Die Judenfrage in Rostock
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Rostock, den 22. November 1861.
Reinhold Nizze
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Durch ganz Deutschland geht der Ruf nach Freiheit und Einheit. Auch Mecklenburgs Bevölkerung ringt nach Teilnahme an den nationalen Bestrebungen, und Rostocks Bewohner gehen derselben voran. Wird man aber große Ziele mit frischem Mute und voller Kraft verfolgen können, wenn es im eigenen Hause schlecht bestellt ist? Um dem übrigen Lande ein würdiges Vorbild des echten Patriotismus zu sein, muss Rostock vor allen Dingen im eigenen Haushalt die rechte Ordnung schaffen, und deshalb auf den Genuss von Rechten verzichten, die zur Verkümmerung der eigenen und des ganzen Landes Wohlfahrt mitwirken.
Ein solches Recht ist neben vielen anderen das Privilegium der Ausschließung der Juden von dem geschäftlichen Verkehre der Stadt.
Die staatsrechtliche Lage der israelitischen Bevölkerung im ganzen mecklenburgischen Lande reiht sich den übrigen beklagenswerten politischen und wirtschaftlichen Zuständen desselben ebenbürtig an.
Die Juden wurden von Alters her, wie überall in Staaten mit christlicher Bevölkerung, so auch in Deutschland und insbesondere in Mecklenburg, als fremde Eindringlinge, als Feinde der Christen, behandelt, deren Duldung von der Gnade der Landesherren abhängig war. Gegen jährliche Erlegnisse verlieh die Landesherrschaft ihnen Schutzbriefe und ein Privileg zum Erwerb des nötigen Lebensunterhaltes. Die Juden waren Fremde und besaßen kein Heimatrecht im Lande, hatten auch weder ein Recht auf Gewinnung des städtischen Bürgerrechts, noch auf Erwerb von Grundeigentum, oder überhaupt zu einer anderen ernährenden Tätigkeit als derjenigen, welche in ihrem Privileg ihnen vorgezeichnet war.
Im Landesgrundgesetzlichen Erbvergleiche vom 18. April 1755 § 377 verspricht die Landesherrschaft an Ritter- und Landschaft, „in Ansehung der Aufnahme der Juden der Gestalt Maße zu halten, dass sie keine Ursache über deren gar zu große Anzahl zu klagen haben sollen. Wie dann auch den Juden hiermit untersagt sein soll, liegende Gründe eigentümlich an sich zu bringen.“ Rostock besitzt noch das besondere Vorrecht, dass auch die vom Landesherrn rezipierten Juden weder in der Stadt, noch auf dem Lande, außerhalb des Jahrmarkts zu dulden sind, was ihm durch den Vertrag mit dem Herzoge Christian Ludwig vom 26. April 1748 garantiert worden ist. Außerhalb des Pfingstmarkts sollen außer denen, welche Einkaufs halber kommen, überall keine Juden eingelassen *) und jene nicht eher denn nach völlig geendigtem Gottesdienste des letzten Festtages in das Stadttor gelassen werden **), nur dass allein den Grossiers und denen, welche in Boutiquen ausstehen wollen, nach Befinden eine Ausnahme gestattet werden mag ***). Die zum Pfingstmarkt kommenden Juden müssen denn aber, zu deren besserer Abhaltung, für jeden Kramladen, den einer von ihnen in- und außerhalb Hauses öffentlich haben will, ohne Unterschied 5Thlr. M. V., wenn er aber nur allein in der Stadt hausiert, dient oder Handarbeit treibt, 2 Thlr. M. V. für die Konzession, ohne den geringsten Nachlass erlegen ****); auch sollen diejenigen, welche bemittelt sind, und entweder Waren zum Verkauf herbringen oder auch einkaufen wollen, von dem Verkauf von jedem Thaler 2 ßl. Akzise geben*****).
*) Akzise-Rolle und Ordnung von 1748.
**) VO. v. 13. April 1746 u. 10. April 1752.
***) VO. v. 30. April 1788.
****) VO. v. 15. März 1745.
*****) Akzise-Rolle und Ordnung von 1748.
Auch Wismar hat seiner eigentümlichen staatsrechtlichen Stellung zufolge das Recht, die Juden aus seinem Gebiete gänzlich ausschließen zu dürfen.
Dieser beklagenswerte Zustand, welcher dem Gerechtigkeitsgefühle der Neuzeit widerstreitet und als Arbeitsverbot gegen produktivfähige Kräfte für die Entwicklung der Landeswohlfahrt ein Hindernis bildet, sollte schon zur Zeit der Freiheitskriege eine Änderung erfahren. Den Juden wurden durch die landesherrliche Konstitution vom 22. Februar 1813 im Wesentlichen gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen gewährt. Es sollten die bereits privilegierten Juden gleich Inländern geachtet, zum Bürgerrecht, Gewerbebetrieb und Erwerb von Grundstücken gleich den christlichen Untertanen zugelassen, nur bei der Akquisition von Landgütern die kirchlichen Patronatsrechte von ihnen nicht ausgeübt werden können. Hinsichtlich ihrer Zulassung „zu öffentlichen Bedienungen und Staatsämtern“ blieb nähere Bestimmung vorbehalten. Auch wurde ihnen freie Religionsübung zugesichert und selbst die Ehe zwischen Juden und Christen gestattet.
Diese erfreuliche Lage, unter welcher bekanntlich mehrere ritterschaftliche Güter in das Eigentum von Israeliten übergingen, dauerte leider nur wenige Jahre. Schon unterm 11. Sept. 1817 wurde jene Konstitution auf wiederholte Vorstellung von Ritter- und Landschaft landesherrlicher Seits suspendiert, bis dahin, dass von der Bundesversammlung die allgemeinen Bestimmungen wegen der bürgerlichen Rechte der Juden erfolgen würden; und ward dabei ausdrücklich verheißen, dass inzwischen keine fremden Juden im Lande privilegiert, die einheimischen aber auch nur nach Befinden und nach der vom Landesherrn zu ermessenden „Notdurft“ mit Handlungsprivilegien versehen werden sollten.
Die deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 hatte nämlich im Artikel 16 die Zusicherung erteilt, dass die Bundesversammlung in Beratung ziehen werde, wie den Bekennern des jüdischen Glaubens der Genuss der bürgerlichen Rechte gegen die Übernahme aller Bürgerpflichten verschafft und gesichert werden könne; dabei aber auch hinzugefügt, dass bis dahin die denselben von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte erhalten werden sollten.
Ob nun die Sache von der Bundesversammlung schon am 11. Sept. 1817 soweit in Beratung gezogen war, dass die den mecklenburgischen Israeliten im Jahre 1813 vor der Bundesakte eingeräumten Rechte ohne Missachtung derselben damals wieder aufgehoben werden konnten, sind wir außer Stande zu entscheiden. Uns interessiert hier aber jedenfalls das Factum, dass mit dem landesherrlichen Reskripte vom 11. Sept. 1817 die frühere Rechtlosigkeit der Juden wieder hergestellt wurde und bis 1848 bei Bestand blieb, ohne dass die erwarteten allgemeinen Bestimmungen des Bundestages eingetroffen wären.
Nur für die kirchlichen Verhältnisse der Israeliten ward unterm 13. Juli 1840 ein Statut erlassen, welches insbesondere auch den israelitischen Oberrat konstituierte. Auch wurde die Aufhebung des an die Großherzogliche Renterei zu zahlenden jährlichen Schutzgeldes durch ein Reskript vom 9. Nov. 1846 beliebt und für die Religionsschulen der Juden eine Schulordnung unterm 10. Mai 1848 landesherrlich bestätigt.
Im Übrigen wurden auf den Landtagen von 1828 und 1830 landesherrlich vorgelegte Übergangsmaßregeln beraten, „um die Juden zum Genuss voller Bürgerrechte reif zu machen“, welche aber nicht die Billigung der Stände fanden. Auch beauftragten auf dem Landtage von 1845 letztere den Engeren Ausschuss zur Berichterstattung über den Stand der Angelegenheiten wegen der Rechte und Verhältnisse der Juden, und auf dem Landtage von 1847 gelangten umfängliche Beratungen über die künftige Stellung derselben zum Abschluss, deren Publikation nur durch die Ereignisse des Jahres 1848 verhindert wurde.
In der Verordnung vom 10. April 1848, betreffend die Wahlen zur deutschen Volksvertretung und dem provisorischen Wahlgesetz vom 13. Juli 1848 zwecks Bildung einer neuen Ständeversammlung wurden auch die Juden für aktiv und passiv wählbar erklärt und das Staatsgrundgesetz vom 10. Oktober 1849 bestimmte im Anschluss an die deutschen Grundrechte vom 27. Dezember 1848, dass durch das religiöse Bekenntnis der Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt, noch beschränkt werde, womit die Gleichstellung der Juden mit den Christen in allen öffentlichen Verhältnissen ausgesprochen war.
Unter der Herrschaft dieses Gesetzes haben denn auch viele Juden Bürgerrecht und Grundeigentum im Lande erworben, und Teilnahme an der Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten erlangt. Rostocks Privilegium des Ausschlusses der Juden ist jedoch durch das Staatsgrundgesetz nicht gebrochen worden, und weder hier, noch in Wismar ist eine Änderung in dem mittelalterlichen Zustande eingetreten. Dieselbe würde jedoch unzweifelhaft längst erfolgt sein, wenn nicht das Staatsgrundgesetz unterm 14. September 1850 außer Anwendung gesetzt und damit auch im übrigen Lande die frühere Rechtlosigkeit der israelitischen Bevölkerung, natürlich mit Ausnahme derjenigen, welche bereits Bürgerrecht und Grundeigentum erworben hatten, zum zweiten Male restauriert worden sei. Eine Zirkularverordnung des Ministerium des Innern zu Schwerin vom 9. Januar 1855 eröffnet denn auch den Magistraten der Städte ausdrücklich, dass für die bürgerlichen Verhältnisse der Juden diejenigen Grundsätze und gesetzlichen Vorschriften wieder in Kraft getreten seien, welche vor dem Jahre 1848 normiert hätten. Namentlich habe der § 377 des Landesvergleichs, welcher den Juden den Erwerb von Grundstücken verbietet, selbst hinsichtlich derjenigen, welche inmittelst Bürger geworden wären, wieder volle Geltung erlangt, und sei denselben fortan nicht mehr das Bürgerrecht, sondern nur, wie früher, das Einwohnerrecht zu erteilen; für ihren Nahrungsbetrieb hätten sie ein landesherrliches Privilegium nachzusuchen.
Die Juden werden also nicht mehr als nützliche Mitglieder des mecklenburgischen Volkes angesehen, die durch ihre Sorge für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes beitragen, sondern sollen wieder als Eindringlinge behandelt werden, deren man sich möglichst erwehren müsse, und denen nur aus landesherrlicher Gnade mittelst Erteilung eines Privilegs der Aufenthalt und Nahrungserwerb im Lande gestattet sei.
Mit der Wiederherstellung dieses Zustandes ist eine völlige Verkennung des Wertes und der Bedeutung menschlicher Arbeits- und Kapitalkraft ausgesprochen, und muss dagegen die in jüngster Zeit in Rostock hervorgetretene Bewegung zu Gunsten einer Emanzipation der Juden auf dem Gebiete der Stadt als eine höchst erfreuliche Erscheinung betrachtet werden. Bekanntlich ist nämlich vor Kurzem in unserer Stadt durch das Amt der Tischler die Frage angeregt worden, ob es nicht an der Zeit und im Interesse der Stadt sei, auf das Privilegium des Ausschlusses der Juden Verzicht zu leisten. Das Tischleramt hat die Sache im zweiten Quartier zur Sprache gebracht; dieses hat sämtliche im Quartier vertretenen Handwerksämter darüber befragen lassen, und letztere haben sich fast einstimmig für die Zulassung der Juden erklärt.
Diese Erscheinung, dass ein Körper der ständischen Vertretung unserer mit Privilegien von außen und innen reich begabten Kommune auf die Aufhebung eines Vorrechts anträgt, ist so wenig alltäglicher Natur, dass man daraus auf die Existenz einer tiefliegenden Ursache schließen darf. Und wirklich ist denn auch der Grund, der die Handwerker zu ihrem Antrage bestimmt haben wird, der wichtigste, welcher überhaupt zu sozialen Reformen Veranlassung geben kann. Er liegt unstreitig in der Erkenntnis des sinkenden Geschäftsverkehrs unserer Stadt.
Die Handwerker fühlen es deutlich, dass der Fortgang ihrer Geschäfte von der Bewegung und Größe des kaufmännischen Verkehrs wesentlich bedingt, dass ihnen um Lebendigkeit des Handels, um reichlichen Verdienst der Kaufleute und aller ihrer Hilfsarbeiter ebenso sehr zu tun ist, als dem Kaufmanne daran gelegen sein muss, einen wohlhabenden und betriebsamen Handwerkerstand in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu besitzen.
Wir begrüßen dies Bewusstsein des innigen Zusammenhanges der Blüte des Handwerkes und der Industrie mit der des Handels als ein beachtenswertes Zeugnis für die so vielfach verkannte Harmonie der Interessen aller Berufsklassen, für die Wahrheit, dass man mit einer vernünftigen Sorge für die Wohlfahrt. Anderer zugleich auch sein eigenes Interesse befördert.
Das zweite Quartier hat nun einen desfallsigen auf die Belebung unseres Handels durch Hinzuziehung, der Juden abzielenden Antrag E. E. Rate und dem ersten Quartier zur Annahme mitgeteilt. Die Antwort des ersteren ist noch nicht erfolgt; das Quartier aber hat den Antrag kurzweg zurückgegeben und sich damit der Zulassung der Juden nicht gewogen gezeigt.
Es scheint daher am Platze, sich der Gründe bewusst zu werden, welche dem ersten Quartier bei seiner Missstimmung gegen den Antrag des zweiten Quartiers vorgeschwebt haben werden.
Dass der Grund nicht in der Religionsverschiedenheit zu finden ist, braucht wohl nicht nachgewiesen zu werden. Auch liegt derselbe nicht in der hie und da auftauchenden Meinung, dass man die Juden zurückweisen müsse, um die Reellität im Geschäfte aufrecht zu erhalten. Wir meinen, dass der jüdische Geschäftsmann nicht minder, wie der christliche die Überzeugung besitzt, dass nur strenge Rechtlichkeit die Basis eines glücklichen und soliden Geschäftsbetriebes bilden kann. Die Ursache übrigens, weshalb trotzdem noch so mancher Unreellität im Geschäfte sowohl bei Christen, als Juden begegnet wird, ist zum guten Teile in dem betrübenden Zustande der öffentlichen Verhältnisse zu suchen. Wo die Freiheit des Menschen in ungebührlicher Weise beeinträchtigt, wo namentlich die Freiheit des Erwerbs durch willkürliche Schranken gefesselt ist, da erscheinen Umwege, um der Ungerechtigkeit der gesetzlichen Anordnungen zu entgehen, als erlaubt, ja nicht selten zum Erwerbe des notwendigsten Lebensunterhaltes sogar geboten. Da wird die Achtung vor dem Gesetze untergraben, und das Gesetz selbst wird Ursache zur Unrechtlichkeit, und damit zur Demoralisation der Gesellschaft.
Und auf wem lastet unsere Gesetzgebung wohl schwerer, als auf der Klasse der Juden? Man befreie dieselben daher nur von dem ungerechten Drucke; gebe ihnen das Recht zum Erwerbe von Grundeigentum, zu jedem gewerblichen Betriebe, zur Erwerbung des Bürgerrechts, zur Bekleidung obrigkeitlicher und richterlicher Ämter und stelle sie überall und namentlich auch in den privilegierten Städten Rostock und Wismar den christlichen Einwohnern gleich, und die Reellität wird bei denselben nicht geringer gefunden werden als bei den Christen.
Rostock, Giebelhäuser bei der Nikolaikirche
Rostock, Kröpeliner Tor und Teufelsgrube
Rostock, Kröpeliner Tor
Rostock, Universität
Wismar, Alter Schwede
Wismar, Marktplatz
Wismar, Rathaus
Wismar, Turm der Marienkirche
Wismar, Wassertor
Rostock Stadtansicht
Wismar, Ansicht aus der 2ten Hälfte des XVII. Jahrhunderts
Wismar, Fürstenhof, Kleines Portal mit gebrannten Formsteinen
Wismar, Fürstenhof und St. Jürgen
Wismar, Fürstenhof, Hofseite
Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967
Rostock, Neuer Markt mit Blick auf Marienkirche
Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße
Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967
Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche
Rostock - Petrikirche mit Petritor
Hansestadt Rostock, Stadthafen mit Großsegler, 1968
Hansestadt Rostock - Stadtansicht
Rostock, Stadthafen, 1968
Rostock, Stadthafen, Segelschulschiff "Wilhelm-Pieck", 1968
Rostocker Umland mit Bauernhof, 1968
Rostock vor dem Steintor
Rostock-Warnemünde, Alter Strom, Eisgang 1968