Die Kunst. 18. Band - Das Haus Henkell in Wiesbaden

Monatshefte für freie und angewandte Kunst. Der dekorativen Kunst XI. Jahrgang
Autor: Zobel, Victor, Erscheinungsjahr: 1908

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Architektur, Baumeister, Architekt, Villa, Konstruktion, Lage, Bauweise, Gestaltung, Art zu wohnen, Bauherr, Wohnhaus, Kunst, Stockwerk, Erdgeschoss, Esszimmer, Wohnzimmer, Gästezimmer, Kinderzimmer, Schlafzimmer, Herrenzimmer, Badezimmer, Wirtschaftsräume, Keller, Hausterrasse, Tennisplatz, Treppe, Wohnkultur, Bodenpreis, Baukosten, Miethaus,
Inhaltsverzeichnis
In der Art zu wohnen zeigt sich vielleicht am deutlichsten der Kulturstand eines Volkes, und es ist durchaus bezeichnend für die zweite Hälfte des verflossenen Jahrhunderts, dass man dem Äußeren des Wohnhauses eine völlig übertriebene Wichtigkeit beimaß und die Gestaltung des Inneren, die Gesamt-Anlage im einzelnen und im Verhältnis zur Umgebung beinahe ganz vernachlässigte. Da überdies der Bürger sich in der Nachahmung und Aneignung fürstlichen Prunkes gefiel, der aber unter ganz veränderten Verhältnissen und mit unzureichenden und unwahren Mitteln angestrebt wurde, und da diese Emporkömmlings-Wünsche auch im Inneren der Wohnung überall hemmend und die gesunde Sachlichkeit störend zu tage traten, so kam ein recht abstoßendes Gemisch von äußerlich hohlem und lächerlichem Putz und innerer Barbarei zustande. Mit dem Wiederhervortreten der bürgerlichen Schichten erlangten auch die Städte vermehrte Bedeutung, die neuen Verkehrsmittel erlaubten einen bequemen Wechsel des Ortes, die Bodenpreise wuchsen außerordentlich, ohne dass der Staat oder die Gemeinwesen in die Besitzverhältnisse der einzelnen eingriffen, und so kam es, dass, bei uns in Deutschland wenigstens, das städtische, hoch und eng gebaute Miethaus mit seinen einzelnen Stockwerkwohnungen die durchaus überwiegende Form des Wohnhauses überhaupt wurde und man seine schlechten und so überaus mangelhaften Gepflogenheiten gedankenlos auch auf die ländlichen und vorstädtischen Hausbauten übertrug.

Viel günstiger haben sich in England diese Verhältnisse gestaltet, das auch in den Fragen der Wohnkultur, wie auf so vielen anderen Gebieten der Lebensformung, eine außerordentlich hohe Stufe einnimmt. Mancherlei Umstände haben dazu beigetragen, dass die Dinge hier eine so gesunde und beneidenswerte Entwicklung zeigen. Durch kluge Gesetze sind die Geschäfte mit Grund und Boden sehr erschwert, so dass der Besitz eines eigenen Hauses auch den wirtschaftlich schwächeren Schichten möglich ist. Auch in den Städten hat das Miethaus deshalb nie festen Fuß fassen können, und seine unheilvollen Wirkungen sind ausgeblieben. Dazu kommt, dass die allgemeine günstigere Lebenshaltung zu einer behaglicheren und wohlanständigeren

Ausgestaltung der Wohnung führte, und dass ein dem englischen Leben überhaupt eigenes Festhalten an alten überkommenen Gütern von vornherein einen gesunden Weg wies. In jüngster Zeit hat vor allem Muthesius immer wieder auf diese englischen Wohnformen hingewiesen und gezeigt, wie sie aus den sachlichen Bedürfnissen des Lebens und den Eigentümlichkeiten der Volksart gewachsen sind, und wie viel wir aus ihnen lernen können.*) Besonders ist es das englische ländliche Eigenhaus, das heute, wo auch bei uns eine langsame Abkehr vom Miet-Stockwerkhause zu bemerken ist, die Blicke auf sich zieht. Bei dem englischen Landhause, das wohl die höchste bisher erreichte Stufe der Wohnkultur bezeichnet, ist alles so sachlich gut und einwandfrei gelöst, dass für diesen bestimmten Zweck eine bessere Lösung kaum zu finden ist. Es stellt eine so hohe Kulturleistung dar, dass man sich nicht zu scheuen braucht, viele seiner Formen und Einrichtungen einfach zu übernehmen. Jedenfalls würde man dadurch den eigentlichen Wohnhausbau in Deutschland außerordentlich fördern, während man sich doch nicht die Möglichkeit nimmt, den veränderten Bedürfnissen und der eigenen Volksweise gerecht zu werden. Und man würde auf einen Umstand besonders hingewiesen werden, der gerade in Deutschland fast außer Acht gelassen wurde, dass nichts für die menschliche Wohnung von gleicher Wichtigkeit ist, als ihre gute und bequeme Benutzbarkeit.

*) Vgl. Landhaus und Garten. Beispiele neuzeitlicher Landhäuser nebst Grundrissen, Innenräumen und Gärten. Mit einleitendem Text herausgegeben von Hermann Muthesius. 500 Abbildungen und farbige Beilagen. Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., München. Preis in Leinen gebunden 12 Mark.

Die Ansätze zum Besseren in den Wohngewohnheiten sind freilich bei uns in Deutschland noch sehr bescheiden; aber sie sind doch zu erkennen, und das englische Vorbild hat zunächst bewirkt, dass für das Landhaus mit seinen nach allen Seiten freien Gestaltungsmöglichkeiten von dem Miethaus-Beispiel abgegangen, und dass der Grundriss nach dem tatsächlichen Bedürfnis gestaltet wurde. Dadurch ist schon außerordentlich viel gewonnen, sind die Grundlagen für die Gesundung des Wohnhausbaues gelegt; alle Fragennach Einzelheiten und nach den äußeren Formen des Hauses sind dann nebensächlich, und man darf ihre Lösung getrost der Zeit überlassen. Ich meinesteils glaube, dass man für das deutsche ländliche Haus zu Formen, namentlich des Äußeren, gelangen wird, die von den englischen nicht unwesentlich verschieden sind, und die aus der deutschen, bescheideneren Lebenshaltung, den Wetterverhältnissen des Landes, der andersgearteten Überlieferung sich ergeben. Und obwohl einzelne tüchtige und als Ganzes gelungene Leistungen, die eine ausgesprochen deutsche und selbständige Art zeigen, bei uns vorhanden sind, so fehlt der Bewegung doch immer noch der einheitliche Gedanke, der zu einer feststehenden Art, zu einem aus besonderen Bedürfnissen entsprungenen Stil führen könnte. So wird man eine innigere Anlehnung an die erprobten englischen Formen und Gebräuche durchaus verständlich finden und gutheißen müssen; und das um so mehr, da die englische Art Gestaltungen zeigt, die von persönlichen Liebhabereien frei eine so hervorragende Sachlichkeit und durch sie beinahe Allgemeingültigkeit haben. Das Haus Henkell in Wiesbaden zeigt viel von diesen wohltätigen englischen Einflüssen, und es stimmt mit dem Wesen seines Besitzers, des Herrn Otto Henkell, durchaus überein, der als Mann von Welt eine hohe und bewusste Schätzung englischer Kultur hat. Es geht ihm, meine ich, wie so manchem von uns heute, die sich nicht nur zu ihren sachlichen Ergebnissen, sondern auch zu ihrem tieferen ethischen Sinn durch eine Art von Wahlverwandtschaft in freudiger Verehrung hingezogen fühlen, ohne dass sie fürchten brauchten, dadurch etwas von ihrem Eigenen aufgeben zu müssen. In dem Schweizer Maler Hans Beatus Wieland in München hat er einen Baumeister gefunden, der in allen wichtigen Fragen durchaus mit dem Bauherrn übereinstimmt, und aus diesem schönen Zusammenwirken ist eine ausgezeichnete Leistung hervorgegangen. Den Baumeister, der eigentlich als Laie hier zum ersten mal an eine bauliche Aufgabe herantrat, hat bei der sachlichen Ausarbeitung in hervorragender Weise der Architekt Joseph Hötzel unterstützt. Wenn man weiß, wie innig Technik und Kunst gerade in der Architektur zusammen gehören, wird man sein Verdienst nicht gering anschlagen.

Nach dem Wunsche des Bauherrn sollte das Haus durchaus bürgerliche Art zeigen, und es sollte neben seiner Bestimmung als Familienwohnung auch die Möglichkeit zu reicher Geselligkeit und Gastlichkeit bieten. Zu ebener Erde liegen die wenigen, außerordentlich großen Wohnräume, im ersten Stockwerk die Schlaf- und Kinderzimmer und im Dachgeschoß außer einer kleinen, für sich abgeschlossenen Wohnung die Gastzimmer. Die Wirtschafts- und Diensträume sind in einem besonderen Anbau untergebracht, der mit dem Hauptbau in bequemer Betriebsverbindung steht und auch äußerlich seine Sonderbestimmung zeigt. Die Mehrzahl der Räume ist nach der Gartenseite, und zwar nach Westen gerichtet, und diese Anordnung ist zum mindesten für die Schlafzimmer nicht günstig; aber für die Blickseite des hochgelegenen Hauses war der Westen die gegebene Richtung, weil man in ihr auf die zu Füßen liegende Stadt mit dem Bergzuge des Taunus dahinter eine wundervolle Ausschau hatte, und so musste man auch die Schlafzimmer dorthin richten, wollte man dem Grundriss des ersten Stockwerks nicht Gewalt antun. Die günstige Südseite blieb somit fast ungenutzt, während sich an der Nordseite das Dienstgebäude vorlagert. Die ganze Anlage des Hauses baut sich auf das wichtigste, das Erdgeschoß auf, dessen Grundriss wieder durchaus aus dem Bedürfnis gewachsen ist, indem er mit der praktischen Benutzbarkeit eine ruhige und strenge Schönheit verbindet.

Durch die Haupteingangstür tritt man in einen kleinen Eingangsraum, an dem rechts und links die Ablegeräume für Damen und Herren liegen; weiter in einen streng gehaltenen, runden Vorplatz, von dem man unmittelbar in die große Halle gelangt. An diese Halle, als den wichtigsten Raum des Hauses, in dem das gesamte Leben zusammenfließt, sind drei andere große Räume angegliedert; nach der einen Seite, durch eine Schiebetür im Mauerbogen verbunden, das Damenzimmer, nach Osten zu das Esszimmer und nach Westen, durch einen kleinen Vorraum ein wenig mehr abgetrennt, das Herrenzimmer. Mit sehr feinem Gefühl ist für Bewegung in den Decken- und Fußbodenhöhen gesorgt. Das Esszimmer liegt um einige Stufen tiefer als die Halle und wirkt darum für sich sehr hoch, während dem Damenzimmer eine kleine erhöhte Arbeitsecke mit niedrig wirkender Decke angegliedert ist. Die Decke des Damenzimmers selbst wirkt wesentlich anders, wie die Balkendecke der Halle, weil bei ihm ein länglich rundes Kuppelgewölbe auf verhältnismäßig niedrige Wände aufgesetzt ist; das Esszimmer hat ein großes, durchgehendes Tonnengewölbe und das Herrenzimmer eine aus Lang- und Quergewölben zusammengefügte Decke.

Von der Halle aus führt eine sehr geschickt angelegte und kräftig geformte Treppe, auf deren halber Höhe das niedrige Frühstückszimmer nach Osten zu eingebaut ist, in das Obergeschoß hinauf und mündet in einen breiten Gang, von dem aus sämtliche Zimmer zugänglich sind. Die Schlaf- und Kinderräume sind hier zu Gruppen vereinigt, so dass der Betrieb überaus bequem und ohne gegenseitige Störung möglich ist. Die Aufteilung der Westzimmer hat vielleicht etwas Gezwungenes dadurch erfahren, dass der Raum über der Halle mit der schönen gewölbten Außen wand geteilt und so um seine beste Wirkung gekommen ist; aber diese Maßnahme hängt mit besonderen Wünschen der Besitzer zusammen und ist nicht dem Baumeister anzurechnen. Im Dachgeschoss, das durch eine schmälere, nach dem Dienstgebäude zu gelegene Treppe zugänglich ist, wiederholt sich im allgemeinen die Grundrissanordnung des Obergeschosses. Das Haus ist in den Hauptteilen unterkellert und unterscheidet sich durch diese für unsere Boden- und Witterungsverhältnisse wünschenswerte Maßnahme von den englischen Gepflogenheiten. Die Räume des Kellers sind außerordentlich sachlich und gut gestaltet; nach Nordwest zu, wo das Gelände ausgeschachtet und zum Anwurf der Hausterrasse benutzt wurde, liegen ebenerdig zwei gut beleuchtete Wirtschaftsräume, und unter dem Herrenzimmer ist, ebenfalls ebenerdig und von ihm aus durch eine besondere Treppe zugänglich, ein Billardzimmer angeordnet.

000 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell, Treppenaufgang der Halle

000 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell, Treppenaufgang der Halle

002 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell, Grundrisse

002 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell, Grundrisse

003 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Straßenseite

003 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Straßenseite

004 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, aus dem Garten

004 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, aus dem Garten

004 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Gartenseite

004 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Gartenseite

005 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Südwestseite

005 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Südwestseite

006 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - geschützten Platz an der Gartenseite, unter - Unterfahrt und Haupteingang

006 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - geschützten Platz an der Gartenseite, unter - Unterfahrt und Haupteingang

007 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Wirtschaftshof, unter - Blick in den Keller

007 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Wirtschaftshof, unter - Blick in den Keller

008 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Dienstgebäude, unter - Teehäuschen im Garten

008 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Dienstgebäude, unter - Teehäuschen im Garten

009 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Eingang und Westgiebel des Dienstgebäudes

009 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Eingang und Westgiebel des Dienstgebäudes

010 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Hausgang im Obergeschoss, Unten - Aufgang zum Dachgeschoss

010 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Hausgang im Obergeschoss, Unten - Aufgang zum Dachgeschoss

011 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Kacheln vom Kamin der Halle

011 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Kacheln vom Kamin der Halle

012 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Halle mit Blick ins Treppenhaus

012 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Halle mit Blick ins Treppenhaus

013 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Kaminecke der Halle

013 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Kaminecke der Halle

014 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Entwurf der durchbrochenen Brettenwand über dem Kamin in der Halle

014 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Entwurf der durchbrochenen Brettenwand über dem Kamin in der Halle

015 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Entwurf der durchbrochenen Brettenwand über dem Kamin in der Halle

015 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Entwurf der durchbrochenen Brettenwand über dem Kamin in der Halle

016 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Fensterwand der Halle, Unten - Fensternische des Damenzimmers

016 Hans Beatus Wieland-München, Haus Henkell in Wiesbaden, Oben - Fensterwand der Halle, Unten - Fensternische des Damenzimmers