Fortsetzung

Mit der Gleichstellung der ersteren und ihrer fortschreitenden Bildung werden aber auch ihre Eigentümlichkeiten in Sprache und Manieren, die schon so vielfältig nicht mehr zu bemerken und die sie immer mehr zu beseitigen sichtlich mit bestem Erfolge bestrebt sind, so wie die unangenehmen noch bei den kleineren Handelsleuten nicht selten zu Tage tretenden Seiten einer oft wegwerfenden Unterwürfigkeit und lästigen Dreistigkeit immer mehr verschwinden, und damit auch der letzte Vorwand für die Abneigung eines geschäftlichen Verkehrs mit Juden erlöschen.

Wir sind überzeugt, dass unsere Ansicht auch vom Rostocker Kaufmannsstande geheilt wird, und wir daher den Ablehnungsgrund des ersten Quartiers anderswo, als in der Furcht vor unreeller Geschäftsführung zu suchen haben werden. Wir glauben den wahren Grund denn auch lediglich in der Scheu vor der Konkurrenz mit den Juden zu entdecken.


Konkurrenz, dieser Schrecken aller Privilegierten! Des zünftigen Handwerkers beim Gedanken an die Freiheit der Arbeit; des christlichen Kaufmanns in Rostock und Wismar beim Anblick eines Juden!

Es sei denn nun in dieser Beziehung zuvörderst bemerkt, dass unter den Kaufleuten die Materialisten, sowie die Eisen- und Kurzwarenhändler, auch die Weinhändler von den Juden überall nichts zu fürchten haben werden, da diese sich jenen Zweigen des Handels fast gar nicht zu widmen pflegen. Eine Konkurrenz wird hauptsächlich nur die Kornhändler, Manufakturisten, Tuchhändler, Zigarrenhändler, so wie auch die Geldmänner und Geldinstitute treffen, so dass immer nur einem Teile unserer Kaufmannschaft Konkurrenz gemacht werden würde.

Was bedeutet nun aber die Abwehr der Konkurrenz von Seiten eines privilegierten Geschäftsmannes? Es heißt, in Hinblick auf den einheimischen Verkauf, das Publikum nötigen, höhere Preise zu zahlen, als unter der Freiheit der Konkurrenz; hinsichtlich des auswärtigen Handels, seinen Mitbürgern den Nutzen eines belebten Handelsverkehrs vorenthalten. Einer genaueren Ausführung dieser Wahrheit wird es hier nicht weiter bedürfen; in der Schrift über volkswirtschaftliche Zustände in Mecklenburg ist bei Besprechung der Gewerbeverhältnisse eine solche zu geben versucht. Es ist bekannt, dass jeder Schutz, der sich durch Ausschließung der Konkurrenz charakterisiert, mit der Bevorzugung des Geschützten eine Benachteiligung des Publikums im Gefolge hat.

Von unseren Kaufleuten fordern wir daher mit der Zulassung der Juden den Verzicht auf eine lange genossene Begünstigung. Wir fordern damit aber keineswegs ihre Benachteiligung, sondern Gerechtigkeit auch im eigenen Interesse der Kaufleute. Zu Grunde gehen werden die Geschäfte der Christen nicht; davon legt die ganze Welt, davon legen namentlich die Städte Hamburg, Bremen und Lübeck, zu denen die Juden früher gleichfalls keinen Zutritt hatten, Zeugnis ab. Die bedeutendsten Geschäfte, namentlich auch in Manufakturwaren, sind dort fortgesetzt in den Händen der Christen; die Annahme einer Konkurrenzunfähigkeit des christlichen Charakters dem israelitischen gegenüber besteht nur in der Einbildung. Die Rührigkeit unserer Kaufleute wird freilich mit der Konkurrenz eine größere werden. Die Mühe des Aufkaufens für die hiesigen Kornhändler werden z. B. in Zukunft die Juden nicht mehr in dem Maße übernehmen, wie jetzt, wo ihnen die Möglichkeit des eigenen Exports aus hiesigem Hafen verwehrt ist. Die Kornhändler werden selbst Einkäufer auf dem Lande umherschicken müssen, wie schon die Materialisten durch reifende Verkäufer ihren Absatz zu erzielen suchen. Allein diese Folge der geweckten Energie begrüßen wir als eine hocherfreuliche, nicht bloß zum Nutzen des Publikums, sondern auch zum eigenen Vorteil des Kaufmannes, da die Geschäftsführung nur gewinnen kann, wenn der Sporn der Konkurrenz zu lebhafter Tätigkeit treibt.

Dagegen wende man nicht ein, dass sich der Umsatz der bestehenden Geschäfte um so viel verkleinern müsse, als sich die Teilnahme am Handel durch neue Konkurrenten vermehren werde. Mit der Zulassung von neuen Handeltreibenden in unserer Stadt wird selbstverständlich auch anderen Berufsklassen ein vermehrter Zuzug eröffnet werden; und wenn demnach der Aufschwung des Handelsverkehrs den Einwohnern neue Beschäftigung und erhöhten Verdienst gewähren wird, so wird der dadurch wachsende Wohlstand und die Vermehrung der Einwohnerzahl auch wiederum den kaufmännischen Geschäften reichlicheren Absatz und neue Kundschaft zuführen. Es ist eine durchaus naturgemäße Folge und bewährte Erfahrung, dass das Aufblühen eines Geschäftszweiges zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes beiträgt, und dass deshalb auch diejenigen Geschäfte größeren Aufschwung gewinnen, welchen Konkurrenz bereitet worden ist. Konkurrenz ist der eigentliche Lebensnerv des Geschäftsverkehrs; wie sollte seine Belebung und Kräftigung unterdrückend und tötend wirken können!

Wenn demnach die Kaufleute, denen durch die Aufnahme von Israeliten Konkurrenz erwächst, ihr Interesse recht verstehen, so werden auch sie mit allen übrigen Bewohnern die Einwanderer mit Freude begrüßen.

Aber nicht nur die Hebung des Handels in den bereits hier ausgebildeten Richtungen wird eine Wirkung des Einzuges der Juden sein; auch ganz neue Handelszweige werden durch die bekannte Strebsamkeit derselben nicht minder, als durch ihr Kapital ins Leben gerufen werden; der Unternehmungsgeist wird einen kräftigen Anstoß erfahren. Zwar liegt zu Tage, dass beim Bestand unserer unwirtschaftlichen Zustände, insbesondere unseres Steuer- und Zollunwesens und unserer Abgeschlossenheit von dem großen deutschen Absatzgebiete der Handel niemals zu einer vollen natürlichen Blüte gedeihen wird; aber dennoch wird die Entwicklung von neuen Handelszweigen wie z. B. des Wollhandels, Produktenhandels und der Geldgeschäfte erwartet werden können, sobald nur Geschäftsleuten, welche sich gern solchen Tätigkeiten widmen und darin bewandert sind, die Entfaltung ihrer Arbeitskräfte in hiesiger Stadt erlaubt sein wird. Zu welchen sonstigen gemeinschaftlichen Unternehmungen die Erweckung der Rührigkeit und der Luft zu Spekulationen Veranlassung geben wird, lässt sich ebenso wenig, als der Einfluss der Juden auf die Entwicklung der Reederei im Voraus bezeichnen; nur so viel steht fest, dass von der Aufnahme israelitischer Kaufleute auch in diesen Richtungen ein fördernder Einfluss erwartet werden darf.

Was speziell den Kornhandel anbetrifft, so könnte man glauben, dass derselbe durch die Teilnahme der Juden nicht an Umfang gewinnen würde; indem man annimmt, dass alles Korn, für dessen Verschiffung der Transport über Rostock der vorteilhafteste ist, naturgemäß schon jetzt hierher einen Zufluss hat. Und freilich ist es Tatsache, dass schon jetzt viele jüdische Kornhändler aus den nachbarlichen Städten durch Vermittlung hiesiger Kommissionäre Korn über hier verschiffen, auch an die hiesigen Kornhändler bedeutende Lieferungen beschaffen. Allein wir glauben, dass durch die Energie hier wohnender israelitischer, wie christlicher Händler von demjenigen Korn des Landes und Pommerns, welches jetzt nach fremden Absatzplätzen seinen Weg nimmt, ein erhebliches Quantum noch auf hier gelenkt werden kann. Wir sind daher der Ansicht, dass die Zufuhr sich nicht unbedeutend vermehren und damit sowohl der Preis des Korns, welches wir für unseren Konsum an Mehl, Branntweinschrot etc. verbrauchen, sich erniedrigen wird, als auch Handel und Schifffahrt neue Nahrung empfangen werden.

Überblicken wir demnach die nur in allgemeinen Umrissen gezeichneten Einflüsse, welche der Zuzug von rüstigen Handelsleuten ausüben würde, so ist ersichtlich, dass das erste Quartier auch selbst vom rein partikularistisch-ständischen Standpunkte, also im eigenen Interesse der Kaufmannschaft, der Zulassung der Juden das Wort reden sollte.

Kann nun dieser Tatsache gegenüber der Umstand noch von Bedeutung sein, dass es leider nicht nur in unserer Stadt, sondern auch im übrigen Lande noch mehr Privilegien gibt, welche der Wohlfahrt der Bevölkerung nicht minder entgegenstehen, als das den Juden auferlegte Verbot, in Rostock zu arbeiten und den Geschäftsverkehr zu beleben? Und doch begegnet man so vielfach der Meinung, dass dieselben nicht eher zuzulassen seien, als bis die Zünfte geschwunden, Grund und Boden frei geworden, und die Bevorzugungen von Ritter- und Landschaft ein Ende erreicht hätten. Denn man müsse das eigene Privilegium reservieren, um es als Hebel für die Beseitigung der übrigen zu verwenden.

Wir sind der entgegengesetzten Ansicht; wir würden das Privilegium aufgeben, um die dadurch gewonnene Freiheit als Hebel gegen die übrigen Ungerechtigkeiten zu benutzen. Der durch die Freiheit geförderte Gemeinsinn, die geweckte Energie, das gute Beispiel, welche das Aufblühen der Verhältnisse unter dem Schutze der Freiheit gibt, dies find positive Triebfedern, direkte Stöße gegen die übrigen Schranken. Das Festhalten am eigenen Privileg ist, wenn überall ein zwingendes Mittel, so doch jedenfalls nur ein negatives, und daher höchst ungewisses; es ist keine direkt wirkende Kraft zur Beseitigung der Vorrechte Anderer, wie fiel in der immer weiter schreitenden Freiheit liegt.

Das Reziprozitätsprinzip, dem jene Ansicht angehört, ist mit seinem Streben nach gleichzeitiger Beseitigung der Übelstände ein entschiedenes Hindernis für sukzessive Reformen; und regelmäßig wird bei einer Verfolgung weder die eine, noch die andere der wünschenswerten Verbesserungen erzielt. Den Wert eines Zustandes selbstständig prüfen und anerkannte Missstände entfernen, sobald die Gelegenheit sich bietet, ohne auf die gleichzeitige Beseitigung anderer Übelstände zu warten, ist ein Prinzip, welches sich praktisch bewährt hat. Der volkswirtschaftliche Kongress hat dasselbe im Jahre 1860 zu Köln bei Erörterung der Freizügigkeitsfrage geprüft und ausdrücklich gebilligt, indem er sich dahin ausgesprochen, dass die Freizügigkeit in Deutschland von den einzelnen Staaten nicht an die Bedingung der Gegenseitigkeit zu knüpfen sei. Dieselbe Maxime verfolgt auch das in politischen und wirtschaftlichen Dingen voranleuchtende England bei der Herabsetzung seiner Eingangszölle, und diesem gemäß hat es namentlich auch beim Abschluss des jüngsten Handelsvertrages mit Frankreich gehandelt. Es hat alle Verkehrserleichterungen für die Wareneinfuhr, welche den Franzosen vertragsmäßig eingeräumt sind, ohne Weiteres auch allen übrigen Nationen zugestanden, ohne seine Zölle als Hebel zur Erreichung gleichzeitiger Zollerniedrigung in anderen Staaten zu konservieren. Und dieselbe Maßregel fordert die volkswirtschaftliche Presse von dem deutschen Zollvereine hinsichtlich der bevorstehenden Abschluss eines Handelsvertrages mit Frankreich.

Diesem Prinzipe zufolge darf denn auch Rostock die Zulassung der Juden nicht von der gleichzeitigen Aufhebung anderer Privilegien abhängig machen; und ist dies um so weniger ratsam, als dasselbe durch den fortgesetzten Ausschluss der Juden sich einer wichtigen Triebkraft für die Entfernung der übrigen Missstände entschlägt. Man mache daher nur mit der Beseitigung irgend eines Privileg, also mit dem, welches jetzt in Rede steht, den Anfang, und es werden die übrigen Vorrechte in Stadt und Land, gedrängt durch die Macht der neu gewonnenen Freiheit, viel eher der Auflösung entgegengehen, als bei Verfolgung des Prinzips der Reziprozität. Wie hätte sich überall wohl ein freier Verkehr gestalten können, welcher zum Heile und zur Bildung unser Aller die Nationen verbindet, wenn jeder Staat die Aufhebung seiner mittelalterlichen Abgeschlossenheit von dem gleichzeitigen Fortschritte der Nachbarstaaten abhängig gemacht haben würde?

Wir haben auf die Gemeinschädlichkeit der wirtschaftlichen Privilegien Rostocks in unserer oben zitierten Schrift hingewiesen und deren baldmöglichste Aufhebung dringend empfohlen. Den dort genannten reihet sich noch das Privileg der Akzise-Zulage an, über dessen spezielle Bedeutung zu sprechen hier freilich nicht der Ort ist; hinsichtlich dessen wir jedoch allgemein ins Gedächtnis rufen wollen, dass das Streben einer weisen Staats- oder Kommunalgesetzgebung weit mehr auf einen reichlichen Verdienst der Einwohner durch ihre produzierende Tätigkeit mittelst Gewährung voller Freiheit im Gebiete der Arbeit, also mehr auf die Fülle der Privatkassen, auf die Wohlhabenheit der einzelnen Bewohner gerichtet sein muss, als auf die Anfüllung der Staats- oder Kommunalkasse durch unwirtschaftliche Intraden. Ist nur die Bevölkerung wohlhabend, die Steuerkraft vorhanden, so kann es an der Aufbringung der zu dem öffentlichen Haushalt nötigen Gelder nicht fehlen.

Von den Privilegien Rostocks, deren unbedingte Aufhebung notwendig erscheint, ist nun aber dessen Selbstständigkeit in der Kommunalverwaltung wohl zu unterscheiden. Das Recht der freien Wahl der Beamten und der freien Disposition über das Gemeindevermögen, ohne eine Verpflichtung zur Rechnungsablage vor einer kontrollierenden Landesbehörde, sind Rechte, die jeder Kommune zustehen sollten. Von einem Verzichte auf diese Rechte kann so wenig die Rede sein, als sie vielmehr den anderen Städten zum Gegenstand der Nachahmung dienen mögen. Wir rühmen im Übrigen in dieser Beziehung nur den Besitz dieses Rechtes der selbstständigen Kommunalverwaltung, nicht die Art und Weise seiner Ausübung; da die Haushaltung der Stadt Rostock nicht als Muster aufgestellt werden kann.

Unter den eigentlichen Privilegien Rostocks sind sodann aber auch die politischen von den wirtschaftlichen wieder zu scheiden. Zur Verzichtleistung auf die ersteren, welche namentlich in dem Rechte der Stadt bestehen, „ihr eigenes Stadtrecht, Polizei- und Gerichtsordnung, auch sonst nötige Statuten, und zwar soviel nach der Stadtverfassung immer möglich, in Gemäßheit allgemeiner Landesgesetze, machen zu können“*), fehlt es an Veranlassung; da sie weder der Stadt noch dem Lande zum Schaden gereichen, im Gegenteil der ersteren einerseits zur Einführung nützlicher Verordnungen, andererseits zur Ausübung eines rascheren und weniger bürokratischen Gerichtsverfahrens, als es bei den Gerichten des übrigen Landes stattfindet, die Möglichkeit bieten. Es sind die wirtschaftlichen Privilegien, deren Beseitigung mit aller Kraft erstrebt werden muss, selbst mit Verzichtleistung auf eine in Aussicht gestellte Entschädigung, insbesondere wenn die Erlangung derselben von Jahr zu Jahr in immer größere Ferne gerückt wird.

*) Erbvergleich vom 13. Mai 1788. §45.

Haben wir demnach nun auch darüber Klarheit gewonnen, dass auch unter den bestehenden unwirtschaftlichen Zuständen des Landes und der Stadt die Zulassung der Juden eine im höchsten Grade wünschenswerte Maßregel wäre, so bleibt auf der andern Seite aber noch die Inbetrachtnahme, ob denn auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein Zuzug von israelitischen Kaufleuten, namentlich von den schon in andern Städten ansässigen, zu erwarten ist. Derselbe wird davon abhängen, ob sie ihrem Verdienste hier besser werden nachgehen können, als an ihrem jetzigen Wohnorte. Und wir zweifeln nicht, dass dies trotz der in Rostock dem Handelsverkehre doppelt lästigen Steuerverhältnisse der Fall sein wird. Die für Schifffahrt und überseeischen Handel geeignete Lage der Stadt, sowie der hier vorhandene Zusammenfluss von Kräften, welche dem Handel gewidmet sind und zu dessen Erleichterung beitragen, wird allen israelitischen Kaufleuten, welche schon jetzt den Austausch der Landesprodukte an das Ausland vermitteln, die Übersiedlung wünschenswert erscheinen lassen, um sich der kommerziellen Vorzüge einer See- und Handelsstadt vor einer im Wesentlichen auf Ackerbau angewiesenen Landstadt teilhaftig zu machen.

Es ist daher gewiss ein erfreulicher Zuzug von israelitische Kaufleuten zu erwarten, sobald Rostock ihnen seine Tore erschließen wird.

Möge dasselbe bei der großen Wichtigkeit der Sache und im richtigen Verständnisse eines eigenen Interesses nicht säumen, ein Privilegium zu beseitigen, welches mit der Verbannung der israelitischen Bevölkerung eine Anzahl von Arbeits- und Kapitalkräften zurückweist, die, im Dienste des Rostockschen Handels verwendet, der Stadt neues Leben und neue Blüte verleihen wird.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Judenfrage in Rostock