Der 21. November 1806, der hundertjährige Erinnerungstag an den Beginn der Kontinentalsperre.

Der 21. November 1806, der hundertjährige Erinnerungstag an den Beginn der Kontinentalsperre, ist in unserer Tagespresse nahezu spurlos vorübergegangen. Die populäre Vorstellung verknüpft mit der Kontinentalsperre die Erinnerung an unerschwingliche Preise für Kaffee, Zucker und Tabak und an die unendlichen Schikanen durch die französischen Zollplackereien. Wenn solche Nöte hundert Jahre hinter uns liegen, so können sie die Gemüter nicht mehr sonderlich in Wallung bringen. Nur für die fachmännische Diskussion über Schutzzoll und Freihandel scheinen sie von Belang. Aber für die Beurteilung der wirtschaftlichen Wirkungen der Kontinentalsperre fehlt noch die sichere Grundlage eingehender Einzelforschungen. Und soviel Gewissenhaftigkeit besitzt in unseren Tagen auch der Publizist, daß er von fernliegenden, ungeklärten Vorgängen überflüssigerweise nicht redet. In der historischen Fachliteratur hat die Kontinentalsperre namentlich nach der politischen Seite hin neuerdings eingehende und treffliche Würdigung erfahren. Insbesondere ist das Verständnis für die Bedeutung des Meeres und seiner Beherrschung wesentlich vertieft worden, und darum erscheint es berechtigt, gerade an dieser Stelle des Ereignisses zu gedenken.

Das Berliner Dekret vom 21. November 1806 gibt sich als eine wirtschaftspolitische Maßregel außerordentlicher Art, die durch voraufgegangene Gewaltmaßregeln Großbritanniens gerechtfertigt wird. Es verbietet allen Verkehr und Briefwechsel mit den in Blokadezustand erklärten britischen Inseln. Jeder englische Untertan soll zum Kriegsgefangenen gemacht und alles englische Eigentum beschlagnahmt werden. Der Handel mit englischen Waren wird untersagt und allen unmittelbar von England und seinen Kolonien kommenden Schiffen bleibt der Zutritt in die Häfen verschlossen.


Die räumliche Erstreckung dieser schroffen Maßnahmen wird nicht ohne weiteres klar. In der Begründung wird England angeklagt: auf den Trümmern des kontinentalen Handels und Gewerbefleißes seinen Handel und Gewerbefleiß erheben zu wollen, und es wird jeder als Englands Mitschuldiger bezeichnet, der auf dem Festlande mit englischen Waren handelt. Aber nach Titel 11 der Verordnung werden die Minister der auswärtigen Angelegenheiten, des Kriegs, der Marine, der Finanzen und der Polizei und die Generalpostdirektion innerhalb ihrer Ressorts mit der Ausführung der Bestimmung beauftragt, während Titel 10 besagt, daß die Verordnung ,,den Königen von Spanien, Neapel, Holland und Etrurien, sowie allen übrigen verbündeten Staaten, deren Untertanen wie die unsrigen die Opfer der Ungerechtigkeit und der Barbarei der englischen Seegesetze sind,“ auf diplomatischem Wege mitgeteilt werden solle.

Eine Kontinentalsperre ist das also noch nicht. Lediglich für den unmittelbaren französischen Machtbereich durfte Napoleon die Aussperrung Englands verfügen. Seinen Vasallen und Bundesstaaten konnte er sie tatsächlich aufnötigen. Die Neutralen mußten fürs erste unbehelligt bleiben. Nur der Hinweis auf die gemeinsame Gefährdung des Festlandes läßt die weiterreichende Absicht einer Sperrung des ganzen Kontinents erkennen.

Die schrittweise Durchführung dieses gigantischen Unternehmens bezeichnet den Höhepunkt in dem gewaltigen Kampfleben Napoleons und zugleich den Schlußakt in dem fast anderthalb Jahrhunderte währenden Wettkampf Frankreichs und Englands um Seegeltung, Kolonialbesitz und Handelsmacht.

Der wirtschaftspolitische Kampf, der mit dem Blokadedekret einsetzt, ist eben nicht etwas völlig Unvorhergesehenes, nicht ein Einlenken in neue Bahnen. Es ist die Fortführung längst wirksamer Gedanken und Bestrebungen. Dieser alte Gegensatz zwischen Frankreich und England, der mit voller Wucht gelegentlich schon unter den Bourbonen durchbrach, der dann die werdende Revolution besonders nachhaltig beeinflußte, der die Männer des Konvents und der Direktorialregierung auf das lebhafteste beschäftigte, drängt hier zum letzten Entscheidungskampf.

Als im Zeitalter der Entdeckungen die überseeischen Handelsinteressen der europäischen Völker kräftiger sich zu regen begannen, war England noch ein überwiegend agrarischer Staat, dessen Handel unter fremder Botmäßigkeit stand. Erst verhältnismäßig spät wurde England zur Handels-, See- und Kolonialmacht. Spanier und Portugiesen, Holländer und Franzosen waren den Engländern auf der Bahn vorangeschritten. England hat sie alle überflügelt, weil es mit unbeirrter Konsequenz sein Ziel verfolgte.

Zuerst wurde das katholische Spanien mattgesetzt; mit dem Untergang der Armada war seine seegebietende Stellung gebrochen. Portugal, das Spaniens Mißgeschick zu teilen hatte, mußte in den ertragreichsten Kolonien den Holländern Platz machen. England hatte doppelten Gewinn, als es in den Tagen Cromwells skrupellos den Kampf gegen die protestantische Schwesterrepublik aufnahm. Zuletzt blieb nur Frankreich als ernsthafter Mitbewerber neben England auf dem Plan. Und nun setzt das gewaltige Ringen der beiden Westmächte ein.

Es gab eine Zeit, da in Nordamerika der französische Einfluß den englischen überwog, auch in Indien hatte Frankreich einen Vorsprung vor England, wie später noch in Ägypten. Und sicher war, als der Kampf begann, das Frankreich Ludwigs XIV. an äußerer Macht, an Volkszahl und Geldreichtum dem damaligen England weit überlegen, gleichwohl vermochte Frankreich sich im Wettbewerb mit England nicht zu behaupten.

Meisterhaft wußte England jede festländische Verwicklung auszunutzen, um neue koloniale und merkantile Vorteile einzuheimsen. Was Frankreich im spanischen Erbfolgekrieg und namentlich im siebenjährigen Kriege England gegenüber verlor, wo nach einem Worte Bismarcks unsere Grenadiere den Engländern Nordamerika erobern halfen, das wäre nur mit größtem, stetig auf ein Ziel gerichteten Kraftaufwand einzuholen gewesen. In Versailles fehlten dafür der richtige Weitblick wie die nachhaltige Energie. Immer wieder haben persönlicher Ehrgeiz und kurzsichtige Herrschbegier störende Ablenkungen auf eine unfruchtbare kontinentale Eroberer Politik bewirkt.

In England begriff man besser, was dauernden Erfolg versprach. Immer zuversichtlicher trat dort der Anspruch zutage, die erstrebte und mehr und mehr erreichte wirtschaftspolitische Monopolstellung durch die ausschließliche Beherrschung der Meere zu sichern. Der ältere Pitt beklagt es im Hinblick auf den Pariser Frieden von 1763, daß für Frankreich noch nicht jede Möglichkeit verschlossen sei, seine Marine neu ins Leben zu rufen; er meint: ,,Frankreich ist uns hauptsächlich als See- und Handelsmacht gefährlich. Was wir in dieser Beziehung gewinnen, ist für uns vor allem wertvoll durch den Schaden, den Frankreich davon hat.“

In der Tat hat Frankreich nach dem siebenjährigen Kriege erneute Anstrengungen für seine Seerüstung gemacht. Mit glücklichem Erfolg hat es den Abfall der englischen Kolonien in Nordamerika vom Mutterlande unterstützt. Die scheelsüchtige Revanchepolitik brachte für Frankreich freilich die schwerste Zerrüttung seiner Finanzen, ohne den britischen Rivalen tödlich zu treffen; denn die wirtschaftlichen Beziehungen Englands zu den abgefallenen Kolonien sind durch die politische Trennung nicht gelöst worden. Das maritime und wirtschaftliche Übergewicht Englands blieb jedenfalls unerschüttert.

In Frankreich schritt der dritte Stand in seiner Arbeit rüstig voran. Seit den Tagen Colberts hatte er manche Förderung von oben erfahren. Aber auch nach dieser Richtung fehlte die zähe Folgerichtigkeit der englischen Wirtschaftspolitik. England hat in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts durch rasche Fortschritte auf dem Gebiete des Maschinenwesens seine Industriegewaltig gehoben und seinen Reichtum an Bodenschätzen, an Erzen und Kohle, zu voller Geltung zu bringen begonnen. Dabei hatte die englische Handelspolitik aus den amerikanischen Erfahrungen mit klügerer Berechnung zu operieren gelernt; während in derselben Zeit die unfähige bourbonische Regierung Frankreichs Wirtschaftsinteressen geradezu schädigte. Der englisch-französische Handelsvertrag von 1786 berücksichtigte französischerseits einseitig die Interessen der Großgrundbesitzer und ließ so ziemlich jeden Schutz der französischen Industrie fallen. Dieser Handelsvertrag hat in dem Frankreich des ancien régime die populäre Unzufriedenheit gewaltig gesteigert. Die cahiers von 1789 führen gerade über diesen Punkt die bitterste Klage. — England marschierte sichtlich voran, Frankreich blieb zurück.

Da brachen mit der Revolution die wirtschaftlich emporstrebenden und schnöde vernachlässigten Kräfte Fankreichs eigenmächtig sich Bahn. Die französische Revolution ist nicht bloß das Ergebnis der Lehren Rousseaus, Voltaires und der Encyclopädisten; sie ist bedingt und getragen zugleich durch die Forderungen des Unternehmers und Geschäftsmannes, der aus den Schranken der Feudalordnung herausstrebt und der daheim und draußen Raum verlangt für die freie Entfaltung seiner wirtschaftlichen Interessen.

Die französische Nationalversammlung hat die letzten inneren Zollgrenzen in Frankreich beseitigt, hat alle Schranken des Verkehrs und alle Hemmnisse freier Betätigung im Gewerbe fortgeräumt, hat mit einem Schlage dem inneren Wirtschaftsleben Frankreichs alle die Vorteile erschlossen, die uns erst die Stein-Hardenbergsche Reformgesetzgebung und der Zollverein brachten. Auch dem Auslande gegenüber ist seit 1789 bei allem Wechsel der Regierungsmächte besser gesorgt worden, als vorher unter dem ancien régime.

Ein solches Streben mußte naturgemäß in erster Linie gegen Englands ökonomische Weltstellung, gegen sein See- und Handelsmonopol sich richten. So erklärt sich der erbitterte Kampf, der mit gesteigerter Heftigkeit in jener Epoche einsetzt. Die neue französisch-englische Feindschaft tritt ja nicht ohne weiteres in ihrer wirtschaftspolitischen Bedingtheit an den Tag. Sie ist von englischer Seite durch einen politischen Prinzipienkampf maskiert: durch das Eintreten für die von der Revolution geschändete Monarchie. In Wirklichkeit hat nicht die Begeisterung für das legitime bourbonische Königtum England in den Kampf geführt. Das war nur der Vorwand. Das Ziel war: Frankreichs wirtschaftliche Emanzipation zurückzudämmen. Man hat es in England immer verstanden, moralische Gründe an Stelle der nackten Interessen vorzuschieben.

In Frankreich hat man offenherziger sich geäußert. Schon vor der Hinrichtung des Königs sind im Konvent die heftigsten Äußerungen gegen ,,die stolze Krämerinsel“ gefallen, die man ,,in den Ozean schleifen“ müsse. Vor allem ist man praktisch mit schutzzöllnerischen Maßnahmen gegen England vorgegangen.

Seit Eröffnung des Krieges tritt die handelspolitische Signatur des Kampfes noch deutlicher zu Tage. Im Wohlfahrtsausschuß ist 1795 bei einer Verhandlung über das Recht französischer Kaperschiffe das Wort gefallen: „Wir haben nur einen Zweck zu erreichen: die englische Nation in ihrem Teuersten, ihren Reichtümern, anzugreifen. Alle unsere Pläne, alle unsere Bewegungen in unseren Häfen und auf dem Meere haben kein anderes Ziel, als ihren Handel zu verheeren, ihre Kolonien zu verwüsten und sie endlich zu einem schimpflichen Bankerott zu zwingen.“ Im März 1796 wurde rundweg alle englische Einfuhr nach Frankreich untersagt, und im Januar 1798 ist zum erstenmal als Gegenmaßregel gegen den überhandnehmenden Schmuggel im ganzen Umfang des französischen Reichs die Konfiskation aller englischen Güter angeordnet worden. Damals ließ das Direktorium in einer Botschaft an den Rat der Fünfhundert sich vernehmen, daß erst mit diesem Akte der Krieg gegen England seinen rechten Charakter annähme. Es folgte am 11. Januar 1798 der Beschluß der gesetzgebenden Versammlung, daß auch jedes neutrale, mit englischen Manufakturen beladene Schiff gute Prise sei.

Auf der anderen Seite hatte Englands Streben nach altbewährten Grundsätzen auf Beeinträchtigung fremder Schiffahrt und auf Kolonialraub großen Stils sich gerichtet. Zunächst und mit glücklichstem Erfolge Frankreich gegenüber. Als Holland in eine französische Tochterrepublik umgewandelt war, kamen die holländische Kauffahrtei und der holländische Kolonialbesitz an die Reihe. Spaniens Anschluß an Frankreich gab willkommenen Anlaß, auch diesen nur noch unbeträchtlichen Mitbewerber zur See ganz aufs Trockene zu setzen. Dazu der fröhliche Kaperkrieg gegen die Handelsschiffe aller Nationen. Englands Weizen blühte wie nie zuvor. Der jüngere Pitt hat Anfang des Jahres 1801 vor dem englischen Parlament im Rückblick auf das eben abgelaufene Jahr erklärt: ,,Wenn wir dieses Kriegsjahr mit den zurückliegenden Friedensjahren vergleichen, so erblicken wir in dem Betrage unserer Einkünfte und in der Ausdehnung unseres Handels ein Bild, das gleichzeitig paradox, unerklärlich und erstaunlich ist. Wir haben unseren Handel auf eine höhere Stufe gebracht als je zuvor.“ In der Tat war der Überseeverkehr Frankreichs, Hollands und Spaniens vernichtet, während Englands auswärtiger Handel in dem Jahrzehnt von 1791 bis 1801 sich nahezu verdoppelt hatte.

Kein Zweifel die letzte Ursache des Konflikts lag in dem unbegleichbaren Gegensatz der großen Wirtschaftsinteressen.

Erst in diesem allgemeinen Zusammenhange tritt der Kampf Napoleons gegen England in die richtige Beleuchtung. Es ist eingangs schon darauf hingewiesen worden, daß Napoleon hier alten Traditionen folgte. Freilich griff dieser Feuergeist anders zu: er ist zielbewußter, klarer und fester. Was vordem mehr nur in großen Worten sich äußerte und meist nur halb zur Ausführung gelangte, das rückt er in den Mittelpunkt seiner Politik. Von vornherein suchte Bonaparte Fühlung mit Geschäftsmännern, mit Kaufleuten und Fabrikanten; und diese Kreise haben ihn auf der eingeschlagenen Bahn vorwärts gedrängt. In den Anfängen seiner stolz aufsteigenden militärischen Laufbahn erfüllt ihn bereits der Gedanke eines Riesenkampfes mit England. Als nach dem Frieden von Campo Formio (1797) von den Feinden Frankreichs nur England noch aufrecht stand, da schreibt der noch nicht dreißigjährige General an Talleyrand, daß England der wahre Feind sei. Unter Anspannung aller Kräfte müßte die Marine verstärkt werden, um England zu vernichten.

Das Direktorium hat damals einen Angriff auf die britischen Inseln beschlossen. Bonaparte wandte sich mit einer Proklamation an die Flotte: ,,Ohne Euch können wir den Ruhm des französischen Namens nur in eine kleine Ecke Europas tragen, mit Euch werden wir über die Meere schiffen und die Fahnen der Republik in den entferntesten Ländern aufpflanzen.“

Nur zu bald wurde ihm klar, daß Frankreichs Schiffsrüstung zu solchem Kampfe nicht genügte. Mit raschem Entschluß hat er damals aus der „englischen Armee“ eine ,,orientalische“ gemacht und sich auf Ägypten geworfen. Von hier aus wollte er Englands Levantehandel zerstören, er dachte die Landenge von Suez zu durchstechen, die Engländer aus dem Roten Meere zu verdrängen und den Weg nach Indien sich zu bahnen, um dort ihre ergiebigsten Nahrungsquellen abzugraben. Durch Vernichtung der französischen Flotte auf der Reede von Abukir setzte Nelson die Ägyptische Expedition matt. Als Flüchtling kehrte Bonaparte aus Ägypten heim. Die Niederlage hat seinen Haß gegen England geschärft; auf seiner Bahn hat sie ihn nicht gehemmt. Er kam als Retter in der Not, der im Innern die Anarchie zu Boden schlug und von neuem den Sieg an Frankreichs Fahnen knüpfte.

Auf der See triumphierte England, auf dem Festlande die kriegerisch organisierte Kraft des revolutionären Frankreich. So stellte an der Jahrhundertwende unserem Schiller die Weltlage sich dar.

,,Zwo gewalt’ge Nationen ringen
Um der Welt alleinigen Besitz;
Aller Länder Freiheit zu verschlingen,
Schwingen sie den Dreizack und den Blitz.

Gold muß ihnen jede Landschaft wägen,
Und wie Brennus in der rohen Zeit,
Legt der Franke seinen ehrnen Degen
In die Wage der Gerechtigkeit.

Seine Handelsflotten streckt der Brite
Gierig wie Polypenarme aus,
Und das Reich der freien Amphitrite
Will er schließen, wie sein eigen Haus.“

Mit solcher Teilung wollte Bonaparte sich nicht zufrieden geben. Der englisch-französische Friede von Amiens im März 1802 war denn auch nur ein kurzes Atemschöpfen. Alle kompetenten Beurteiler waren darüber erstaunt, daß der Friede keine Regelung der gegenseitigen Handelsbeziehungen, keine Grundlagen eines neuen Seerechtes enthalte, um die schwebenden Streitfragen endlich ein für allemal zu entscheiden. Die englischen Interessenten schalten über die Vogelstraußpolitik, die die vorhandenen Gegensätze nur verschleiere. „Mag der Friede unterzeichnet sein; der Krieg bleibt doch in den Gedanken beider Mächte,“ so war in einer der verbreitetsten Londoner Zeitungen zu lesen.

Und so stand es wirklich. Unter den Gründen, die den raschen Wiederausbruch der Feindseligkeiten herbeiführten, stehen die handelspolitischen voran. Der beim Friedensschluß in Aussicht genommene englisch-französische Handelsvertrag wollte nicht zustande kommen. Die wichtigsten englischen Waren blieben von der Einfuhr nach Frankreich ausgeschlossen. Dazu erregte der Streit um Malta die Gemüter. Bonaparte selbst richtete sein Augenmerk immer entschiedener auf Industrie, Handel und Kolonien. — Schon im Mai 1803 erfolgte der erneute Ausbruch des Kampfes.

Auf dem Festlande überläßt England den verbündeten Mächten die undankbare Arbeit. Dafür greift es in gewohnter Weise in den Kolonien zu und sichert sich neuen überseeischen Besitz. Auf allen Meeren werden die englischen Kaperschiffe der Schrecken auch der Neutralen. Die immensen Vorteile für das der Monopolisierung von Kolonialherrschaft, Reederei und Seehandel zustrebende Inselreich waren unverkennbar. Anfang des Jahres 1805 ist in London eine lehrreiche Broschüre erschienen, deren Inhalt sich bereits im Titel verständlich genug ausdrückt: ,,Ein ewiger Krieg als das einzige Mittel zur Sicherheit und Wohlfahrt Großbritanniens.“

Nur eine Stelle sei hier im Wortlaut angeführt: „Bietet Frankreich Frieden, so müssen wir antworten: Zieht Eure Truppen aus den benachbarten Ländern und von den Küsten zurück, die Ihr besetzt habt, entwaffnet Eure Flotten, stellt Eure Seerüstungen ein; dann sollen die englischen Kriegsschiffe aufhören, die französischen Küsten zu beunruhigen. Wir wollen Euren Handel nicht mehr stören, wir schreiben nur die Bedingung vor, daß Ihr dazu weder französische Schiffe, noch Frankreich untertänige Seeleute gebraucht. Unter diesen Bedingungen allein kann England mit Euch Frieden schließen. Eure ganze Seemacht muß vernichtet werden.“

Das war allerdings keine offiziell geeichte Kundgebung der englischen Regierung, aber sie drückt doch den Willen der maßgebenden Instanzen aus.

„Herrsche Britannien,
Beherrsche die Wogen!“

Das galt den führenden Elementen der englischen Nation längst als Losung.

Und als Echo klingt es schneidend aus Bonapartes Proklamation zurück: ,,Wir alle, Obrigkeiten, Soldaten, Bürger, wollen das Vaterland frei von Englands Einfluß wissen, welcher, wenn er vorherrschend wäre, uns nur einen von Schmach und Schande starrenden Frieden gewähren würde, dessen Hauptbedingungen die Verbrennung unserer Flotte, die Zuschüttung unserer Häfen, die Vernichtung unserer Industrie sein müßten.“

Auf französischer Seite waren seit Wiederbeginn des Kampfes die handelspolitischen Kampfmaßnahmen gegen England verschärft worden. Ein durchgreifender Erfolg aber war mit der Fernhaltung des englischen Handels nur vom französischen Markte nicht zu erzielen. Die Besetzung Hannovers traf nur das englische Königshaus. England blieb der unbeugsame und der gefährlichste Gegner auch in den politischen Verhältnissen des Festlandes. Die englischen Subsidien stärkten dort die Kräfte der antifranzösischen Koalitionen, englische Gelder schürten in Frankreich selbst den Widerstand gegen Bonaparte, sie unterstützten sogar Verschwörerpläne gegen die Person des republikanischen Diktators. Für Bonaparte wurde die persönliche Gefährdung die Stufe zum Kaiserthron. — Der Imperator gedachte seine ganze ungeheure Macht gegen England einzusetzen. Nun wollte er selbst seine sieggewohnten Truppen nach den britischen Inseln hinüberführen.

Mit höchster Anspannung wurde in allen französischen Häfen gerüstet. In Boulogne wurde eine gewaltige Truppenmacht zusammengezogen, die auf Flachbooten unter dem Schutz der französischen Schlachtflotte über den Kanal setzen sollte. An der Spitze dieser schwimmenden Riesenmacht wollte Napoleon die Tat Wilhelms des Eroberers wiederholen.

Es kam nicht einmal bis zum Versuch der Ausführung. Nach fieberhaften Anstrengungen und ungeheuren Aufwendungen ist Napoleon von dem Landungsplan zurückgetreten. Das seegewaltige England war auf seinem meerumflossenen Inselland unangreifbar, weil Napoleon keine der englischen ebenbürtige Flotte zu schaffen vermochte. Ingrimmigen Sinnes begriff er, daß er mit seinem minderwertigen Material an Schiffen und Seeleuten die Ausfahrt nicht wagen dürfe.

Diesmal warf er mit plötzlichem Ruck die in Boulogne angesammelten Truppen auf Österreich. Hinterdrein hat er seine englischen Landungsabsichten geleugnet, hat all die unendlichen Vorbereitungen als Scheinmanöver erklärt. — Das ist nichts als ein durchsichtiger Versuch, die demütigende Tatsache der Seeniederlage vor eröffnetem Kampf zu verschleiern. Napoleon hätte niemals für so windigen Zweck die ungeheuersten Opfer an Zeit und Geld gebracht.

Bedeutsamer erscheint eine Äußerung, die er 1805 unmittelbar nach der Kapitulation Macks bei Ulm einigen gefangenen österreichischen Generalen gegenüber getan hat: „Ich will nichts auf dem Festlande, ich will Schiffe, Kolonien, Handel, und das ist für Sie ebenso vorteilhaft, als für mich.“ Hier klingen bereits deutlich die Ideen an, mit denen er wenig später die Kontinentalsperre den Festlandvölkern annehmbar zu machen suchte.

In demselben Augenblick, da er solche Wünsche äußerte, hatte bei Trafalgar Englands Seemacht mit einem gewaltigen Schlage die letzten seetüchtigen Kräfte Frankreichs und Spaniens zertrümmert. Es gab keine französische Flotte mehr. Napoleon mußte mit der Seerüstung von vorn anfangen. Eine direkte Bekämpfung Englands war in weite Ferne gerückt. Darum drängte des Imperators unbezähmbarer Wille auf jenen anderen Weg, der England wirtschaftlich lahmlegen sollte. Die handelspolitischen Kampfmaßregeln, die gegen England längst in die Wege geleitet waren, mußten erweitert, die Ausschließung des englischen Handels vom ganzen Festlande erzwungen werden. Wenn England nichts mehr verkaufen konnte, dann war es ,,ein König ohne Untertanen“, „ein Papst ohne Kirche“.

Auf Umwegen mußte er seinem Ziele sich nähern. Den ersten neuen Schlag führte er gegen Preußen, das er vorher durch das lockende Angebot Hannovers zu ködern versucht hatte, um es durch die Annahme dieses Danaergeschenkes unversöhnlich mit England zu verfeinden. Er wollte den Eingang englischer Waren an den preußischen Küsten verhindert sehen. In einer von Frankreich offiziös beeinflußten deutschen Monatsschrift richtete sich im Juli 1806 eine eindringliche diesbezügliche Mahnung an Preußen: „Preußens Beispiel wird, wie Frankreichs, der Welt bekunden, daß ein Krieg mit England eine offenbare Wohltat für jeden Staat ist, der Entschlossenheit genug hat, ihn mit Nachdruck zu führen, sollte sich die Wohltat auch zunächst nur darin zeigen, daß die Handelskontingenz aufhört, daß die Bedürfnisse erster Notwendigkeit zu erschwinglichen Preisen herabfallen, daß Manufakturen und Fabriken wieder anfangen zu blühen. Ein Krieg mit England leistet auf diese Weise eben das, was ein dauerhafter Frieden mit den Mächten des Kontinents leistet, und ist recht eigentlich dazu gemacht, einen Staat zu verjüngen. Schon war es dahin gediehen, daß man im Preußischen an dem Wiederemporkommen der von Friedrich II. mit ebensoviel Sorgfalt als Einsicht gegründeten Manufakturen und Fabriken verzweifelte und in dieser Verzweiflung sich mit den Produktionen roher Stoffe begnügen wollte. Dieser Kleinmut wird in eben dem Maße verschwinden, in welchem man die Entdeckung macht, daß man England entbehren kann, und daß man sich gerade um so viel besser befindet, als man es entbehrt. Wozu auch Schonung einer Macht, die es dahin gebracht hat, daß sie, um fortzudauern, die geheime Feindin der ganzen Welt sein muß?“

Die damals in Preußen maßgebenden Kreise vermochten in dem gewaltigen Widerstreit der Interessen keine klare Stellung zu nehmen. England hatte bereits im April 1806 Embargo auf preußische Schiffe gelegt und im Juni 1806 Kaperbriefe gegen Preußen ausgegeben. Preußen scheute vor energischen Gegenmaßregeln zurück. Freiwillig hätte Preußen sicherlich nicht den Kampf gegen England aufgenommen. Darum meinte Napoleon Zwang anwenden zu müssen.

Rascher und gründlicher als die kühnste Phantasie es erwarten konnte, war der ruhmreiche friderizianische Staat zusammengebrochen. Napoleon fühlte sich als Gebieter. Aus dem eroberten Berlin erging am 21. November 1806 das vielberufene Blokadedekret.

In einer Botschaft an den Senat verkündete Napoleon in demselben Augenblick: „Wir sind bereit, mit England Frieden zu schließen, aber nur auf solchen Grundlagen, welche die Kolonien ihrem Mutterlande zurückgeben und die unserem Handel und unserer Industrie den Flor garantieren, zu welchem sie gebracht werden müssen.“ Unter den gleichen Bedingungen hat er noch einmal, unmittelbar nach dem Tilsiter Frieden, einzulenken versucht. Der Haß gegen England hatte den Zaren mit Napoleon zusammengeführt. Russische Vermittlung sollte in London einen Ausgleich auf Grund der Anerkennung des freien Schifffahrtsrechts und der Herausgabe aller von England seit 1805 gemachten kolonialen Eroberungen zustande bringen. England wies die Friedensvermittlung ab und beharrte auf der uneingeschränkten Behauptung seiner merkantilen Weltherrschaft.

Von da an gab es für Napoleon keine Rücksicht mehr. Das Verlangen, England wirtschaftlich zu vernichten, bestimmt fortan seine ganze Politik. Das ganze Festland soll den Engländern gesperrt werden. Das führt ihn über die wohlerwogenen Grenzlinien seines ursprünglichen Systems hinaus, drängt ihn zu neuen Kriegen und Eroberungen und reißt ihn zuletzt ins Verderben. Dem preußischen Gesandten erklärt er, daß er lieber mit ganz Europa den Kampf aufnehmen wolle, als eine Abweichung von seinen Befehlen zu gestatten, und den Hamburger Kaufleuten, die in beweglichen Worten um Schonung ihrer Stadt bitten, antwortet er, ein einziges Ziel, die Vollendung des Kontinentalsystems, habe er unverrückt im Auge; da komme das Wohl einer einzelnen Stadt, selbst wenn sie zu Grunde gehen müßte, nicht in Betracht. Er zwingt Österreich in sein System hinein und macht es durch die Wegnahme von Triest und Fiume zum Binnenstaat ohne Meer und Hafen. Er annektiert den Kirchenstaat, Neapel, Spanien, Portugal, um seine Küsten auszudehnen. Er droht schon im Herbst 1809, auch Holland einzuverleiben, dann die Hansestädte, endlich Pommern und vielleicht selbst Danzig, nur um zuverlässige Zollwächter in alle Häfen zu schicken.

Napoleon hat im März 1811 in einer Ansprache an eine Deputation der Pariser Handelskammer über diese Zusammenhänge sich geäußert. Er bezeichnet sein System als das einzige Mittel, England zum Frieden zu zwingen. Die Bataille von Jena, die Besitznahme von Holland, Hamburg usw. hätten England schwer getroffen. ,,Es sind meine Douanen, die England das größte Übel beibringen und meine Douaniers gehören zu meinen furchtbarsten Truppen.“ — ,,Ich hatte früher die Unabhängigkeit Hollands und manches anderen Landes zum Opfer an England angeboten, nur um Frieden zu erhalten. England hat alles verworfen. Gern hätte ich schon beim Preßburger Frieden Holland mit Frankreich vereinigt, ich konnte es damals nicht ausführen, weil Preußen, welches damals noch eine große Macht vorstellte, sich dem widersetzte. Als Preußen nichts mehr bedeutete, vereinigte ich Holland mit Frankreich, d. h. ich schickte meinen Bruder dahin ab. Da indessen mein Bruder mein System nicht unterstützen wollte, so hat er gut daran getan, sich von Holland wegzubegeben. Jetzt wird in Holland gegen die Engländer durch meine Douanen ein sehr scharfer Krieg geführt. Den Frieden mit England will ich und muß ich erkämpfen. Ich verlange nichts mehr, als nur eine Macht zur See zu haben; denn außerdem ist das Kaisertum Frankreich glänzend genug für mich. — — Ich gouverniere jetzt in Preußen, und ich würde schon in Riga und in Petersburg gewesen sein, wenn der Kaiser von Rußland mir nicht in Tilsit versprochen hätte, Krieg gegen England zu führen. Das Herzogtum Oldenburg habe ich endlich an mich nehmen müssen, weil ich einen Teil der Küsten mitten in meinen Staaten nicht in fremden Händen lassen konnte. Dänemark verhält sich jetzt ganz gut, wenn es sich schlecht verhalten sollte, so würde ich es annektieren.“

Freimütiger konnte Napoleon über seine Absichten sich nicht äußern. Man erkennt deutlich, wie sein Verhältnis zum Zaren bereits ein unsicheres geworden ist. Rußland widerstrebte bekanntlich aus wirtschaftlichen Gründen der strikten Durchführung der Kontinentalsperre. Das ist’s, was schließlich zum Bruch mit Rußland führte.

Hier haben wir den Schlüssel für die napoleonische Politik, deren Maßnahmen sämtlich erst unter dem beherrschenden Gesichtspunkt des Kampfes gegen England sich klar zusammenfügen. Alles ist auf ein Ziel gerichtet und durch eine Notwendigkeit bedingt. Das Ziel ist, die Niederzwingung Großbritanniens; die Notwendigkeit, dem neuen Karolingerreiche Napoleons — als solches hat er selbst es proklamiert — Licht und Luft für seine ungehemmte wirtschaftliche Entfaltung zu schaffen. Denn so stand es allerdings, daß England die ökonomische Weltherrschaft in vollem Umfange aufrecht erhalten wollte und daß es einen französischen Handels- und Gewerbestaat, der gleichberechtigt auf den Weltmarkt strebte, gutwillig neben sich nicht dulden mochte.

So war denn die Kontinentalsperre ein Kampfmittel, eine indirekte Kriegsoperation, die England auspowern und damit zum Einlenken bringen sollte.

Eine strikte Durchführung des mathematisch richtigen Gedankens hätte England zu Fall bringen müssen. Aber dazu hätte es in erster Linie einer leistungsfähigen französischen Marine bedurft, die die Schifffahrt unter Bewachung zu stellen vermochte. Eine 1811 geschriebene anonyme Denkschrift über die politische Weltlage, die in den Akten des Berliner Staatsarchivs sich befindet, beleuchtet klar die Folgen dieses Mangels. ,,Englands Existenz kann nur zur See bekämpft und durch Flotten gefährdet werden, und wenn Napoleon diese nicht zu schaffen und zu führen vermag, so sind alle seine Kriege auf dem Kontinent nur Fechterstreiche.“ Der Verfasser meint: „Hätte der Römer Duilius nicht Flotten und Matrosen geschaffen, Karthago stände vielleicht noch heute.“ Und im Hinblick auf die absolute Unmöglichkeit, die von Napoleon gegen England verhängte Blokade von der Seeseite her zu behaupten, bemerkt er: ,,Die Engländer durch Sperren vom Kontinent auszuschließen, ohne Flotten zu haben, ist so unmöglich, als den Vögeln zu verbieten, bei uns Nester zu bauen.“

Damit ist unzweideutig und vollkommen zutreffend ein Hauptgrund des Mißlingens hervorgehoben. Napoleon hätte nicht nach Moskau zu gehen brauchen, wenn er zur See nur entfernt ein Ähnliches wie zu Lande geleistet hätte. Das Wort des französischen Admirals Réveillère trifft den Nagel auf den Kopf: ,,Nicht in den Flammen Moskaus ist das Glück Napoleons verblichen. Es ist bei Trafalgar versunken.“

Auf den ersten Blick erscheint es recht befremdlich, daß dieselbe Epoche, die Frankreichs Armee zur stolzesten Höhe führte, für den Schwesterdienst der französischen Flotte so gar nichts Ebenbürtiges zuwege brachte.

Das Schlimmste hat in dieser Beziehung die Revolution verschuldet. Die königliche französische Marine, die unter Ludwig XVI. wieder einigermaßen erstarkt war, die im nordamerikanischen Unabhängigkeitskriege auch wieder positive Leistungen aufzuweisen hatte, ist in der französischen Revolution in sinnlosester Weise zugrunde gerichtet worden. Das Offizierkorps dieser Marine war exklusiv adelig gewiesen. Schon das hatte genügt, um ihm den besonderen Haß der Revolutionsmänner zu sichern. Einige der tüchtigsten Flaggoffiziere, sind vom Pöbel massakriert worden, andere wurden in der Schreckenszeit, genau wie so viele Armeeoffiziere unter die Guillotine geliefert. Was sich zu retten vermochte, emigrierte. Die Republik formierte ein neues Seeoffizierkorps. Unfähige Leute, die auf der Handelsmarine nicht vorangekommen waren, rückten in die offenen Stellen ein, wenn sie nur in patriotischer und republikanischer Begeisterung taktfest waren. — Der Bruch mit der alten monarchischen Tradition kam ganz äußerlich schon durch eine zeitgemäße Umtaufe der stolzen, ehemals königlichen Linienschiffe zum Ausdruck. Aus dem ,,Royal Louis“ wurde ,,Le Républicain“, aus dem ,,Dauphin Royal“ „Le Sansculotte“. Da die Republik auch mit dem Christentum aufgeräumt hatte, so war es ganz sinngemäß, wenn der Schiffsname ,,Le St. Esprit“ in die fröhlich-revolutionäre Parole ,,Le ça ira“ umgewandelt wurde. In den Schiffslisten der Republik finden sich geflissentlich gehäufte Anklänge an die große politische Umwälzung; ,,La Révolution“, ,,La Liberté“, ,,La Cocarde“, ,,La Carmagnole“, selbst ein ,,Jacobin“ und ein ,,Marat“ sind vertreten. Die Schiffstaufe mit Schlagworten und Ehrennamen der Revolution stand in vollstem Einklang mit der republikanischen Phrasendrescherei des neugeschaffenen Seeoffizierkorps. Dazu törichte demokratische Anordnungen, die den letzten Rest von Disziplin bei den Mannschaften zerstörten, und um das Maß des Unverstandes voll zu machen, eine knauserige Sparsamkeit bei Instandhaltung von Schiffsmaterial und Flottenausrüstung.

Was Napoleon an Schiffen, Mannschaften und Offizieren vorfand, war gleich erbärmlich. Merkwürdig, wie dieser geniale Staatsmann und Feldherr seinerseits gegenüber den Aufgaben einer Reorganisation der Flotte versagte. Er brauchte und wollte rasche Erfolge. Der Flottendienst aber stellt ganz besonders geartete Anforderungen; er verlangt Kenntnisse und Geschicklichkeiten, die von langer Hand her vorbereitet und in Ruhe erworben sein wollen. Die Armee der Revolution hat ja auch auf neuer Grundlage formiert werden müssen. Aber sie hat doch die vorhandenen Kräfte besser genutzt, sie hat alles Alte und Verrottete abgetan und glückliche taktische Neuerungen sich zu eigen gemacht, während die Gegner noch in den alten und veralteten Formen sich bewegten. Vor allem hat diese Armee in Bonaparte einen unvergleichlichen Organisator und Feldherrn gewonnen. Frankreichs Flotte hatte ihre alten Führer verloren, und sie fand, wie Napoleon selbst klagte, keinen genialen Erneuerer, der sich von der Routine entfernt und schöpferisch zu wirken gewußt hätte. Von vornherein sah sie sich einem in jeder Beziehung überlegenen Feinde gegenüber, und es gab für sie nicht einmal die Möglichkeit einer wirklichen Kriegsausbildung, denn es fehlte ihr der einzige Exerzierplatz, der für die Marine existiert, die offene See.

So erklären sich die Zaghaftigkeit französischer Flottenoperationen, die endlosen Unfälle, die sie auch außer Schußweite erlitt und ihr vollständiges Versagen im Ernstfalle.

Wohl hat Napoleon sich zeitweilig eifrig bemüht, Frankreichs Flagge wieder zu Ehren zu bringen. Er hat endgültig nie auf die Schaffung einer Flotte verzichtet. In der oben erwähnten Ansprache an eine Deputation der Pariser Handelskammer hat er seine diesbezüglichen Pläne genauer entwickelt. Damals hatte er soviel gelernt, daß er für die Vollendung der Flottenausrüstung einen zehnjährigen Zeitraum in Aussicht nahm. Dabei hat er das gute Wort gesprochen: ,,Ich betrachte die Flagge einer Nation als etwas, das einen wesentlichen Teil derselben ausmacht. Sie muß ihre Flagge allenthalben wehen lassen, sonst kann sie nicht für eine freie Nation gehalten werden. Ein Volk, das seiner Flagge nicht Achtung verschafft, kann in meinen Augen nicht mehr als selbständige Nation gelten.“

Es ist Napoleons tragisches Verhängnis, daß er trotz solcher Einsicht und bei aller unumschränkten Macht mit seinen Flottenplänen nicht vorankam. Er hat zu spät die Bedeutung der Seegeltung begriffen. Ob die zehnjährige Frist, die er 1811 forderte, genügt hätte, um schlimmes Verschulden und lange Versäumnis zu begleichen? Nirgend rächen Unterlassungssünden sich schwerer, als auf dem Gebiete der Seerüstung, wo mit überstürzter Eile wirklich Großes nicht zu schaffen ist.

Die Unzulänglichkeit der französischen Flottenmacht war das wesentlichste Moment, das die Kontinentalsperre als Kampfmittel gegen das auf seinem Element unangreifbare England erforderlich erscheinen ließ, und diese Unzulänglichkeit war zugleich ein Hauptgrund, der die strenge Ausführung des Riesenplanes hinderte.

Es kommen andere Momente hinzu, die in der gleichen Richtung wirkten. Sie liegen auf ökonomischem Gebiete.