere bürgerlichen Einrichtungen sind von dem Geiste des Christentums durchdrungen. Sollen wir diese Grundlage, auf der wir uns sicher fühlen, die uns eine schönere, glücklichere Zukunft verbürgt, sollen wir sie aufgeben, um den Forderungen des Vernunftstaates zu genügen? — Wir glauben, dass wir, solange wir die Religion als die Grundlage unserer bürgerlichen Einrichtungen anerkennen, den Juden unmöglich vollkommen gleiche Rechte mit den Christen gewähren können, ohne in einen Widerspruch mit uns selbst zu fallen, dessen nachteilige Folgen uns zeitig genug fühlbar werden würden. —“

Welches sind die nachteiligen Folgen, die so zeitig genug fühlbar werden? Seit 1812 sind die Juden militärpflichtig — sind nachteilige Folgen dem Staate daraus erwachsen, so sage man es gerade heraus! Man zähle sie auf! Aber man hülle sich nicht in Phrasen! Man verstecke sich nicht hinter dem Deckmantel der Religion! Unsere bürgerlichen Einrichtungen sind vom Geist des Christentums durchdrungen. Wohl, aber was ist der Geist des Christentums, wenn er nicht der Geist der Liebe ist? Auch wir teilen die Ansicht, dass die Religion mit dem Staate Hand in Hand gehen müsste; die Religion! aber nicht die Konfession; der Glaube an einen Gott und an ein Jenseits, aber nicht die verschiedene Nuancierung, wie dieser Glaube zur Erscheinung kommt. Nach den Grundsätzen des Herrn Dr. Hermes, dass der Staat einen Unterschied zwischen den Glaubensbekenntnissen seiner Bürger machen müsse, würden wir in die Epoche zurückversetzt, welche dem dreißigjährigen Kriege voranging. Nach diesem Grundsatze würde Spanien in seiner Vertreibung der Mauren und Juden nur konsequent gehandelt haben, und es würden nur wenige Schritten fehlen, um die Dragonaden Ludwigs XIV. gegen seine protestantischen Untertanen zu billigen; und wir würden wieder den schönen Anblick erleben, Deutschland in katholische, protestantische und reformierte Staaten eingeteilt zu sehen. Und Preußen, dem am Meisten daran gelegen sein muss, das Gleichgewicht unter den verschiedenen Glaubensbekenntnissen seines Staates zu erhalten, Preußen soll der Repräsentant eines solchen Systems werden? Die kleinen deutschen Bundesstaaten sind gewiss nicht minder christlich, als die preußische Regierung; Österreich ist eben auch kein Heide, und doch herrscht in diesen Staaten der unchristliche Grundsatz, dass der Jude militärpflichtig sei.

Der Artikel in der Kölnischen Zeitung ist etwas unentschlossener Natur; bald sollen den Juden die Rechte des Staatsbürgers genommen werden, weil sie selbst es wollen, aus purer Menschlichkeit; bald wieder, weil es mit dem Prinzip des Staates unverträglich ist, sie zu emanzipieren.

Halten wir einen Gesichtspunkt fest! „Wir glauben, dass wir, so lange wir die Religion als die Grundlage unsrer bürgerlichen Einrichtungen anerkennen, den Juden unmöglich vollkommen gleiche Rechte mit den Christen gewähren können, ohne in einen Widerspruch mit uns selbst zu fallen.“ Dieser Ausspruch hat nun allerdings eine höchst gefährliche Widerlegung in dem Beispiel, welches Holland, Frankreich gegeben haben. Aber alle diese Staaten zählen nicht! „Denn, sagt der Kölnische Zeitungsartikel, der Handel kennt keine Religion, und ein Staat, dem der Handel als die erste Bedingung seiner Existenz gilt, wird daher die religiöse Seite des Lebens immer mehr in den Hintergrund stellen.“ Also Holland, die Hansestädte, England, das alte Venedig, werden unwiderruflich der Hölle in den Rachen fallen; sie haben keine Religion, die Unglücklichen.! — Der Zollverein ist auf diese Weise eine gefährliche Propaganda gegen die Religion, und wir werden nächstens einige Mitglieder der neuen Corporation der „Freien“, die Gott und das Jenseits ableugnen, als Agenten für denselben auftreten sehen.

„Betrachten wir die Wirkung“, sagt Herr Dr. Hermes „welche die Gleichstellung der Juden mit den Christen in Holland gehabt hat, so sehen wir, dass gerade das Gegentheil von dem eingetreten ist, was uns die Freunde des Judentums in Deutschland als die notwendige Folge einer allgemeinen Emanzipation der Juden vorher verkünden. In wenigen andern Ländern leben die Juden noch heute abgeschlossener als in Holland, in wenigen halten sie fester nicht allein an ihrem alten Glauben, den ihnen Niemand nehmen will, sondern auch an allen äußerlichen Gebräuchen, durch die sie sich von den Christen unterscheiden. Die Juden in Holland bilden, obwohl sie in der Gesetzgebung des Staates nicht die geringste Veranlassung dazu finden, noch heute streng gesonderte Korporationen“.

Was soll in diesem Satze bewiesen werden? Damit die Juden sich also nicht, wie in Holland, absperren, und trotz ihrer Emanzipation zu eignen Korporationen sich bilden, wollen wir sie von vorn herein zu Korporationen machen. Wahrlich eine eigentümliche Logik. Die holländischen Juden brauchen sich nicht, wie die preußischen, auf das Beispiel, welches sie im Kriege gegen Frankreich gaben, zu berufen; sie können auf eine jüngere Epoche hinweisen. Die Besatzung der Antwerpener Zitadelle, die im Jahre 1831 unter Chassé mit so vieler Tapferkeit gegen das französische Armeekorps sich wehrte, zählte viele Juden in ihren Reihen; der offizielle Rapport des Generals machte darauf aufmerksam, dass er dem jüdischen Teil der Besatzung die Feier ihres Religionsfestes Jom kipur zu begehen gestattete, und die holländischen Journale hoben den Umstand hervor, dass unter den Gefallenen viele auf den jüdischen Kirchhof begraben wurden. Ein Beweis, dass die holländischen Juden an dem gemeinschaftlichen Volksgefühle dort nicht so ganz ohne Teilnahme blieben.

Auf das Beispiel Frankreichs, meint die Kölnische Zeitung, dürfe man sich nicht berufen; denn man dürfe nicht vergessen, dass die französische Revolution eben so sehr gegen die Kirche, die mit dem Staat in innigster Verbindung stand, als gegen diesen selbst gerichtet war. Wir wollen uns diesen Grund gefallen lassen, nicht etwa, weil wir in seinen Konsequenzen derselben Ansicht sind, sondern weil in diesem Augenblicke, wo das deutsche Nationalgefühl gegen Frankreich aufgeregt ist, wir uns dorther kein Beispiel holen wollen. Warum aber sinken wir unter den Widerlegungsgründen des Herrn Dr. Hermes gar nicht das Wort Belgien erwähnt? Die belgische Revolution war gewiss nicht gegen die Kirche gerichtet; denn die Männer der Kirche waren es, welche sie geschaffen. Sowohl in der ersten Revolution gegen Österreich und die Josephinischen Edikte, als auch im Jahre 1830 gegen die holländisch-protestantische Domination waren es die Priester, welche das Volk leiteten. Belgien ist ein christlicher Staat par excellence. Wie kommt es nun, dass die belgische Konstitution den Juden die vollständigste Gleichstellung mit allen übrigen Bürgern gewährte?

Dass diese Gleichstellung nicht bloß eine legislative, sondern eine faktische geworden ist, könnten wir mit vielen Beweisen belegen. Wir heben aber nur das Beispiel heraus, welches dieser Frage am Nächsten liegt: das Militär. Nach genauen Belegen, die wir von Seiten des Kriegsministeriums bezogen, befinden sich in der belgischen Armee 12 Offiziere jüdischen Glaubens worunter der Platz-Kommandant von Ypern, ohne dass es dem hochwürdigen Herrn Kardinal-Erzbischof von Mecheln, oder der katholischen Majorität der Kammer in den Sinn gekommen ist, darin eine Gefahr für den Geist des Christentums zu erblicken.

Man verzeihe diese kleine Renommisterei, sie ist nötig für unsern Fall; renommiert doch auch die Kölnische Zeitung mit der preußischen Toleranz gegen Meierbeer, und dass man jenem deutschen Künstler, der unter seinen lebenden Kunstgenossen die größte europäische Anerkennung gefunden, nachdem sein Verdienst längst von fremden Staaten geehrt worden, endlich auch in seiner Vaterstadt eine Auszeichnung erteilt, trotzdem das große Hindernis seiner Konfession ihm lange Zeit im Wege stand.

*) In dem Momente, wo dieser Artikel unter die Presse kommen soll, erhalten wir die neueste Nummer der Kölnischen Zeitung, in welcher ein neuer Artikel zu Gunsten der Juden sich befindet. Die Kölnische Zeitung macht dabei die Bemerkung, dass sie in dieser Frage mit Vergnügen alle Stimmen für und dagegen aufnehme, um ganz unparteiisch in Mitte der Parteien zu stehen. Eine solche Gesinnung ist der Würde eines großen Journals angemessen, und entwaffnet jeden Vorwurf, der ihr in dem vorliegenden Artikel gemacht wird.
Die Red.

Aus: Die Grenzboten. Eine deutsche Revue. Zweiter Jahrgang. Erstes Semester. 1842. Redigiert von Kuranda, J. Unter Mitwirkung der deutschen Schriftsteller: Karl Andree, Berthold Auerbach, Karl Beck, Baron A. von Bülow, Theodor Creizenach, Lorenz Diefenbach, F. Dingelstedt, J. Fester, Ludwig August Frankl, Carl Gutzkow, Heinrich Heine, J. Kaufmann, Heinrich Koenig, Gustav Kühne, Heinrich Laube, Harrmann Marggraf, H. Merz, Julius Mosen, Theodor Mügge, R. E. Prutz, L. Schefer, H. Schiff, G. Schirges, Theodor Schliephake, Baron von Sternberg, J. Venebey, Van Hasselt, A. Weill, Ernst Willkomm.