Einleitendes zur Orientierung für den Leser.

Da ich jedenfalls bei einem großen Teil meiner Leser eine Bekanntschaft mit den Schriften, die durch diese Blätter beleuchtet werden sollen, nicht voraussetzen darf, so dürfte es nicht überflüssig erscheinen, wenn ich einige Worte zur Aufklärung über den sachlichen und literarischen Standpunkt dieses Gegenstands vorausschicke.

Wie nach den Befreiungskriegen die Reaktion damit eingeleitet wurde, dass Fanatismus, Zunft- und Krämergeist mit einer sehr bald lächerlich gewordenen „Deutschtümelei“ sich verbanden, um den Juden die von den Franzosen erhaltene und nachträglich von der jüdischen Jugend in den Befreiungskriegen mit ihrem Blute an Deutschland bezahlte bürgerliche Gleichstellung zu entreißen, so verbindet sich heute wieder eine im Entstehen begriffene, „das Germanentum“ auf ihrer Fahne tragende Partei mit allen „reaktionär en“ Parteien (Centrum, Agrarier, Feudale), um den Juden, die ihnen 1848 auf dem Papiere erteilte, nie zur vollen Wahrheit gewordene Emanzipation streitig zu machen.


Als Herold dieser Partei ist ein Herr W. Marr aufgetreten. Wenn ich „ein Herr Marr“ sage, soll das durchaus nicht ein geringschätziger Ausdruck sein; denn ich weiß von Herrn Marr nicht eine Silbe mehr, als was ich über ihn aus seinen älteren und neueren judenfeindlichen Schriften und deren Gegenschriften erfahre oder abstrahiere; ich bin ja kein Literat oder „Pressjude“. Herr Marr erzählt, (allerdings nur so nebenher) er sei einer der befähigtesten Publizisten. Ich möchte, ohne Ironie, ihm diese Qualifikation nicht streitig machen; er schreibt eine zur Berückung befangener Leser vortreffliche Feder, der ich mich durchaus nicht gewachsen fühlte, wenn ich nicht der Kraft der Wahrheit vertraute, die ich zu vertreten im Begriffe bin. Wahrheitsliebe ist aber nicht gerade Herrn Marr's stärkste Seite.
Bis 1862 gehörte Herr Marr der „radikalen“ Richtung an. Als er aber von jüdischen Kollegen, wie er angibt, aus der Presse hinausmanövriert worden war, hielt er sich überzeugt, dass jetzt Deutschland untergehe, und schrieb „den Judenspiegel“, eine heftige Polemik gegen das Judentum. In diesem Judenspiegel wird den Juden die gewiss ehrenhafte Zumutung gemacht, „wenn auch nur äußerlich“ Christen zu werden. Da dieser Rath nicht befolgt wurde und er bis auf heutigen Tag nicht mehr festen Fuß in der Presse fassen konnte, weil die nach seiner Behauptung von Juden beeinflusste Presse ihrem Gegner das Wort versagte, so findet er es für notwendig, obschon Deutschland 1870 trotz der Juden nicht zu Grunde gegangen ist, gegen die gesamte Judenheit vorzugehen; dies tut er zunächst in einer Broschüre mit dem Titel: „Der Sieg des Judentums über das Germanentum.“

Herr Marr unterscheidet sich von den judenfeindlichen Deutschtümlern des zweiten Jahrzehnts in einem sehr wesentlichen Punkt. Jene schwärmten für das Mittelalter mit allen seinen Attributen, waren daher kirchlich gesinnt und viele traten deshalb von der protestantischen zur katholischen Kirche über; Herr Marr dagegen ist konfessionslos. Die Behauptung des Titels, dass auch seine Broschüre konfessionslos geschrieben sei, ist, wie wir finden werden, aus deren Inhalt nicht zu erkennen und auf Täuschung berechnet.

Der Gedankengang dieser Schrift Marrs ist folgender:

Die Juden seien vor 1800 Jahren durch einen politischen Missgriff, wie Herr Marr sich ausdrückt, einen „dummen Streich“ ins Abendland gebracht worden. Hier habe man sie politisch unklug behandelt, und, was Herr Marr sehr tadelt, mit Unrecht grausam behandelt.

Deshalb hasse der Jude mit Recht den Germanen, wenn er auch äußerlich gut und liebenswürdig gegen ihn sein könne, und das Judentum (würde wohl besser und konkreter „die Judenheit“ heißen) führte deshalb einen berechtigten Kampf mit den Germanen. In diesem Kampfe setzte es der Gewalt der Germanen die in seinen Stammeseigenschaften als Semiten gelegenen Waffen der Schlauheit und List entgegen, denen die Germanen nicht gewachsen waren, vermittels dieser Waffen und des ebenfalls in den semitischen Nationaleigenschaften begründeten, alles Ideellen baren Realismus (Streben nach dem Gewinn und Nutzen Bringenden), sei es den Juden gelungen, eine sozial-politische Stellung zu erlangen, der das Germanentum bereits unrettbar unterlegen sei. – Unrettbar – darum macht Herr Marr auch keine Vorschläge zur etwaigen Rettung des Germanentums, sondern hofft nur resigniert, „dass der Pans la vismus (Russland) den Rest der abendländischen Kultur vor ähnlich er „Verjudung“ retten werde.

Wer Herrn Marr vollen blinden Glauben schenkt, den muss sein resigniertes „Finis Germaniae“ wahrhaft rühren. Wenn wir aber das geschichtliche Ereignis, dem das wirklich tragische „Finis Poloniae“ sein Entstehen verdankt, mit der heutigen Lage Deutschlands, als mächtigstem Staat in Europa vergleichen, so wird uns Marrs „Finis Germaniae“ zum Lachen reizen. Ich sage es gleich offen, dass ich nicht an die Aufrichtigkeit des Marr'schen Pessimismus glaube. Dass Herr Marr pro domo schreibe, gesteht er selber zu; dass seine Broschüren nicht sine ira geschrieben sind, wird er kaum bestreiten. Ein früherer Radikaler und heute Konfessionsloser, der die eine Hand der Kirche, die andere den Feudalen zum Bunde reicht, Fürsten schmeichelt, das Proletariat anruft und selbst der Sozialdemokratie ein freundliches Wort zu sagen weiß, der kann, ja muss wohl ein sehr begabter Publizist sein, er wird aber nicht unbedingten Glauben fordern können.

Diese Schrift Marrs hat bereits mehrere Erwiderungen hervorgerufen. Einige liegen mir vor. Herr M. Raymond, auch nicht gerade ein Freund der Juden, bestreitet nicht nur die Marr'schen Prämissen, sondern auch seine Schlussfolgerungen und setzt dem „Finis Germaniae“ Marrs ein kräftiges „Vorwärts“ entgegen. Herr J. Perinhart bekämpft die Marr'sche Schrift sehr geistreich und ihm widmete Marr eine Entgegnung „Vom jüdischen Kriegsschauplatz“.

Dieselbe bietet wenig Neues. Herr Marr hält darin seine Hypothesen ohne Beweise aufrecht und staffiert sie mit leidenschaftlichem, weniger verhülltem Judenhasse aus. Neu ist bloß, dass Herr Marr – der befähigteste Publizist – jetzt erst einsieht, dass Russland nicht wohl zum Erlöser Europas tauge, weil dessen revolutionäre Unterwühlung und korrupte Regierung, woran ebenfalls nur die Juden Schuld seien, es dazu unfähig machen. Zu dieser Ansicht ist übrigens Herr Marr durch Herrn Reymond bekehrt worden, der seine panslavistischen Erlösungshoffnungen lächerlich gemacht hat.

In dieser zweiten Broschüre erhebt sich Herr Marr denn auch zu positiven Vorschlägen. Der passive Pessimismus hat also nicht lange vorgehalten. Die europäische Diplomatie solle für die Juden Palästina wieder erobern und sie allesamt, reich wie arm, dorthin spedieren; sie seien am geeignetsten, die orientalische Frage zu lösen. Der Vorschlag ist nicht neu (Istoczy im ungar. Reichstag). Die Frage, ob dieser neue jüdische Staat, mit dem Gelde der Juden, das sie Herr Marr mitnehmen lassen will, und mit ihrer Intelligenz, die er ihnen nicht bestreitet, durch chinesische Mauern eingeschlossen werden, oder ob er mit den übrigen Kulturstaaten in internationalen Verkehr treten soll, was die Lage des Landes einigermaßen notwendig machen dürfte, lässt Herr Marr unerörtert. Ich meinerseits akzeptiere den Plan und bin überzeugt, dass er einmal zur Ausführung kommt; ob er aber, nach Marr'schem Rezept bewerkstelligt, zum Heile des Abendlands gereichen wird, darf man wohl bezweifeln, wenn man „fern im Süd das schöne Spanien“ betrachtet, jenen Meisterstaat im Entjuden, der in Folge seiner Virtuosität in dieser Art von Staatsaktionen zu Grunde gegangen ist.

Bis jedoch diese radikale Entjudung durchgeführt sein wird, begnügt sich Herr Marr vorläufig damit, (und das ist des Pudels Kern), dass den Juden jede Mitwirkung in der Gesetzgebung, der Justiz und Verwaltung entzogen werde (das Steuerzahlen und Soldat werden scheint er ihnen lassen zu wollen). Also „Zurücknahme der Emanzipation“ heißt die Zauberformel, die Herr Marr endlich zur Errettung Deutschlands gefunden hat. Die Emanzipation, für die Herr Marr selbst mitgekämpft, ist für ihn der Untergang Deutschlands, eine zweite germanische „Götterdämmerung“, ich glaube er gebraucht diesen Ausdruck.

Diese Maßregel erscheint Herrn Marr als Akt der Selbsterhaltung für das Germanentum und da ihm das Verhältnis der Juden zu den Germanen als regelrechter Kriegszustand erscheint, so wäre nach seiner Ansicht nichts gegen diesen gesetzgeberischen Gewaltakt einzuwenden. Dennoch sucht ihn Herr Marr auch als rechtlich zulässig sehr logisch zu begründen. Zu den Kosten einer jüdischen (Kultus) Gemeinde zahlen die Germanen nichts, darum haben diese auch kein Recht mitzuraten; weil aber die Germanen in einer jüdischen Gemeinde nicht mitraten, darum haben die Juden auch in germanischen Staats- und Gemeindesachen nicht mitzuraten. Dieser Schluss, Herr Marr, ist genau so logisch, als der von Ihrer dreischwänzigen Katze. Die Juden zahlen denn doch ja mit Gut und Blut zu den germanischen Gemeinde- und Staatsbedürfnissen !?

Das sind im Wesentlichen Marrs Grundgedanken. Ich habe alsbald einige Bemerkungen beigefügt, um nicht mehr auf alles zurück kommen zu müssen.

Ich habe nun noch Folgendes zu bemerken: Die Widerlegungen der Marr'schen Schrift durch Reymond und durch Per in hart gipfeln in dem Gedanken, dass Judentum und Germanentum sich im Lauf der Zeit gegenseitig absorbieren werden und daraus etwas Edleres als Beide entstehen werde. Dieser Gedanke ist unjüdisch; ich möchte ihn um keinen Preis gelten lassen. Herr Helmdörffer, dessen Schrift gegen Marr ich noch vor der Marr'schen flüchtig gelesen, wahrt zwar den jüdischen Standpunkt, scheint ihn aber nicht stark genug zu betonen. Da nun Herr Marr durchschauen lässt, die Juden wollten über ihre Absicht, in den Germanen nicht aufgehen zu wollen, täuschen, so spreche ich es hier gleich am Anfange offen aus: „Nur ein Fanatiker des Unglaubens und des Judenhasses, wie Herr Marr, kann das Judentum mit den Horden Dschingiskhans oder mit den Longobarden vergleichen, die in andern Nationen aufgingen, wie Herr Marr sagt. Das Judentum wird nie eine Nationalität absorbieren, aber auch von keiner je absorbiert werden. Nicht die Rage, nicht die Nationalität bildet den Schwerpunkt am Judentum, sondern die in ihm gleichsam verkörperte ldee des einzigen Gottes, die Idee des absoluten Monotheismus. Diese Idee ist ewig und ihre Träger werden so lange, wie Himmel und Erde bestehen. Ideen wird das Judentum absorbieren, nicht Völker; jene, nicht durch Propaganda, sondern durch das stumme Zeugnis seines Daseins. Wer das begreift, dem ist das Judentum keine Sphinx mehr, dem löst sich manches Rätsel der Weltgeschichte.“

Dies auszusprechen und Herrn Marr's Gotteslästerungen gegenüberzutreten würde ich nicht Anstand nehmen, wenn ich auch ungerne Reklame für ihn machte; aber ich scheue die Reklame für ihn nicht. Man lese seine Schrift – ein mit schildernden Phrasen zusammengekittetes Konglomerat von Unwahrem und Absurdem.
Quod est demonstrandum.